Kommt eine pazifische Nato?
Um die Macht Chinas zu begrenzen und dessen geopolitische Ambitionen zu kontern, werkelt Washington an einem neuen Sicherheitsbündnis in der Großregion, die als „Indopazifik“ definiert wird. Allerdings können sich viele der umworbenen Staaten einen Bruch mit Peking gar nicht leisten.
von Martine Bulard
Was die französische Militärpräsenz im Asien-Pazifik-Raum betrifft1 , so könnte man (frei nach Molière) fragen: „Was haben wir nur auf dieser Galeere zu suchen?“ In dieser Region hat Frankreich laut Konteradmiral Jean-Mathieu Rey, dem Kommandeur der französischen Streitkräfte in Asien und Ozeanien, insgesamt 7000 Soldaten, 15 Kriegsschiffe und 38 Flugzeuge dauerhaft stationiert.
Von Ende März bis Anfang Juni dieses Jahres wurde das dortige Aufgebot durch den nuklear angetriebenen Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ und das Atom-U-Boot „Émeraude“ verstärkt, wie auch durch weitere Kampfflugzeuge (darunter vier Rafale-Jets und ein A330-Tankflugzeug), und die amphibische Operationseinheit „Jeanne d’Arc“, mit dem Hubschrauberträger „Tonnerre“ und der Tarnkappenfregatte „Surcouf“. All diese Einheiten waren an einer Reihe gemeinsamer Militärübungen mit den USA, Australien, Japan und Indien beteiligt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Paris sein Arsenal in dieser Region vorführt. Schon im April 2019 hatte eine französische Fregatte die Taiwan-Straße durchfahren und damit eine Kontroverse mit Peking ausgelöst, aber nie zuvor war die Militärpräsenz derart massiv. Neu ist jedoch vor allem, dass Präsident Emmanuel Macron das Ganze als Beitrag zu einer „indopazifischen Achse“ darstellte2 , die gegen China gerichtet ist.
Das hat er im Mai 2018 bei einem Besuch in Australien ganz klar formuliert: „China ist dabei, Schritt für Schritt seine Hegemonie aufzubauen. Es geht nicht darum, Ängste zu schüren, sondern der Realität ins Auge zu schauen.“ Falls der Westen nicht geschlossen handle, werde er zu seinem Leidwesen bald erfahren, dass dieser Hegemon „unsere Freiheiten und unsere Chancen beschneidet und wir klein beigeben müssen“.3 Die höchst reale Hegemonie der USA in dieser Region dagegen scheint Macron nicht als Problem zu sehen.
Gemeinsame Manöver im Golf von Bengalen
Entsprechend dieser Sichtweise verwandelte sich Frankreich still und leise und ohne jede innenpolitische Debatte von einer „indopazifischen Macht“, als die es sich – mit Verweis auf seine Überseegebiete Neu-Kaledonien und Französisch-Polynesien – gern definierte, zu einem Machtfaktor der von den USA angeführten „indopazifischen Achse“. Das ist eine bedeutsame semantische Verschiebung, wie aus einem Strategiebericht des US-Verteidigungsministerium vom Juni 20204 hervorgeht. Hier wird die vollzogene Wende ausdrücklich begrüßt, denn sie mache Frankreich in dieser Region zu einem ebenso wichtigen Militärpartner der USA wie Japan, Australien oder Singapur.
Bevor „Indopazifik“ zu einem US-amerikanischen Ordnungskonzept wurde, hatte der Begriff schon verschiedenen Herren gedient. Geprägt wurde er 2006 von Gurpreet S. Khurana, dem Direktor des indischen Thinktanks National Maritime Foundation, und zwar als „das den Pazifik und den Indischen Ozean umfassende Meeresgebiet“.5 Zu einem politischen Begriff wurde „Indopazifik“ erst, als er in Tokio von Premierminister Shinzo Abe und dessen Nachfolgern aufgegriffen wurde. Dort beobachtete man mit Sorge, wie China zur globalen Wirtschaftsmacht aufstieg und mit den USA ins Geschäft kam, die zum größten Abnehmer chinesischer Produkte wurden.
