13.05.2021

Borderland

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Nicht erst unter Trump haben die USA ihr Grenzregime im Süden massiv ausgebaut. Die Rüstungs- und die Sicherheitsbranche verdienen prächtig daran

von Todd Miller

Grenzzaun in der Nähe von San Diego, Kalifornien DAVID MAUNG/picture alliance/dpa
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Ende Februar fuhr ich nach Sasabe, Arizona. An der Südgrenze der USA wollte ich Trumps Mauer besichtigen. Kaum hatte ich mein Auto geparkt, setzte sich ein grün gestreifter Wagen der Border Patrol, der ein paar hundert Meter weiter stand, in Bewegung und kam näher. Am Rand der unbefestigten Straße klapperte ein Blechschild im Wind: „Unbefugtes Betreten verboten“, lautete die Drohung.

Ich stieg mit meinem fünfjährigen Sohn William aus. Es war kalt. Die Mauer vor uns war zehn Meter hoch, ein beklemmender Anblick. Sie bestand aus leicht schwankenden Stahlplanken. Durch sie hindurch war Mexiko zu sehen, ein zerhacktes Panorama mit karg begrünten Hügeln vor einem blauen Himmel.

Der Wagen der Grenzpatrouille hielt neben uns an. Ein Uniformierter fragte durch das heruntergelassene Fenster: „Was machen Sie hier? Eine Spritztour?“ Ich musste lachen, das Wort hatte ich seit Jahren nicht mehr gehört. Aber der Grenzer belehrte uns mit ernster Miene, wir befänden uns auf einer Baustelle, der Aufenthalt hier sei gefährlich. Ich sah mich um: Kein Bulldozer, kein Bagger, keinerlei Baugeräte. Vielleicht, dachte ich bei mir, wird hier das Wahlkampfversprechen Joe Bidens wahr, der versichert hatte, unter ihm werde „nicht ein einziger Fuß“ der Trump’schen Mauer weitergebaut?

US-Präsident Biden hatte gleich nach seinem Amtsantritt am 20. Januar 2021 gelobt, er werde die Abschottungspolitik seines Vorgängers revidieren. Auseinandergerissene Fami­lien sollten zusammengeführt werden; Asylsuchende, die zuvor auf der mexikanischen Seite hängen geblieben waren, sollten die Vereinigten Staaten betreten dürfen. Nach vier Jahren Trump klangen die Vorschläge der neuen Regierung geradezu revolutionär.

Doch als wir weiterfuhren, regten sich die ersten Zweifel: Hier sah es genauso aus wie die Jahre zuvor. Seit 2001 habe ich diesen Grenzabschnitt regelmäßig inspiziert. Ich habe die schrittweise Verunstaltung mitbekommen, die sich hier in einer Periode beispielloser Abriegelung vollzogen hat.

Es begann in den frühen 2000er-Jahren mit der rapiden Zunahme der Grenzpatrouillen, 2007 folgte dann der Bau einer fünf Meter hohen Mauer (der auch Joe Biden als Senator zugestimmt hatte), danach die Errichtung hochtechnisierter Wachtürme, was der ­Boeing Corporation einen viele Milliarden schweren Auftrag einbrachte.1

Machen wir uns nichts vor: Die Kräfte, die das Regime an der US-Südgrenze seit Jahrzehnten bestimmen, sind weit mächtiger als Donald Trump oder irgendein anderer Politiker.

Im Präsidentschaftswahlkampf von 2020 hörte man es wieder und wieder: Die Vereinigten Staaten würden, wenn Trump erst mal abgewählt wäre, ein humaneres Grenz- und Einwanderungssystem schaffen. Darin steckte zwar ein Funken Wahrheit, aber eben nur ein sehr kleiner. Denn unterhalb der Bühne der Parteipolitik ist ein höchst umtriebiger border-industrial complex2 aktiv, ohne dass die breite Öffentlichkeit davon Kenntnis hätte.

Die Stahlmauer von Sasabe

Es handelt sich um ein umfassendes Paket geschäftlicher Interessen und Verbindungen zwischen der US-Regierung – insbesondere dem Department of Homeland Security (DHS) – und privaten Unternehmen, die an dem Grenzregime verdienen.

