13.05.2021

Unser Müll in Java

zurück

Unser Müll in Java

Südostasien versinkt im Plastik

von Aude Vidal

Audio: Artikel vorlesen lassen

Früh am Morgen verbrennen die Leute vor ihren Haustüren im Dorf Kalianyar auf Java Berge von trockenen Blättern und Kunststoffverpackungen. „Weil sie nichts mehr sehen, denken sie, da sei nichts mehr“, sagt Slamet Riyadi über seine Nachbarn. „Doch das Plastik bleibt!“ Riyadi hat sich selbst Englisch beigebracht, damit er in der Tourismusbranche arbeiten kann. Doch er träumt von der Gründung einer Genossenschaft für Abfallwirtschaft mit Mülltrennung, Kompostierung und dem Verkauf von Wiederverwertbarem. Was mit dem Rest des Hausmülls passiert, muss er sich noch überlegen.

Außer Riyadi scheinen die dioxinhaltigen Rauchschwaden über Ka­lian­yar niemanden zu beunruhigen. Tatsächlich sammelt man in den ländlichen Regionen Indonesiens bislang keinen Kunststoff – dabei ist er allgegenwärtig. Auf dem Markt im Nachbardorf Tamanan werden allein an zwei Ständen nur Einwegverpackungen, Beutel und Schachteln aus Polystyrol angeboten. Selbst die Armen verpacken ihr tägliches Essen portionsweise in Plastik, um sich ihre Ausgaben einzuteilen. Sofern die Abfälle nicht verbrannt werden, bleiben sie einfach am Straßenrand liegen oder treiben in den Flüssen.

Auch auf dem Brantas, Ostjavas längstem Fluss, schwimmen alle möglichen Abfälle. Das Biologenteam um Prigi Arisandi, der 2011 mit dem renommierten Goldman Environmental Prize1 ausgezeichnet wurde, untersucht schon seit Jahren mit der lokalen Umweltorganisation Ecoton die Wasserqualität des Brantas. Viele Fische weisen beunruhigende genetische Mutationen auf, die sich auch auf ihre Fortpflanzung auswirken. Regelmäßig warnt Ecoton die Bevölkerung vor den Umweltbelastungen und sucht in Zusammenarbeit mit Kommunalpolitikern und Unternehmern in dieser ländlichen, aber industrialisierten Region nach Lösungen.

2016 gelang es der Organisation, lokale Betriebe davon zu überzeugen, ihre Produktionsprozesse zu verändern und keine umweltschädlichen Abwässer mehr im Brantas zu entsorgen. Darunter war auch eine Fabrik, die Papier aus der ganzen Welt in Indonesien recycelt, wie Vertreter der US-Behörde für Internationale Entwicklung (USAID) berichteten, die Ecoton unterstützt. Doch schon zwei Jahre später wurden diese ersten Bemühungen wieder zunichtegemacht, als große Mengen Plastikabfall in die gesamte Region gelangten, nachdem vor allem China deren Einfuhr gestoppt hat.2

Unweit der Geschäftsstelle von Ecoton in Gresik durchwühlen in dem Dorf Sumengko ein Dutzend Lumpensammler auf der Suche nach mehr oder weniger wertvollen Schätzen unter freiem Himmel eine Mülldeponie. Sie hoffen, dass sie Banknoten finden, kleine Scheine aus den reichen Ländern, die auf einen Schlag mehr Geld einbringen als die bescheiden entlohnten Jobs in der Gegend. Wenn der Müllberg vollständig durchsucht ist, dient alles, was sich nicht wiederverkaufen lässt, als Brennstoff für eine nahegelegene Tofu­fabrik.

In Ostjava wie andernorts in In­donesien, aber auch in Malaysia, in Thailand, auf den Philippinen und in Vietnam hört man immer wieder die

gleiche Geschichte von skrupellosen Unternehmern, die behaupten, sie würden Plastikabfälle recyceln. Sehr oft werden diese aber nur getrennt, unter freiem Himmel verbrannt oder in der Natur verstreut, wenn sie nicht schließlich doch die Deponien so sichtbar füllen, dass es Zeit wird für die Betrüger, sich aus dem Staub zu machen.

Wenn man Plastik ohne spezielle Sicherheitsvorkehrungen verbrennt oder wild deponiert, werden Dioxine, Furan, Quecksilber oder Polychlorierte Biphenyle (PCB) freigesetzt. Diese toxischen Stoffe, die größtenteils sehr flüchtig oder fettlöslich sind, kontaminieren die Umwelt und können sich im menschlichen Körper anreichern, was zu Krebserkrankungen und Störungen im Hormon- und Nervensystem führen kann.