Die Japaner fürchteten vor allem, von einem „ChinAmerika“-Duo an den Rand gedrängt zu werden. Sie sahen ihr Land stets als Washingtons Brückenkopf in Asien und waren entsprechend begeistert, als sie 2007 erstmals zusammen mit den USA, Indien, Japan, Australien und Singapur ein gemeinsames Manöver im Golf von Bengalen abhalten konnten. Doch das neue Bündnis, das in Tokio als „Bogen der Freiheit“ gefeiert wurde, hatte nicht lange Bestand.
Zehn Jahre später tauchte die „indopazifische Achse“ dank Donald Trump erneut aus der Versenkung auf. 2018 benannte der republikanische Präsident – mit seinem untrüglichen Gespür für PR-Effekte – das Oberkommando der US-Truppen in der Region
von „US Pacific Command“ (Pacom) in „US Indo-Pacific Command“ (Indopacom) um. Anschließend initiierte er den Quadrilateralen Sicherheitsdialog (Quad) – eine informelle Allianz mit militärischer Dimension, der Australien, die USA, Indien und Japan angehören. Worauf das alles hinauslief, stand im Gesetz über den Verteidigungshaushalt für 2019, das der Kongress im August 2018 verabschiedete: Demnach sei es „die oberste Priorität der Vereinigten Staaten, dem Einfluss Chinas entgegenzuwirken“.6
Diese Zielvorgabe war ganz nach dem Geschmack der neoliberalen Regierungschefs und der Ultranationalisten, die mittlerweile in den Partnerstaaten der Allianz an der Macht waren. In Australien war das sozialdemokratische Intermezzo beendet; in Japan wurde Präsident Shinzo Abe wiedergewählt, der die Gründung des Quad vorangetrieben hatte. Und in Indien kam der Hindunationalist Narendra Modi ans Ruder, der Trump noch mit großem Pomp zu einem Staatsbesuch empfangen hatte, bevor dieser das Weiße Haus verließ.
Doch der Kurs der USA blieb auch nach der Abwahl Trumps weitgehend derselbe. Joe Biden setzte die Politik seines Amtsvorgängers fort, wenn er auch weniger hektisch agiert und größeren Wert auf die Verteidigung der Menschenrechte und ein kohärentes Vorgehen legt. Auch Biden betrachtet China als „strategischen Rivalen“ und den Quad als das zentrale politische und militärische Instrument für den asiatisch-pazifischen Raum.
Am 12. März, keine zwei Monate nach seinem Amtsantritt, lud der neue US-Präsident die Staats- und Regierungschefs der drei Quad-Partner zu einer Videokonferenz. Zum Abschluss bekannten sich Biden, Morrison, Modi und Suga Yoshihide in einer gemeinsamen, sehr allgemein gehaltenen Erklärung zu der Vision einer „freien, offenen, inklusiven und gesunden Region, die in demokratischen Werten verankert und frei von Zwang ist“.7
Sofort nach dieser Beschwörung eines „freien und offenen Indopazifiks“, wie die offizielle Formel lautete, machten sich US-Außenminister Antony Blinken und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in die Region auf, um die Abmachungen zu konkretisieren. Die Reise führte sie am 16. März auch nach Südkorea, das die Allianz zu einem Format namens „Quad+“ erweitern soll, das auch für weitere asiatische Länder und sogar für europäische Staaten wie Frankreich, Großbritannien und Deutschland offen sein könnte.
Dieser Plan zielt darauf ab, „ein sternförmiges Bündnis unter Führung der USA zu ‚multilateralisieren‘“, wie es die Politologin Chung Kuyoun von der südkoreanischen Kangwon National University formuliert.8 Andere Experten sehen Parallelen zur Nato, die 1949 zu Beginn des Kalten Kriegs aus der Taufe gehoben wurde und bis heute besteht. Sie sprechen sogar von einer möglichen geografischen Ausweitung des atlantischen Bündnisses, sozusagen von der Geburt einer kleinen Schwester – also einer „asiatischen Nato“ gegen die „chinesische Diktatur“.
