Ausgehebelt
Weil sich in Washington Demokraten und Republikaner häufig gegenseitig blockieren, machen die Bundesstaaten ihre eigenen Gesetze
von Richard Keiser
Die halbe Welt verfolgte im vergangenen November gebannt das Rennen zwischen Joe Biden und Donald Trump. In den USA selbst jedoch war man sich im Klaren darüber, dass die Weichen für die konkrete Politik mindestens ebenso sehr durch die Wahlen zum Kongress und in den Counties sowie durch diverse Volksabstimmungen gestellt werden würden, die parallel zur Präsidentenwahl in den 50 Bundesstaaten stattfanden.
Wenn die nationalen Institutionen – das Präsidentenamt, das Repräsentantenhaus und der Senat – nicht von ein und derselben Partei kontrolliert werden, wie es seit vielen Jahren der Fall ist, ist die Bundesgesetzgebung häufig blockiert: In Fragen, in denen Demokraten und Republikaner unterschiedlicher Meinung sind, kommt kein Gesetz mehr durch. Dieses legislative Machtvakuum in Washington wurde – mit Ausnahme der Verteidigungs- und Außenpolitik – deshalb nach und nach von den Einzelstaaten gefüllt. Eine Situation, die genauere Betrachtung verdient.
In all jenen Staaten, die in Sachen Gesetzgebung besonders aktiv sind, stellt ein und dieselbe Partei den Gouverneur und verfügt über eine Mehrheit in beiden Kammern des Einzelstaats. Man bezeichnet diese Machttrias als „trifecta“. Sie existiert derzeit in 38 Bundesstaaten; die Republikaner haben sie in 23 Staaten inne, die Demokraten in 15. In den restlichen 12 Bundesstaaten besteht, wie bei der Zentralregierung in Washington, stets die Gefahr einer politischen Lähmung.
Dass es in so vielen Bundesstaaten mittlerweile eine Machttrias in Händen einer Partei gibt, ist eine neuere Entwicklung. 1992 gab es insgesamt nur 19 Trifecta-Staaten; in den übrigen 31 Staaten sahen sich Gouverneurinnen und Gouverneure einer Legislative gegenüber, die zumindest teilweise von der gegnerischen Partei kontrolliert wurde. Seither hat die Polarisierung zugenommen: Sowohl in tendenziell demokratischen wie in tendenziell republikanischen Staaten konnte die jeweils dominierende Partei ihre Macht ausbauen.
Frustriert von dem jahrzehntelangen politischen Stillstand und der Handlungsunfähigkeit Washingtons, haben die Parteien und ihre Sponsoren ihre gesetzgeberischen Ideen – und das dafür nötige Geld – zunehmend auf einzelstaatlicher Ebene eingebracht. Der 10. Zusatzartikel der US-Verfassung überträgt alle Macht, die nicht ausdrücklich an die Bundesregierung abgetreten wurde, den Einzelstaaten. Washington kann zwar die Gesetzgebung in den Bundesstaaten außer Kraft setzen, und diese dürfen keine Gesetze erlassen, die den Bundesgesetzen direkt widersprechen. Doch durch die Lähmung in Washington entstanden beträchtliche Spielräume.
Da Kongress und Präsident beispielsweise keine einheitliche Gesetzgebung zur gleichgeschlechtlichen Ehe auf den Weg bringen konnten, wurde diese in zahlreichen Bundesstaaten entweder per Gesetz verboten oder legalisiert. Ab 2009 legalisierten zwölf Staaten, darunter auch Iowa, Vermont, Maryland und New Jersey, sukzessive die sogenannte Homo-Ehe, bis schließlich am 26. Juni 2015 der Supreme Court diese Praxis mit einem für das ganze Land gültigen Urteil (Obergefell v. Hodges) bestätigte.
