11.02.2021

Vater des ewigen Feuers

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Vater des ewigen Feuers

Über Chauvinismus, Moorhuhnjagd und eine Welt in Flammen

von Arianne Shavisi

Die drei vom Öltanker, USA 1944 picture alliance/United Archives/WHA
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Auf dem Ölfeld Baba Gurgur, in der Nähe von Kirkuk, brennt es seit mehr als viertausend Jahren. Durch Risse im Gestein bahnt sich Methan aus tieferen Schichten der Erdkruste seinen Weg an die Oberfläche und nährt die Flammen. Auf Kurdisch bedeutet Baba Gurgur „Vater des ewigen Feuers“. Möglicherweise war es dieses Feuer, in das der babylonische König Nebukadnezar im Alten Testament die Israeliten Schadrach, Meschach und Abed-Nego werfen ließ, weil sie sich weigerten, einer goldenen Götterstatue zu huldigen. Die drei wurden nach der im Buch Daniel erzählten Legende durch göttliches Eingreifen vor dem Feuertod gerettet. Kurdische Frauen reisten einst von weither nach Baba Gurgur, um für die Geburt eines Sohnes zu beten.

Heutzutage sind es andere Orte, an denen feuergefährliche Rituale um das künftige Geschlecht eines ungeborenen Kindes abgehalten werden. Auf sogenannten Gender Reveal Partys, die vor allem in den USA beliebt sind, wird feierlich enthüllt, ob das erwartete Baby ein Junge oder Mädchen wird. Oft kommt dabei rosa oder blaues Feuerwerk zum Einsatz. Anfang September letzten Jahres setzte der Feuerwerkskörper einer Gender Reveal Party im kalifornischen El Dorado einen benachbarten Wald in Brand. Das Feuer brannte drei Wochen, mehr als 9000 Hektar fielen ihm zum Opfer. Ein Feuer­wehrmann kam bei den Löscharbeiten ums Leben.

Allein letztes Jahr sind in Kalifornien bei nahezu 10 000 Waldbränden 4 Prozent der Waldfläche, 16 800 Quadratkilometer, vernichtet worden. Das Ausmaß der Brände ist auf zwei Dinge zurückzuführen. Erstens den Klimawandel, denn der sorgt für eine immer längerer Brandsaison, neue Temperaturrekorde und ausgedörrte Wälder, in denen der kleinste Funken zur Katas­trophe reicht. Zweitens wird in Kalifornien seit hundert Jahren jeder Waldbrand radikal bekämpft. Die amerikanischen Ureinwohner wussten, wie wichtig es ist, das Unterholz etwa alle zehn Jahre abzubrennen, damit es keinen Zunder für größere, kaum berechenbare Brände liefert.

In den Jahresringen alter Bäume zeigen sich die Spuren dieser vorbeugenden Brände, die in regelmäßigen Abständen ihre Rinde versengten ohne die Bäume selbst zu töten. Wenn das falsche Regime der Feuerunterdrückung aufgegeben wird, werden zukünftige Dendrochronologinnen1 die Marginalisierung indigenen Wissens daran ablesen können, dass ein Jahrhundert lang die Brandnarben in den Jahresringen alter Bäume fehlen. Wenn es fortgeführt wird, gibt es vielleicht keine Bäume mehr, die diese Geschichte erzählen könnten.

Auch kältere und feuchtere Orte sind nicht vor Wald- und Buschbränden sicher. Nördlich des Polarkreises standen in letzten Sommer weite Flächen Sibiriens in Flammen.2 Statt ausgetrockneter Wälder prägen hier Torfmoore die Landschaft: Sie bildeten sich am Ende der letzten Eiszeit; riesige Mengen an Kohlenstoff sind hier in langsam verrottenden Pflanzenresten gespeichert. Die sibirische Brandsaison begann 2020 früher als üblich und dauerte länger. Von Januar bis Ende August bliesen die Brände 244 Megatonnen CO₂ in die Atmosphäre. Damit übertraf 2020 die bereits rekordverdächtigen Emissionen vom Vorjahr um 63 Megatonnen (das sind mehr als die jährlichen Emissionen von Belarus oder Marokko).

In Großbritannien verschleppt die Regierung von Boris Johnson, der eine „semisexuelle“ Liebe zur Fuchsjagd hegt,3 derzeit ihr Versprechen, das absichtliche Abbrennen von Torfmooren zu verbieten. Die Brände befördern das Wachstum neuer Heidekrauttriebe, die dem Schottischen Moorschneehuhn als Nahrung dienen. Während der Moorhuhnjagdsaison von Mitte August bis Mitte Dezember werden andere Raubtiere – Füchse, Wiesel, Hermeline und Raubvögel –, die den menschlichen Jägern Konkurrenz machen könnten, in Fallen gelockt und gefangen. Durch die vorsätzlich gelegten Brände werden Ökosysteme zerstört, die Gefahr von Waldbränden wächst und Überschwemmungen4 fallen heftiger aus, weil die Böden immer weniger Wasser aufnehmen und halten können. Die Trockenlegung und Zerstörung von Torflandschaften setzt Kohlendioxid frei. Beim Verbrennen emittiert Torf mehr Kohlenstoff als Kohle. Doch als wäre der ökologische Schaden, der in den Moorhuhnjagdgebieten angerichtet wird, nicht schon groß genug, wird diese Umweltzerstörung auch noch mit Agrarsubventionen belohnt. Britische Steuerzahler, von denen die meisten wahrscheinlich noch nie ein Moorhuhn gesehen haben, finanzieren diese ­Praxis jedes Jahr mit Millionen von Pfund.5