Die Hypothese ist durchaus nicht abwegig. Der Wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses hat in einem Bericht zur Vorbereitung des Brüsseler Treffens der Nato-Außenminister am 23. und 24. März die „wichtigsten Prioritäten“ der Allianz aufgelistet. Die müsse insbesondere auf „die potenziellen sicherheitspolitischen Herausforderungen reagieren, die China und seine zunehmende Investitionstätigkeit in Europa darstellen“.9 Hier wird also in einem Atemzug die Gefahr durch chinesische Raketen wie für die eigenen wirtschaftlichen Interessen beschworen und beides natürlich unter der Flagge der Freiheit, mit der die Repräsentanten der Nato unentwegt herumwedeln.
Allerdings ist der indische Premierminister nicht gerade als untadliger Vorkämpfer der Freiheit bekannt. Das heutige Unionsterritorium Jammu und Kaschmir, dem die Regierung Modi ihren Autonomiestatus entzogen hat, steht unter der Knute des Militärs; viele Oppositionelle wurden verhaftet, gefoltert oder gar getötet.10 Die indischen Muslime werden durch das herrschende Staatsbürgerschaftsrecht diskriminiert; Demonstrationen gegen diese Zustände werden immer wieder unterdrückt. Es ist das alte Lied: Bei Verbündeten der USA nimmt man die Menschenrechte nicht so wichtig wie bei ihren Gegnern.
So sieht es auch Dennis Rumley, Professor an der Universität von Curlin (Australien) und Ko-Autor eines Buchs über „Aufstieg und Wiederkehr des Indopazifiks“.11 Für Rumley hat das Indopazifik-Projekt wenig mit moralischen Werten und viel mit dem „sich derzeit vollziehenden globalen Wandel“ zu tun. Demnach erleben wir gerade den „Übergang in eine neue bipolare Welt USA – China“.
Chinas setzt auf seine Wolfskriegerdiplomatie
In den USA selbst sowie in den Ländern ihrer Einflusssphäre „haben viele regelrecht Angst vor diesem Übergang“. In China dagegen „wünschen sich viele diesen Übergang herbei und fordern, dass er bei weltpolitischen Entscheidungen berücksichtigt wird“. Die diametral entgegengesetzten Sichtweisen beeinflussten das Verhalten beider Seiten – was zum Beispiel dazu führen, könne, dass „die chinesische Haltung als aggressiv wahrgenommen wird“.
Die ausgesprochen offensive „Wolfskriegerdiplomatie“ (wolf warrior diplomacy), die sich in chinesischen Diplomatenkreisen breitmacht, wirkt diesem Eindruck nicht gerade entgegen. Vielmehr scheint sich China grundsätzlich von jener Zurückhaltung zu verabschieden, die seine Diplomatie in den Jahrzehnten vor 2000 ausgezeichnet hat.
Peking stockt seinen Militärhaushalt Jahr für Jahr weiter auf. Vor allem modernisiert es seine Marine im Eiltempo, während es laut und deutlich seine Ansprüche im Südchinesischen Meer anmeldet. Die umfassen inzwischen die gesamten Paracel-Inseln und das Spratly-Archipel, wo China sieben Riffe zu künstlichen Inseln aufgeschüttet hat, auf denen Dual-Use-Infrastrukturen (für zivile und militärische Zwecke) entstehen. Und die chinesische Küstenwache ist seit Februar 2021 durch ein neues Gesetz zu offensiveren Operationen ermächtigt. Seitdem kommt es immer häufiger zu Zwischenfällen mit japanischen, vietnamesischen und philippinischen Schiffen.
„Es gibt Streitigkeiten um die Inseln im Chinesischen Meer; das ist bedauerlich“, räumt ein ehemaliger chinesischer Diplomat in Europa ein, wobei er sich allerdings auf die offizielle These von den „historischen Rechten Chinas“ beruft. „Wir brauchen Ankerpunkte im Chinesischen Meer, um uns zu schützen – nicht um unsere Nachbarn anzugreifen“, argumentiert der Ex-Diplomat und verweist darauf, dass ein Kommandeur der US-Marine 2014 (laut einem Report des US Navy Institute) erklärt hat, die chinesischen Häfen und Handelswege seien „sehr exponiert und leicht zu blockieren“. Dieser hohe Offizier habe vorgeschlagen, „entlang unserer gesamten Küstenlinie einen Gürtel von Seeminen zu legen, um bei Bedarf das Land abriegeln zu können“.
