07.01.2021

Kampfgenossen und Businesspartner

zurück

Kampfgenossen und Businesspartner

von Arnaud Dubien

Der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser zu Besuch in Moskau, 31. August 1965 VASILY/picture alliance/dpa/RIA Nowosti
Audio: Artikel vorlesen lassen

Im Oktober 2019 lud Präsident Putin mehr als 40 afrikanische Staatschefs zum ersten Russland-Afrika-Gipfel in das ehemalige olympische Dorf von Sotschi ein. Putin verkündete bei dem Treffen das ehrgeizige Ziel, das russisch-afrikanische Handelsvolumen binnen fünf Jahren zu verdoppeln. Das nächste Treffen ist für 2022 in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba geplant, am Sitz der Afrikanischen Union.

Das Gipfeltreffen von Sotschi zeigte dem Westen, dass sich Russland auf dem afrikanischen Kontinent zurückmeldet. Die Region ist wieder Teil der russischen Gesamtstrategie. Begonnen hat dieser Prozess bereits vor rund 15 Jahren, obwohl sich seither die Einflusssphären verändert haben und auf gesamtafrikanischer Ebene bis heute kein einheitlicher russischer Plan erkennbar ist.

Zu Sowjetzeiten konzentrierte sich die Einflussnahme Moskaus in Afrika auf Dekolonialisierung und den Kampf gegen die Apartheid. Schon Anfang der 1920er Jahre tauchte der Kontinent in Lenins Überlegungen auf, aber erst 30 Jahre später, als die französischen und britischen Kolonialreiche zusammenbrachen, gewann Afrika für den Kreml außenpolitische Bedeutung. Nach ihrem lautstarken Eingreifen in der Suezkrise im Oktober 1956 leistete die Sowjetunion Ägypten unter Präsident Nasser massive Wirtschafts- und Militärhilfe. Außerdem verfolgte es aktiv die Fortschritte der nationalen Befreiungsbewegungen.

Das maoistische China bemängelte den fehlenden revolutionären Elan des kommunistischen Bruders und feuerte ihn an. Ab 1956 knüpfte die UdSSR enge Beziehungen zur Nationalen Befreiungsfront (FLN) in Algerien. In der russischen Militärbasis von Perewalne auf der Krim wurden Kämpfer des südafrikanischen ANC gegen die Apartheid, der Afrikanischen Volksunion von Simbabwe (Zapu) und der Mosambikanischen Befreiungsfront (Frelimo) ausgebildet.

Neben der militärischen Unterstützung setzte der Kreml auf soft power. In Moskau wurde 1961 die Universität der Völkerfreundschaft Patrice Lumumba gegründet, 20 Jahre später studierten hier 26 500 Studenten aus Asien, Lateinamerika und Afrika.1 Außerdem unterhielt Moskau sehr große Diplomatenkorps in Afrika: Während die neuen unabhängigen Staaten zwei bis drei Diplomaten in die sowjetische Hauptstadt entsandten, kamen sie aus der UdSSR zu Hunderten.

In den 1970er und 1980er Jahren wurde Afrika zu einem wichtigen, wenn auch geografisch peripheren Schauplatz des Ost-West-Konflikts. Die UdSSR versuchte in Somalia und Äthiopien Fuß zu fassen, später unterstützte sie im südlichen Afrika die Zerschlagung des portugiesischen Kolonialreichs und weiterhin den Kampf gegen die Apartheid. Besonders stark engagierte sie sich in Angola, wohin sie ab 1975 mehr als 10 000 Soldaten entsandte. Im Winter 1988 spielten sowjetische Truppen – neben kubanischen – eine entscheidende Rolle in der Schlacht bei Cuito Cuanavale, die auch Nami­bias Weg zur Unabhängigkeit von Südafrika eröffnete. Das Apartheidregime in Pretoria wurde durch diese Niederlage nachhaltig geschwächt.

Ende der 1980er Jahre beschloss der letzte Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, den Rückzug aus Afrika: eine strategische Entscheidung, um die Beziehungen mit dem Westen zu verbessern. Dieser Rückzug wurde nach dem Zerfall der UdSSR fortgesetzt: Für Jelzin und seine Getreuen war Afrika ein Synonym für wirtschaftliche Rückständigkeit und für ebenso vergebliche wie ruinöse geopolitische Abenteuer. 1992 verkündete Moskau die Schließung von 9 Botschaften, 4 Konsulaten und 13 seiner 20 Kulturzentren auf dem afrikanischen Kontinent.

