13.07.2012

Neonazis im griechischen Parlament

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Neonazis im griechischen Parlament

von Jiannis Papadopoulos

Schwerpunkt: Rechtsextremismus in Europa
Neonazis im griechischen Parlament

Es war Anfang Oktober 2010, ein Freitagabend gegen halb zehn. Ich war allein unterwegs und dachte an nichts Böses. Der andere auch nicht, dessen Namen ich nie erfahren werde. Ich konnte ihn nicht mehr warnen, dass er in die falsche Straße geraten war, falsch für seine dunkle Hautfarbe. Es war einer jener Abende, an denen die Odos Alkiviadou im Zentrum Athens zum unsichtbaren Sperrbezirk für Farbige wird.

Auf Höhe der Kirche Agios Panteleimonas, die die Einheimischen ebenso wie die griechische Kirche stolz zur größten orthodoxen Kathedrale des Balkans erklärt haben, stellten sich ihm sechs junge Männer in den Weg. Weiß, glattrasiert, 16 bis 17 Jahre alt, einer mit militärisch kurzem Haarschnitt, ein anderer mit Springerstiefeln. Ich war zu weit weg, um den Wortwechsel zu hören. Der war nur kurz. Sie drängten ihn gegen ein heruntergelassenes Ladengitter, schlugen ihn zusammen und traten mit ihren Stiefeln zu.

Der Mann rappelte sich auf und rannte davon. Die sechs liefen hinterher, stießen ihn wieder zu Boden. Er konnte sich erneut in eine Seitenstraße flüchten. „Was glotzt ihr, tut doch was“, rief ein Mann den gaffenden Passanten zu. „Du bist schuld, du führst hier doch das Kommando“, sagte ein anderer zu einem bulligen Mann mit glattrasiertem Schädel und Faschobart, der aus einer Bar herausgetreten war.

Kurz darauf näherten sich zwei Migranten. Der Glattrasierte bedeutete ihnen mit einer Kopfbewegung, sie sollten verschwinden. Sie waren Schwarze. Zwei Jahre nach dieser Szene wurde der bullige Mann ins griechische Parlament gewählt. Ilias Panagiótaros ist seit Mai 2012 Abgeordneter der Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte), einer extremistischen, nationalistischen Organisation mit neonazistischer Ideologie. Und in den Straßen von Athen haben die Überfälle anonymer Banden auf Migranten inzwischen dramatisch zugenommen.

Bei früheren Wahlen war die Partei stets deutlich unter einem Prozent Stimmenanteil geblieben. Bei den Parlamentswahlen vom Oktober 2009 erreichte sie 0,29 Prozent. Die erste Überraschung gab es bei den Kommunalwahlen im November 2010: In Athen kam die Chrysi Avgi auf 5,29 Prozent, damit war sie erstmals im Stadtparlament vertreten.

Verunsicherung schlägt in Hass auf Migranten um

Aber damit war der Aufstieg noch nicht zu Ende: Bei den Parlamentswahlen vom 6. Mai dieses Jahres kam die Partei auf einen Stimmanteil von 6,97 Prozent. Bei den zweiten Wahlen am 17. Juni waren es erneut 6,92 Prozent, während die rechtsradikalen „Unabhängigen Hellenen“, die Kommunisten der KKE und die ehemalige Regierungspartei Pasok deutlich an Boden verloren.

Wie lässt sich dieser Durchmarsch vom äußersten Rand der griechischen Gesellschaft bis ins Plenum des griechischen Parlaments erklären? Eine zentrale Rolle spielen natürlich die Protestwähler, bei denen das Gefühl der Unsicherheit in Hass gegen „die Migranten“ umschlägt, aber auch die Unfähigkeit der griechischen Massenmedien, das Phänomen Chrysi Avgi nüchtern darzustellen. Vor allem aber haben die Kader der Partei eine Strategie entwickelt, die nichts dem Zufall überlässt. 2008 begannen die Neonazis den politischen Raum systematisch zu erobern. Sie beschlossen, ihren Kleinkrieg mit den Athener Anarchisten zu beenden und ihre Aktivitäten auf die Bezirke zu konzentrieren, in denen viele Ausländer ohne Aufenthaltspapiere leben.