Das Szenario ist glaubhaft und das zitierte Dokument existiert.12 Doch Angst ist selten eine gute Ratgeberin. Falls die Verbündeten der USA tatsächlich einmal China den Zugang zum offenen Meer mittels einer militärischen Blockade verwehren sollten, wird Peking seine Sicherheitslage mit einer Politik der vollendeten Tatsachen, durch die es sich schon jetzt von einem Teil seiner Nachbarn entfremdet, schwerlich verbessern können.
Auch in der Taiwanfrage wird China mit aggressivem Auftreten nicht viel ausrichten. Peking betrachtet die Insel als eine seiner Provinzen und beruft sich dabei auf das „Ein-China-Prinzip“, das seit den 1970er Jahren von den Vereinten Nationen und fast allen Ländern der Erde anerkannt wird.
„Die Sezession ist ausgeschlossen, aber die Eingliederung ist nicht vordringlich“, sagt dazu unser Ex-Diplomat. Ob die chinesischen Machthaber das auch so sehen, ist ungewiss. Allerdings ist die Zahl der Verletzungen des Luftraums von Taiwan exponentiell angewachsen. Peking hat über der Taiwan-Straße tausende Luftoperationen angeordnet, die der offiziellen See- und Luftraumgrenze (von 12 Seemeilen oder 22,2 Kilometern) auf beiden Seiten der Meerenge gefährlich nahe kamen und sie bisweilen überschritten.
Weniger bekannt sind die Luftraumverletzungen vonseiten der USA, die sich als Wächter der Weltmeere aufspielen. Allein im ersten Halbjahr 2020 wurden mehr als 2000 Flugbewegungen der U.S. Air Force registriert, die kürzlich ein mobiles Radarsystem auf den Penghu-Inseln installiert hat – nicht einmal 150 Kilometer von Festlandchina entfernt.13 Es wäre naiv zu glauben, dass diese Anlagen nur dem Schutz Taiwans dienen.
Fest steht, dass Chinas Strategie der Stärke bei seinen Nachbarn Unruhe auslöst, was Washington zu seinem Vorteil nutzt. Dabei will man vor allem das militärische Potenzial verstärken, das laut Admiral Philip Davidson dem chinesischen unterlegen ist. Der derzeitige Indopacom-Kommandeur sieht die Zeit gekommen, die Erste US-Flotte wiederauferstehen zu lassen, die von 1946 bis 1973 im westlichen Pazifik operiert hatte.
Davidson unterstützte bei einer Anhörung im Kongress einen auf Trumps Marinestaatssekretär Kenneth Braithwaite zurückgehenden Plan, der einen neuen US-Stützpunkt auf den Palau-Inseln vorsieht. Dabei gibt es über die ganze Region verteilt bereits hunderte US-Basen, vor allem in Japan, wo beinahe 55 000 US-Soldaten stationiert sind, in Südkorea (28 500), auf Hawaii (42 000) und auf Guam.
Indien verspricht sich eine Schlüsselrolle
2020 beliefen sich die Militärausgaben der USA auf 778 Milliarden Dollar; das ist etwa das Dreifache der 252 Milliarden Dollar, die China für sein Militär aufwendet. Der chinesische Militäretat ist damit der zweitgrößte der Welt, doch in Peking hat man noch das Beispiel der Sowjetunion in Erinnerung, die im Rüstungswettlauf mit Washington ihre Existenz aufs Spiel setzte. Diesen Irrweg will man nicht beschreiten. China wendet nach den Berechnungen des Internationalen Friedensforschungsinstituts Sipri in Stockholm 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär auf – die USA dagegen 3,7 Prozent.14
Die Rüstungsausgaben des Pentagons machen allein 39 Prozent des weltweiten Militärbudgets aus, womit die USA nach wie vor mit großem Vorsprung an der Spitze liegen. Hinzu kommt, dass ihre Streitkräfte weit mehr praktische Erfahrungen haben, weil sie – im Gegensatz zur chinesischen Armee – permanent an Militäroperationen beteiligt sind. Es ist wahrlich eine paradoxe Situation: Die Amerikaner verdächtigen die Chinesen ständig kriegerischer Absichten, während sie selbst in allen Ecken der Welt militärisch aktiv sind.15
Ihr neuer Tummelplatz ist der Indopazifik. Dessen Grenzen haben sich allerdings verschoben: Sie reichen heute vom Westpazifik bis zu den Küsten Ostafrikas, wobei unter Barack Obama die USA nicht dazugehörten, während sie unter Trump zum Teil des indopazifischen Raums erklärt wurden. Inzwischen gilt der Indopazifik als „Teil der Nachbarschaft der USA“, so Rumley, und die gelte es genauso zu verteidigen wie den eigenen Hinterhof im Sinne der traditionellen Monroe-Doktrin.