Wegen fehlender Finanzierung und mangelnden Interesses der neuen Machthaber in Moskau schlossen auch die meisten russischen Pressebüros, die während des Kalten Kriegs dem sowjetischen Auslandsgeheimdienst oft als Tarnung gedient hatten. 1993 machte der Handel mit Afrika nicht einmal mehr 2 Prozent des russischen Außenhandelsvolumens aus. Innerhalb weniger Monate verschwand Russland fast vollständig aus Afrika und opferte damit jahrzehntelange wirtschaftliche und politische Investitionen. Paradoxerweise geschah das zu dem Zeitpunkt, als der Kontinent „abhob“ und zahlreiche internationale Akteure anfingen, sich in Afrika zu engagieren. Der Rückstand, den Moskau dann in den 2000er Jahren aufholen musste, wurde dadurch noch größer.

Die ersten Anzeichen eines wiedererwachenden Interesses gab es bereits 2001. Der frühere Außenminister und Ministerpräsident Primakow, inzwischen Präsident der russischen Industrie- und Handelskammer, unternahm eine Reise durch Angola, Namibia, Tansania und Südafrika. Weitere fünf Jahre vergingen bis zum ersten konkreten Vorstoß. Im März 2006 besuchte Putin Algerien und bot an, als Gegenleistung für Waffenkäufe in Höhe von 6 Mil­liar­den Dollar dem Land 4,7 Milliarden Dollar Schulden zu erlassen. Moskau wollte seine Netzwerke aus Zeiten des Kalten Kriegs reaktivieren und frühere ideologische Gemeinsamkeiten in Geschäftsbeziehungen umwandeln.

Wachsendes Publikum für Russia Today

Ähnlich verfuhr man auch mit Libyen, einem anderen früheren Kunden der UdSSR. Im Frühjahr 2008 traf Präsident Putin mit Gaddafi zusammen. Russland strich 4,6 Milliarden Dollar libyscher Schulden aus Sowjetzeiten. Dafür verpflichtete sich Libyen, für 3 Milliarden Dollar Militärausrüstungen zu kaufen, vor allem Kampfflugzeuge, Panzer und Luftabwehrsysteme. Auch ein Vertrag über die Beteiligung der Russischen Eisenbahn am Bau einer Strecke zwischen Sirte und Bengasi wurde unterzeichnet. Der Gegenbesuch Gaddafis im Oktober 2008, der erste seit 1985, offenbarte jedoch die Schwierigkeiten einer Annäherung mit dem wenig zuverlässigen libyschen Herrscher.

In dieser ersten Phase des erneuten russischen Engagements in Afrika investierten auch private Unternehmen kräftig. Rusal, der weltgrößte Aluminiumproduzent, ließ sich in Guinea nieder. Nach Putins Besuch in Pretoria im September 2006 kaufte der vom Oligarchen Roman Abramowitsch kontrollierte Konzern Evraz den südafrikanischen Stahlproduzenten Highveld Steel and Vanadium Ltd., außerdem übernahm Viktor Wekselbergs Renova-Gruppe 49 Prozent der Firmenanteile des Bergbauunternehmens United Manganese of Kalahari.

Ein großer Anteil russischer Investitionen in Afrika fließt in den Bergbau. Er erhöhte sich noch einmal, als ARMZ, eine Tochtergesellschaft des Atomkonzerns Rosatom, 2010 eine große Uranlagerstätte in Tansania erwarb. Alrosa, russischer Champion in der Diamantenproduktion, investierte zunächst in Angola, später auch in Simbabwe.

Anfang der 2010er Jahre begann Russland seine Afrikapolitik zu institutionalisieren. Im März 2011 ernannte der derzeitige Präsident Medwedjew einen Sonderbeauftragten für Afrika. Seine Wahl fiel auf Michail Margelow, zuvor Präsident der Kommission für internationale Angelegenheiten des Födera­tions­rats (Oberhaus des Parlaments). Zu Sowjetzeiten hatte er unter anderem als Arabischlehrer an der Hochschule des KGB gearbeitet. Margelow behielt das Amt bis Oktober 2014. Im Dezember 2011 organisierte er das erste russisch-afrikanische Wirtschaftsforum und ordnete die Afrikapolitik Moskaus neu.