Die Kosten für den opulenten Lebensstil einer kleinen Minderheit tragen die anderen. Auch weltweit zeigt sich dieser Trend: Neue Untersuchungen von Oxfam und dem Stockholm Environment Institute (SEI) weisen darauf hin, dass das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung doppelt so viel CO₂-Ausstoß verursacht wie die ärmsten 50 Prozent.6 Diese wenigen überziehen rücksichtslos das globale Emis­sions­budget und ziehen alle anderen mit in die roten Zahlen.

Beim Parteitag der Tories Anfang September 2020 versprach Boris Johnson mehr Windkraft: „Weit draußen auf hoher See werden wir die Böen ernten“, prophezeite er. Aber der Energiesektor ist nicht der einzige Produzent von Treibhausgasemissionen; auch die Landnutzung einschließlich der Torfgebiete spielt dabei eine Rolle.

Dass ausgerechnet eine Gender Reveal Party die Ursache einer Brandkatastrophe gewesen sein soll, besitzt einigen Symbolwert. Die Politikwissenschaftlerin Cara Daggett hat für den Zusammenhang zwischen männlicher Identitätskrise und Klimakollaps den Begriff der petro-masculinity (Petro-Maskulinität) geprägt.7 Er bezeichnet eine Sehnsucht nach traditionellen, autoritären Machtstrukturen und ökonomischen Verhältnissen, die solche Strukturen begünstigen. Mit Rassismus, Sexismus und der Leugnung des Klimawandels setzen sich die Petro-Maskulinisten gegen den Zerfall ihrer Welt zur Wehr.

Donald Trump wiederholte in seinem Wahlkampf 2020 noch einmal den Slogan, den er im Zusammenhang mit dem Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen 2017 geprägt hatte: „Ich vertrete die Bürger von Pittsburgh, nicht die von Paris.“ Die Aussage ist natürlich vollkommener Stuss, aber im Subtext schwingt deutlich hörbar Nostalgie mit – die Sehnsucht nach den guten alten schmutzigen Industrien und ölverschmierten Händen hart arbeitender Männer.

In seinem „Brief aus dem Gefängnis von Birmingham“ lobte Martin Luther King den zivilen Ungehorsam der alttestamentarischen drei Männer im Feuer, Schadrach, Meschach und Abed-Nego, weil sie in der Überzeugung handelten, dass „ein höheres moralisches Gesetz auf dem Spiel stand“. Bevor Nebukadnezar das goldene Götzenbild anfertigte, vor dem die drei nicht niederknien wollten, träumte er von einer großen Statue, deren Kopf aus feinem Gold, deren Brust und Arme aus Silber, deren Beine aus Eisen und deren Füße teils aus Eisen, teils aus Ton sind.

Daniel deutet den Traum Nebukadnezars wie folgt: „Dass du aber die Füße und Zehen teils von Ton und teils von Eisen gesehen hast, bedeutet: Das wird ein zerteiltes Königreich sein. Und dass die Zehen an seinen Füßen teils von Eisen und teils von Ton sind, bedeutet: Zum Teil wird’s ein starkes und zum Teil ein schwaches Reich sein.“

1 Dendrochronologie ist die Wissenschaft zur Bestimmung des Alters eines Baums.

2 Alexandra Witze, „The Arctic is burning like never ­before – and that’s bad news for climate change“, Nature, 10. September 2020.

3 Boris Johnson, „The end of part of England“, The Spectator, 19. Februar 2005.

4 George Monbiot, „If we want to cut flooding we should stop burning the moorland“, The Guardian, 11. Februar 2020.

5 Abbas Panjwani, „Does the government subsidise grouse shooting?“, fullfact.org, 27. Februar 2019.

6 „The Carbon Inequality Era“, September 2020.

7 Cara Daggett, „Petro-masculinity: Fossil Fuels and Authoritarian Desire“, in: Millennium. Journal of International Studies, Nr. 47 (1), 20. Juni 2018.

Aus dem Englischen von Anna Lerch

Arianne Shahvisi ist Dozentin für Ethik an der Brighton and Sussex Medical School.

© London Review of Books; für die deutsche Übersetzung LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 11.02.2021, von Arianne Shavisi