Dieser strategische Ansatz werde von Peking inzwischen kopiert. „Wer Chinas Verhalten im Südchinesischen Meer beurteilen will, kann diese Auffassung Washingtons in gewisser Weise zum Maßstab nehmen“, erläutert Rumley, „die USA würden eine chinesische Präsenz in der Karibik schließlich auch nicht tolerieren.“ Zugleich missbilligt er diese Großmachtattitüde und fordert einen neuen Ansatz zur Gestaltung der internationalen Beziehungen.
Dies gilt umso mehr, als nicht einmal die Länder, die nach der US-Definition zum indopazifischen Raum gehören, eine einheitliche Sicht der Dinge haben. Während sich Australien erneut als Sheriff der USA andient, bleibt Japan im Unterschied zu Canberra ein „verbündeter Partner zweiter Ordnung“, ohne „gemeinsame militärische Führung mit den US-Truppen“, konstatiert Robert Dujarric, Direktor des Institute of Contemporary Asian Studies (Icas) in Tokio. Für Japan seien Kampfeinsätze außerhalb der eigenen Grenzen ein Problem, „weil es nach wie vor große Vorbehalte in der Bevölkerung gibt“.
Regierungschef Suga Yoshihide sieht ebenso wie sein Mentor Shinzo Abe das Indopazifik-Konzept als Chance: Das „japanisch-amerikanische Tandem soll die Dinge in der Region regeln“, um China in die Schranken zu weisen. Der innenpolitisch bedrängte Suga protzt damit, dass er als erster ausländischer Regierungschef vom neuen US-Präsidenten empfangen wurde. Nach dem Treffen am 17. April betonten beide Seiten die Bedeutung von „Frieden und Stabilität“ in der Straße von Taiwan und verpflichteten sich, der Herausforderung durch China gemeinsam entgegenzutreten, „um die Zukunft einer freien und offenen indopazifischen Zone zu sichern“.
Es war das erste Mal seit 52 Jahren, dass ein japanischer Regierungschef sich traute, die Insel zu erwähnen, die von 1895 bis 1945 einer harten japanischen Besatzung unterworfen war. Das dürfte die Nachbarländer nicht unbedingt beruhigen, insbesondere nicht Südkorea, das aufgrund dieser kolonialen Vergangenheit bis heute Probleme mit Japan hat.
Im Gegensatz dazu funktioniert die Allianz zwischen Tokio und Neu-Delhi reibungslos, auch in Form regelmäßiger gemeinsamer Militärübungen. Das Hauptziel Japans ist dabei, wie es Dujarric formuliert, „Indien zu einer Logistikplattform zu machen, also zur neuen verlängerten Werkbank, die China ersetzt“. Doch die „Abkopplung“ Chinas ist bislang nur eine Absichtserklärung und der große Rivale ist nach wie vor Japans wichtigster Handelspartner.
Indien verspricht sich im Rahmen der Indopazifik-Strategie eine Schlüsselrolle, die es unmöglich macht, Neu-Delhi in den wichtigen Fragen der Region zu übergehen. Wirtschaftspolitisch hat Premierminister Narendra Modi ein umfassendes Privatisierungsprogramm aufgelegt, für das er nun ausländische Investoren sucht – was mit Tokios Zielen gut zusammenpasst. Doch die Infrastruktur Indiens ist nach wie vor unterentwickelt, was die Aussichten auf schnelle Profite trübt.