In Malaysia schreckten 2018 der Gestank von verbranntem Plastik, Atemnot und häufig auftretende Hautausschläge die Bewohner von Dörfern an der Westküste auf. Verursacher waren abfallverarbeitende Anlagen. Damals gründete Tan Ching Han, der ehemalige Vorsteher eines Orts, der nur wenige Kilometer von Klang, dem größten Hafen des Landes an der Meerenge von Malakka, entfernt liegt, die Selbsthilfegruppe Kuala Langat Environmental Protection Action Group (KLAA). Die konnte 38 solcher „Recyclingbetriebe“ ausfindig machen, von denen nur ein einziger legal arbeitete.

Laut einem Bericht der internatio­nalen NGO Global Alliance for Incinerator Alternatives (Globale Allianz für Alternativen zur Müllverbrennung, Gaia), die stets mit Lokalvereinen zusammenarbeitet, hat Malaysia 2018 mehr als 900 000 Tonnen Plastikabfälle importiert.3 In Thailand und Vietnam waren es mehr als 400 000.

Nach der Veröffentlichung dieser Zahlen wollten viele europäische und US-amerikanische Medienvertreter die südostasiatischen Mülldeponien besichtigen. „Die Journalisten wurden ganz aufgeregt, wenn sie auf einer Deponie Abfälle fanden, die aus ihrem Land stammten“, erzählt Mageswari Sangaralingam, die malaysische Ko­redakteurin des Berichts, immer noch ein bisschen schockiert darüber, was die Besucher so faszinierte. In den Nachrichtenmagazinen sah man daraufhin zahlreiche Fotos von leeren Joghurt­bechern aus Kanada oder Verpackungen von französischem Käse zwischen Kokospalmen. Doch es fehlten die Reportagen, die schilderten, wie sehr diese ­Abfälle den Menschen vor Ort schaden.

Seit China 2018 aus dem internationalen Recyclinggeschäft ausgestiegen ist, wird Südostasien mit Abfällen aus den reichen Industrieländern überschwemmt. Bis dahin war die Volksrepublik für den Westen der Müllimporteur Nummer eins gewesen. Nachdem das Land in den 1990er Jahren zur Werkbank der Welt geworden war, kamen findige chinesische Geschäftsleute auf die Idee, die gigantischen Containerschiffe zu nutzen, die auf dem Hinweg in den Westen mit billig hergestellten Konsumartikeln befüllt waren, aber leer zurückfuhren, weil China damals praktisch keine Waren aus dem Westen importiert hat. Zu Beginn der 2010er Jahre landeten mehr als drei Viertel der weltweiten Müllexporte in China.

Die Schattenseiten des Geschäfts zeigt ein Dokumentarfilm von Jiu-­Liang Wang über das Elend zweier Familien, die ihren Lebensunterhalt auf der Müllhalde verdienen. Als „Plastic China“ im November 2016 auf dem Internationalen Dokumentarfilm-Festival in Amsterdam Premiere hatte, war das wie ein Weckruf für die chinesische und internationale Öffentlichkeit.4 Angesichts der zunehmenden Proteste in China gegen die wachsenden Abfallberge und die damit verbundenen unübersehbaren Umweltprobleme sahen sich die staatlichen Stellen schließlich zum Handeln gezwungen.

Im Juli 2017 informierte die Regierung in Peking die Welthandelsorganisation (WTO), dass sie zum 1. Januar 2018 die chinesischen Häfen für die Einfuhr von Hausmüll schließen würde. Ziel der Operation „Nationales Schwert“ war „der Schutz Chinas, seiner Umwelt und der Gesundheit seiner Staatsbürger“.5 Die Recyclingindustrie verlagerte daraufhin einen Teil ihrer Aktivitäten in die Länder Südostasiens, allen voran Malaysia.

Weder Malaysia noch Indonesien oder Thailand verfügen bislang über Kapazitäten und Techniken zur Kunststoffverarbeitung, obwohl in diesen Ländern viele Plastikverpackungen im Umlauf sind. Die Umweltgesetze sind locker, und die Ärmsten können sich allein aus purer Not nicht weigern, auf den giftigen Mülldeponien zu schuften, die seit 2018 immer zahlreicher geworden sind. Die Recyclingindustrie wuchs zwar schon seit 2010, aber noch nicht in solchen Ausmaßen.

