10.12.2020

Der Leuchtturm soll schweigen

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Der Leuchtturm soll schweigen

Die investigative Internetzeitung „El Faro“ in El Salvador steht im Fadenkreuz von Präsident Bukele

von Toni Keppeler und Cecibel Romero

Präsident und Geschichtenerzähler: Nayib Bukele MOISES CASTILLO/picture alliance/ap
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Nayib Bukele erzählt gern Geschichten. Manchmal stimmen sie, meist aber stimmen sie nicht. Und weil der 39-jährige Werbefachmann seit dem 1. Juni 2019 Präsident von El Salvador ist, erzählt er am liebsten von sich selbst und davon, wie erfolgreich er das kleine zentralamerikanische Land regiert.

Nayib Bukele ist selbstverliebt. Er trägt seinen schwarzen Vollbart stets akkurat gestutzt, legt das schwarze Haar mit viel Gel nach hinten, und auch wenn er leger gekleidet ist, sieht man sofort, dass sein Outfit teuer war. Wenn solche selbstverliebten Menschen erzählen, neigen sie dazu, nur sich selbst zu hören, und so ist das auch bei Nayib Bukele. Seine Erzählung soll die einzig gültige sein. Andere Darstellungen verbietet er zwar nicht, aber er greift deren Erzähler an, mit rechtsstaatlich fragwürdigen Mitteln und bisweilen mit frei erfundenen Behauptungen.

Sein zähester Gegner im Kampf um die Deutungshoheit in El Salvador ist seit über einem Jahr El Faro (Der Leuchtturm). Elfaro.net existiert seit 22 Jahren und ist Lateinamerikas älteste Onlinezeitung. Sie wurde international mit Preisen und Lob überhäuft, die Regierungen El Salvadors aber mochten sie nie. Das liegt daran, dass El Faro sich in ausführlichen und gut dokumentierten Reportagen und Recherchen die Themen vornimmt, die das Leben im Land bestimmen: illegale Migration in den Norden, Bandengewalt, Drogenhandel und Korruption.

Eine Geschichte über Geld war die erste, die den Zorn des Präsidenten erregte. Am 4. September 2019 – er war gerade drei Monate im Amt – titelte El Faro: „Bukele hat bereits 2 Millionen aus der geheimen Schatulle des Präsidenten ausgegeben.“ 2 Millionen in US-Dollar, denn die sind seit 2001 offizielle Währung in El Salvador. Die „geheime Schatulle des Präsidenten“ ist ein Haushaltsposten, über den der Staatschef keinerlei Rechenschaft ablegen muss. Gemeinhin wird daraus Geld für die Geheimdienste entnommen, aber auch, um bei schwierigen Verhandlungen die andere Seite zum Nachgeben zu überreden. Und natürlich lädt so eine schwarze Kasse auch zur privaten Bereicherung ein. Wofür Bukele die 2 Millionen ausgegeben hatte, wussten die Journalistinnen von El Faro nicht. Sie wussten nur: Das Geld war weg.

Als zwei Vertreter der Zeitung zwei Tage später zur Pressekonferenz des Präsidenten kamen, wurde ihnen vom Sicherheitsdienst sehr unfreundlich die Tür gewiesen. Selbst die rechte Tageszeitung El Diario de Hoy brachte diesen ungewöhnlichen Eingriff in die Informationsfreiheit auf der Titelseite. Bukele stornierte daraufhin die staatliche Werbung im Diario und zog die Aufträge für die Druckerei des zugehörigen Verlags zurück. Der Konflikt mit El Faro spitzt sich seither immer mehr zu.

El Faro-Bericht über die Präsidentenschatulle

Das Verhältnis war nicht von Anfang an schlecht. Bukele, Spross einer steinreichen Familie, hatte die meiste Zeit des Bürgerkriegs (1980–1992) als Kind in den sicheren USA verbracht. Schon mit 18 Jahren wurde er Eigentümer der Vertriebsfirma Yamaha Motors El Salvador für Motorräder und andere Maschinen des japanischen Herstellers. Später baute er noch eine Werbeagentur auf.

2012 ging er in die Politik und wurde zum Bürgermeister von Nuevo Cuscatlán gewählt, einem Kleinstädtchen südlich der Hauptstadt San Salvador. Er trat damals für die zur Partei gewandelte ehemalige linke Guerilla FMLN an. Nicht etwa weil er sich ihr politisch verbunden gefühlt hätte, sondern weil die FMLN damals in El Salvador regierte – mit ihr rechnete sich Bukele die besten Karrierechancen aus. Auch den ehemaligen Guerilleros war seine Kandidatur recht, denn der Partei ist es bis heute nicht gelungen, ihre alten Comandantes aus dem Bürgerkrieg durch eine neue Generation zu ersetzen. Mit dem smarten jungen Bukele hoffte man neue Wähler zu gewinnen.

