Sammlerinnen und Jägerinnen
Seit dem 19. Jahrhundert streitet die Forschung über die Rolle der Frauen in der Steinzeit
von Marylène Patou-Mathis
Es gibt keinerlei archäologische Beweise für die Behauptung, Frauen hätten im Paläolithikum eine niedrigere soziale Stellung gehabt als Männer. Die Fülle weiblicher Darstellungen spricht im Gegenteil eher dafür, dass sie kultisch verehrt wurden1 und die altsteinzeitlichen Gesellschaften entweder matrilinear organisiert waren, also nur die mütterliche Verwandtschaftslinie zählte, oder sogar matriarchalisch.
Nur weil seit der Antike in den meisten Kulturen die Männer den Frauen an wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Macht überlegen waren, folgerten zahlreiche Autoren, dass es in den Anfängen der Menschheit genauso gewesen sei. Und sie widersprachen der These, die im 19. Jahrhundert aufkam, dass es vor dem Patriarchat ein Matriarchat gegeben habe. Dieser Streit dauert bis heute an. Während die einen das „ursprüngliche Matriarchat“ für einen Mythos halten, gehen andere davon aus, dass das Matriarchat im Laufe des Neolithikums vom Patriarchat abgelöst worden sei.2
Nach Ansicht des polnischen Anthropologen Bronislaw Malinowski (1884–1942) und des Schweizer Juristen Johann Bachofen (1815–1887) waren die ersten menschlichen Gesellschaften matrilinear; Bachofen vermutete sogar eine „Gynaikokratie“ (Herrschaft der Frauen) und berief sich dabei auf alte Mythen und Erzählungen von Reisenden, insbesondere des Jesuitenpaters Joseph-François Lafitau (1681–1746), der in „Neufrankreich“ (Kanada) missioniert hatte.
Bachofen behauptete auch, die Frauen hätten das „Geheimnis“ der Mutterschaft genutzt, um den Stamm rund um den Kult der „Großen Göttin“ zu organisieren und die Weitergabe der Macht von der Mutter auf die Tochter zu sichern. Ende des 19. Jahrhunderts vertraten manche Anthropologen und Philosophen die These, dass in den primitiven matriarchalischen Gesellschaften Männer und Frauen mehr oder weniger gleichberechtigt waren und die Männer erst beim Übergang von der Raubwirtschaft (Jagen und Sammeln) zur Produktionswirtschaft (Ackerbau und Viehzucht) die Macht übernommen hätten. Zuerst hätten sie die patrilineare Abstammung durchgesetzt und in der Folge das Patriarchat.
Diese These verschwand um 1900 und tauchte erst in den 1930er Jahren wieder auf. Nun ging man davon aus, dass sich die Strukturen der frühen Gesellschaften linear entwickelt haben: vom Clan zum sesshaften Matriarchat bis zur nomadischen Großfamilie mit Paaren. Dieses Schema, das auf mehreren falschen Annahmen beruhte, ist heute widerlegt.
In den 1960er Jahren beschrieb dann Marija Gimbutas (1921–1994), die als Spezialistin für die Bronzezeit an der University of California lehrte, die präindoeuropäischen Gesellschaften als matrilinear und prägte dafür den Begriff „matristisch“.3 Laut Gimbutas hatten solche Gesellschaften über 27 000 Jahre hinweg existiert, bis sie sich mit der Ankunft von Nomadenstämmen aus der zentralasiatischen Steppe etwa 3000 Jahre vor unserer Zeitrechnung nach und nach aufgelöst haben. Die Reiterstämme sollen der Bevölkerung ein patriarchales, kriegerisches System aufgezwungen haben. Auch diese These ist umstritten, vor allem weil es aus der Zeit weit vor der Ankunft dieser Stämme Waffenfunde und Spuren von Befestigungsanlagen gibt. Außerdem soll diese Expansion meist friedlich verlaufen sein.
