10.09.2020

Machtfaktor Internet

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Machtfaktor Internet

In Afrika nimmt die digitale Wahlmanipulation zu – Cambridge Analytica hatte von Anfang an die Finger im Spiel

von André-Michel Essoungou

Nigerias Präsident Muhammadu Buhari bei der Wahlanalyse, 25. Februar 2019 BAYO OMOBORIOWO/ap
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Einst hielt man demokratische Wahlen in Afrika für utopisch. Doch die vergangenen drei Jahrzehnte haben uns eines Besseren belehrt: In vielen afrikanischen Staaten wurde die Utopie Wirklichkeit. Heute jedoch, wo der Kontinent immer flächendeckender ans Internet angeschlossen ist, steigt das Risiko digitaler Wahlmanipulationen. Hauptschauplatz sind die sozialen Netzwerke. Die Gefahr ist dabei umso größer, als sie häufig nicht als solche erkannt wird.

So konnte Cambridge Analytica seine betrügerischen Tools zum Absaugen von Daten, die 2016 beim Brexit-Referendum und bei den US-Präsidentschaftswahlen zum Einsatz kamen,1 zunächst in Afrika testen, insbesondere in Kenia und Nigeria. Die Wähler dieser beiden Länder dienten dem britischen Unternehmen ohne ihr Wissen als Versuchskaninchen.

Zunächst wurden vor allem über Facebook die persönlichen Daten von Millionen Bürgerinnen und Bürgern gesammelt: Alter, Geschlecht, ästhetische, kulturelle und politische Vorlieben. Diese Informationen wurden dann analysiert, um Mikrokategorien festzulegen. Und am Ende wurde den Internetnutzern mithilfe von Algorithmen maßgeschneiderte Propaganda zugespielt, mit dem Ziel, ihre individuellen Entscheidungen zu beeinflussen.

In Kenia beauftragte der bis heute amtierende Staatschef Uhuru Kenyatta Cambridge Analytica sowohl 2013 als auch 2017 mit der Ausarbeitung seiner Wahlkampagne. Zwei ehemalige Angestellte des Unternehmens, Brittany Kaiser und Christopher Wylie, machten öffentlich, dass dafür die persönlichen Daten von Wählern gesammelt und gezielt Propaganda verbreitet wurde, die auf Lügen und Übertreibungen basierte.2

In Nigeria war es laut Christopher Wylie ein – vermutlich Präsident Goodluck Jonathan nahestehender – Mil­liar­där, der sechs Wochen vor der Wahl 2015 Cambridge Analytica anheuerte. Die Befürchtung, der aussichtsreiche Gegenkandidat Muhammadu Buhari könnte die Wahl gewinnen, ließ ihn tief in die Tasche greifen: 2 Millionen Dollar zahlte er dem Datenanalyse-Unternehmen.

Mit Hilfe von Hackern erschlich sich Cambridge Analytica die Kranken­akte des 72-jährigen Buhari und streute in den sozialen Netzwerken die Falschmeldung, dass dieser wegen seines Gesundheitszustands nicht regierungsfähig sei. Darüber hinaus verbreitete das Unternehmen ein Video, das die Ermordung von Zivilisten zeigt, angeblich durch Islamisten. Es sollte die Angst schüren, ein Sieg Buharis – ein Muslim aus dem Norden des Landes – würde zum Anstieg der Gewalt führen. Buhari gewann trotz dieser Schmutzkampagne.

Facebook, mit über 200 Millionen Usern die beliebteste Plattform auf dem afrikanischen Kontinent, ermöglicht die verschiedensten Arten von Manipulation. Die Archimedes Group mit Sitz in Tel Aviv richtete unter falscher Identität Facebook-Konten ein und unterstützte 2019 gezielt Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen in Togo, in der Demokratischen Republik Kongo (DRK), in Nigeria und in Tunesien.3 Dabei wurden fast 2,8 Millionen Facebook-Nutzer Ziel ihrer Aktivitäten. Im Mai 2019 wurde Archimedes von Facebook verbannt, 265 zur Firmengruppe gehörende Facebook- und Instagram-Accounts wurden geschlossen.

