13.07.2012

Stubenhocker der Apokalypse

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Stubenhocker der Apokalypse

von Denis Duclos

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Bohnen und Steckrüben anpflanzen, Brot backen, Hühner züchten oder Marmelade einkochen, Saatgut konservieren, Pullover stricken, einen Dieselmotor mit Speiseöl zum Laufen bringen, Regen- oder Brunnenwasser nutzen, sein Haus energieautonom machen et cetera – für die einen ist das naiv, für andere eine Verheißung. Für die „Prepper“ (von to prepare, vorbereiten) jedoch handelt es sich dabei nicht um einen einfachen Zeitvertreib, sondern um ein Training für die wahrscheinliche Zukunft.

Dieser Zweig der US-amerikanischen Subkultur bereitet sich schon seit einiger Zeit auf den Zusammenbruch der Zivilisation vor.1 Er weitet das Verständnis von „sich vorbereiten“, „Vorsorge treffen“, das sich normalerweise auf Notfälle und Naturkatastrophen wie Stürme oder Erdbeben bezieht, auf alle denkbaren Krisen aus, seien sie lokal oder systemisch.

Immer mehr Menschen (mindestens 3 Millionen) schmieden Pläne für das Überleben nach dem „Ende der Welt, wie wir sie kennen“.2 Der Fernsehsender von National Geographic hat dazu eine beliebte Reality-Show im Programm. Die Website survivalblog.com wird jeden Monat von 300 000 Nutzern angewählt, und in den USA und in Kanada haben sich mehrere Konkurrenznetzwerke entwickelt (Viking Preparedness, The Survival Mom, Ready Nutrition, Pioneer Living Survival Magazine, The Suburban Prepper und so weiter).

Auch in Lateinamerika, Europa und Asien etabliert sich die Bewegung über das Internet. Ihre Anhänger kommen aus allen sozialen Milieus, besonders stark vertreten sind junge Menschen und überschuldete Vorstädter. Über Blogs, Bücher oder Radiosendungen haben sich Wortführer herausgebildet. Der Papst der Prepper, der ehemalige Nachrichtenoffizier der U.S. Army und konservative Christ James Wesley Rawles, verkauft seine Bücher zu Hunderttausenden.3 Er gibt sich geheimnisvoll und verrät nicht, wo die Ranch liegt, in der er sich mit seiner Familie eingerichtet hat, um dort den Zusammenbruch der Zivilisation zu überleben.

Mit Vorhersagen über das bevorstehende Ende der Welt beschäftigen sich üblicherweise Sekten oder aus Sekten hervorgegangene Kirchen. Im Unterschied zu den Millenaristen erwarten die Prepper aber keine bestimmte Katastrophe, die sich zu einem festen Datum ereignet. Alles kann passieren, wann auch immer, in diesem Punkt sind sie nicht dogmatisch: Ein riesiger Meteorit oder ein Planet kann mit der Erde zusammenprallen, es kann zu einer gewaltigen Eruption kommen, zu einer Kombination aus verschiedenen ökologischen Katastrophen, eine Pandemie kann ausbrechen, ebenso wie ein Atomkrieg zwischen dem Westen und China oder eine Hyperinflation, das globale Bankensystem kann in weniger als zwölf Stunden zusammenbrechen (Stellen Sie sich vor, Ihre Kreditkarte funktioniert morgen nicht mehr!) – revolutionäres Chaos, Kriegsrecht: Alles ist möglich. Dieser Katastrophenopportunismus verhindert einerseits eine postapokalyptische Depression, wie sie Harold Camping, den Direktor des christlichen Rundfunksenders Family Radio, befallen hat, nachdem er für Oktober 2011 den Weltuntergang vorausgesagt hatte und seine Anhänger enttäuschen musste. Andererseits lässt sich damit in großem Gewässer fischen.

Die Prepper sprechen paranoide Verschwörungstheoretiker ebenso an wie städtische Bobos (bourgeoise Bohemiens), isolationistische Populisten, Naturschützer oder auch Leute, die einfach nur wissen wollen, was bei einem Ausfall der Wasser- oder Stromversorgung zu tun ist.

