13.07.2012

Dunkle Wälder, Schädel und Skelette

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Dunkle Wälder, Schädel und Skelette

Die Kultur der Rechten und ihre düsteren Träume von Evelyne Pieiller

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Das Massaker auf der Insel Utøya und die Anschläge in Oslo vom 22. Juli 2011 waren ein entsetzlicher Schock für Norwegen. Gerade dieses Land schien doch das Rezept für politische und soziale Harmonie zu kennen: Transparenz, Nähe, Offenheit, allgegenwärtiger Konsens und Diskussionen, die sich, wie der Krimiautor Jo Nesbø sagt, „allein darum drehen, wie man Rechte und Linke am besten zusammenbringt“.1 Denn Norwegen besitzt ein ganz eigenes und sonderbar privatistisches Erbe rechter Kultur.

Anfang der 1990er Jahre beherrschten ein paar junge Leute aus nicht gerade benachteiligten Milieus die norwegischen Schlagzeilen: Der schwedische Sänger der norwegischen Band Mayhem (Englisch: Chaos, Radau) nahm sich 1991 das Leben. Euronymous, Bandgründer, Komponist und Gitarrist von Mayhem, fotografierte die Leiche für das Cover der nächsten Platte. Ein Jahr später wurden mehrere Kirchen angezündet, und einer dieser Brände schmückte später das Cover eines Albums der Band Burzum. Samoth, Gitarrist der Band Emperor, und Varg Vikernes, Gründer von Burzum und Bassist von Mayhem, wurden wegen Brandstiftung verurteilt, zeitgleich landete Emperor-Schlagzeuger Bård Guldvik Eithun für den Mord an einem Homosexuellen für 9 Jahre ins Gefängnis. 1993 ermordete Vikernes seinen Bandkollegen Euronymous und ging dafür 16 Jahre in den Knast.

Diese jungen Leute, die zu Straftätern und Mördern wurden, erfanden gleichzeitig eine neue Musik – und eine eigene Welt. Sie radikalisierten den aus dem Hardrock hervorgegangen Metal. Dröhnen und Kreischen, erbarmungsloses Schlagzeug, eindringliches Psalmodieren, verzerrte Gitarren: Die Atmosphäre des Black Metal gleicht der einer schwarzen Messe, einer kriegerischen Beschwörung. Die Musik ist eine Art „Kathedralenrock“, wenn man so will, sie bringt Trance und tiefes Unbehagen. Sie wird nicht „gespielt“, sie breitet sich aus und umfängt den Hörer mit ihrer kalten Wut.

Black Metal Bands – der Name geht auf ein Album der britischen Band Venom von 1982 zurück – entstanden überall in Europa. Ihre Bilderwelt ist gotisch, mittelalterlich, satanisch-heidnisch, auf den Bühnen sind Kreuze, dunkle Wälder, Schädel und Skelette zu sehen. Die Musiker selbst sind oft schwarz-weiß geschminkt, sehen aus wie Leichen; angsteinflößend oder wohlige Schauer weckend, je nach dem Blick des Zuschauers.

Die Texte sind nicht explizit politisch, sondern frönen eher einem gewaltverherrlichenden Nihilismus. Im Mayhem-Stück „View from Nihil“ heißt es: „I can see the wreckage floating ashore of the dying culture“ („Ich kann die ans Ufer treibenden Trümmer der sterbenden Kultur sehen“). Oder es wird der Apokalypse, der Zerstörung und dem Tod gehuldigt: „This is War / I lie wounded on wintery ground / With hundred of corpses around“ („Das ist Krieg / verwundet liege ich auf dem eisigen Boden / zwischen hunderten Leichen“), intonierte Burzum-Sänger Vikernes auf dem Album „War“.

Das sind zwar keine Naziparolen, aber durchaus Anlehnungen an die Wurzeln des Nazismus: Hass auf die Gesellschaft, Sehnsucht nach verlorener Reinheit, nach der alten Zeit und der ewigen Natur. Glorifiziert werden ein unklares Heidentum, schrankenlose Gewalt und die reinigende Kraft des Blutes. Black Metal feiert die Auserwählten, deren Hellsicht sie in Verzweiflung stürzt, die ihnen aber auch den Mut verleiht, Krieg gegen die Agenten der menschlichen Verderbnis zu führen.

Man kann die Black-Metal-Jünger natürlich als kleine Sekte spinnender Fans betrachten. Man kann ihre Pseudonyme und Maskeraden belächeln, auch wenn es schwierig ist, gegenüber der Musik gleichgültig zu bleiben. Sie offenbaren jedoch eine tiefe Verbitterung, deren Ausstrahlung nicht unterschätzt werden darf. Und sie verkörpern – je nach Betrachtungsweise – entweder die höchste Vollendung oder die Pervertierung der Metal-Szene.