In Sambia und Uganda halfen Angestellte des chinesischen Telekommunikationsriesen Huawei den Regierungen dabei, Oppositionspolitiker auszuspionieren.3 In Uganda konnte sich die Polizei auf diese Weise Zugriff zum WhatsApp-Account von Bobi Wine verschaffen, einem beliebten Musiker und Gegner von Präsident Yoweri Museveni.

Enthüllungen dieser Art beendeten den Irrglauben, die sozialen Netzwerke seien das Sprachrohr der Machtlosen und dienten vor allem als Mittel zur Mobilisierung von Protestbewegungen. Als es zum Beispiel 2008 nach der umstrittenen Wiederwahl Kibakis in Kenia zu schweren Unruhen kam, richteten junge Ingenieure und Blogger die Plattform Ushahidi ein, auf der die politisch motivierte Gewalt in Echtzeit kartografiert werden konnte.4 Damals schien der Traum der „Techno-Utopie“-Propheten Wirklichkeit geworden zu sein.

Wenig später begann auch die politische Elite die modernen Kommunikationsmittel für politische Zwecke zu nutzen. 2010 kündigte Goodluck Jonathan seine erneute Kandidatur fürs nigerianische Präsidentenamt auf Face­book an und markierte damit ein absolutes Novum.

Ein Unterseekabel rund um den Kontinent

Seit Mitte der 2010er Jahre nehmen immer wieder afrikanische Staatschefs die digitale Manipulation zum Vorwand, um die Kommunikation über soziale Netzwerke zu beschneiden. 2016 etwa sperrte die äthiopische Regierung den Zugang zu bestimmten Webseiten. Ähnliches geschah im Tschad, in Burundi, Uganda, der DRK, in Kamerun und Togo. Zwischen 2016 und 2019 ließen 22 afrikanische Länder das Internet blockieren oder verlangsamen, häufig rund um Wahlen. Zeitgleich wurden Oppositionsführer und Aktivisten verhaftet oder unter Hausarrest gestellt.5

Diese Form der Unterdrückung verursacht erhebliche wirtschaftliche Schäden. Viele Schlüsselsektoren sind zunehmend vom Internet abhängig. 2019 sollen durch die Internet-Shutdowns in Subsahara-Afrika Kosten von über 2,1 Milliarden Dollar entstanden sein.6 Außerdem leidet der Ruf der Länder, die solche Methoden einsetzen, um die Meinungsfreiheit einzuschränken.

Jüngst haben einige afrikanische Regierungen beschlossen, den Zugang zu den sozialen Netzwerken zu besteuern. In Uganda sind künftig 200 Uganda-Schillinge (rund 50 Eurocent) pro Tag für den Zugang zu Facebook, Twitter oder WhatsApp zu entrichten. In Benin belaufen sich die Kosten auf 5 CFA-Franc (70 Eurocent) pro Megabyte.7 Diese Gebühren verschärfen die Ungleichheit beim Internetzugang und schließen insbesondere die Ärmsten aus. Davon abgesehen ist nicht zu erkennen, inwiefern diese Maßnahmen digitaler Manipulation entgegenwirken sollten, weil dahinter sowieso meist ausländische Unternehmen stecken, die über erhebliche finanzielle Ressourcen verfügen.

In 25 afrikanischen Ländern gibt es mittlerweile Gesetze, die die Erhebung und Speicherung von persönlichen Daten regeln und beschränken. Dennoch bleibt digitale Manipulation eine große Herausforderung. In Südafrika beschäftigt der Wahlausschuss mehrere hundert Personen, um Betrug aufzudecken und Nutzer zu sensibilisieren. Noch wichtiger wäre allerdings, dass staatliche Institutionen Unternehmen wie Cambridge Analytica oder Branchenriesen wie Facebook oder Twitter effektiv kontrollieren und bei Verstößen sanktionieren können.