„Als wir erfuhren, dass China die Importe stoppen wollte, haben wir gleich die Regierung alarmiert“, berichtet Mageswari Sangaralingam, die für die NGO „Freunde der Erde Malaysia“ (Sahabat Alam Malaysia, SAM) arbeitet: „Wir haben schon vorausgesehen, dass die Abfälle nach Südostasien umgeleitet werden würden.“

Doch die Behörden eierten rum. So verhängte Thailand zwar im April 2018 ein Moratorium für den Import von Plastikabfällen, das es aber im Mai schon wieder aufhob. Malaysia verweigerte im Mai 2018 Importgenehmigungen, öffnete aber bereits im Juni wieder die Schleusen. Im August verfügte die Regierung ein Moratorium für drei Monate, das anschließend für drei Jahre verlängert wurde. Und in Indone­sien verlangte der Industrieminister im November 2018 vom Umweltminister, er solle das Importverbot wieder aufheben, weil die Recyclingindustrie 40 Millionen Dollar zur Handelsbilanz des Landes beitragen würde6 – die Forderung hatte allerdings keinen Erfolg.

China nimmt keinen Müll mehr an

Im Frühjahr 2019 griffen die südostasiatischen Regierungen endlich entschiedener ein. Die malaysische Umweltministerin Yeo Bee Yin verkündete, sie habe über 148 Fabriken und Betriebe schließen lassen, die Plastikabfälle verarbeitet oder gelagert hätten. Immer öfter wurden gar nicht oder nur un­zureichend deklarierte Abfälle entdeckt.

Bei einem Besuch im Hafen von Klang am 23. April 2019 stellte die Ministerin fest, dass eine spanische Ladung gefälscht worden war: Die nicht wiederverwertbaren Abfälle wurden als recycelbar deklariert. Am 28. Mai kündigte sie an, 3000 Tonnen Abfälle zurückzusenden: in die USA, nach Japan, Frankreich, Kanada, Australien, Großbritannien und sogar nach Bang­la­desch.

Yin bezeichnete die malaysischen Vermittler als „Verräter“ und wandte sich auch an die Exportstaaten: „Wir fordern die entwickelten Länder auf, ihren Umgang mit Plastikabfällen zu überprüfen. Sie sollen mit dem Export in Entwicklungsländer aufhören. Was nach Malaysia kommt, werden wir ohne zu zögern zurückschicken.“7

Drei Tage später zogen in Butterworth, dem zweitgrößten Hafen des Landes, 265 Container, die halbverrottetes organisches Material vermischt mit Plastik enthielten, die Aufmerksamkeit des Zolls auf sich. Und am 15. Juni 2019 zählten die malaysischen Behörden 126 Container mit nicht deklarierten Abfällen und 155, die noch nicht überprüft worden waren. Indonesien bereitete derweil die Rücksendung von fünf Containern in die USA vor, die von Seattle aus verschifft und als „Altpapier zum Recyceln“ deklariert worden waren. Zwischen dem Altpapier fanden sich verschiedene Plastikabfälle und benutzte Babywindeln.

Schließlich schlug der philippinische Präsident mit der Faust auf den Tisch. Nachdem er Kanada vor das Ultimatum gestellt hatte, seine Abfälle bis zum 15. Mai 2019 zurückzunehmen, berief er seine Diplomaten aus Kanada ab, schickte 69 Container auf die Reise nach Vancouver und drohte, sollten die kanadischen Behörden die Annahme verweigern, diese in kanadischen Hoheitsgewässern zu versenken.8 Die Ladung wurde schließlich ohne Pro­bleme gelöscht.

Die Spannungen entluden sich bei der 14. Konferenz der Vertragsstaaten der Basler Konvention „über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung“9 im April/Mai 2019 in Genf. Die NGOs aus Südostasien wollten, unterstützt von Norwegen, auch ein Verbot von Plastikmüllimporten in den Vertragstext aufnehmen. Ihre Petition „Stop dumping plastic in paradise!“ bekam fast 1 Million Unterschriften. Unter den anwesenden Aktivisten, die die Petition verteidigten, waren auch Prigi Arisandi von Ecoton und Mageswari Sangaralingam.