Als dann in den 1980er und 1990er Jahren US-amerikanische Historikerinnen behaupteten, die prähistorischen matrilinearen Kulturen seien egalitärer, friedvoller und weniger hierarchisch gewesen als die patriarchalen Gesellschaften, wurden auch diese Thesen als „gelehrte mythologische Konstrukte“ abgetan, die romantischen Vorstellungen von einem untergegangenen „Goldenen Zeitalter“ entsprungen seien.4
Anhänger wie Gegner der These vom ursprünglichen Matriarchat stützen sich auf ethnografische Befunde: Die Kritiker führen mehrere Beispiele traditioneller Gesellschaften an, die nur in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht egalitär waren, aber nicht in Bezug auf das Geschlechterverhältnis. Auf der anderen Seite lässt sich ebenso festhalten – auch wenn die Beispiele weniger zahlreich sind –, dass es Gesellschaften gab, in denen das Verhältnis zwischen Mann und Frau ausgeglichen war (etwa bei den San in Südafrika).
In den altsteinzeitlichen Gesellschaften hatte es praktisch keine Akkumulation von Gütern gegeben. Die ergab sich erst durch die Sesshaftigkeit und die Zucht von Pflanzen und Tieren, woraus wiederum eine neue Aufgabe erwuchs: Die Güter mussten beschützt werden, und zwar, so eine These, von den körperlich stärkeren Männern. Nach und nach hätten die Männer die Verfügungsgewalt über die Ernten und Herden erlangt und die Patrilinearität durchgesetzt.
Die Aneignung der Güter und die Kontrolle über die Kinder durch die Durchsetzung des Vaterrechts seien in sozial organisierten Gesellschaften entstanden, schreibt Claude Lévi-Strauss in „Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft“ (1949). Über kurz oder lang habe die väterliche Linearität zur patriarchalen Gesellschaftsordnung geführt. Darum ist es wahrscheinlich, dass die ökonomischen und sozialen Veränderungen im Neolithikum einen tiefgreifenden Wandel im Geschlechterverhältnis zur Folge hatten, der, wie die streitbare französische Philosophin Olivia Gazalé schreibt, den Beginn der patriarchalen Ära einläutete: „Mit dem Anbruch dieser neuen Kultur beginnt die große Erzählung von der männlichen Überlegenheit, die über die Jahrhunderte hinweg von der Mythologie (durch Bilder und Symbole), der Metaphysik (durch das Konzept), der Religion (durch das göttliche Gesetz) und der Wissenschaft (durch die Physiologie) immer weiter untermauert wurde.“5
Friedrich Engels schrieb schon 1884, dass die schrittweise Ablösung der mütterlichen durch die väterliche Abstammung ein Grund für die Unterwerfung der Frauen gewesen sei: „Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts.“6
Mehr als 120 Jahre später erklärte auch der französische Historiker Emmanuel Todd, dass das patrilineare Prinzip die Entwicklung komplexer Familienformen begünstigt habe, die sich nach und nach über fast ganz Eurasien ausgebreitet hätten. Dass matriarchalische Ordnungen beziehungsweise matrilineare und matrilokale (in denen der „Ehemann“ zur Familie seiner „Ehefrau“ zieht) – eher selten seien, erkläre sich durch die universelle männliche Vorherrschaft. Die Unterordnung der Frauen, eine Form der Gewalt, sei die Folge der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern.7
In den altsteinzeitlichen Gesellschaften hatten die Frauen eine höchst wichtige Funktion für den Erhalt der Sippe, denn sie brachten die Kinder zur Welt und kümmerten sich um sie, solange sie klein waren. Und weil bei der damals üblichen Promiskuität die Vaterschaft oft unklar war, erscheint das matrilineare Prinzip naheliegend. Die Frauen nahmen an sehr vielen Tätigkeiten teil, und ihr sozialer Status war wahrscheinlich gleichrangig mit dem der Männer beziehungsweise im Bereich des Häuslichen oder Symbolischen vielleicht sogar höher. Dafür spricht, dass Darstellungen von Frauen in der altsteinzeitlichen Kunst eine zentrale Bedeutung haben.