Eines dieser Viertel ist Agios Panteleimonas, das weiß Gott schon bessere Zeiten erlebt hat. Vor 50 Jahren wohnten hier viele Schauspieler und Politiker. Als dann in den 1960er Jahren die Zeiten der Raffgier begannen, zog das Viertel die Neureichen an. Viele Bewohner verkauften ihre alten neoklassischen Häuser, an deren Stelle moderne Mietshäuser hochgezogen wurden, wobei den Alteigentümern zwei, drei Wohnungen zustanden, die sie auf ihre Kinder überschrieben. Wie uns der Stadtgeograf Thomas Maloutas erläutert, wurden in Athen zwischen 1950 und 1980 insgesamt 35 000 vier- bis sechsstöckige Mietshäuser gebaut. 1968 erließ die Regierung unter der Obristendiktatur ein Gesetz, nach dem die Bebauungsdichte noch einmal um 20 Prozent gesteigert werden durfte.

In den 1980er Jahren erreichte dann die Krise auf dem Mietwohnungsmarkt auch das Agios-Panteleimonas-Viertel. Viele leerstehende Wohnungen im Athener Zentrum wurden mit der Zeit von ausländischen Zuwanderern übernommen. Sie kamen in mehreren Wellen: die erste aus den ehemaligen Ostblockländern, die nächste aus Albanien, die jüngste in den vergangenen fünf, sechs Jahren aus dem Nahen Osten, aus Asien und Nordafrika.1 Die Griechen, die in diesen Bezirken bleiben, sind vorwiegend ältere Leute.

Die erste Welle von Migranten wurde von der griechischen Gesellschaft relativ problemlos absorbiert. Bei den späteren Zuwanderern klappte das nicht mehr: Für sie erwies sich ein friedliches und sicheres Zusammenleben in den städtischen Problemzonen als unmöglich. Hier hausen die meist illegal ins Land gelangten Ausländer unter fürchterlichen hygienischen Bedingungen in Kellern, in überfüllten Wohnungen, für die sie Wucherpreise zahlen, oder auf öffentlichen Plätzen. Und das, während Griechenland immer tiefer in der Krise versinkt und die Arbeitslosenrate auf 23 Prozent angestiegen ist.

Das sogenannte Dublin-II-Abkommen aus dem Jahr 2003 legt fest, dass illegale Einwanderer in dem EU-Land bleiben müssen, das sie als Erstes betreten haben. Deshalb werden selbst diejenigen, die es in ein anderes Land geschafft haben – etwa mit dem Schiff nach Italien –, unverzüglich zurückgeschickt. Und so ist heute ein Großteil der illegalen Migranten ausgerechnet in dem EU-Land konzentriert, das von der ökonomischen Krise am härtesten betroffen ist.

„Wenn die Chrysi Avgi einen Gemeinderat in Athen durchbringt, wird es ein Pogrom geben“, hatte mir Ilias Panagiótaros einen Tag vor den Kommunalwahlen von 2010 gesagt. Kurz zuvor hatte sein Parteichef Nikos Michaloliakos bei seinem Aufritt im Fernsehsender Alter angekündigt, wie seine Organisation die Probleme der steigenden Kriminalität und der Konzentration illegaler Migranten im Athener Stadtzentrum zu lösen gedenke: „Wir werden private Sicherheitsfirmen mit Mitgliedern unserer Partei aufbauen. Wir werden Lizenzen für Schusswaffen fordern. Warum soll die Stadt Athen nicht 200 bewaffnete Leute zum Schutz ihrer Bürger haben?“2 Als erste Vorhut im Agios-Panteleimonas-Viertel etablierte sich der Chrysi-Avgi-Funktionär Christos Righas, der in der Odos Alkiviadou eine Bar namens Pyles aufmachte. Seitdem haben sich die Angriffe auf Migranten in dieser Gegend vervielfacht. Wobei allerdings den verhafteten Gewalttätern bislang keine direkte Verbindung zu Parteimitgliedern nachgewiesen werden konnte.

