08.04.2021

Bidens Korrekturen

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Bidens Korrekturen

Mit seiner Nahostpolitik hat Trump seinem Nachfolger ein Minenfeld hinterlassen

von Ibrahim Warde

Ibrahim Warde

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Gleich nach seiner Wahl zum US-Präsidenten erklärte Joseph Biden, Amerika sei „zurück“. Sein Land sei „bereit, die Welt zu führen, nicht vor ihr wegzulaufen; bereit, seine Gegner zu konfrontieren, nicht seine Verbündeten zurückzuweisen; und bereit, seine Werte zu verteidigen“.

Nach vier chaotischen Jahren unter Donald Trump markierte die Wahl 2020 eine Rückkehr zu einem traditionelleren außenpolitischen Ansatz. Bidens diplomatisches Team setzt sich größtenteils aus Veteranen der Obama-Regierung zusammen. Der neue Außenminister Antony Blinken war unter John Kerry die Nummer zwei im State Department. Auch andere hohe Beamte, wie die Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines und der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan, haben bereits in der Obama-Administration mit Biden zusammengearbeitet.

Die Grundzüge der Nahostpolitik der neuen Regierung sind bekannt. Oberste Priorität hat die Rückkehr zum Nuklearabkommen mit Iran, das am 14. Juli 2015 in Wien beschlossen1 und knapp drei Jahre später von Trump gekündigt wurde. Robert Malley, einer der Architekten dieses offiziell „Joint Comprehensive Plan of Action“ (­JCPoA) genannten Abkommens, wurde übrigens zum Sondergesandten für Iran ernannt. Kern des Plans ist eine Überwachung des Atomprogramms der Islamischen Republik im Gegenzug für eine schrittweise Lockerung der internationalen Sanktionen.

Bereits beschlossen ist auch die „Neujustierung“ der Politik gegenüber Saudi-Arabien.2 Im Wahlkampf hatte Biden angekündigt, das wahhabitische Königreich werde künftig als „­Paria“ behandelt. Strategische Interessen zwingen den neuen US-Präsidenten inzwischen zwar zu mehr Zurückhaltung. Einige konkrete Maßnahmen wurden jedoch umgesetzt, etwa die Beendigung der bedingungslosen Unterstützung der USA für den Krieg im Jemen.

Biden gab auch bekannt, er werde in Zukunft direkt mit König Salman kommunizieren, und beendete damit die besondere Beziehung, die Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) seit Langem mit der US-Führung verband, insbesondere mit Trumps Schwiegersohn Jared Kush­ner. Zudem wurde ein Bericht der CIA freigegeben, der die Verantwortung von MBS für die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi feststellte. 76 Personen aus dem Umfeld des allmächtigen Kronprinzen wurden mit Sanktionen belegt, auch wenn die US-Behörden davor zurückschreckten, den wichtigsten Beschuldigten mit auf die Liste zu setzen. Von nun an, so das Signal, wird die Regierung in Riad zur Rechenschaft gezogen, wenn die Menschenrechte in zu eklatanter Weise verletzt werden.

In Hinblick auf den arabisch-is­rae­li­schen Konflikt bekräftigte die neue Regierung, dass ihr Engagement für die Sicherheit Israels „sakrosankt“ sei. Von der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels will sie nicht abrücken, zumal sich der US-Senat Anfang Februar mit einem klaren Votum von 97 zu 3 Stimmen für den Verbleib der US-Botschaft in Jerusalem ausgesprochen hat.

Bidens Team sieht die „Zweistaatenlösung“ als einzig gangbaren Weg, hält diese aber nicht für kurzfristig realisierbar. Einstweilen könne man nur versuchen, beide Seiten davon zu überzeugen, Provokationen und einseitige Maßnahmen zu vermeiden, die die Lage weiter verkomplizieren könnten. Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und vier arabischen Staaten – Bahrain, Vereinigte Arabische Emirate (VAE), Marokko und Sudan – wurde von der Biden-Regierung ausdrücklich begrüßt.

Trotz des Patts im Senat (50 Demokraten und 50 Republikaner, wobei die Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris bei Gleichstand den Ausschlag gibt), ging die Bestätigung der von Biden nominierten Kandidaten problemlos über die Bühne. Nur Malleys Bestellung zum Sondergesandten für Iran, die gar keiner Bestätigung durch den Senat bedarf, löste eine Flut von Kritik und Warnungen im republikanischen Lager aus.3 Kritisiert wurde insbesondere dessen Rolle als Chefverhandler der USA beim JCPoA. Malley ist ein guter Kenner der Region, er ist Präsident der International Crisis Group, einer auf Konfliktlösung spezialisierten NGO, und arbeitete für die Clinton- und die Obama-Regierung.

Die US-Botschaft bleibt in Jerusalem

Die Wiederbelebung des Abkommens, das für Iran und die anderen Unterzeichner – Russland, China, Frankreich und Großbritannien als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sowie Deutschland – nach wie vor Gültigkeit besitzt, dürfte zu den größten Herausforderungen in Bidens Amtszeit gehören. Einfach dort weiterzumachen, wo die vorherige demokratische Regierung aufgehört hat, wird nicht möglich sein. Die Trump-Leute, insbesondere Außenminister Michael Pompeo, haben bis zum letzten Tag Entscheidungen getroffen, die es ihren Nachfolgern möglichst schwermachen sollten.