Weil die Einrichtung eines Festnetzanschlusses kompliziert und teuer war, setzte sich in Afrika zu Beginn des Jahrtausends das Mobiltelefon durch. Zehn Jahre später war es die schwierige und kostspielige Anschaffung eines Computers, die zur massenhaften Verbreitung des Smartphones führte; heute ist es das üblichste Mittel, ins Internet zu gehen und soziale Medien zu nutzen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass wir kenianischen Ingenieuren zum Beispiel die elektronische Geldbörse verdanken, eine Zahlungstechnologie für mobile Geräte. Aus der Not heraus ebnete Afrika den Weg für neue Anwendungen, die inzwischen auf der ganzen Welt verbreitet sind.8

Onlineplattformen haben die so­zia­len Beziehungen auf dem Kontinent verändert, und zwar noch tiefgreifender als die massenweise Einführung des Mobiltelefons. Mit der Verbreitung von WhatsApp ist Afrika räumlich und zeitlich zusammengewachsen. Die App, die seit 2014 dem Facebook-Konzern gehört, ist mit Millionen verschickter Nachrichten täglich der beliebteste Ins­tant-­Messaging-Dienst und bestimmt den Rhythmus in allen Lebensbereichen. Mit Textnachrichten, Fotos und Videos halten fast 200 Millionen Afrikaner engen Kontakt zu ihren bisweilen weit entfernt lebenden Verwandten, tauschen sich aus und informieren sich. Im Gegensatz zu anderen Weltregionen, wo die Nutzer häufig mehrere Messenger-Apps nutzen, ist WhatsApp in Afrika konkurrenzlos, was ihr quasi eine Monopolstellung verleiht.

Soziale Netzwerke im Visier der Regierung

WhatsApp erleichtert die soziale Inter­aktion auch über große Distanzen, das ist vor allem im Hinblick auf die starken innerafrikanischen Migra­tions­be­we­gungen ein wichtiger Faktor. In Westafrika etwa, wo viele Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, um anderswo nach Arbeit zu suchen – sei es saisonal oder dauerhaft –, können sie nun auch in der Ferne den Predigten ihrer Gemeinde-Imame folgen.

Die folgende Szene, die sich vor ein paar Monaten am Flughafen von Lomé in Togo abspielte, ist nur eine von vielen: Eine Händlerin aus Mali, die auf der Reise in die zentralafrikanische Republik war, hörte sich die Predigt ihres Imams in Bamako an. Neben ihr lauschte eine Händlerin aus dem Kongo der Ansprache ihres Priesters aus ihrem Heimatort Kisangani, den sie vor einigen Tagen verlassen hatte, um in Lomé Einkäufe zu erledigen. Beide nutzten WhatsApp und das kostenlose WLAN des Flughafens.

Von Johannesburg bis Nairobi informieren sich zahllose Afrikaner, die kreuz und quer über den Kontinent reisen, auf diese Weise über die letzten Ereignisse in ihrer Gemeinde und ihren Familien. Insbesondere wenn es keine lokale Presse gibt. Noch vor zwei Jahrzehnten war es für die meisten nahezu unmöglich, soziale Beziehungen über große Distanzen aufrechtzuerhalten.

Drei große Trends werden für den Ausbau der sozialen Netzwerke sorgen. Erstens: Die Zahl der Afrikaner mit Zugang zum Internet wächst. Derzeit sind nur 39 Prozent der Bevölkerung online, verglichen mit mindestens 50 Prozent in anderen Teilen der Welt. Der Anteil dürfte allerdings rasch steigen. Laut der Webseite Internet World Stats (IWS) ist zwischen 2010 und 2020 die Zahl der Internetnutzer von weniger als 5 Millionen auf über 500 Millionen hochgeschnellt.