In der Umgebung von Sasabe lässt sich dieses Interessengeflecht in nuce besichtigen. Auch nach Trumps Abwahl ist die Macht der Grenzindustrie ungebrochen. Dazu muss man wissen, dass die Branche, die jahrzehntelang beide Parteien unterstützte, im Wahlkampf 2020 mehr Geld an Biden und die Demokraten als an Trump und die Republikaner gespendet hat.

Die beiden Bundesbehörden Customs and Border Protection (CBP) und Immigration and Customs Enforcement (ICE), die dem Ministerium für innere Sicherheit unterstehen, haben zwischen 2008 und 2020 nicht weniger als 105 000 Aufträge an Private vergeben, das macht 24 Aufträge pro Tag. Der Gesamtwert lag bei 55 Milliarden US-Dollar und damit höher als die 52 Milliarden, die in den 28 Jahren von 1975 bis 2003 für Grenzschutz und Migrationskontrolle ausgegeben wurden.

Etliche dieser Aufträge erhielten Baufirmen wie das Unternehmen Fi­sher Sand and Gravel, das die zehn Meter hohe Stahlmauer errichtet hat, die wir in Sasabe besichtigt haben. Die lukrativsten jedoch gingen an Hersteller von Hightech-Anlagen zur Perfektionierung des Grenzregimes, etwa von raffinierten Kamerasystemen oder modernster Computertechnik zur Erfassung und Verarbeitung biometrischer Daten. Das mag das Interesse der Grenzsicherungsindustrie an Biden erklären, der im Präsidentschaftswahlkampf versprochen hatte: „Ich werde sicherstellen, dass die Grenze geschützt bleibt, dass wir dafür aber vor allem auf Hightech-Lösungen setzen.“

Mit dieser kühnen Ankündigung stellte Biden eine andere Art der Überwachung in Aussicht, die weit harmloser, unbedenklicher und humaner daherkommt als die Trump’sche Methode. Es stimmt zwar, dass Trump darauf aus war, eine echte Mauer entlang der mehr als 3000 Kilometer langen Südgrenze zu errichten; wahr ist aber auch, dass die Hightech-Branche schon seit Langem – und schon vor den Trump-Jahren – eine große Fraktion innerhalb des border-industrial complex darstellt.

Der große Moment für die private Grenzindustrie kam 2005. Damals trug der Vizeminister im DHS, Mi­chael P. Jackson – zuvor leitender Manager beim Rüstungskonzern Lockheed Martin – vor den Bossen der Branche den Plan einer „virtuellen“ oder „technologischen Mauer“ vor. „Dies ist eine ungewöhnliche Einladung“, erläuterte Jackson und erklärte auch, warum: „Ich möchte in aller Deutlichkeit klarmachen, dass wir Sie bitten, auf uns zuzukommen und uns zu sagen, wie wir unsere Aufgabe anpacken sollen. Wir bitten Sie. Wir fordern Sie auf, uns zu erzählen, wie wir unser Vorhaben umsetzen können.“

2005 befand sich die Grenz- und Einwanderungsüberwachung bereits auf Wachstumskurs. Das jährliche Budget hatte sich in der Amtszeit von Präsident Bill Clinton, also von 1993 bis 2001, nahezu verdreifacht: von 1,5 Milliarden auf 4,3 Milliarden US-Dollar. Tatsächlich hat Clinton den Grundstein für jenes Abschreckungssystem gelegt, das bis heute die Einwanderung kontrolliert. Unter ihm wurden bewaffnete Grenzwächter stationiert, Barrieren und Mauern errichtet, aber auch schon Hightech-Apparaturen installiert, um die städtischen Zonen abzuriegeln, in denen die meisten Migranten über die Grenze gekommen waren.