Die Trump-Jahre waren keineswegs nur ein folgenloses Zwischenspiel. Sie haben sowohl den geopolitischen Kontext als auch den institutionellen Rahmen der Außenpolitik verändert. So schreibt Itamar Rabinovich, ehemaliger israelischer Botschafter in den USA, in einem kürzlich erschienenen Buch, dass nichtarabische regionale Akteure „wie Iran, die Türkei und Israel jetzt die entscheidende Rolle spielen“4 . Das bürokratische Chaos und die an seinen eigenen Geschäftsinteressen orientierte Diplomatie des republikanischen Ex-Präsidenten haben zudem zahlreiche Grauzonen geschaffen.

So musste Trumps erster Außenminister Rex Tillerson, ehemaliger Chef des Ölgiganten ExxonMobil, feststellen, dass er sich am besten in nichts einmischen sollte, was mit den Golfstaaten oder dem arabisch-israelischen Konflikt zu tun hatte. Das Verhältnis des Chefdiplomaten zu Trump, den er später einen „Schwachkopf“ nannte, war miserabel. Tillerson wurde bald gefeuert und durch Mike Pompeo ersetzt, einen evangelikalen Christen, der vom Thema Iran geradezu besessen war und dessen politische Ambitionen ihn daran hinderten, seinem jähzornigen Chef zu widersprechen.

Das Nahost-Dossier wurde den professionellen Diplomaten entzogen und zur exklusiven Domäne von Jared Kush­ner. Der Spross einer Familie von Immobilienunternehmern aus New Jersey, der dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu nahesteht, unterhielt enge Beziehungen auch zu den beiden starken Männern am Golf, Abu Dhabis Kronprinzen Mohammed bin Zayid, und insbesondere zu dessen saudischem Amtskollegen MBS.

Der israelische Premier hat seinerseits die iranische Bedrohung zum zentralen Thema gemacht – was zu seinem politischen Beharrungsvermögen beigetragen haben dürfte. Israel, Saudi-Arabien und die VAE, die Iran als existenzielle Bedrohung betrachten, werden alles tun, um Washingtons Rückkehr zum Nuklearabkommen mit Iran zu verhindern.

Einen Monat vor der Unterzeichnung des Abkommens hatte Trump sich im Juni 2015 zu seiner Präsidentschaftskandidatur entschlossen. Das Nuklearabkommen kritisierte er schon damals: „Iran bekommt alles und verliert nichts.“5

Damit lag er auf einer Linie mit den anderen republikanischen Kandidaten und mit einem beträchtlichen Teil des politischen Establishments. Auch einige führende Demokraten, etwa der New Yorker Senator Chuck Schumer, der aktuelle Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, sprachen sich gegen das Abkommen aus. Während seiner gesamten Präsidentschaftskampagne hielt Trump an seiner Kritik fest: „Wir haben einen miserablen Deal gemacht, die ganze Welt lacht über uns.“

Folgerichtig war der Ausstieg aus dem Abkommen eines der zentralen Wahlversprechen Trumps. Auch nach seinem Amtsantritt geißelte er es bei jeder Gelegenheit. Allerdings hoffte er vergeblich, dass Iran seine Verpflichtungen nicht erfüllen möge. Die Regierung in Teheran hielt sich weiterhin an das Abkommen, was ihr auch von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) bescheinigt wurde.

Des Wartens überdrüssig, kündigte Trump schließlich am 8. Mai 2018 den eindringlichen Warnungen der anderen Unterzeichner zum Trotz den einseitigen Rückzug der USA aus dem Abkommen an, dazu die sofortige Wiedereinführung der Sanktionen. Offi­ziell blieb der Vertrag zwar in Kraft, doch die Iraner nahmen die Urananreicherung wieder auf, weit über die im Abkommen festgelegten Grenzen hinaus.

Priorität hat der Atomdeal mit Teheran

Trump setzte darauf, dass er mithilfe von Sanktionen und seinen (behaupteten) Fähigkeiten als „Dealmaker“ bessere Konditionen heraushandeln könne. Mehrere Falken im republikanischen Lager, etwa der ehemalige nationale Sicherheitsberater John Bolton, wollten aber weitergehen. Ihr Ziel war nichts weniger als ein „Regimewechsel“, also der Zusammenbruch der Islamischen Republik.

Anders als seine lautstarken Erklärungen vermuten ließen, schloss sich Trump diesem Ziel nicht an. Ihm ging es nicht um ideologische Prinzipien, wohl aber um den Abzug US-amerikanischer Truppen aus der Region. Zudem hoffte er, dass ihm ein „verbesserter“ Vertrag mit der iranischen Führung als persönlicher Erfolg angerechnet würde.

