Das Geschwafel von der sozialen Verantwortung
Für Unternehmen zählt allein der Gewinn
von Laura Raim
Für Emmanuel Faber, Chef des Lebensmittelkonzerns Danone, war es ein persönlicher Triumph, als auf der Aktionärsversammlung vom 26. Juni 2020 über 99 Prozent der Stimmberechtigten die neue Leitlinie „Unternehmen mit einer Mission“ absegneten. Damit setzte Danone als erstes börsennotiertes Unternehmen einen Teil des „Aktionsplans Wachstum und Transformation von Unternehmen“ (Pacte-Gesetz) um, den der französische Minister für Wirtschaft und Finanzen Bruno Le Maire wenige Monate zuvor erlassen hatte. Laut der neuen Leitlinie soll das Unternehmen nicht nur darauf aus sein, Profit zu machen. Es soll auch edlere Ziele verfolgen, wie zum Beispiel die Gesundheit fördern oder unsere Erde schützen und deren Ressourcen schonen.
Nicht zufällig hing im Büro des „humanistischen und untypischen Arbeitgebers“ – wie Faber von der Wirtschaftspresse gern genannt wird – das großformatige Porträt eines Obdachlosen, ein Werk des „spirituellen Fotografen“ Lee Jeffries. Schon 2019 hatte der populäre Spitzenmanager publikumswirksam auf die zusätzliche Altersvorsorge für Führungskräfte (1,2 Millionen Euro pro Jahr) verzichtet. Vor der Aktionärsversammlung vom Juni 2020 erklärte Faber, Danone werde „sich als Modell eines lebendigen Unternehmens und einer menschenfreundlichen Wirtschaft neu erfinden“. Fünf Monate später kündigte der Konzern die Streichung von 2000 Stellen an, davon 400 bis 500 in Frankreich. Es war die größte Entlassungswelle in der Geschichte des Unternehmens.
Nicht der Umsatz war das Problem – die Pandemie schlug kaum zu Buche. Vielmehr war der Börsenkurs von Danone abgestürzt. Faber bedauerte die Entlassungen, rechtfertigte sie aber mit dem Satz: „Der Schutz von Rentabilität und Gewinn ist nun mal fundamental für ein Unternehmen.“1 Vier Monate später wurde er selbst entlassen.
„Positive Beiträge für die Gesellschaft“ fordert neuerdings auch Larry Fink, Chef des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock,2 von allen Firmen, an denen er beteiligt ist. 2021 mahnte er sogar Pläne zur CO2-Neutralität an, was ihn nicht daran hinderte, 85 Milliarden US-Dollar in die Kohleförderung zu investieren.
Auch die 2019 großspurig verkündeten Corporate-Governance-Prinzipien des mächtigen US-Lobbyverbands Business Roundtable, der Giganten wie Apple, Boeing, JPMorgan Chase oder Amazon vertritt, blieben weitgehend folgenlos. Zwar erklärten die Unternehmen, sie fühlten sich nicht mehr nur ihren Aktionären, sondern „allen Stakeholdern“ verpflichtet. Das hinderte sie jedoch nicht daran, Arbeits- und Umweltgesetze häufiger zu verletzen als Firmen, die sich nicht zu diesem Manifest bekannten.3
Letztlich dient die vielgerühmte Corporate Social Responsability (CSR) nur dazu, die Auswüchse der Finanzialisierung der Wirtschaft nach außen hin zu kritisieren, ohne auf konkrete Forderungen wie Regulierung, Kapitalkontrolle oder Besteuerung einzugehen. Ein gutes Beispiel ist Le Maires Pacte-Gesetz, das trotz der neuen CSR-Leitlinien auch die Privatisierung mehrerer staatlicher Betriebe vorsieht. Nach dem Motto: Halb so schlimm, wenn die Pariser Flughäfen privatisiert werden, entscheidend ist das Bekenntnis zu der neue Mission, Passagiere aus aller Welt zu gewinnen, Flughäfen zu betreiben und zu entwerfen, aber eben auf verantwortliche Weise.
Schon im Mai 2006 hatte David Cameron, der damalige Parteiführer der britischen Konservativen, dieses Konzept der Arbeitgeberseite nahebringen wollen. In einer Rede vor dem CSR-Netzwerk Business in the Community meinte er, wer „die soziale Verantwortung der Unternehmen als verdeckten Sozialismus“ verdächtige, könne beruhigt sein: „Je mehr Unternehmen sich freiwillig zu verantwortlichem Handeln bekennen, umso unglaubwürdiger werden alle Rufe nach Kontrolle und Regulierung.“
Die theoretischen und strategischen Debatten über die Funktion von Unternehmen kamen in den 1950er Jahren in den USA auf, als immer mehr Kapitalgesellschaften gegründet wurden und angestellte Manager den Typ des Eigentümerunternehmers ablösten.4 Auf die Frage, wie diese neuen Manager zur Leitung eines Unternehmens motiviert werden können, das ihnen nicht gehört, antwortete der Ökonom Howard Bowen: Die Firmenleitung könne sich gerade dadurch legitimieren, dass sie als Nichteigentümerin in der Lage sei, „alle betroffenen Interessengruppen“ zu berücksichtigen, also „soziale Verantwortung“ zu übernehmen.5
Klimaneutralität fordern, in Kohle investieren
Als in den 1960er Jahren die sozialen Protestbewegungen kulminierten, geriet das alte Unternehmermodell zusehends unter Druck. Zum Verdruss der neoliberalen Theoretiker, die es als gefährlich ansehen, Firmen implizit als Orte der Macht anzuerkennen, zu deren Legitimation die reine Gewinnmaximierung nicht ausreichte.