Dieses System lenkte die Menschen auf gefährliche und manchmal tödliche Routen um, zum Beispiel durch die entlegene und brüllend heiße Sonora-Wüste, in der auch Sasabe liegt. Im Januar 1995 brüstete sich Clinton in seiner zweiten „Rede zur Lage der Na­tion“ mit der folgenden Bilanz: „Unsere Regierung betreibt eine aggressive Sicherung unserer Grenzen: Wir stellen eine Rekordzahl neuer Grenzschützer ein, wir deportieren doppelt so viele kriminelle Ausländer wie jemals zuvor, wir greifen hart gegen die illegale Beschäftigung durch, wir stoppen So­zial­leis­tungen für illegale Einwanderer.“

Doch selbst diese knallharte Clinton-Agenda war 2005, als DHS-Vize Jack­son die Hightech-Grenze propagierte, bereits überholt. Jacksons Ansprache fiel in die Blütezeit des Ministeriums für „Homeland Security“, das Präsident George W. Bush drei Jahre zuvor im Gefolge der Attentate vom 11. September 2001 gegründet hatte. In Bushs Amtszeit wuchsen die Ausgaben für Grenzsicherung und Einwanderungsprävention von 4,4 Milliarden US-Dollar im Haushaltsjahr 2000 auf 15,2 Milliarden im Jahr 2008. Einen solch hohen Anstieg gab es unter keinem anderen Präsidenten einschließlich Trump.

George W. Bush erklärte die Grenze mit Mexiko zu einer Front im Antiterrorkrieg, obwohl nicht ein einziger Terrorist über diese Grenze kam. Damit war der Geldhahn aufgedreht. Und genau das hat Jackson 2005 seinem Pu­bli­kum verklickert: den Anbruch eines neuen Zeitalters, das den privaten Unternehmen zehntausende Aufträge bescheren sollte.

Viele Unternehmen der Sicherheits- und Rüstungsindustrie drängten auch deshalb auf den neuen Markt, weil die USA ihr militärisches Engagement in Afghanistan und im Irak zurückzufahren begannen. „Wir verlegen das Schlachtfeld an die Grenze“, erklärte mir einer der Anbieter am Rande der Border Security Expo 2012 in Phoenix, Arizona. Der Mann hatte wenige Jahre davor als Soldat in Afghanistan gedient; jetzt saß er erwartungsvoll lächelnd unter den Firmenlogos von Rüstungsgiganten wie Raytheon.3

Damals wurde für den Grenzsicherungsmarkt eine „einzigartige Boom-Periode“ vorausgesagt. Die Firma Vi­sion­Gain prognostizierte eine langfristige und dauerhafte Ausgabendynamik auf der Basis von drei sich ergänzenden Entwicklungen: „illegale Immigration und terroristische Infiltration, mehr Geld für die Grenzüberwachung in Entwicklungsländern und ausgereifte neue Technologien“.

Nach 9/11 führten die Hauptprofiteure der Grenzsicherheitsaufträge ihre großzügigen Spenden nicht nur an Präsidentschaftskandidaten ab, sondern auch an Kongressabgeordnete, die im Haushalts- und im Innenausschuss – des Senats wie des Repräsentantenhauses – saßen. Denn dort fielen die wichtigen Entscheidungen über das Grenzregime, die Vergabe von Aufträgen und die Haushaltsplanung.

Im Zeitraum 2006 bis 2018 spendeten Konzerne wie General Dynamics, Lockheed Martin, Northrop Grumman und Raytheon insgesamt 27,6 Mil­lio­nen US-Dollar an Abgeordnete des Repräsentantenhauses, die im Haushaltsausschuss saßen, und 6,5 Mil­lio­nen Dollar an Mitglieder des Innenausschusses. Zwischen 2002 und 2019 wurden bei den Kongressmitgliedern fast 20 000 „Bürobesuche“ von Lobbyisten registriert, die mit Fragen der inneren Sicherheit zu tun hatten. Unter den 2841 Besuchern des Jahres 2018 waren auch Vertreter von Accenture, CoreCivic und GeoGroup, die mit Großaufträgen der Bundesbehörden CBP und ICE bedacht wurden.

Als Donald Trump im Januar 2017 ins Weiße Haus einzog, lief der border-industrial complex auf vollen Touren. In diesem Jahr konnte der neue Präsident 20 Milliarden US-Dollar für die Grenz- und Migrationskontrolle ausgeben, die Grenzschutztruppe umfasste fast 20 000 Bedienstete (fünfmal mehr als noch 1994), die USA und Mexiko trennten bereits eine Mauer und Sperranlagen auf einer Länge von gut 1000 Kilometer, ausgestattet mit Sicherheitstechnologie im Wert von mehreren Milliarden Dollar. Über das ganze Land verteilt gab es mehr als 200 Aufnahmezentren für Migranten.