Das Kalkül ging auf. 2015 schaffte Bukele als Kandidat der FMLN den Sprung aus der Kleinstadt ins Rathaus von San Salvador. Von Tag eins als Hauptstadtbürgermeister an bereitete er sich auf die Präsidentschaftswahl von 2019 vor und zerstritt sich darüber mehr und mehr mit seiner Partei. Er ging auf Abstand zu ihr, da er glaubte, als unabhängiger Kandidat größere Chancen zu haben als mit der nach zwei Regierungsperioden ausgelaugten FMLN, womit er wohl recht hatte. Er trieb es so weit, dass er schließlich aus der Partei ausgeschlossen wurde. Mit El Faro verstand er sich damals gut, trat sogar äußerst gut gelaunt bei einer von der Zeitung veranstalteten Podiumsdiskussion auf. Sie kritisierte an der FMLN-Regierung, was es zu kritisieren gab, und das kam Bukele entgegen.

Unter anderem deckte El Faro auf, dass es 2012 geheime Verhandlungen zwischen der FMLN-Regierung und den sogenannten Maras1 gegeben hatte. Diese Banden (mit rund 60 000 Mitgliedern) liefern sich blutige Schlachten um Einflussgebiete, kontrollieren den lokalen Drogenhandel und erpressen flächendeckend Schutzgelder. Wer nicht zahlt, wird ermordet. Mehr als zehn Tötungsdelikte pro Tag sind in El Salvador seit Jahren die Regel.

Der damalige Deal: Die in einem Hochsicherheitsgefängnis einsitzenden Bandenchefs bekommen erhebliche Haft­er­leich­te­run­gen, wenn sie im Gegenzug dafür sorgen, dass die Zahl der Morde deutlich sinkt. Heute ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen dieses Abkommens mit dem organisierten Verbrechen gegen den damaligen Präsidenten Mauricio Funes und seinen Chefunterhändler.

Wahrscheinlich ahnte Bukele, dass El Faro ihn als Präsidenten genauso im Auge haben würden wie die linken FMLN-Regierungen und deren rechte Vorgänger. Mit dem Bericht über die verschwunden 2 Millionen vom 4. September 2019 hatte er die Bestätigung. Doch er war vorbereitet. Schon seinen Wahlkampf hatte er fast ausschließlich im Internet geführt und dafür von seiner Werbeagentur ein Netzwerk von Trollen und Bots aufbauen lassen, die seine Nachrichten über die sozialen Medien verbreiteten.

Die Webseiten der beiden großen Tageszeitungen ließ er täuschend echt nachbauen; dort ließ er sich loben und diffamierte seine Gegner mit ­Fake News. Das war zum Teil recht unterhaltsam. Legal war es nicht. Sofía Medina, seine damalige Pressesprecherin, wurde deshalb sogar für ein paar Wochen inhaftiert. Heute ist sie Staatssekretärin für Kommunikation.

Bukeles Verlautbarungen werden längst nicht mehr nur über unzählige Konten bei Facebook, Twitter, Instagram und Tiktok verbreitet. Er hat eine eigene gedruckte Zeitung gegründet und betreibt eine Nachrichtensendung im Staatsfernsehen, die seine alternativen Fakten präsentieren. Seine Regierung verwaltet zudem Medien der früheren Präsidenten Mauricio Funes und Antonio Saca. Diese wurden beschlagnahmt, nachdem Saca wegen Korruption zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war und Funes sich einem ähnlichen Urteil durch die Flucht nach Nicaragua entzogen hatte.

Zu diesen Medien gehören der Fernsehsender Orbita TV, der beliebte Rundfunksender Radio 102nueve und die Internetzeitung La Página. Dazu kommen noch die privaten Radio- und Fernsehstationen, deren Besitzer dem Präsidenten zu Füßen liegen und deren journalistische Arbeit bestenfalls als unkritisch bezeichnet werden kann. Bukeles Minister geben nur diesen Medien Interviews. Wenn sich der Präsident selbst ans Volk wenden will, nutzt er die Institution der sogenannten cadena nacional: Diese präsidialen Ansprachen müssen von allen Fernsehstationen übertragen werden.

El Faro und die kleinere regierungskritische Internetzeitschrift Factum trotzen dieser Medienmacht mit ihren Recherchen. Während der coronabedingten Ausgangssperre veröffentlichten sie Geschichten über tausende willkürliche Verhaftungen. Die Inhaftierten wurden zum Teil über Wochen in dafür nicht eingerichteten Qua­ran­täne­zentren festgehalten, ihre Autos beschlagnahmt. Das Verfassungsgericht verbot dieses Vorgehen zwar, der Präsidenten aber ignorierte das Urteil.