Doch 2011 lieferte die Afrikapolitik auch den Anlass für den einzigen bekannt gewordenen Streit zwischen Präsident Medwedjew und Ministerpräsident Putin während ihrer vierjährigen Amtsrochade (2008–2012). Putin warf Medwedjew vor, bei der Abstimmung über eine westliche Militärinterven­tion gegen Gaddafi kein Veto eingelegt zu haben (auf Veranlassung von Sarkozy), und warnte vor einem Regimewechsel in Tripolis. Diese im Westen kaum bekannte Episode markierte eine Wende in Moskau. Nach seiner Rückkehr in den Kreml machte Putin die Kritik an der westlichen Einmischung zum zentralen Element seiner Außenpolitik. Der libysche Präzedenzfall und der Arabische Frühling dienten dabei als Beispiele.

Traditionell unterscheidet Russland zwischen Subsahara-Afrika und dem arabischsprachigen Norden des Kontinents, der bei diplomatischen und wirtschaftlichen Bemühungen immer Vorrang hatte. Diese Tendenz verstärkte sich 2013 im Hinblick auf Ägypten und Marokko. Nach dem Staatsstreich von General al-Sisi in Ägypten kam es über Waffenverkäufe und militärische Zusammenarbeit zur Annäherung. Zwischen 2013 und 2017 erhielt Ägypten 46 MiG-29M-Jets, die Boden-Luft-Lenkwaffensysteme Buk-M1-2 und S-300VM sowie 46 Ka-52-Kampfhubschrauber.

Diese Hubschrauber waren ursprünglich für die französischen Helikopterträger Mistral bestimmt, die Frankreich an Russland verkaufen wollte. Wegen der Militärsanktionen des Westens gegen Russland landeten die Schiffe 2015 in Ägypten. Kairo kaufte auch Suchoi-35-Jagdbomber, obwohl die USA mit Repressionen drohten. Im Oktober 2020 hielten die russische und die ägyptische Kriegsmarine Übungen im Schwarzen Meer ab. Die Luftstreitkräfte führen schon seit Jahren gemeinsame Manöver durch.

Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern stieg zwischen 2011 und 2018 von 2,8 Milliarden auf fast 8 Milliarden Dollar. Besonders die russischen Getreidelieferungen an Ägypten, den weltgrößten Getreideimporteur, nahmen zu. Im Wirtschaftsjahr 2017/18 kamen 85 Prozent der ägyptischen Weizenimporte aus Russland. Auf Grundlage eines 2015 unterzeichneten Vertrags baut Rosatom in El Dabaa, westlich von Alexandria, das erste Atomkraftwerk des Landes. Der auf 25 Milliarden Dollar geschätzte Bau soll 2029 fertig sein. Er wird zu 85 Prozent mit einem Kredit des russischen Staats finanziert.

Auch mit Marokko hat Russland seine – zuvor eher schwachen – Beziehungen ausgebaut. Im März 2016 wurde König Mohammed VI., 14 Jahre nach seinem ersten Moskaubesuch, zusammen mit zehn seiner Minister im Kreml empfangen. Marokko gehört zu den größten Profiteuren der Gegensanktionen, die Russland im August 2014 über europäische Agrarprodukte verhängte. Nach der Eröffnung einer direkten Fluglinie hoffte man auch auf russische Touristen. Bis zum Ausbruch der Coronapandemie war Casablanca eine der wenigen afrikanischen Städte, die direkt von Moskau angeflogen wurden. Das bilaterale Handelsvolumen erreichte 2018 beachtliche 1,47 Mil­liar­den Dollar.

In jüngster Zeit ist auch die Sicherheit ein wichtiges Element in den russisch-marokkanischen Beziehungen geworden. Im Dezember 2016 erwiderte der Sekretär des Sicherheitsrats der Russischen Föderation, Nikolai Pa­tru­schew, den Moskaubesuch des marokkanischen Geheimdienstchefs Abdellatif Hammouchi vom April desselben Jahres. Die in der Öffentlichkeit kaum erwähnten Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Westsahara hinderten Russland und Marokko also nicht daran, pragmatische und ehrgeizige Beziehungen auf fast allen Gebieten zu entwickeln.

Der Sicherheitsaspekt spielt in der russischen Afrikapolitik seit 2014 auch insgesamt eine entscheidende Rolle. In den letzten fünf Jahren unterzeichnete Russland Verträge mit knapp zwei Dutzend Staaten, zuletzt mit Mali (Juni 2019), Kongo (Mai 2019) und Madagaskar (Oktober 2018). Darin werden die Ausbildung von Offizieren in Moskau, die Lieferung neuer Militärausrüstungen und/oder die Wartung von bereits vorhandenem Material, gemeinsame Manöver und der Kampf gegen Terrorismus und Piraterie festgelegt. Die Vereinbarungen variieren je nach Land und der jeweiligen Situation.