„Verbessert“ bedeutete für ihn die Erweiterung um zwei Elemente: die Überwachung von Teherans ballistischem Raketenprogramm und ein Ende der „destabilisierenden“ Aktivitäten Irans in der Region, womit die Unterstützung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, der Hisbollah im Libanon und der schiitischen Milizen im Irak gemeint sind.

Im Gegensatz zu seiner prahlerischen Rhetorik appellierte Trump in Wirklichkeit immer wieder an Präsident Hassan Rohani, mit ihm Verhandlungen aufzunehmen. Während der UN-Vollversammlung im September 2019 versuchte auch der französische Präsident Emmanuel Macron, Rohani zu überzeugen, den US-Präsidenten in seinem Hotelzimmer in New York zu besuchen. Nach längeren Diskussionen ließ Rohani jedoch verlauten, er fordere zuerst die Aufhebung der Sanktionen.6

Das Jahr 2020 war für Iran besonders schwierig. Es begann mit der Ermordung von General Qassem Soleimani. Der Chef der Al-Quds-Brigaden, der Eliteeinheit der Revolutionsgarden, die den „Widerstand“ der Islamischen Republik gegen den Westen wie keine andere Instanz verkörpert, starb bei einem US-Drohnenangriff. Und es endete mit dem suspekten Tod des Physikers Mohsen Fahkrizadeh, einem der führenden Köpfe hinter Irans Atomprogramm. Die immer neuen Sanktionen, zusammen mit den Auswirkungen der Coronapandemie, zwangen das Land auch ökonomisch in die Knie.

Seit Bidens Amtsantritt ist die iranische Führung gespalten. Moderate wie Präsident Rohani und Außenminister Mohammed Dschawad Sarif sind geneigt, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Sie sind der Meinung, ihr Land habe bereits ein positives ­Zeichen gesetzt, indem es keine finanziellen Reparationen für die von den USA zugefügten Schäden fordere. Aber sie stehen unter dem Druck von Hard­linern, die ihnen Naivität, wenn nicht gar Verrat vorwerfen.

Letztere argumentieren, man könne den USA nicht vertrauen und verweisen als Beleg auf die syrischen Kurden. Die langjährigen US-Verbündeten hatte Washington im Oktober 2019 ebenso plötzlich wie unerklärlich fallen gelassen. Und warum sollte man überhaupt einen Vertrag schließen, wenn ihn die nächste US-Regierung einfach wieder kündigen kann?

Irans „Oberster Führer“ Ajatollah Ali Chamenei ist einer Wiederbelebung des Abkommens nicht abgeneigt, vorausgesetzt, dass beide Länder schnell handeln und die Umsetzung des Abkommens und die Aufhebung der Sanktionen gleichzeitig erfolgen. Hinter den Kulissen finden bereits Verhandlungen statt, um die genaue Choreografie und Reihenfolge festzulegen.

Vali Nasr ist Professor für internationale Politik an der Paul H. Nitze School of Advanced International Studies in Washington und einer der besten Kenner des Dossiers. Seiner Ansicht nach hat die US-Politik des „maximalen Drucks“ nur sehr magere Ergebnisse gebracht: „Nur durch eine schnelle Rückkehr an den Verhandlungstisch lässt sich ein Flächenbrand ver­meiden.“7

Tatsächlich kann sich das Weiße Haus nicht den Luxus des Zuwartens leisten. Die Regierung muss das von der Trump-Regierung hinterlassene Minenfeld räumen. Und kann dabei nur hoffen, dass die iranischen Präsidentschaftswahlen im Juni keinen Atomfalken an die Macht bringen, der darauf aus ist, die Verhandlungen mit Washington abzubrechen.

1 Siehe Camelia Entekhabifard, „Zuversicht und Skepsis. Der Iran nach dem Atomabkommen“, LMd, September 2015.

2 Siehe Ibrahim Warde, „Das Haus Saud und die Trump-Holding“, LMd, Dezember 2017.

3 Lara Jakes und Michael Crowley, „US names Iran envoy in battle of wills with Tehran over nuclear negotiations“, The New York Times, 29. Januar 2021; sowie Michael Crowley, „Why Biden’s Pick for Iran Envoy Is ‚a Proxy for Everything‘ “, The New York Times, 13. Februar 2021.

4 Itamar Rabinovich und Carmit Valensi, „Syrian Requiem: The Civil War and Its Aftermath“, Princeton (Princeton University Press) 2021.

5 Tom LoBianco und Sophie Tatum, „GOP 2016 hopefuls slam Iran nuclear deal“, CNN, 15. Juli 2015.

6 Farnaz Fassihi und Rick Gladstone, „How Iran’s president left Trump hanging, and Macron in the hall“, The New York Times, 30. September 2019.

7 Vali Nasr, „Biden’s narrow window of opportunity on Iran“, Foreign Affairs, 2. März 2021.

Aus dem Französischen von Nicola Liebert

Ibrahim Warde ist assoziierter Professor an der Tufts University, Massachusetts.

Le Monde diplomatique vom 08.04.2021, von Ibrahim Warde