Und doch setzte Trump auf die ihm eigene Art noch einen drauf. Wie eben in Sasabe, wo an Stelle der fünf Meter hohen Mauer eine zehn Meter hohe Befestigung errichtet wurde. Tatsächlich verstand die Trump-Regierung unter dem „Bau“ von zusätzlichen 725 Kilometern Mauer, einen Großteil der vorhandenen kleineren Sperrzäune durch monströse Konstruktionen zu ersetzen, die zerstörerische Eingriffe in die Umwelt wie in das Alltagsleben darstellen.

Die Migrationspolitik der Trump-Administration zwang die Asyl suchenden Menschen auf der mexikanischen Seite zu warten. Sie zerrte Kinder vor Einwanderungsgerichte, sie riss Familien auseinander und lieferte ihre einzelnen Mitglieder einer wild wuchernden Wegschließ-Industrie aus, betrieben von Firmen, die vom Staat bis zu 126 Dollar pro Kopf und pro Tag kassierten – und das über Jahre. All das hätte Trump kaum durchziehen können, hätte es nicht den ständig wachsenden border-industrial complex gegeben, der schon vor ihm da war und der maßgeblich zu seiner Wahl beigetragen hatte.

Trotz alledem setzte die private Grenzindustrie im Wahljahr 2020 auf Joe Biden und die Demokraten. Anfang Januar kam heraus, dass Alejandro Mayorkas, den Biden am 2. Februar zu seinem Heimschutzminister machte, in den drei Jahren zuvor als Unternehmensanwalt bei der Kanzlei WilmerHale persönliche Honorare in Höhe von 3,3 Millionen US-Dollar bezogen hatte. Zwei seiner Klienten waren Northrop Grumman und Leidos, die beim Ausbau der Grenzsicherung mit Großaufträgen bedacht worden waren.

Dieses Detail habe ich zusammen mit Nick Buxton in einem Report für das Transnational Institute aufgedeckt.4 Als wir uns die Wahlkampfzuwendungen der 13 Unternehmen vornahmen, die bei den CBP- und ICE-Aufträgen am meisten abgesahnt hatten, ahnten wir noch nichts. Zu diesen Profiteuren gehörten die Hersteller der Hightech-Überwachungsanlagen – die man als „virtuelle Mauer“ bezeichnen kann: also etwa L3Harris, General Dynamics und die israelische Firma Elbit Systems; oder Palantir und IBM, die für die Datenverarbeitung an der Grenze die Software liefern, aber auch CoreCivic und GeoGroup, die mehrere Haftzentren für Immigranten betreiben.

Biden und der ­„border-industrial complex“

Zu unserer Überraschung hatten diese Unternehmen für Bidens Wahlkampf mehr als dreimal so viel Geld gespendet (rund 5,4 Millionen US-Dollar) wie für Trump (etwa 1,7 Millionen). Die Branche insgesamt war zu den Demokraten übergelaufen, denn die konnten 55 Prozent der insgesamt 40 Millionen US-Dollar einheimsen, die der border-industrial complex nicht nur in die Präsidentschaftswahlen, sondern auch in die Kongresswahlen investierte.

Wie das Grenzregime unter Biden aussehen wird, lässt der Auftritt erahnen, den Mayorkas bei seiner Anhörung im Senat am 19. Januar 2021 hinlegte. Da wurde der künftige Heimatschutzminister nach den 8000 Menschen aus Honduras gefragt, die sich gerade in Richtung USA aufgemacht hatten. Einen Tag zuvor war diese Karawane an der Grenze zu Guatemala von honduranischen Soldaten und Polizisten gestoppt worden, die ein US-Trainingsprogramm durchlaufen hatten. Viele der nach Norden Marschierenden sagten aus, dass sie Opfer der Hurrikans sind, die im November 2020 die Küsten von Honduras und Nicaragua heimsuchten. Mayorkas Antwort fiel sehr allgemein aus: „Wenn Menschen nach dem Gesetz beanspruchen können, in den Vereinigten Staaten zu bleiben, werden wir das Gesetz entsprechend anwenden; wenn sie keinen Anspruch haben, dann können sie auch nicht bleiben.“ Da es in den USA den Status des Klimaflüchtlings nicht gibt, bedeutet dies, dass die meisten der Honduraner – sollten sie es überhaupt über die Grenze geschafft haben – dort in ständiger Angst vor der Abschiebung leben müssten.