Indem sie alle denkbaren Szenarien ins Auge fassen, führen die Prepper die Herde der „materialistischen“ Schäfchen“ zurück zu einer calvinistischen Prädestinationslehre, die die an ihrer tätigen Wachsamkeit erkennbaren Auserwählten (die Gewinner) von den Verdammten (den Verlierern) und durch ihre eigene Leichtfertigkeit schuldig Gewordenen trennt. Die verschiedenen Kirchen ärgern sich über die harte Konkurrenz und betonen, dass materielle Maßnahmen zum Überleben im Chaos kein Ersatz seien für eine spirituelle Haltung, bei der das Seelenheil im Mittelpunkt stehe.

Anders als die Hippies und Survivalisten der 1990er Jahre wenden sich die Prepper nicht explizit gegen eine bestimmte Lebensweise und verdächtigen auch keine Regierung, zugunsten der Eliten die sogenannte neue Weltordnung zu verraten. Sie geben sich als einfache Bürger, die sich nützliche Kenntnisse anzueignen versuchen.

Die Hinwendung zu praktischen Fähigkeiten und eine Lebensführung nach dem Vorbild des US-amerikanischen Schriftstellers und Philosophen Henry David Thoreau in seiner Blockhütte mögen zwar Teil einer Tradition sein, die es wiederzubeleben gilt. Doch treten bei den Beiträgen in den Prepper-Blogs zwei Themen hervor, die weit darüber hinausgehen: die Flucht in die Isolation und das bewaffnete Misstrauen gegenüber den „Unvorbereiteten“, die verdächtig sind, weil sie zu Plünderern werden können.

Tausend Buntbarsche im Swimmingpool

Wie soll man seinen Rückzug während des allgemeinen Zusammenbruchs vorbereiten? Solche Fragen beschäftigen die Prepper-Blogger gemeinsam mit Joel Skousen, einem ehemaligen US-Kampfpiloten, der zum Katastrophenforscher und Fachmann für „strategic relocation“ (strategischen Ortswechsel) umgesattelt hat. Und wann wird es Zeit, die Großstädte zu verlassen, in denen sich dann die „arbeitslosen Zombies“ herumtreiben? Was soll man als Notgepäck mitnehmen? Wie lässt sich ein sicherer Unterschlupf finden? Wie hält man es sechs Monate in einer „nachhaltigen, autonomen Behausung“ aus, etwa in einer im Garten angelegten Betonröhre? Ein Ehepaar rühmt sich, schon seit 50 Jahren autonom zu leben, ausgestattet mit 25 000 Patronen Munition. Ein anderer Blogger erklärt, wie er nach dem Tag X die 1 000 Buntbarsche ernähren will, die er in seinem Swimmingpool hält.

Für das postapokalyptische Leben könnte es nötig sein, wieder zum Jäger und Sammler zu werden. In jedem Fall muss man über die notwendigen Kenntnisse verfügen, um ebenso wie die zukünftigen Weltraumbewohner „die Zivilisation neu zu errichten“ (weben, verarzten, recyceln, sauberes Wasser beschaffen, schweißen und so weiter). Man fragt sich, wie viele Pferde und Kühe jede Familie brauchen wird. Das Phantasma einer von der Außenwelt abgeschlossenen, autarken Gemeinschaft, das der US-Regisseur Night Shyamalan in seinem Mystery-Thriller „The Village“ (2004) so treffend beschrieben hat, findet viele Anhänger. Allerdings werden die meisten Prepper wohl die Kultfilme „2012“ von Roland Emmerich und „The Road“ von John Hillcoat vorziehen, die den Vorteil haben, dass sie einen nicht zum Nachdenken anregen.