Außenpolitisch sieht Modi sein Land als Gegengewicht zu China, zumal nach den Grenzscharmützeln in Ladakh im Juni und September 2020.16 „Indien hat mehr als eine Milliarde Einwohner, ist eine anerkannte Atommacht und besitzt eine der größten stehenden Armeen der Welt“, erklärt der Ex-Diplomat Shashi Tharoor, der im indischen Parlament sitzt und zu den Modi-Gegnern zählt. Deshalb wolle Neu-Delhi als unverzichtbarer Akteur gelten, „der die Zukunft des asiatischen Jahrhunderts mitgestaltet“. Allerdings sieht Tharoor einen Widerspruch: „Als Gründer der Blockfreienbewegung während des Kalten Kriegs war Indien gegen Bündnisse immer etwas allergisch und hat Vorbehalte, strategisch alles auf eine Karte zu setzen.“
Die glühendsten Verfechter des Indopazifik-Konzepts in Neu-Delhi versprechen sich vom Quad „eine neue Dynamik“ gegenüber Chinas „aggressiver Expansionspolitik“.17 Doch diese Fraktion sieht sich in ihren Erwartungen bereits enttäuscht, was sie auf die „amerikanische Arroganz“ zurückführt. Ausgelöst wurde dieser Stimmungsumschwung durch das Operieren eines US-Lenkwaffenzerstörers in der indischen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) im Rahmen der Marineübung „Freedom of Navigation“ am 7. April. Washington wies die Beschwerde Neu-Delhis zurück und berief sich darauf, dass die „überzogene“ indische Position nicht vom Seevölkerrecht gedeckt ist.
„Die USA sind zwar die mächtigste Demokratie der Welt, haben aber manches mit China gemeinsam – der größten Autokratie der Welt und ihrem Hauptkonkurrenten. Beide Länder haben einen extremen Überlegenheitskomplex“, argumentiert Chellaney und verweist auf die zahlreichen Fälle, in denen die USA unerlaubt in die Hoheitsgewässer ihrer Verbündeten eindrangen. „Die USA wollen gegenüber allen möglichen Ländern die Schlagkraft ihrer Marine demonstrieren. Dies zeigt, dass Amerika an seinen alten Gewohnheiten festhält, auch wenn es nicht mehr die einzige Supermacht der Welt ist.“18
Angesichts dessen sollte Frankreich sich sehr gut überlegen, ob es sich auf gemeinsame Militärmanöver mit den USA und eine ideologische Annäherung an Washington einlässt. Dasselbe gilt für die Europäische Union, die sich mit dem Gedanken trägt, eine gemeinsame „Indopazifik-Strategie“ zu definieren. Sowohl Frankreich als auch die EU müssen für sich die Frage beantworten, die Camilla Sørensen, Professorin an der Königlich Dänischen Verteidigungsakademie, so formuliert: Ist Europa bereit, „sich Washingtons oberstes Ziel zu eigen zu machen, nämlich seine Dominanz im indopazifischen Raum zu wahren?“ Und hält Europa „das Vorgehen der USA für richtig, angesichts der Herausforderungen durch China auf Konfrontation zu setzen?“19 Diese Fragen beantworten sich von selbst.
In Indien hat die Tatsache, dass Joe Biden zunächst Exportbeschränkungen für bestimmte wichtige Komponenten zur Impfstoffproduktion verhängte, während das Coronavirus im Land zu wüten begann, die Vorbehalte verstärkt. Zwar hob der US-Präsident die Beschränkungen schließlich zumindest teilweise wieder auf, aber Modi hat Bidens Verhalten intensiv ausgebeutet, um von seinen eigenen Fehlern abzulenken (siehe den Beitrag auf Seite 4/5).
Japan will ein Tandem mit den USA
Bei dieser Lage der Dinge fällt es schwer, sich eine indisch-amerikanische Hochzeit vorzustellen – zumal im Zeichen der Indopazifik-Idee. Gegenwärtig ist Indien bestrebt, sich wirtschaftlich aus den Klauen des chinesischen Drachens zu befreien – der zugleich sein wichtigster Handelspartner ist –, ohne deshalb in die Fänge des amerikanischen Adlers zu geraten.