Die Eröffnung ständiger Militärbasen steht bisher nicht auf der Tagesordnung. Doch Mitte November 2020 kündigte Moskau die Vorbereitung eines bilateralen Abkommens mit dem Sudan über die Eröffnung eines Logistik- und Reparaturstützpunkts am Roten Meer an. Dieser Schritt deutet darauf hin, dass Moskau Möglichkeiten sucht, um sein Engagement im Nahen Osten – im syrischen Tartus betreibt Moskau bereits eine Marinebasis – auch auf Afrika auszudehnen.2

Bei der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste tut sich neben Vertretern des Verteidigungsministeriums vor allem der Sekretär des Sicherheitsrats (und des ehemaligen Geheimdienstchefs) Nikolai Patruschew hervor. Durch seine Vermittlung sind die russischen Geheimdienste offiziell mit den afrikanischen im Kontakt, zum Beispiel am Rande einer jährlichen Konferenz über Sicherheitsfragen, zu der Patruschew Vertreter von Nachrichtendiensten aus der ganzen Welt einlädt. Bei der letzten Konferenz, die im Mai 2019 in Ufa am Fuße des Urals stattfand, gab es Gespräche mit dem namibischen Geheimdienstchef Malima sowie Vertretern aus Burundi, Tunesien, Uganda, Ägypten und Kongo.3 Cybersicherheit und der Kampf gegen die „Farbrevolutionen“ – eine große Sorge vieler afrikanischer Staatschefs – gehören dabei zu den wiederkehrenden Themen.

Der Antiterrorkampf und die Aufstandsbekämpfung sind ein relativ neues Thema dieser Sicherheitszusammenarbeit. Die Partnerschaft zwischen Russland und Nigeria zielt gegenwärtig vor allem auf die Bekämpfung der dschihadistischen Gruppe Boko Haram. So wurden nigerianische Militärs zur Ausbildung nach Russland geschickt. Die russische Agentur für Waffenverkäufe lieferte 2016 und 2018 ein Dutzend Kampfhubschrauber der Klasse Mi-35M. Gerüchte, die über den Verkauf von Su30-Jagdbombern zirkulierten, haben sich bislang allerdings nicht bestätigt. Im Mai 2017 führte der russische Verteidigungsminister Schoigu in Moskau lange Gespräche mit seinem nigerianischen Amtskollegen Mansur Dan Ali.

In Libyen, der Zentralafrikanischen Republik, Mosambik und Sudan wiederum beauftragte der russische Staat – der weder reguläre Truppen noch Spezialkräfte einsetzen wollte – private Militärdienstleister mit der Aufstandsbekämpfung. Die privaten „Militärberater“, die in der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui die Regierung unterstützen (aber nicht kämpfen), beunruhigen die EU und die ehemalige Kolonialmacht Frankreich sehr. Um die Wahlen am 27. Dezember zu sichern, entsandte Moskau auf Bitte der Regierung in Bangui 300 Soldaten und schweres militärisches Gerät.

Im Sudan sollen Ende 2018 russische Söldner die örtlichen Sicherheitskräfte bei der Unterdrückung des Aufstands gegen Präsident al-Bashir unterstützt haben. Im April 2019 wurde al-Bashir dennoch hinweggefegt.4 Und in Mosambik, dessen Präsident Fi­lipe Nyu­si im Herbst 2019 gleich zweimal in Moskau war, bekämpften russische Söldner islamistische Gruppen in der Provinz Cabo Delgado. Der Region kommt in den ehrgeizigen Plänen der Regierung zur Ausbeutung von Gasvorkommen eine Schlüsselstellung zu.5

Auf all diesen Schauplätzen ist die russische Bilanz bisher eher negativ. Die Söldner der Gruppe Wagner, die den libyschen Marschall Chalifa Haf­tar unterstützen,6 konnten dessen Niederlage im Kampf um Tripolis nicht verhindern. In Mosambik erlitten sie empfindliche Verluste und sollen sich wenige Wochen nach Beginn ihres Einsatzes aus den Kampfgebieten zurückgezogen haben. Und ihre mutmaßliche Rolle im Sudan wäre Moskau nach dem Regimewechsel im Oktober 2019 beinahe teuer zu stehen gekommen.