Das zweite Lieblingsthema der Prepper leitet sich von dem ersten ab: die Angst vor dem Anderen. Erhältlich sind Welt- und USA-Karten, auf denen „verdächtige terroristische Aktivitäten“ eingezeichnet sind. Auch findet man Anweisungen, wie man schnell eine Bunkersiedlung (gated community) bauen und dort bewaffnete Patrouillen organisieren kann, die furchtlos den Horden von Elenden entgegentreten, die in die Häuser einzudringen versuchen. Die absurde Verständigung auf den Probealarm trifft hier letztlich auf eine Tradition der Antizipation von Albtraumszenarien, die sich als ebenso verhängnisvoll erweisen kann wie das, was sie angeblich verhindern will.

Abgesehen von den paar Verrückten in ihren Reihen sind die meisten Prepper einfach nur zwanghafte Konsumenten, vergleichbar mit den Leuten, die vor Feiertagen die Supermärkte leerkaufen. Sie wählen nur andere Waren, erwerben in Voraussicht einer Invasion Waffen, Grundnahrungsmittel oder Medikamente (die drei Bs: bullets, beans, band-aids – Pistolenkugeln, Bohnen, Verbandszeug).

Getrübt wird das Idealbild der sich selbst versorgenden Neupioniere freilich von einem Wust von Produkten, die ihnen ein expandierender Markt anbietet. Das ausgefallenste Angebot ist vielleicht die gefriergetrocknete Zukunft in Paletten für „neun Monate und vier Personen“, die Spezialisten für „Notlagerung“ wie warme Semmeln an besonders pessimistische Prepper verkaufen.

Natürlich muss der gute Prepper sich zu helfen wissen wie einst der „allzeit bereite“ Pfadfinder: Er ist im Stande, eine Lampe aus einer Kartoffel herzustellen, ein Handtuch aus einem Stück Stoff, einen Löffel aus Pappe – und kann selbstverständlich ohne Streichhölzer einen Ofen anzünden. Um diese Kenntnisse zu erwerben, muss er wiederum die Dienste von telegenen Waldpädagogen in Anspruch nehmen – und auch bezahlen. Sein Handeln bleibt auf Konsum beschränkt: Die Ingredienzen für seine selbst gemachte Seife – Borat, Natriumcarbonat, geriebener Käse – muss er käuflich erwerben.

Wer sich ganz auf die Erwartung der Katastrophe fixiert, wird nicht darüber nachdenken, was im Augenblick gerade geschieht. Auch bei den Preppers fällt zwar hin und wieder eine Bemerkung über die Gier der Finanzwelt, aber ihre individualistischen Autonomievorstellungen und ihr Fluchtreflex liefern kaum gesellschaftliche oder politische Perspektiven, die über das bestehende System hinausweisen.

Ebenso wenig wie der profithungrige Kapitalist zieht der Prepper in Erwägung, dass die zivilisierte Menschheit den Lauf der Dinge korrigieren könnte. Ihm scheint undenkbar, dass die heillose Verschuldung vielleicht doch – wenngleich unbeabsichtigt und wie durch eine List der Geschichte – den Übergang zu einer solidarischeren Gesellschaft vorbereitet. Mit seiner neodarwinistischen Ideologie vom Kampf aller gegen alle vermag er sich nicht vorzustellen, dass die Schrecken einer wirtschaftlichen Depression eher durch eine schlichte Umverteilung zu vermeiden wären als durch einen „strategischen Ortswechsel“. Damit weigert sich der Prepper im Grunde, sich auf eine Welt nach dem Kapitalismus vorzubereiten.

Fußnoten: 1 Subculture of Americans prepares for civilization’s collapse“, Reuters, 21. Januar 2012. 2 „The End Of The World As We Know It“ oder abgekürzt und für die Eingeweihten: „TEOTWAWKI“. 3 Siehe etwa „Überleben in der Krise. Das Handbuch für unsichere Zeiten“, Rottenburg a. N. (Kopp) 2011 (Original 2009); „Survivors: A Novel of the Coming Collapse“, New York (Atria Books) 2011. Aus dem Französischen von Uta Rüenauver enis Duclos ist Ethnologe und Forschungsdirektor am Centre national de la recherche scientifique (CNRS).

Le Monde diplomatique vom 13.07.2012, von Denis Duclos