Die Mär vom patriarchalen Ursprung
Wir können uns zwar mit gutem Grund vorstellen, dass die Beziehungen zwischen den Geschlechtern in diesen Gesellschaften mehr oder weniger ausgeglichen waren, aber wir haben derzeit keinerlei Anhaltspunkte für matriarchale Strukturen in dem Sinne, dass die Frauen über die Männer herrschten. Genauso wenig haben wir Anhaltspunkte für patriarchale Strukturen. Es mag sein, dass im Neolithikum die Matrilinearität schrittweise durch die Patrilinearität abgelöst wurde, aber das geschah offensichtlich nicht überall, weil es in manchen Weltregionen immer noch matrilineare Gemeinschaften gibt.
Zu Beginn des Neolithikums schien die sozioökonomische Organisation der ersten Ackerbaugesellschaften von den Frauen übernommen worden zu sein.8 Sie kultivierten Nutzpflanzen und setzten landwirtschaftliche Geräte wie die Hacke und Getreidemühlen ein. Um 6000 vor unserer Zeitrechnung kam es in manchen Gegenden zu einem rasanten Bevölkerungswachstum, weil reichlich Nahrung zur Verfügung stand, wie zahlreiche Getreidespeicher aus dieser Zeit belegen. Immer mehr Menschen wurden sesshaft, und es entstanden die ersten Dörfer. Mit dem Aufkommen der Viehzucht und der Entwicklung neuer Ackerbautechniken haben die Männer die Frauen angeblich aus der Landwirtschaft verdrängt.
Die Haltung von Tieren, um ihre Wolle oder ihre Milch zu nutzen, führte dazu, dass Frauen immer mehr häusliche Tätigkeiten verrichteten. Und die Menschen, die mehr Reichtümer besaßen – Felder oder Weideland, Vieh und Lebensmittelvorräte –, spielten eine wichtigere Rolle in den Gemeinschaften. Diese ökonomischen Veränderungen trugen zur Entstehung von Eliten und Kasten wie der Kriegerkaste bei. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern wurde strikter, und es setzte sich immer mehr das patrilokale Prinzip (die Frau lebt in der Familie ihres Mannes) und die damit einhergehende Patrilinearität durch.
Diese Entwicklung lässt sich ab etwa 5000 Jahren vor unserer Zeitrechnung an den Grabbeigaben ablesen, die bei den Frauen geschlechtsspezifischer und weniger vielfältig sind, und am Zustand der weiblichen Skelette. Sie wiesen nicht nur vermehrt Krankheitsbilder auf, die von harter Arbeit herrühren, vom Tragen schwerer Lasten und von häufigen Schwangerschaften, sondern auch Mangelerscheinungen aufgrund einer proteinarmen Ernährung, Karies sowie Verletzungen infolge von Gewaltanwendung. Aber das betraf nicht alle Frauen. In etlichen Gräbern waren die weiblichen Skelette reich geschmückt und kaum von Krankheiten und Verletzungen gezeichnet.9 Reichtum hatte offensichtlich schon in der Steinzeit günstige Auswirkungen auf die Gesundheit.
Mehr als anderthalb Jahrhunderte lang haben die Interpretationen archäologischer Spuren die Frauen zur Unsichtbarkeit verurteilt, vor allem weil ihre Bedeutung in ökonomischer Hinsicht verkleinert wurde. Jüngere Entdeckungen werfen nun ein neues Licht auf die Rolle der Frauen, die für den gesellschaftlichen Fortschritt ebenso wichtig war wie die der Männer.
5 Olivia Gazalé, „Le Mythe de la virilité“, Paris (Robert Laffont) 2017.
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer
Marylène Patou-Mathis ist Forschungsdirektorin am Centre national de la recherche scientifique (CNRS). Sie leitet die Abteilung Mensch und Umwelt des Naturhistorischen Museums in Paris. Der Text ist ein Vorabdruck aus ihrem Buch „L’homme préhistorique est aussi une femme. Une histoire de l’invisibilité des femmes“, Paris (Allary) 2020.