Trotz heftigen Widerstands vonseiten der USA, die diesen Umweltvertrag bislang nur unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert haben, wurde der Vorschlag angenommen: Die Ergänzung, seit dem 1. Januar 2021 in Kraft, betrifft aber nur nichtrecycelbare Kunststoff­ab­fälle; der Handel mit Recyclingmaterial10 ist weiterhin erlaubt – wenn der aufnehmende Staat vorab zustimmt. Und diese Regelung gilt für alle, auch für die USA.

„Die Länder, die vermischte und nicht getrennte Kunststoffabfälle ausländischer Herkunft bekommen, haben nun das Recht, die Annahme zu verweigern. Das zwingt die Herkunftsländer, zu garantieren, dass nur noch sauberes und recycelbares Plastik exportiert wird“, fasste der philippinische Koordinator des globalen NGO-Bündnisses „Break Free From Plastic“, Van Hernandez, den Sieg zusammen.11

Noch ist es zu früh, die Wirkung des Exportverbots von nichtrecycelbaren Kunststoffabfällen zu beurteilen. Aber schon Ende Januar warnten die „Freunde der Erde Malaysia“ in einem Bericht, den sie mit Zero Waste ­Europe und Gaia publizierten: „Der Zustrom von europäischem Müll hindert Malaysia daran, dass es sein Ziel, ‚abfallfrei‘ zu werden, erreichen kann.“

In Malaysia wurde schon im Oktober 2018 ein entsprechendes Importverbot erlassen, dessen Formulierung eng an die Basler Konvention angelehnt ist. Doch bislang ist es der Regierung nicht gelungen, die illegalen Einfuhren zu stoppen. An diesem Schmuggel seien einfach zu viele Akteure beteiligt, vermutet die malaysische NGO. Schließlich würde auch das organisierte Verbrechen mitmischen, und da gäbe es genug Spezialisten, die Transport- oder Destinationsangaben perfekt fälschen könnten. Laut Zero Waste Europe würde es zudem unterwegs überall an Kontrollen mangeln.12

Anfang 2020 schickte Malaysia mindestens 4000 Tonnen illegaler Kunststoffabfälle in 20 Herkunftsländer zurück. Gleichzeitig exportierte allein Großbritannien zwischen Januar und Juli 2020 mehr als 33 000 Tonnen Müll nach Malaysia, eine Steigerung um mehr als 81 Prozent gegenüber dem Vorjahr.13

Durch die Coronapandemie hat der Verbrauch von Einwegplastik weltweit stark zugenommen, was die Abfallkrise trotz international vereinbarter Regeln noch verschlimmern könnte. Im Februar 2021 erzählte uns Mageswari Sangaralingam, dass die Aktivisten von „Freunde der Erde“ nicht wüssten, „ob diese ungetrennten, verschmutzten Plastikabfälle weiterhin aus Europa nach Malaysia kommen werden. Wir haben keinen Zugang zu den Daten der Zollbehörden. Aber ohne wirksame Kontrolle der Export- und Importländer besteht die Gefahr, dass sie weiterhin in unsere Länder gelangen.“

Vor allem anderen fordert die malaysische NGO mehr Transparenz. Die UN-Datenbank Comtrade (Commodity and Trade) dokumentiert die Zirkula­tion von Kunststoffabfällen je nach Art, Herkunftsland und Destination. Aber es wäre sinnvoll, wenn sie auch Daten über deren Eigenschaften (sauber oder nicht) und die vorgesehene Verarbeitung (oder nicht) im Importland aufnähme. Dann könnten sich die lokalen wie internationalen Behörden leichter einen Überblick über illegale Transporte sowie Fake-Recyclate verschaffen.

Der Handel mit recycelbaren Abfällen bleibt zwar weiterhin erlaubt, doch die Basler Konvention wie auch die EU-Rahmenrichtlinie über den Umgang mit Abfällen sehen vor, dass sie in dem Land recycelt werden, in dem sie auch produziert wurden, „soweit dies mit einer umweltgerechten und wirksamen Behandlung vereinbar ist“ – wovon aber in Südostasien keine Rede sein kann, ist die dortige Infrastruktur doch generell schlechter aufgestellt als die der Staaten der OECD (Organisa­tion für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Darum lautet die zweite Empfehlung des NGO-Berichts: Alle Exporte von Kunststoffabfällen aus dem OECD-Raum, und zwar unabhängig davon, ob sie recycelbar sind oder nicht, sollten verboten werden.