Bukeles Pakt mit den Banden

Es erschien außerdem eine ganze Reihe von Artikeln, in denen Mitgliedern seiner Regierung nachgewiesen wurde, dass sie sich bei der Beschaffung von medizinischer Ausstattung zur Bekämpfung der Coronapandemie bereichert hatten. Und schließlich, am 3. September, machte El Faro Geheimverhandlungen zwischen der Regierung und den Maras öffentlich: Den Banden wurden die von ihnen kon­trol­lier­ten Stadtteile überlassen, wo sie die Ausgangssperre mit Baseballschlägern durchsetzten. Für ihre inhaftierten Chefs gab es Haft­erleich­terungen. Im Gegenzug sank die Zahl der Morde auf rund die Hälfte.2

Die Methoden zur Unterbindung solcher Nachrichten werden immer härter. Der salvadorianische Journalistenverband Apes hat seit dem Amtsantritt Bukeles mehr als 60 Angriffe auf Pressevertreter registriert, von verleumderischen Shitstorms bis hin zu zwei mysteriösen Einbrüchen in Privatwohnungen, bei denen Computer mit Recherchematerial gestohlen wurden.

In einer Artikelserie behauptete die von der Regierung kontrollierte Zeitung La Página Anfang Juli – ohne Nennung eines Autors oder einer Quelle –, eine Mitarbeiterin von El Faro sei bei einem internen Redaktionstreffen sexuell belästigt worden. Obwohl die betreffende Frau über ihre Anwälte versichern ließ, die Geschichte sei frei erfunden, eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren. Einziger Beweis: die Artikel aus La Página.

Inzwischen wird El Faro von Steuerprüfern heimgesucht, und Bukele verlautbarte über seine diversen Kanäle, gegen die Internetzeitung werde „wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche“ ermittelt. Chefredakteur José ­Luis Sanz nimmt das gelassen: „Wir haben keinerlei Nachricht von der Finanzverwaltung über eventuelle Unregelmäßigkeiten in unserer Buchhaltung, und es gibt unseres Wissens auch keine Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche.“ Er ist solche Schikanen gewohnt. „Unter der FMLN-Regierung hatten wir 2018 drei Überprüfungen auf einmal“, erzählt er, „eine von der Finanz-, eine von der Wirtschafts- und eine von der Arbeitsbehörde. Wie haben alle drei überstanden.“

Mehr als 500 lateinamerikanische Journalistinnen, Amnesty International und Human Rights Watch, das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte und der Interamerikanische Presseverband haben beim Präsidenten von El Salvador gegen dieses Vorgehen protestiert.

Sogar einige – demokratische wie republikanische – Abgeordnete des US-Kongresses um den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses Eliot L. Engel schrieben am 10. September einen Brief an Nayib Bukele: „Der erstklassige Journalismus von El Faro ist nicht nur in El Salvador, sondern auch international sehr angesehen“, heißt es darin. „Seine Glaubwürdigkeit wurde durch anonyme Beiträge in Medien angegriffen, die von Ihrer Regierung verwaltet werden. Darüber hinaus sind wir außerordentlich besorgt über die aggressive Steuerprüfung, die Ihr Finanzministerium bei El Faro vornimmt und die uns als Einschüchterungsversuch erscheint.“3

Der Präsident antwortete am 26. September über Twitter: „Bedeutet das etwa, dass jeder Geldwäscher, jeder Drogenhändler und jeder Steuerhinterzieher nur eine Zeitung aufmachen muss, und schon kann niemand mehr gegen ihn ermitteln?“ Seine Schlacht gegen El Faro ist noch lange nicht vorbei. Bukele bleiben noch dreieinhalb Jahre im Amt.

1 Siehe Cecibel Romero, „Friedensverhandlungen mit Verbrechern“, taz, 30. März 2012.

2 Carlos Martínez und andere, „Gobierno de Bukele lleva un año negociando con la MS-13 reducción de homi­cidios y apoyo electoral“, El Faro, 3. September 2020.

3 Roxana Lazo, „Legisladores EUA a Bukele:,Nos alarman los ataques contra El Faro y medios independientes‘ “, El Faro, 10. September 2020.

Cecibel Romero (El Salvador) und Toni Keppeler betreiben gemeinsam ein Journalistenbüro mit Arbeitsschwerpunkt Lateinamerika (www.latinomedia.de).

© LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 10.12.2020, von Toni Keppeler und Cecibel Romero