Nach Angaben des Netzwerks für die Ermittlung rassistischer Gewaltakte gab es allein zwischen Oktober und Dezember des letzten Jahres 63 Überfälle auf Migranten, wobei die Täter in 18 Fällen als „Mitglieder extremistischer Organisationen“ und in 26 Fällen als einfache Bürger identifiziert wurden. Unter diesen waren auch 18 Polizisten sowie ein Wachmann, der für eine private Sicherheitsfirma in einem Krankenhaus arbeitete. In 51 Fällen operierten die Angreifer in Gruppen, zu denen häufig auch Frauen gehörten. Insgesamt wurden 30 der Opfer schwer verletzt, hat das Netzwerk ermittelt, das in seinem Griechenland-Report im Übrigen darauf hinweist, dass es keine staatliche Behörde gibt, die eine offizielle Statistik über rassistische Überfälle führt.

Zeugenaussagen zufolge waren an mehreren Attacken auch Jugendliche beteiligt, die von Einheimischen zuweilen als „agonistés“ bezeichnet werden. Eine Gruppe dieser jungen „Kämpfer“ habe ich im vergangenen Winter auf der Platia Attikis (vor dem Athener Bahnhof) beobachtet, wo sie um ein Feuer herumstanden, über ihnen eine rauchgeschwärzte griechische Fahne, hinter ihnen ein Springbrunnen mit der aufgesprühten Parole: „Weder Faschisten noch Anarchisten! Alle Macht den Panathinaiki“.3

Einer der Jugendlichen, der seinen Namen nicht nennen wollte, versicherte mir: „Wir prügeln nicht. Ich bin sehr religiös, und ich will einfach nicht, dass in Athen eine Moschee gebaut wird.4 Wenn das passiert, dann gehen auch die Priester auf die Straße. Und sind die etwa Rassisten? Auch die Leute vom Agios-Panteleimonas-Viertel sind keine Rassisten.“ Aber man müsse sie verstehen, meinte der Junge, die hätten eben „das ganze schwarze Pack abgekriegt“.

Die Parteiführung versichert in ihren offiziellen Statements, dass sie mit den Angriffen auf die Migranten nichts zu tun habe, weder aktiv noch im Hintergrund. „Hier stehen sich nicht Migranten und Chrysi-Avgi-Leute gegenüber“, erklärte mir Nikos Michaloliakos, als ich ihn nach einem Marsch seiner Leute durch Athen auf die Übergriffe gegen Migranten ansprach. „Hier handelt es sich um ein Aufbegehren der Gesellschaft. Aber natürlich sind wir stolz, dass wir Recht behalten haben. Na ja, stolz vielleicht nicht … Denn leider zeigt sich hier, dass es zu Gewalttaten kommt, wenn die Politik versagt.“

Anfang Juni dieses Jahres wurde Urania Michaloliakou, die Tochter des Chrysi-Avgi-Chefs, zusammen mit zwei Parlamentskandidaten von der Polizei festgenommen, nachdem am Rande einer von der Partei organisierten Motorraddemo zwei Ausländer zusammengeschlagen worden waren. Am Ende musste man alle drei wieder freilassen, weil die Polizei keine Beweise für ihre Beteiligung erbringen konnte. Immer wieder erweist es sich als sehr schwierig, bei rassistischen Übergriffen die Täter zweifelsfrei zu identifizieren und einer bestimmten extremistischen Organisation zuzuordnen.