Zum französischen „Hellfest“, einem dreitätigen Metal-Festival, das seit 2006 im bretonischen Clisson stattfindet und zehntausende Fans aus aller Welt anzieht, kommen auch Bands aus der „NSBM“-Szene („Nationalsozialistischer Black Metal“). Die intonieren Refrains wie „Hitler was a sensitive man“ werden erst dann aus dem Programm gestrichen, wenn es wirklich Proteste hagelt.

Andererseits regen sich rechte politische und religiöse Gruppen regelmäßig über das Hellfest und den „Teufelskult der Langhaarigen“ auf.2 Und auf den Festivalbühnen treten auch Musiker aus der linken Szene auf. Im Juni 2010 war etwa Jello Biafra dabei, der sich bei den US-amerikanischen Grünen engagiert, oder die altgediente englische Punkband 999. Man kann das Hellfest also nicht unbedingt als Brutstätte rechter Ideologie bezeichnen. Beobachter erklären immer wieder, dass die Fans sich nur für die Musik interessieren und mit den Ideen der Bands gar nichts am Hut hätten.

Kämpfer wider die demokratische Weltdiktatur

Extremistische Neigungen in der Musik gibt es nun nicht nur beim Black Metal, das anzunehmen wäre naiv. Wenn man sich den Mörder von Euronymous, Varg Vikernes, ansieht, ist das Klischee allerdings perfekt. Der enigmatische Musiker mit seiner Band Burzum (der Name stammt aus Tolkiens „Herr der Ringe“) trägt seinen Fanatismus offen zur Schau. Auf seiner Website tut er kund: „Wir sind schwach geworden, wir wurden gebrochen und ruiniert“, denn „wir haben die Freiheit geopfert, um uns Sicherheit zu kaufen.“ Schuld daran sind für Vikernes Juden und Freimaurer, die angeblich die Muslime benutzen, um die Nationen zu zerstören. Solche Hirngespinste erinnern auffällig an die Tiraden des Anders Breivik, des Attentäters von Utøya und Oslo. Der hatte sich während seines Prozesses in Oslo als „Tempelritter“ im Kampf gegen einen angeblich selbstmörderischen Multikulturalismus bezeichnet. Vikernes übrigens bedauert, dass Breivik einen Nationalismus ohne Antisemitismus vertrete.

Die paranoide Furcht vor einer „Verunreinigung“ der edlen Gemeinschaft ist kein Alleinstellungsmerkmal der norwegischen Rechten. Anlässlich der Annahme der Minarettinitiative in der Schweiz 2009 schrieb der französischsprachige Autor Maurice G. Dantec auf der Website „Ring“: „Das öko-eugenische / multikulturalistische / sozial-islamisierte IV. Reich, das heute die Verwaltungsagentur des ‚Menschenparks‘ darstellt, ist das schlimmste Komplott, das je gegen die Menschheit geschmiedet wurde. Es ist der Feind. Es muss zerstört werden.“ Auch die Schuldigen hat Dantec ausgemacht: „Die Komplizen dieses demokratischen Totalitarismus sind Länderblocks, offizielle politische Parteien, Kommissionen für Menschenrechte, Richter, Gewerkschaftsfunktionäre, ‚nichtstaatliche‘ humanitäre Organisationen.“ Um „das zivilisatorische Projekt neu zu begründen, das die Menschheit dreitausend Jahre lang geleitet hat“, geboren aus der „Begegnung von drei Ursprüngen: den keltischen Nationen, der griechisch-römischen Kultur und den germanischen Stämmen“, müsse man „sich von der demokratischen Weltdiktatur befreien“.

Dantec ist belesen, und das führt er auch gern vor. Den Begriff „Menschenpark“ hat er von Peter Sloterdijk übernommen, andere Einflüsse kommen von Léon Bloy und Philip K. Dick. Er ist brillant, dynamisch, spektakulär und atemberaubend romantisch. In seinen Romanen, zwischen Krimi, Science-Fiction und Essay, breitet er seine Weltsicht aus (2009 hat er über 2 Millionen Bücher verkauft). Und er ist eindeutig „Kult“ – auch wenn (oder vor allem wenn) der „futuristische Katholik“ und Rocker peinlich wird.