Der Konsum von Marihuana ist ein weiteres Politikum, zu dem Washington seit dem Controlled Substances Act (CSA) von 1970 keine Entscheidung zustande brachte. Kalifornien ebnete 1996 mit einem Gesetz zum medizinischen Gebrauch von Marihuana (Proposition 215) den Weg. Andere folgten und inzwischen ist der Gebrauch für medizinische Zwecke in 36 Bundesstaaten legalisiert. Seit 2012 haben überdies 15 Staaten auch den Konsum von Marihuana als Genussmittel für Volljährige entkriminalisiert, obwohl dieser formal gesehen aufgrund des Stillstands in Washington weiterhin illegal ist.1
Und dann ist da natürlich die Frage der Abtreibung: Obschon der Supreme Court 1973 (Roe v. Wade) Abtreibungen in den gesamten USA für legal erklärte, hat sich die Bundesregierung bei der Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus öffentlichen Mitteln quergestellt. Mehr als 15 Bundesstaaten mit republikanischen Gouverneuren und republikanisch kontrollierter Legislative (darunter Louisiana, Utah und Arkansas) haben zudem Gesetze verabschiedet, die jede finanzielle Zuwendung an die Organisation Planned Parenthood untersagen.
Planned Parenthood ist der wichtigste karitative Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen im Bereich Familienplanung für Menschen ohne Krankenversicherung in den USA. Die Organisation berät zu Themen wie Empfängnisverhütung, Schwangerschaftsabbruch und Behandlungsmöglichkeiten bei Unfruchtbarkeit.2 Auf der anderen Seite haben sieben demokratisch regierte Staaten beschlossen, die Kosten für Abtreibungen über Medicaid, die staatliche Basiskrankenversicherung für Arme, abzudecken; neun weitere Staaten wurden von ihren Gerichten ebenfalls zu dieser Maßnahme verpflichtet.3
Auch in Sachen Klimaschutz fiel die derzeitige Bundesregierung vor allem durch Untätigkeit auf, weshalb 14 Bundesstaaten selbständig strengere Richtwerte und Zielvorgaben zur Reduktion von klimaschädlichen Emissionen erlassen haben.
Die republikanischen Bestrebungen zur Schwächung der Gewerkschaften wurden in Washington durch die Demokraten immer wieder blockiert. In sechs republikanisch regierten Staaten wurden daraufhin seit dem Jahr 2000 verschiedene Gesetze verabschiedet, die den Unternehmen legale Instrumente in die Hand geben, um die gewerkschaftliche Organisationen von Angestellten in ihren Betrieben zu unterbinden.
Soll man diese Beispiele der politischen Machtausübung auf Ebene der Bundesstaaten nun als Ausdruck einer lebendigen Demokratie verstehen? Wenn man bedenkt, dass die Institutionen in Washington es häufig noch nicht mal schaffen, sich bei der jährlichen Verabschiedung des Haushalts zu einigen, könnte man geneigt sein, diese Frage lauthals zu bejahen. Aber der große Spielraum und die streng parteipolitisch ausgerichtete Machtausübung in den Einzelstaaten führen zunehmend zum Ausschluss abweichender Stimmen und zu einer Aushöhlung der repräsentativen Demokratie.
Insbesondere Staaten, die von Republikanern regiert werden, setzen sich häufig über die Wünsche der Demokraten hinweg, die meist in den jeweiligen Großstädten stark sind. Deren Bewohner sind, egal ob in demokratisch oder republikanisch dominierten Bundesstaaten, in der Regel besser gebildet, weniger religiös und weltoffener als die Bewohner ländlicher Gegenden. Sie erwarten von ihrer Stadtverwaltung, dass sie sich für Themen wie einen Mindestlohn, eine liberale Migrationspolitik, den Kampf gegen Rassismus und den Umweltschutz einsetzt.
Doch wenn der Regierung des Einzelstaats solche Regelungen nicht passen, hat sie ohne Weiteres die Möglichkeit, ihrerseits ein Gesetz zu verabschieden, das das Gesetz auf der untergeordneten städtischen Ebene außer Kraft setzt. Dieses Preemption-Prinzip gilt laut US-Verfassung für alle staatlichen Ebenen.
Es ließen sich hunderte von Beispielen anführen, in denen republikanische Staaten nach diesem Prinzip von liberalen Stadtregierungen verabschiedete Gesetze im Vorfeld oder post factum annulliert haben. Nur sehr wenige Fälle gibt es allerdings, in denen Verbote, die eine konservative Stadtregierung erlassen hatte, durch Gesetze auf Bundes- oder Staatsebene aufgehoben wurden. Einige Beispiele sind ein Beschäftigungsverbot für Menschen ohne Papiere, ein Niederlassungsverbot für Sexualstraftäter oder das Verbot des Marihuanakonsums zu medizinischen Zwecken.