Das bestätigt ein Augenzeuge, der in der Agios-Panteleimonas-Gegend aufgewachsen ist. Aristoteles Kallis, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Lancaster, hat in den letzten Jahren bei seinen Besuchen in seinem alten Viertel mehrere rassistische Angriffe beobachtet. Zum Beispiel wie ein Ladenbesitzer mit einer Eisenstange auf eine Gruppe von Migranten losging. Der Historiker sagt, dass sich die Grenzlinie zwischen den Chrysi-Avgi-Leuten und normalen, aufgebrachten Bürgern immer mehr verwische: „In diesen Vierteln löst sich die Hemmschwelle vor der Anwendung von körperlicher Gewalt zunehmend auf. Immer mehr Leute sind neuerdings bereit, bedenkenlos zuzuschlagen.“

Wie die Neonazis ein Athener Viertel erobern

Das gilt nicht nur für das besonders berüchtigte Agios Panteleimonas. In einer Studie, die allerdings noch nicht ganz ausgewertet ist, haben Politologen der Athener Panteios-Universität und der Makedonischen Universität in Thessaloniki herausgefunden, dass solche Aggressionen gegenüber Migranten in allen Athener Stadtvierteln verbreitet sind.

Was Agios Panteleimonas von den anderen unterscheidet, ist allerdings die große Toleranz gegenüber den Chrysi-Avgi-Leuten. Die führen die Forscher eben auf deren sehr sichtbare Präsenz gerade in dieser Gegend zurück. Mit ihrem permanenten Aktionismus hat es die Partei offenbar geschafft, ihre Akzeptanz bei den Einwohnern zu erhöhen. Das zeigt auch die Tatsache, dass 6,5 Prozent der Befragten sogar ihre minderjährigen Kinder ermuntern, sich an Aktionen der Partei zu beteiligen. Zum Vergleich: Insgesamt tun das von den Menschen in Athen nur 2,5 Prozent.

In den heruntergekommenen Bezirken hört man immer häufiger, dass Mitglieder der Chrysi Avgi ältere Leute als eine Art Leibwächter zur Bank begleiten, damit sie unbehelligt ihr Geld abheben können. Die Organisation selbst kündigt ganz offen an, dass sie die Gegend „ausmisten“ werde.

In jedem Fall zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Partei in diesen Vierteln mehr und mehr Anhänger findet. Schon vor den Wahlen vom 6. Mai gestand mir Aristidis Dalianis, der seit 25 Jahren eine Fleischerei betreibt, seinen Beitritt zur Chrysi Avgi – und das, obwohl seine Familie immer die sozialistische Pasok gewählt habe. Unterstützt wird die Partei neuerdings auch von Migranten. Von weißen Migranten. Einer von ihnen ist der 47-jährige Christos Nikolas. Er ist 1991 aus Saranda in Südalbanien nach Griechenland gekommen. Heute sagt er über die Chrysi Avgi: „Vielleicht gehen sie ein bisschen zu weit, aber wenn es sie nicht gäbe, hätten wir hier jeden Abend Tote.“

In den Wahlkämpfen dieses Sommers richtete die Partei ihr rhetorisches Feuer vor allem gegen die illegale Zuwanderung, aber auch gegen das „Memorandum“, das den Griechen von der Troika verordnete Sparprogramm. Auf die Themen Migration und Unsicherheit auf den Straßen setzten allerdings auch andere rechte und rechtsradikale Parteien, beispielsweise die „Unabhängigen Hellenen“ (Anexártiti Ellines) des Rechtspopulisten Panos Kammenos, der aus der konservativen Nea Dimokratia ausgeschlossen worden war. Damit ließen sich die Unabhängigen Hellenen allerdings auf ein „Auswärtsspiel“ ein, weil sie sich auf das Feld der Chrysi-Avgi-Truppe begeben hatten. Nikos Michaloliakos höhnte im Wahlkampf: „Dieser Kammenos ist ja neuerdings ein Patriot. Aber wo war er in den letzten Jahren? War er nicht in der Nea Dimokratia? War er nicht als Vizeminister für die Handelsschifffahrt verantwortlich, als die Schiffe mit den illegalen Migranten hier ankamen? Was hat er da gemacht? Er hat geschwiegen. Und jetzt auf einmal fällt ihm das Thema ein. Aber allein die Chrysi Avgi hat all die Jahre über die illegalen Einwanderer geredet.“