Im Januar 1961 warnte Dwight D. Eisenhower in seiner letzten Rede als US-Präsident seine Mitbürgerinnen und Mitbürger vor dem military-industrial complex, dessen „totaler Einfluss auf die Wirtschaft, die Politik und sogar das geistige Leben“ überall zu spüren sei: „in jedem Rathaus, jedem Parlamentsgebäude, jedem Büro der Bundesregierung“.

60 Jahre danach wäre eine ähnliche Warnung angebracht. Und zwar vor einem border-industrial complex, der jede Klimakatastrophe, die weitere Menschen zur Flucht zwingt, dazu ausnutzt, sein Wachstum ins Endlose fortzusetzen. Und zwar unabhängig davon, ob im Weißen Haus jemand sitzt, der von einer großen, wunderschönen Mauer schwadroniert oder auf Hightech-Grenzüberwachung setzt.

Dass auch die Biden-Regierung die Mauer als ihr Projekt betrachtet, hat der für die innere Sicherheit zuständige Heimatschutzminister Ma­yor­kas inzwischen überaus deutlich gemacht. Am 6. April erklärte er, Präsident Biden habe zwar die Finanzierung des Mauerbaus aus dem Verteidigungshaushalt beendet, aber das erlaube durchaus, dass bestimmte Arbeiten fortgeführt werden. Die sollten vor allem dazu dienen, verbliebene „Lücken“ abzudichten. Damit meinte er insbesondere Grenzbereiche, in denen die vorgesehene Überwachungstechnologie noch nicht perfektioniert ist.5

Drei Tage später äußerte sich Ma­yor­kos auch zur Aufstockung des Etats für sein Heimatschutzministerium, die Biden für das Haushaltsjahr 2022 beantragen will. Die zusätzlichen Gelder würden vor allem „intelligentere Investitionen“ ermöglichen, um ein „humanes und effizientes Einwanderungssystem“ zu schaffen.

Der Begriff „humanes“ Grenzsystem, den die Biden-Leute seit ihrem Amtsantritt im Munde führen, klingt vielleicht harmlos. Aber als ich damals mit meinem Sohn nach Süden fuhr, waren die Medien voll von Berichten über Menschen aus Guatemala, Honduras, El Salvador und Mexiko, die sich durch wilde Berge und Canyons schlugen, um den Grenzpatrouillen und ihren Überwachungsgeräten zu entgehen. Es sind diese Menschen, die Mayorkas „intelligente Technologie“ erfassen soll.

Die Hightech-Aufrüstung der ganzen Grenzregion wurde erstmals sichtbar, als wir 40 Kilometer nördlich von Sasabe einen Checkpoint passierten. Polizisten in grünen Uniformen kontrollierten die Insassen aller nach Norden fahrenden Autos, zudem war eine ganze Batterie von Kameras auf die Autoschlange gerichtet, ob zur Gesichtserkennung oder zur Erfassung der Nummernschilder, war nicht ganz klar.

Gesichtserkennung, ­Drohnen und mobile Knäste

Klar ist jedoch, dass der Rüstungskonzern Northrop Grumman – der 649 748 US-Dollar für den Wahlkampf von Joe Biden und 323 014 Dollar für den von Donald Trump gespendet hat – einen Auftrag der Grenzschutzbehörde CBP für den Ausbau eines bio­me­tri­schen Erkennungssystems erhalten hat. Dieses soll nicht nur Gesichtszüge, Stimme, Narben und Tattoos aufzeichnen, sondern auch der Iris­erken­nung dienen. Vielleicht soll es sogar auf DNA-Proben zurückgreifen und In­for­ma­tio­nen über „Beziehungsmuster“ und „Be­geg­nun­gen“ im öffentlichen Raum liefern.