In diesem Dilemma stecken viele Länder der Region, die weiterhin wirtschaftlich mit China und strategisch mit den USA kooperieren wollen. China und die USA müssen beide lernen, „jedes Land als das zu respektieren, was es ist, und nicht als das, was es ihrer Meinung nach sein sollte“, meint der frühere australische Außenminister Gareth Evans (1988–1996).20
Da das Indopazifik-Konzept ein Symbol für die wirtschaftliche und strategische Hinwendung zu Asien ist, stößt es in der Region selten auf Ablehnung. Doch die Interpretationen gehen auseinander. Das von seinem mächtigen Nachbarn bedrängte Vietnam kann dem Konzept Washingtons viel abgewinnen; Südkorea ist eher bemüht, durch engere Beziehungen zu China ein Gegengewicht zur militärischen Präsenz der USA und zum mächtigen Nachbarn Japan zu schaffen; Indonesien, Sitz des Verbands Südostasiatischer Nationen (Asean), wahrt ebenso wie Singapur gleichen Abstand zu beiden Großmächten; die Philippinen schlagen sich mal auf die eine, mal auf die andere Seite, abhängig von ihrer jeweiligen Interessenlage.
Das Denken in Militärbündnissen und ideologischen Allianzen wie im Kalten Krieg erscheint besonders absurd angesichts der engen wirtschaftlichen Verflechtungen, und der Tatsache, dass es fluktuierende strategische Zusammenschlüsse gibt, die den Ländern der beiden vermeintlichen „Lager“ Möglichkeiten zur Zusammenarbeit eröffnen.
Das gilt etwa für den informellen Verbund der Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), für die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (China, Russland, Indien und Pakistan) oder auch für das größte je unterzeichnete Freihandelsabkommen – die „Regionale, umfassende Wirtschaftspartnerschaft“ (RCEP) zwischen den Asean-Staaten, Südkorea, Japan und China.21 Voraussetzung ist, dass keines dieser Länder sich bedroht fühlt.
„China sollte die freundschaftlichen Beziehungen zu seinen Nachbarn in der Asien-Pazifik-Region ausbauen“, mahnt ein chinesischer Militärkommentator der hochoffiziösen Global Times. „Es sollte Ländern wie Südkorea, Neuseeland und den Asean-Mitgliedstaaten eine größere Bedeutung zumessen.“ 22 Diese als guter Rat verpackte Kritik ist eine so seltene Erscheinung, dass man sie besonders hervorheben muss, obwohl der Kritiker in demselben Artikel einen Ausbau der Streitkräfte fordert.
Der singapurische Ex-Diplomat Kishore Mahbubani hält die Vorstellung für abwegig, „Chinas wirtschaftliche und technologische Macht ließe sich mit militärischen Mitteln einschränken“. Wer dies annehme, lebe im falschen Jahrhundert. Peking ist nicht Moskau. Und die Regierung in Washington repräsentiert nach wie vor die größte Weltmacht, aber nicht mehr die Weltherrschaft. „Die USA müssen lernen zu teilen.“ Eine wahre Mammutaufgabe.
2 Emmanuel Macron, Rede vor Botschafterinnen und Botschaftern, Paris, 27. August 2019.
3 „Macron: le lien franco-calédonien vital face au risque d’hégémonie“, Reuters, 5. Mai 2018.
4 „Indo-Pacific Strategy Report“, US-Verteidigungsministerium, 1. Juni 2019.
7 „QUAD leaders’ joint statement: ‚The Spirit of the QUAD‘“, Weißes Haus, 12. März 2021.
8 Chung Kuyoun, „Why South Korea is balking at the QUAD“, East Asia Forum, 31. März 2021.
10 Siehe Vaiju Naravane, „Gefährliches Spiel in Kaschmir“, LMd, Oktober 2019.
16 Siehe Vaiju Naravane, „Konfrontation im Himalaja“, LMd, Oktober 2020.
19 Remi Perelman, „Indo-Pacifique-Danemark: Mais pas seul“, Asie21, Nr. 149, Paris, April 2021.
20 Gareth Evans, „What Asia wants from the Biden administration“, Global Asia, Seoul, März 2021.
21 Siehe Martine Bulard, „Der wichtigste Handelspakt der Welt“, LMd, Januar 2021.
Aus dem Französischen von Andreas Bredenfeld