In den Monaten vor den Mai-Wahlen haben die meisten griechischen Massenmedien über die Ansichten und Thesen der Chrysi Avgi nicht berichtet, weil sie keine extremen und rassistischen Positionen verbreiten wollten. Zudem sah es so aus, als ob sich viele Wähler von den bis dahin stärksten Parteien – Pasok und Nea Dimokratia – abwenden könnten. Tatsächlich erklärten viele ausdrücklich, dass sie mit Wut im Bauch wählen würden.

Eine Woche vor den Wahlen vom 6. Mai hörte ich mir im Gebäude eines großen griechischen Meinungsforschungsinstituts Gespräche der Demoskopen mit Bürgern an. Einer antwortete dem Interviewer: „Ich werde aus Protest Chrysi Avgi wählen oder diese … Hellenen, oder wie heißen die noch mal? Seit Jahren schwenken wir Pasok- oder ND-Fähnchen, und was war die Folge? Dieses Mal strafe ich sie ab.“ So ähnlich verliefen viele Gespräche. Kurz darauf zog die Chrysi Avgi erstmals ins griechischen Parlament ein, mit den Stimmen von 440 894 Griechen.

Noch am Wahlabend wurde die tatsächliche Stärke der Organisation auch denen klar, die bis dahin die Augen verschlossen hatten. Die Journalisten wachten auf, als ihnen Michaloliakos auf seiner ersten Pressekonferenz entgegenrief: „Für die Vaterlandsverräter ist die Stunde der Angst angebrochen! Wir kommen! Der Kampf der Nationalisten geht verschärft weiter, im Parlament wie außerhalb. Ihr habt mich verleumdet, ihr habt mich mundtot gemacht, ich aber habe euch besiegt!“

Bevor Michaloliakos den Saal betrat, hatte ein Parlamentskandidat seiner Partei die Journalisten im Kommandoton angebrüllt: „Alle aufstehen! Bezeugt euren Respekt!“ Gefolgt von der Drohung: „Wer nicht aufsteht, fliegt raus.“ Als der Parteichef anschließend in sein Hauptquartier zurückkehrte, jubelten ihm seine Anhänger mit hochgereckten Fäusten zu und schrien: „Albaner, niemals werdet ihr Griechen werden!“ Aus den Lautsprechern ertönte Marschmusik. Pressefotografen wurden von Parteimitgliedern daran gehindert, die Gesichter zu fotografieren.

Solche Szenen waren keineswegs neu. Nach den Kommunalwahlen von 2010 traten in mehreren Parteibüros Chrysi-Avgi-Mitglieder mit dem Hitlergruß auf den Balkon. Michaloliakos streitet jedoch ab, dass seine Organisation neonazistisch sei. Aber er selbst verkündete im Dezember 2011 in einem Interview, das er auf seinem Blog „Ellas – Orthodoxía“ (Griechenland – Orthodoxie) publizierte: „Was am Holocaust dran ist? Zweifellos gab es in den Konzentrationslagern für die Juden große Verluste. Das war logisch, schließlich war Krieg und so weiter … Ich glaube nicht, dass das ein organisierter Plan war.“ Und auf die Frage, ob er ein Hitler-Verehrer sei, meinte er: „Hitler ist eine historische Persönlichkeit, die nicht objektiv beurteilt worden ist.“ Zwar habe Hitler gegen Griechenland Krieg geführt, aber in den sei er nur durch den eigenmächtigen Angriff von Mussolini und den Italienern hineingezogen worden. Einen Monat nach dem Interview trat Michaloliakos im Gemeinderat der Stadt Athen mit dem Hitlergruß auf.