Die laufenden Investitionen lassen außerdem darauf schließen, dass sich das Wachstum weiter beschleunigt. Am 13. Mai 2020 gab ein Konsortium aus acht internationalen Telekommunikationsunternehmen9 Pläne für die Verlegung eines 37 000 Kilometer langen Unterseekabels mit dem Namen 2Africa bekannt. Das Kabel soll einmal rund um den Kontinent laufen und bis 2024 die Internetkapazitäten Afrikas vervielfachen.

Zweitens: Die politischen Debatten verlagern sich zunehmend aus der Presse ins Netz, weil die traditionellen Medien häufig einen schlechten Ruf haben und der Zugang zu den sozialen Netzwerken relativ einfach ist. So wurde in Mali 2018 der Wahlkampf sowohl vor Ort als auch im Netz geführt.

Entscheidend für die weitere Entwicklung ist schließlich drittens die Einstellung der Unternehmen, denen die Plattformen gehören: Werden sie versuchen, den – oft gefährdeten – Ablauf von demokratischen Wahlen zu schützen? Oder folgen sie auch in Afrika weiterhin einer Logik, die ihnen andernorts erhebliche Einkünfte beschert, indem sie die persönlichen Daten der User zu Geld machen?

Der Ausgang von Wahlen, nicht selten begleitet von Gewaltausbrüchen, hängt maßgeblich davon ab. In einem Bericht der Kofi-Annan-Stiftung heißt es: „Auf absehbare Zeit werden die Wahlen in den Demokratien des Globalen Südens Hauptziel von digital verbreiteten Hassreden, Falschmeldungen, Einmischungen von außen und innenpolitischer Manipulationen sein.“10

Künftig steht den Kandidaten mit dem meisten Geld die Möglichkeit offen, eine Manipulationskampagne zu führen, allen anderen steht ein Schwarzmarkt zur Verfügung, auf dem Computerexperten billig Klicks, „Likes“ und Kommentare nach Wunsch verkaufen. Die Befürchtung, dass damit das Kapitel „Wahlen mit mehreren Parteien“ nach drei Jahrzehnten wieder passé ist und von einem Zeitalter des massiven Wahlbetrugs neuer Art abgelöst wird, ist alles andere als ein Hirngespinst.

1 Siehe Frank Pasquale, „Algorithmen außer Kontrolle“, LMd, Mai 2018.

2 Siehe „The Cambridge Analytica files“, The Guardian.

3 Siehe Simona Weinglass, „Who is behind Israel’s Archimedes Group, banned by Facebook for election fakery?“, The Times of Israel, 19. Mai 2019.

4 Joe Parkinson, Nicholas Bariyo und Josh Chin, „Hua­wei technicians helped African governments spy on ­political opponents“, The Wall Street Journal, 15. August 2019.

5 Collaboration on International ICT Policy in East and Southern Africa (Cipesa), „State of Internet Freedom in Africa 2019“, Kampala, September 2019.

6 Siehe Samuel Woodhams und Simon Migliano, „The global cost of Internet shutdowns in 2019“, Top10vpn.com, 7. Januar 2020.

7 Babatunde Okunoye, „In Africa, a new tactic to suppress online speech: Taxing social media“, Council on Foreign Relations, Washington, D. C., 2018.

8 Siehe Sabine Cessou, „Das digitale Glück der Kenianer“, LMd, Dezember 2018.

9 Bestehend aus Facebook, Orange (Frankreich), China Mobile International, MTN (Südafrika), STC (Saudi-Arabien), Vodafone (Großbritannien), Telecom Egypt, West Indian Ocean Cable Company (Mauritius).

10 „Protecting electoral integrity in the digital age“, Kofi Annan Commission on Elections and Democracy in the Digital Age, Genf, Januar 2020.

Aus dem Französischen von Birgit Bayerlein

André-Michel Essoungou ist Essayist und politischer Berater bei der UNO.

Le Monde diplomatique vom 10.09.2020, von André-Michel Essoungou