Zudem appellieren die „Freunde der Erde“ an die westlichen Industriestaaten, dass diese für eine bessere Umweltverträglichkeit von Verpackungen sorgen, indem sie nur noch Materialien verwenden, die sich leichter recyceln lassen. Und schließlich schlagen sie vor, von vornherein Abfälle zu reduzieren, also gar keine Einwegverpackungen mehr zu produzieren.

Bislang hat man sich in Südostasien zwar nicht gerade durch einen besonders ökologischen Umgang mit seinen eigenen Abfällen hervorgetan. Doch immerhin gab es zwei Zero-­Waste-­Initiativen: im indonesischen Bandung und in San Fernando auf den Philippinen. Und die Lokalregierung von Penang, einer Insel im Nordwesten Malaysias, hat 2014 die Verwendung von Polystyrol in Lebensmittelverpackungen verboten, was in Europa bis heute zugelassen ist. 2015 verzeichnete die Insel bereits eine Recyclingquote von 40 Prozent, und seit 2018 werden auch die Essensreste aus Gemeinschaftsverpflegungen gesammelt. Diese Anstrengungen werden jedoch durchkreuzt, wenn die reicheren Länder hier billig ihren Müll abladen können.

Kunststoff ist nicht gleich Kunststoff

Recycling gilt zwar immer noch als die ökologisch bessere Lösung statt Deponien oder Müllfeuer unter freiem Himmel, und Mülltrennung ist mittlerweile sogar ein Statussymbol. Doch das Image des Recyclings hat gelitten, als bekannt wurde, welche Schäden es in Südostasien angerichtet hat. Es zeigt sich, dass Wiederverwertung die Müllprobleme nicht löst und zudem kompliziert und teuer ist.

Die Möglichkeiten sind begrenzt, da Kunststoff nicht gleich Kunststoff ist. Die in ihr verarbeiteten Materia­lien sind auf jeder Verpackung mit einer Zahl von 1 bis 7 gekennzeichnet: 1 steht für Polyethylenterephthalat (PET), das für Wasser- und Limonadeflaschen verwendet wird; 2 für Polyethylen mit hoher Dichte (PE-HD), wie es bei Plastikflaschen für Milch, Öl oder Waschmittel zum Einsatz kommt; 5 für Polypropylen (PP), das etwa in Verpackungen für Fertiggerichte zum Mitnehmen steckt. Nur diese drei Kunststoffe können einmal recycelt werden, die anderen vier überhaupt nicht.

Die verschiedenen Kunststoffe müssen also sehr sorgfältig voneinander getrennt werden, was viele Verbraucher, Privathaushalte ebenso wie Unternehmen, überfordert. Teils aus Nachlässigkeit, aber auch aus Unwissenheit werden die Abfälle oft schlecht oder gar nicht getrennt. Im Produktionsprozess kommt dann der hohe technologische und personelle Aufwand hinzu. Es ist daher kein Wunder, dass inzwischen viele europäische PET-Hersteller über gefälschte Recyclate aus Asien klagen14 – zumal es wegen des derzeit niedrigen Ölpreises billiger ist, Neuware herzustellen als zu recyceln.

Ademe, die französische Agentur für Umwelt und Energie, hat kürzlich zugegeben, dass die Wiederaufbereitung von Plastik „an technologische und ökonomische Grenzen stößt“.15 Die Forschung schreite manchmal weniger schnell voran, als neue Materialien auf den Markt kämen. Ein solcher Fall sei zum Beispiel die neue weiße Milchflasche aus glänzendem Plastik, erklärt Flore Berlingen, die frühere Direktorin von Zero Waste France. Das Design ist vielleicht attraktiver, aber für das Recyc­ling bedeutet die neue Flasche einen Rückschritt, weil die Sortiermaschinen den Kunststoff, aus dem sie hergestellt ist, noch nicht erkennen können.16

Das französische Recyclingunternehmen Citeo beruft sich zwar auf das Prinzip der „erweiterten Produzentenverantwortung“, nach dem die Unternehmen, „die verpackte Produkte und das Papier zum Bedrucken in Umlauf bringen, den Umgang mit den Ver­packungen und dem Papier am Ende ihres Lebenszyklus finanzieren oder organisieren müssen“. Doch die Geschichte mit der glänzenden Milchflasche zeigt, dass dieser Grundsatz nicht viel nützt.