Seit die Chrysi-Avgi-Leute ins Parlament eingezogen sind, haben die Massenmedien ihre Haltung geändert. Sie schenken der Partei und ihren Aussagen große (oder zu große) Aufmerksamkeit. Bei den nächsten Wahlen sollen die Griechen nicht mehr sagen können, sie hätten nichts gewusst. In den Zeitungen und im Fernsehen werden ausführlich frühere Äußerungen der Neonazis zitiert. Zum Beispiel der Satz, den Michaloliakos am 2. Juni 2005 bei einer Kundgebung auf dem Athener Kolokotronis-Platz von sich gegeben hat: „Wenn wir einmal stark sind, werden wir keine Gnade zeigen. Wenn es darauf ankommt, machen wir uns die Hände schmutzig. Dann wird es nicht mehr demokratisch zugehen.“

Die Nummer zwei der Partei, Ilias Panagiótaros, der die sogenannte Blaue Armee (Galazia Stratia) von nationalistischen Fußballhooligans gegründet hat und jetzt ebenfalls im Parlament sitzt, verteidigte 2005 die gewaltsamen Übergriffe nach einem Fußballspiel zwischen der griechischen und der albanischen Nationalmannschaft ganz offen mit der Begründung: „Wir sind Nationalisten, und der Hass ist ein gesundes Gefühl für einen Menschen, der sich zum Übermenschen entwickeln will.“

Bereits im November 2001 hatten Mitglieder der „Blauen Armee“ vor dem Sitz des griechischen Fußballverbands die türkische Fahne verbrannt, um gegen den Plan zu protestieren, dass sich Griechenland und die Türkei gemeinsam um die Ausrichtung der Europameisterschaft 2008 bewerben. Wie in Italien und anderen europäischen Ländern verbrüdern sich in den griechischen Fußballstadien die rechtsextremistischen Gruppen oft mit den militanten Hooligans der lokalen Klubs, den sogenannten Ultras.

Hymnen auf Hitler, Himmler und die SS

Die Chrysi-Avgi-Leute machen sich nicht nur in den Stadien und Problemvierteln breit, sie verstärken ihre Präsenz auch in anderen Bereichen. Ein Beispiel ist Apostolos Gletsos, ein Landwirt aus der Provinz Phthiotis in Mittelgriechenland, der im Mai einen Parlamentssitz errungen hat (der allerdings in den Juniwahlen wieder verloren ging). Er spielt bei einer bekannten rassistischen Band mit, auf deren CD unter anderem Titel wie „Griechische SS“ oder „Skinhead-Patrioten“ auftauchen. Das zweite Stück beginnt mit den beschwörenden Worten: „Drittes Reich, Rudolf Heß, Hitler, Himmler, SS“ und endet mit dem drohenden Refrain: „Wenn du mich auf der Straße erblickst, haust du ab, um dich zu verstecken!“

Zu Medienprominenz brachte es auch Ilias Kasidiaris, der 32-jährige Pressesprecher der Partei. Wes Geistes Kind der Mann ist, belegt ein Artikel, den er am 20. April 2011 in der Parteizeitung zum „Führergeburtstag“ veröffentlicht hat. Darin würdigt er Hitler als „Schlüsselfigur der Geschichte des 20. Jahrhunderts“ und den Nationalsozialismus als „Erneuerungsbewegung“, die versucht habe, dem die Völker versklavenden „Geldhandel“ ein für alle Mal das Handwerk zu legen. Das habe der Zweite Weltkrieg verhindert, mit dem tragischen Ergebnis, dass die Griechen „von einer geistigen Weltmacht zu Sklaven des zionistischen Kapitals“ geworden seien. Weltweit bekannt wurde Kasidiaris durch seinen Auftritt in einer Livefernsehsendung vom 7. Juni – zehn Tage vor den letzten Wahlen –, als er die kommunistische Abgeordnete Liana Kanelli mit Fäusten traktierte. Zuvor hatte er einem Abgeordneten der linken Syriza-Partei, der ihn als Neonazi bezeichnet hatte, ein Glas Wasser ins Gesicht geschüttet.