Schwer zu sagen ist auch, ob die Drohnen vom Typ Predator B, die über unseren Köpfen kreisten, möglicherweise mit dem Vader-Radarsystem von Northrop Grumman ausgestattet sind, das erstmals bei der „Menschenjagd“ in Afghanistan zum Einsatz kam. Die Predator B ist übrigens ein Produkt des Unternehmens General Atomics, das 82 974 Dollar an Biden und 51 665 Dollar an Trump gespendet hat.

In Allgegenwart von Grenzschutz­pa­trouil­len durchfuhren wir einen mit Sicherheitstechnologie zugestellten Parcours, der sich von der Grenze 150 Kilometer ins Landesinnere erstreckt. Irgendwann kamen wir auch an einem der zwölf Hightech-Wachtürme vorbei, die von der Boeing Corporation errichtet und später von Elbit Systems (5553 Dollar für Biden, 5649 Dollar für Trump) umgerüstet wurden. Gegenüber dem Wachturm lag ein Schottergelände, auf dem ein Transporter abgestellt war – einer der mobilen Knäste, in dem die Grenzpolizei ihre Gefangenen in die Internierungszentren in ­Tucson überführt.

Bei der Reise durch diese Grenzre­gion wird das Gefühl übermächtig, dass man sich in einem riesigen Gefängnis befindet, dass man ständig und überall unter Beobachtung steht. Und dabei kann man vieles gar nicht sehen, zum Beispiel die Tausenden von Bewegungsmeldern, die überall im Boden vergraben sind. Selbst der fünfjährige William reagierte auf diese Welt verschreckt und fragte verwirrt: „Warum wollen diese grünen Männer die Arbeiter stoppen?“

Beim Anblick von Trumps „großer, wunderschöner“ Stahlmauer wurde mir klar, dass wir hier nur den winzigen Teil eines viel größeren Systems vor uns hatten. In dessen Zentrum stand niemals Donald der Große, sondern ein mächtiges Konglomerat von Unternehmen, die einzig und allen dem Interesse folgen, diese Grenze bis in alle Ewigkeit weiter auszubauen.

Als der Grenzer uns aufforderte, die „Baustelle“ zu verlassen, fiel mein Blick auf ein Stoß von Eisenpollern. Was da neben der parallel zur Mauer verlaufenden Schotterpiste herumlag, waren Überbleibsel der ursprünglichen Grenzbefestigung, für die auch Senator Biden 2006 gestimmt hatte. Während ich mit William nach Tucson zurückfuhr, sann ich darüber nach, wie die Welt wohl aussehen wird, wenn mein Sohn einmal erwachsen ist. Und ob in einer Welt, in der immer mehr Menschen ihrem elenden Leben zu entfliehen versuchen, der Einfluss des border-industrial complex noch übermächtiger sein wird.

Doch der Stapel überflüssiger Eisenpoller brachte mich auch auf den Gedanken, wie leicht es sein müsste, diese verdammte Mauer einfach niederzureißen.

1 Details zur Hightech-Aufrüstung an der Grenze siehe Todd Miller, „Drohnen über Arizona“, LMd, Oktober 2013.

2 Der Begriff ist eine Anspielung auf den „military-industrial complex“, der auf Deutsch „militärisch-industrieller Komplex“ genannt wird.

3 Der Rüstungs- und Flugzeugtechnikkonzern Raytheon fusionierte 2020 mit United Technologies zu dem neuen Unternehmen Raytheon Technologies, das heute eines der weltgrößten Luft- und Raumfahrtunternehmen ist.

4 Todd Miller, Nick Buxton, „Biden’s Border: The Indus­try, the Democrats and the 2020 Election“, Transna­tio­nal Institute (Washington, D. C.) Februar 2021.

5 Siehe The Independent, 6. April 2021.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

Todd Miller ist Journalist und Autor. Vor Kurzem erschien sein Buch „Build Bridges, Not Walls: A Journey to a World Without Borders“, San Francisco (City Lights Publishers) 2021.

© TomDispatch; für die deutsche Übersetzung LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 13.05.2021, von Todd Miller