Im Herbst 1970 sah Milton Friedman, der Papst des Neoliberalismus, die Zeit für eine ultimative Enzyklika gekommen. In einem programmatischen Text in der New York Times dozierte er, die wahre soziale Verantwortung von Unternehmen sei die Gewinnmaximierung, die neue Doktrin dagegen führe geradewegs in den Sozialismus. Nur die Mechanismen des Markts, nicht aber die Politik, seien geeignet, über die Verteilung knapper Ressourcen zu entscheiden.6
Ganz ähnlich hatte schon ein Bericht der Rockefeller-Stiftung von 1960 gewarnt: Wenn man Unternehmen als „private Regierungen“ sehe, an die man Forderungen wie an eine politische Regierung richten könne, werde es zu einem Widerspruch zwischen „der demokratischen Tradition einer auf Zustimmung gegründeten Regierung und den notwendig hierarchischen und autoritären Vorgehensweisen in der Geschäftswelt“7 kommen.
Um dieser Gefahr zu entgehen, erfanden neoliberale Ökonomen in den 1970er Jahren neue Unternehmenstheorien, die eine idyllische Vision entwarfen. Die hierarchische Struktur unternehmerischer Entscheidungen wurde einfach ausgeblendet, was blieb, waren rein vertragliche Beziehungen zwischen freien und gleichen Marktakteuren. In den 1980er Jahren kamen neue Theorien zur Corporate Social Responsibility auf; etwa das Stakeholder-Value-Postulat, wonach die Interessen aller betroffenen gesellschaftlichen Gruppen genauso zu berücksichtigen seien wie der Shareholder Value, also die Interessen der Anteilseigner. Aber auch diese Theorie erteilte dem neoliberalen Dogma keine Absage und blieb damit politisch folgenlos.8
Immerhin steht nun mit dem französischen Pacte-Gesetz zum ersten Mal in einem Bürgerlichen Gesetzbuch, dass Unternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung tragen und „die sozialen und ökologischen Folgen ihrer Aktivitäten“ berücksichtigen müssen. Der erzielte Fortschritt ist allerdings bescheiden: „Die Regierung wollte vor allem nicht am Strafrecht rühren, damit Manager nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können“, erklärt Jean-Philippe Denis, BWL-Professor an der Universität Paris-Saclay. Tatsächlich haben die französischen Arbeitgeber nach anfänglichen Protesten schnell ihren Frieden mit dem neuen Gesetz gemacht. Die Arbeitgebervereinigung Medef gab sich im Januar 2019 sogar ein neues Motto: „Gemeinsam handeln für ein verantwortliches Wachstum“.
Ein Teil der französischen Unternehmer hält jedoch an der Friedman-Tradition fest: „Wenn man sagt, der Kapitalismus müsse stärker Verantwortung übernehmen, dann ist das ein gefährliches Spiel, weil man damit seine Niederlage zugibt“, meint der Vermögensberater Jean-Charles Simon (ETF Patrimoine/Deepvest), der 2018 bei der Wahl zum Medef-Vorsitzenden unterlag. „Wer sich entschuldigt, beschuldigt sich in gewisser Weise auch selbst. Die Unternehmen lassen sich hier auf ein Spiel ohne Ende ein, denn sie werden niemals genug Zugeständnisse machen können.“
In der Tat: Als Emmanuel Faber den Verzicht auf einen Teil seiner Danone-Einkünfte ankündigte, forderte ihn Oxfam auf, noch einen Schritt weiterzugehen. Er solle sich dafür einsetzen, „in den Unternehmenszielen einen Deckel für die Gewinnausschüttungen an die Aktionäre zu verankern, um die überschüssigen Mittel an einen Fonds für den sozialen und ökologischen Wandel des Konzerns abzuführen“.9
Für den Neoliberalen Simon ist CSR deshalb komplett undemokratisch: „Es ist nicht die Aufgabe einer Aktionärsversammlung, darüber zu entscheiden, wie man den Planeten retten soll. Die Rede von der sozialen Verantwortung der Unternehmen bedeutet eine Privatisierung des Allgemeinwohls. Und wenn man glaubt, dass Unternehmen legal, aber unverantwortlich handeln, dann ist es die Aufgabe des Staats, entsprechende Gesetze zu erlassen, um gefährliches oder umweltschädliches Handeln zu besteuern oder zu ahnden.“
Lustigerweise liegt er damit auf einer Linie mit dem US-Ökonomen Robert Reich. Der ehemalige Arbeitsminister der Clinton-Regierung, der inzwischen den „sozialistischen“ Senator Bernie Sanders unterstützt, bezeichnet die Corporate Social Responsibility als „Mogelpackung“. Gesellschaftliche Verantwortung der Konzerne könne man nur durch Gesetze erreichen, die diese verpflichten, den Beschäftigten bei unternehmerischen Entscheidungen mehr Mitsprache zu geben oder den Kommunen, aus denen sie abziehen, Entschädigungen zu zahlen. Und durch Erhöhung der Unternehmensteuern.10
2 Siehe Sylvain Leder, „BlackRock in Paris“, LMd, Januar 2020.
5 Siehe Howard Bowen, „Social Responsibilities of the Businessman“, New York (Harper) 1953.
8 R. Edward Freeman, „Strategic Management: A Stakeholder Approach“, Boston (Pitman) 1984.
9 „Lettre ouverte du Mouves et Oxfam à Emmanuel Faber, PDG de Danone“, 25. Juni 2020.
10 „The sham of corporate social responsibility“, Robert Reich, 31. Dezember 2019, robertreich.org.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Laura Raim ist Journalistin.