Obwohl die Athener Staatsanwaltschaft unverzüglich strafrechtliche Ermittlungen gegen Kasidiaris eingeleitet und seine Verhaftung angeordnet hat, war die Polizei außerstande, den Mann aufzuspüren. Nachdem so die Voraussetzung für eine Festnahme „auf frischer Tat“ entfallen war, erschien der Pressesprecher vor Gericht in Begleitung einer Schlägertruppe, um eine Verleumdungsklage gegen die beiden linken Politikerinnen einzureichen. Die Führung der Partei hat das Verhalten ihres Pressesprechers und Parlamentskandidaten nie verurteilt, im Gegenteil: In einer Wahlkampfrede vor dem 17. Juni hat der oben erwähnte Ilias Panagiótaros getönt: Sollte irgendein Politiker es wagen, sich in „Fragen der Nation“ gegen seine Partei zu stellen, werde man ihm das Video mit dem prügelnden Kadidiaris vorführen.

Die Handgreiflichkeiten im Fernsehen und das Auftreten der Neonazis nach den ersten Wahlen haben zu der Erwartung beigetragen, dass die Partei beim zweiten Urnengang an Stimmen verlieren würde. Es kam anders. Mit einem um nur 0,05 Prozentpunkte verminderten Resultat von 6,92 Prozent wurde die Chrysi Avgi erneut fünftstärkste Partei und eroberte 18 Sitze (vorher 21) im griechischen Parlament.

Am Abend des 17. Juni wurde der Eingang der Parteizentrale wieder von den Schwarzhemden abgeschirmt. Ich sagte ihnen, ich sei Journalist und würde gern an der Pressekonferenz teilnehmen, wie schon nach den Wahlen vom 6. Mai. „Hau ab und fick dich“, antwortete ein Funktionär, der aus dem Gebäude gekommen war. Er stieß mich zurück und sagte: „Noch sag ich es dir im Guten: Verschwinde.“ Drei andere Parteileute drängten mich weiter ab. „Ihr könnt mir nicht verbieten, auf dem Bürgersteig zu stehen, der gehört euch nicht“, protestierte ich. Worauf einer der Schwarzhemden antwortete: „Du hast nichts verstanden. Jetzt gehört uns alles.“

Fußnoten: 1 Siehe Jiannis Papadopoulos, „Schengenzaun. Im türkisch-griechischen Grenzgebiet“, Le Monde diplomatique, Februar 2011. 2 Die Streifenpolizisten in Athen tragen keine Waffen. 3 Bezeichnung für die Fans von Panathinaikos Athen, einem der drei großen Klubs der Hauptstadtregion. Die Hooligans unter den Fans prügeln sich bei Lokalderbys regelmäßig mit den „Ultras“ der beiden Rivalen Olympiakos Piräus und AEK Athen. 4 Die griechische Regierung hatte schon anlässlich der Olympischen Spiele 2004 zugesagt, in Athen eine Moschee zu errichten. Der Plan scheiterte immer wieder am Einspruch der orthodoxen Kirche. Bis heute verfügen die in der Stadt lebenden Muslime, deren Zahl auf 300 000 geschätzt wird, über keine repräsentative Moschee. Siehe dazu: Niels Kadritzke, „Misstrauen und Migranten“, Le Monde diplomatique, Dezember 2010. Aus dem Griechischen von Niels Kadritzke Jiannis Papadopoulos ist Reporter bei der griechischen Tageszeitung Ta Nea. © Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 13.07.2012, von Jiannis Papadopoulos