Möglicherweise hat sich der Kreml auch deshalb in der Zentralafrikanischen Republik für eine offizielle Sicherheitszusammenarbeit entschieden und in Bangui ein Büro des Verteidigungsministeriums eröffnet. Längerfristig könnte Moskau wieder verstärkt auf staatliche Unterstützung setzen und weniger auf private Militärunternehmen.

Russlands größter Erfolg besteht aber letzten Endes darin, dass die afrikanischen Staaten es wieder als wichtigen Akteur wahrnehmen: einer, der ihnen wirtschaftliche Zusammenarbeit anbietet und möglicherweise zu ihrer inneren und äußeren Sicherheit beiträgt. Zudem steht Russland für eine Art „dritten Weg“ zwischen den westlichen Staaten mit ihrer oft lästigen Einmischung in Menschenrechtsfragen und den Chinesen, aus deren Umklammerung sich viele Staaten in der Region gern etwas lösen würden.

Aus Moskauer Sicht wiederum stellt sich Afrika auch als Stimmreservoir bei der UN-Vollversammlung dar, etwa bei kritischen Themen wie dem Donbass oder der Krim. Sudan und Simbabwe stimmten gegen die Resolution vom März 2014, die die Annexion der Krim verurteilte, andere Staaten wie Alge­rien, Südafrika, Mali, Ruanda und Senegal enthielten sich. Das ging weit über das übliche Dutzend Staaten hinaus, die traditionell gegen westliche Resolutionen stimmen. Deshalb fiel die diplomatische Isolation Russlands, die die USA und ihre europäischen Verbündeten angestrebt hatten, am Ende weniger hart aus als geplant.

Auch ökonomisch ist Russland in Afrika keine kleine Größe mehr. 2018 überstieg das Handelsvolumen die Schwelle von 20 Milliarden Dollar. Damit liegt es zwar weit unter dem von China (204 Milliarden Dollar) oder Frankreich (51,3 Milliarden Euro), ist aber immerhin mit dem Brasiliens oder der Türkei vergleichbar.

Zudem versucht Russland die Handelsstruktur zu diversifizieren und konzentriert sich dabei auf den Hochtechnologiesektor. 2017 startete in Baikonur der erste angolanische Satellit, ein tunesischer folgte 2020. Bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie hat Rosatom zahlreiche Verträge mit Erstnutzern über die Errichtung von Kraftwerken geschlossen, zum Beispiel in Sambia, Sudan und Ruanda. Der Kontakt zu Ruanda hat sich seit dem Moskaubesuch von Präsident Kagame im Juni 2018 intensiviert. Kaspersky Lab, ein russisches Unternehmen für Sicherheitssoftware, hat im Mai 2019 eine Vertretung in Kigali eröffnet, um von dort aus seine Präsenz in Ostafrika auszubauen.

Russland zielt zwar immer unverhohlener auf hard power, bemüht sich aber weiterhin um langfristige gesellschaftliche Einflussnahme. Staatsmedien wie Russia Today und Sputnik, die auf Französisch, Englisch und Portugiesisch senden, finden in vielen Ländern eine wachsendes Publikum. Die Sendungen unterstreichen, dass Russland keine koloniale Vergangenheit auf dem Kontinent hat und die UdSSR stets den antiimperialistischen Kampf unterstützte. Die zuweilen antifranzösischen Untertöne stoßen zum Beispiel in Mali auf ein gewisses Echo.

Auch im Gesundheitssektor ist Russland sehr aktiv. Vor einigen Jahren haben das russische Gesundheitsministerium und Rusal in Guinea eine Ebola-Impfkampagne durchgeführt. Erst kürzlich hat Südafrika das russische Medikament Avifavir zur Behandlung von Covid-19 bestellt.7

Ein anderer Pfeiler der russischen soft power ist die Hochschulbildung. 2013 studierten etwa 8000 Afrikaner an russischen Universitäten.8 Der neue Direktor der Agentur für Zusammenarbeit, Jewgeni Primakow, ein Enkel des früheren Regierungschefs, möchte die Quote von derzeit 1800 Gratisstudienplätzen für afrikanische Studierende erhöhen. In Partnerschaft mit russischen Unternehmen, die in Afrika aktiv sind, will er ein Stipendiensystem aufbauen.9 Bisher ist Russland als Studienort weniger begehrt als Europa und die USA, aus klimatischen Gründen, aber auch wegen der rassistischen Übergriffe, die sich in den letzten Jahren dort gehäuft haben.