2017 hebelte der Staat Arkansas eine Verordnung der Stadt Fayetteville aus, die LGBTQ-Personen (Einwohnerinnen ebenso wie Touristen) unter besonderen Schutz stellte. In North Carolina und Texas wurden Verordnungen der Städte Charlotte und Houston annulliert, die private Geschäftsleute bei der Einrichtung von Toiletten verpflichteten, trans Personen nicht zu diskriminieren.4
Der Bundesstaat Texas kassierte außerdem erfolgreich Verordnungen zum Schutz von Migranten ohne gültige Papiere, die in Städten wie Austin, Dallas, San Antonio und Houston erlassen worden waren, und verfügte darüber hinaus, dass die städtische Polizei die Kräfte der Grenzpolizei ICE bei der Durchsetzung der nationalen Einwanderungsgesetze unterstützen muss.5
Dem Beispiel von Georgia (2010) und Florida (2019) folgend, haben neun Bundesstaaten (acht davon mit republikanischer Trifecta) Gesetze verabschiedet, die es ihren Städten untersagen, sich zu „Sanctuary Cities“ (auf Deutsch „Zufluchtsstädte“) für illegale Migranten zu erklären. Acht Staaten (darunter sieben republikanisch dominierte) haben per Gesetz alle städtischen Verordnungen zur Reduktion von Plastiktüten annulliert.
2016 hob der Staat Alabama eine Verordnung der Stadt Birmingham auf, die den Mindestlohn (nach fast zehnjährigem Stillstand auf Bundesebene) von 7,25 Dollar auf 10,10 Dollar angehoben hatte. Alabama ist einer von 24 Staaten, die eine Anhebung des Mindestlohns auf lokaler Ebene gesetzlich unterbunden haben; 22 dieser Staaten werden ausschließlich von Republikanern regiert.6
Zahlreiche Staaten haben ähnliche Gesetze auf den Weg gebracht, um die Städte zum Beispiel davon abzuhalten, den Besitz von Schusswaffen zu beschränken, Steuern zu erhöhen oder Firmen wie Uber und Airbnb stärker zu regulieren (einschließlich örtlicher Gewerbeverbote). Ebenso machten sie Bestrebungen zunichte, Arbeitergeber zu einer Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und während der Elternzeit zu verpflichten oder einen öffentlichen Breitband- und Kabelanschluss anzubieten.7
In jüngster Vergangenheit haben einzelne Staaten auch Maßnahmen der Städte zur Eindämmung der Coronapandemie gekippt, etwa die Schließung von nichtessenziellen Geschäften wie Nagelstudios und Waffengeschäften oder Freizeitorten wie Golfplätzen und öffentlichen Stränden.8
An solchen Gesetzen sind meist verschiedene Firmenlobbyisten beteiligt. Sehr aktiv ist etwa das American Legislative Exchange Council (Alec), eine Vereinigung konservativer Politiker und Unternehmer, die selbst Gesetzentwürfe erarbeiten und sie lokalen Regierungen vorschlagen.
Die immer häufiger, insbesondere in republikanisch dominierten Bundesstaaten, in Anschlag gebrachte Preemption-Regel hat den Glauben vieler US-Amerikaner an die Möglichkeiten weitgehender Selbstverwaltung erschüttert. Der Mythos der lokalen Autonomie, der im Selbstbild und der Tradition der USA seinen festen Platz hat, verliert an Stärke. Dass Gerichte im Streit zwischen Städten und Bundesstaaten für die Städte Partei ergreifen, ist sehr unwahrscheinlich. So bleibt den Rathäusern, die sich einen Rest Autonomie bewahren wollen, am Ende paradoxerweise nur die Hoffnung auf das Eingreifen der Bundesregierung in Washington.
1 „Marijuana legalization and regulation“, The Drug Policy Alliance.
3 „Medicaid funding of abortion“, Guttmacher Institute, Januar 2020.
8 Alan Greenblatt, „Will state preemption leave cities more vulnerable?“, Governing, 3. April 2020.
Aus dem Englischen von Robin Cackett
Richard Keiser ist Professor für Politikwissenschaft und Amerikanistik am Carleton College in Northfield, Minnesota.