Richard Millet, Mitglied im Lektoratskomitee des großen französischen Verlags Gallimard und Essay-Preisträger der Académie Française, steht Dantec da nicht nach. Er hält es mit „der alten Weisheit, die darin besteht, die Rassen für das zu lieben, was sie sind, und das in ihrem jeweiligen Territorium“.3 Und er möchte wissen, „welchen Sinn die Nation und worin ihrer Identität besteht angesichts einer außereuropäischen Immigration, die deren Wert bestreitet und diese, sagen wir es offen, nur zerstören kann. […] Denn ihre Zustimmung zu den Diktaten des internationalen Liberalismus trifft auf eine entsetzliche Sinnmüdigkeit der angestammten Europäer.“4 Dantec und Millet sehen sich gern als stigmatisierte Herolde der Wahrheit. Aber im literarischen Establishment werden sie gefeiert: Dantec als Dandy-Prophet und selbst proklamierter „christlicher und zionistischer Kämpfer“ und Millet, der Bewahrer der Tradition des klassischen Stilisten, für sein freiwilliges Engagement aufseiten der Christen beim libanesischen Bürgerkrieg der 1970er Jahre.

Vom weitgehend bedeutungslosen, aber zählebigen Black Metal bis zu einer angesagten, etablierten Literatur stellt eine kulturelle Rechte, die so stolz darauf ist, „extrem“ zu sein, gemeinsame Obsessionen zur Schau: Es geht immer um die Kraft, die man zurückerobern müsse, und gegen die Schwäche, die durch eine von unten vereinheitlichte Gesellschaft zum Wert erhoben werde, oder – das ist dieselbe Denkschiene – um die Bewahrung der Reinheit vor der Korruption durch die ausländischen Agenten mit ihrem Gift.

Genau diese Fantasiewelten werden in zahlreichen Bestsellern beschrieben, in denen es entweder um die Apokalypse geht, die das Ende – und die mögliche Auferstehung – des Homo occidentalis bedeutet, oder um die Manipulation der Welt durch dunkle Kräfte, die nur durch auserwählte Helden verhindert werden kann. Man muss sich nur an die kommerziellen Erfolge von Filmen wie „Matrix“ oder Büchern wie „Sakrileg“ (mit weltweit 86 Millionen verkauften Exemplare) erinnern. Bemerkenswert ist auch der sagenhafte Erfolg der Fantasy-Literatur. Die transportiert genau jene paranoide und tief nostalgische Sehnsucht nach einer Zeit, in der der Mutige, der Held sich beweisen muss, und derjenige, der zu den größten Opfern bereit ist, über den schwachen Herdenmenschen siegt.

Die Fantasy-Schwarten spielen in einem fiktiven blutrünstigen Mittelalter. Dort besitzt die Vernunft keine (schwächende) Macht über den Instinkt, die Technik ist wieder Magie, und der Auserwählte beweist sich in Prüfungen, die zugleich Initiations- und Läuterungsriten sind. Was zählt, ist der Kampf gegen das Böse, die Kräfte der Dunkelheit. J. R. R. Tolkiens Trilogie „Der Herr der Ringe“, deren Hauptmotiv die Suche nach dem einzigartigen Ring ist, dessen Besitzer die Welt beherrscht, ist das große Vorbild.

Erst lange nach ihrem Erscheinen 1954 wurde Tolkiens Werk zu einem Riesenerfolg und verkaufte sich 200 Millionen Mal. Die von ihm inspirierten Figuren bevölkern nicht nur Fantasy-Bücher, sie tauchen auch im Metal auf, in Video- und Internet-Rollenspielen und in zahlreichen aufwendig produzierten Spielfilmen. Die Fantasy-Welt zelebriert Anti-Modernität, Anti-Egalitarismus, die Bindung des Individuums an seinen Stamm, die Tugenden einer abgeschlossenen Welt, die Kühnheit und die Einsamkeit des Anführers. Vor einer fantastischen Kulisse werden Figuren erschaffen wie der Barbar oder der Hexer.

Fantasy-Autoren sind zwar keine Kryptofaschisten, aber so etwas wie Aufklärung und Emanzipation scheint ihnen auch nicht unbedingt ein Anliegen zu sein. Die fiktive Vergangenheit mit Burgen und Drachen, das archaische, obskurantistische Universum wird zum verlorenen Paradies, in dem Gesellschaft und Politik hinter dem Triumph eines höheren Individuums verschwinden. So raunt es entsprechend dem Geist der Zeit, dass die Geschichte keinen Sinn habe, ebenso wenig wie Fortschritt oder Demokratie, und dass einzig die Rückkehr zur naturgegebenen Ordnung und zu den Hierarchien unserer Vorfahren der Wahrheit des Menschen angemessen sei.

Fußnoten: 1 Courrier international, Paris, 5. August 2011. 2 2010 gab sogar es in der französischen Nationalversammlung heftige Diskussionen. 3 Richard Millet, „Désenchantement de la littérature“, Paris (Gallimard) 2011. 4 Richard Millet, „Fatigue du sens“, Paris (Pierre-Guillaume de Roux) 2011. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Le Monde diplomatique vom 13.07.2012, von Evelyne Pieiller