Die große Rückkehr Russlands auf den afrikanischen Kontinent ist jedoch keineswegs ein Triumphzug. Einige Ankündigungen wurden nie umgesetzt. So gab der Staatskonzern Rostec 2017 den Bau einer Raffinerie in Uganda auf und schwächte damit die russischen Wirtschaftsperspektiven in Ostafrika. Andere Projekte wie die Gasgewinnung im Meer vor Mosambik – durch Rosneft – treten auf der Stelle.

Das zivile Atomprogramm Südafrikas, in das Rosatom große Hoffnungen gesetzt hatte, wurde auf Eis gelegt. Der erzwungene Rücktritt von Jacob Zuma, der einst als Chef des ANC-Geheimdienstes im Kampf gegen das Apart­heid­re­gime enge Kontakte zum KGB unterhalten hatte, offenbart die Brüchigkeit der russischen Beziehungen in Afrika. Ähnliches drohte auch nach dem Sturz des sudanesischen Präsidenten al-Bashir und dem Rücktritt des algerischen Staatschefs Bouteflika. Doch hier konnten sich die Russen auf viele Offiziere in der Armee und den Sicherheitsdiensten stützen, die zu Sowjetzeiten an russischen Militär- und Geheimdienstakademien ausgebildet worden waren.

Russland nutzt in seiner Afrikapolitik eher aktuell sich bietende Gelegenheiten, als dass es eine große Strategie für den gesamten Kontinent verfolgen würde. Immer wieder kommt es zu Problemen bei der Koordinierung zwischen den verschiedenen Akteuren der russischen Politik. Verteidigungsminister Schoigu und Sicherheitsratssekretär Patruschew haben genug politisches Gewicht, um sich nicht grundsätzlich mit dem stellvertretenden Außenminister und neuen „Mister Afrika“, Michail Bogdanow, abstimmen zu müssen. Auch die Zusammenarbeit zwischen privaten russischen Militärdienstleistern und Militärgeheimdiensten funk­tio­niert nicht überall reibungslos. In der Zentralafrikanischen Republik und in Libyen arbeiten sie offensichtlich Hand in Hand, im Sudan ist ihr Verhältnis angespannt.

Künftig dürfte der strategische Einfluss Russlands in Afrika nur noch wenig zunehmen. Der Aufholeffekt nach dem Rückzug in den 1990er Jahre erschöpft sich allmählich und aus Moskauer Sicht ist und bleibt der afrikanische Kontinent ein Nebenschauplatz. Auf der Liste der regionalen Prioritäten des im November 2016 von Präsident Putin gebilligten außenpolitischen Konzept steht er an letzter Stelle. Das Gipfeltreffen in Sotschi hat zwar etwas bewegt und auf höchster Ebene Anstöße gegeben. Doch nun, da erste Zweifel auftauchen und die weltweite Wirtschaftskrise die verfügbaren Ressourcen vermindern wird, kommt es darauf an, ob die Befürworter intensiver russisch-afrikanischer Beziehungen den Kreml vom Nutzen dieser langfristigen Investition werden überzeugen können.

1 Joseph L. Nogee und Robert. H. Donaldson, „Soviet Foreign Policy Since World War II“, New York (Pergamon Press) 1981.

2 Vgl. Pascal Airault, „Bataille navale: Vladimir Poutine installe sa marine à Port-Soudan“ (Interview mit Igor Delanoë), L’Opinion, 23. November 2020.

3 Kommersant, Moskau, 20. Juni 2019 (auf Russisch).

4 „Russian military firm working with Sudan security service: sources“, Sudan Tribune, 8. Januar 2019.

5 Tristan Coloma, „La stratégie économico-sécuritaire russe au Mozambique“, Notes de l’Ifri, Mai 2020.

6 Siehe Akram Kharief, „Kriegshunde aus aller Welt“, LMd, September 2020.

7 „Russia’s coronavirus drug to be sold in 23 countries“, The Moscow Times, 24. September 2020.

8 Alexandra Arkhangelskaya und Vladimir Shubin, „Rus­sia’s Africa Policy“, Occasional Paper, Nr. 157, South African Institute of International Affairs, Johannesburg, September 2013.

9 Kommersant, 9. September 2020 (auf Russisch).

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Arnaud Dubien ist Leiter des französisch-russischen Beobachtungsdienstes in Moskau.

Le Monde diplomatique vom 07.01.2021, von Arnaud Dubien