Früher waren die Hersteller für die wiederverwertbaren Verpackungen verantwortlich und mussten zum Beispiel Leergut zurücknehmen. Die Einwegverpackung hat die Industrie von dieser Verpflichtung befreit. Die Zuständigkeit liegt jetzt bei den Gemeinden. Offensichtlich ist es schwierig, die Industrie wieder in die Verantwortung zu nehmen, obwohl die Gesetzgebung in den vergangenen Jahren rasante Fortschritte gemacht hat.17

Und das musste sie auch, wenn man sich klarmacht, dass seit 1950 von den weltweit produzierten 6,3 Milliarden Tonnen Kunststoffabfall nur 9 Prozent recycelt und 12 Prozent verbrannt wurden. Der Rest sammelt sich auf Deponien oder in der Natur und endet oft in den Ozeanen.18

Die neue Abfallkrise in Südost­asien hat wieder einmal ein Schlaglicht auf die globale ökologische Ungerechtigkeit geworfen. Doch die Einstellung beginnt sich zu wandeln, sowohl in den Ländern, die den Müll aufnehmen, als auch in den Exportländern. Vielleicht wird man nun endlich auch das andere globale Problem in Angriff nehmen: die Umweltverschmutzung durch Plastik.

1 Benannt nach der Stiftung, die Richard Goldman, Chef eines US-Versicherungsunternehmens, und seine Ehefrau Rhoda gegründet haben.

2 Das chinesische Importverbot, das zum Jahreswechsel 2017/18 in Kraft trat, betrifft insgesamt 24 Müllsorten, darunter Plastikmüll, Schlacke aus der Stahlproduk­tion, Textilreste und Papier. Siehe Heike Holdinghausen, „Der Müll der anderen“, in: LMd Edition, Nr. 23, „Chinas Aufstieg“, Berlin (taz Verlag) 2018, S. 84.

3 „Discarded. Communities on the frontlines of the ­global  lastic crisis“, Gaia, Berkeley (Kalifornien), April 2019.

4 Wang Jiu-Liang, „Plastic China“, CNEX Inc., 2016.

5 „Notifizierung G/TBT/N/CHN/1211“, WTO, Genf, Juli 2017.

6 Gayatri Suroyo und Cindy Silviana, „In Indonesia, splits emerge over efforts to stem plastic tide“, Reuters, 21. Dezember 2018.

7 „Plastic waste to be sent back“, The Edge Financial Daily, Petaling Jaya (Malaysia), 29. Mai 2019.

8 „Philippines ships 69 containers of dumped rubbish back to Canada“, Al-Jazeera, 31. Mai 2019, aljazeera.com.

9 Der Vertrag wurde unter der Ägide der Vereinten Na­tio­nen 1989 unterzeichnet und trat im Mai 1992 in Kraft. Von den 53 Unterzeichnerstaaten haben ihn nur die USA und Haiti immer noch nicht ratifiziert.

10 Es handelt sich um Polyethylenterephthalat (PET), Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP).

11 Rob Picheta und Sarah Dean, „Over 180 countries – not including the US – agree to restrict global plastic waste trade“, CNN, 11. Mai 2019, edition.cnn.com.

12 „European waste trade impacts on Malaysia’s zero waste future“, Zero Waste Europe, Brüssel, Januar 2021.

13 Nicola Smith, „Britain sends more plastic waste to Southeast Asia despite clashes with local government“, The Telegraph, London, 9. Oktober 2020.

14 Siehe Michael Kläsgen, „Betrug mit Plastikflaschen“, Süddeutsche Zeitung, München, 3. Mai 2021.

15 „Déchets. Chiffres-clés“, Ademe, Angers 2020.

16 Siehe Flore Berlingen, „Recyclage. Le Grand Enfumage“, Paris (Rue de l’Échiquier) 2020.

17 Ademe listet nicht weniger als 18 französische und europäische Gesetze, Verordnungen und Aktionspläne auf, die seit 2010 beschlossen wurden. Ab 2025 soll zum Beispiel der Recyclatanteil bei in der EU hergestellten PET-Flaschen bei mindestens 25 Prozent liegen.

18 Laura Parker, „A whopping 91 % of plastic isn’t recycled“, National Geographic, Washington, D. C., 20. Dezember 2018.

Aus dem Französischen von Ursel Schäfer

Aude Vidal ist Anthropologin und Autorin von „Égologie: Écologie, individualisme et course au bonheur“, Grenoble (Le Monde à l’envers) 2017.

Le Monde diplomatique vom 13.05.2021, von Aude Vidal