10.09.2020

Bischof auf Sendung

zurück

Bischof auf Sendung

Brasiliens zweitgrößter Fernsehkanal Record TV gehört dem Evangelikalen Edir Macedo

von Anne Vigna

Favela Santa Marta, Rio de Janeiro LEO CORREA/picture alliance/AP
Audio: Artikel vorlesen lassen

Morgens um halb 6 in den Räumen des 22. Bataillons der Militärpolizei von Rio de Janeiro: Ein Fernsehteam legt schusssichere Westen an. Mit dabei ist der Starmoderator Ernani Alves von der Sendung „Cidade Alerta“ (Stadt-Alarm), die von Montag bis Freitag immer spätnachmittags läuft.

Das Thema ist Verbrechen, in jeder denkbaren Erscheinungsform. Ohne erkennbare Ordnung reihen sich zwei Stunden lang Beiträge aneinander, in denen es um alle Arten von Straftaten geht, von der schlimmsten Vergewaltigung bis zum einfachen Einbruchsdiebstahl. Der Ton ist immer sen­sa­tions­lüstern, und die Guten sind die in Uniform. „Cidade Alerta“ ist der Quotenknüller von Record TV, des (nach Reichweite) zweitgrößten brasilianischen Senderverbunds.

Nach einem Bericht der NGO ANDI, der in Zusammenarbeit mit der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft entstand,1 ist die Sendung auch bei der Anzahl der Menschenrechtsverletzungen rekordverdächtig: Die Unschuldsvermutung und richterliche Entscheidungen werden missachtet, Minderjährige vorgeführt, Hass- und Hetzreden verbreitet; die Sendung stifte zu kriminellen Handlungen an, das Recht auf Aussageverweigerung werde verletzt – psychische Folter eingeschlossen.

Die Anthropologin Olivia Bandeira, Koordinatorin des medienkritischen Kollektivs Intervozes, sagt über die Macher dieser Sendung: „Für sie gilt das Prinzip: ‚Nur ein toter Gangster ist ein guter Gangster.‘ Sie ignorieren Gewalt vonseiten der Polizei und heißen körperliche Übergriffe gut. Kurzum, es ist die gleiche Sicht der Dinge, wie sie Präsident Jair Bolsonaro schon seit Jahren pflegt.“

Doch das Programm von Record TV beschränkt sich nicht auf die Darstellung der Verbrechen von Gangstern und Vergewaltigern: In regelmäßigen Abständen treten darin auch die Prediger der Universalkirche des Königreichs Gottes (Igreja Universal do Reino de Deus, IURD) auf und fordern ihr Publikum dazu auf, über die Dramen, die ihnen gerade gezeigt wurden, nachzudenken und zu beten. Besitzer von Record TV ist nämlich der Gründer und oberste Bischof dieser Kirche, Edir Macedo. Gemessen an der Zahl ihrer Mitglieder ist die IURD die drittgrößte evangelikale Kirche Brasiliens; weltweit ist sie in 95 Ländern vertreten.

Hinter dem asketischen Auftreten des 75-jährigen Macedo steckt in Wahrheit ein knallharter Geschäftsmann, dessen Vermögen vom US-Magazin ­Forbes im Jahr 2015 auf 1,9 Milliarden Real (damals etwa 450 Millionen Euro) geschätzt wurde. 1977 hatte er in den Räumen eines ehemaligen Bestattungsunternehmens seinen ersten Tempel gegründet und bemühte sich schon bald um eine eigene Radiosendung, später wechselte er zum Fernsehen, um Anhänger zu gewinnen. 1989 erwarb er den seit 1953 bestehenden Sender Record, der unter Schulden und Missmanagement litt.

Seine Schäfchen brachte er dazu, die Kaufsumme durch Kirchenspenden aufzubringen – insgesamt 45 Millionen Dollar. Die Justiz beschäftigte sich 30 Jahre lang mit Macedos Methoden, bevor der Fall 2019 endgültig verjährte. Ein Urteil darüber, ob sein Vorgehen überhaupt legal war, gab es nie. „Macedo hat den Gläubigen die Idee verkauft, sie würden ein evangelikales Fernsehen ohne Pornografie und Alkohol bekommen. Doch sobald er der Eigentümer geworden war, hat er den Sender ebenso kommerziell betrieben wie alle anderen. Sein Ziel war es, Rede Globo den Rang abzulaufen“, erläutert der Journalist Gilberto Nascimento, der ein Buch über Macedo geschrieben hat.2 Globo ist das größte Fernsehnetzwerk Lateinamerikas und das zweitgrößte der Welt.

Spätnachts und frühmorgens werden auf Record TV ausschließlich Gottesdienste der Universalkirche des Königreichs Gottes übertragen. Doch auch diese Sendezeit kostet Geld, und die evangelikale Pfingstlerkirche ist für Record ein guter Kunde: Obwohl sie nur die am wenigsten attraktiven Zeitfenster bespielt, sichert sie dem Sender 30 Prozent seiner Einkünfte. Auch das wird von den Gläubigen finanziert.

Innerhalb von zehn Jahren hat die Universalkirche dem Sender etwa 2,3 Milliarden Real (fast 350 Millionen Euro) gezahlt, obwohl der Gottesdienst zu so später Stunde läuft, dass die Sendezeit eigentlich sehr preiswert sein müsste. Nascimento meint, ein solches Vorgehen sei nur aufgrund der fehlenden Medienregulation in Brasilien möglich: „Macedo rechtfertigt den Verkauf der Sendezeiten an die Universalkirche damit, dass Record von der Kirche unabhängig sei und es daher keinen Grund gebe, dass diese unbezahlt senden dürfe. Aber Record ist eben nicht unabhängig von der Universalkirche.“

In den letzten 30 Jahren ist die Record-Gruppe immer weiter gewachsen, genauso wie die Universalkirche des Königreichs Gottes.3 Nach der letzten Erhebung des Brasilianischen Instituts für Geografie und Statistik (IBGE) von 2010 zählte die Kongregation in Brasilien 1,8 Millionen Gläubige, über 5000 Kirchen und 10 000 Pastoren. Inzwischen dürften es deutlich mehr sein. Record hat sich derweil zu einem Medienriesen entwickelt, mit einem Netzwerk von Radiosendern, 17 Fernsehkanälen, 4 Internetportalen, darunter eine Plattform mit evangelikalen Videos (UniverVideo), und der Zeitung Correo do Povo (Volkspost), der Auflage nach die neuntgrößte Brasiliens.

Zudem erwarb die Record-Gruppe zunächst 49 Prozent des Bankhauses Renner, im Juli 2020 wurde sie mit 76,3 Prozent Mehrheitseigner und änderte den Namen in „Banco Digimais“. Zu Macedos Wirtschaftsimperium gehören etwa hundert Unternehmen, vor allem in den Bereichen audiovisueller Produktion und Logistik.

Wahlkampfhilfe für Bolsonaro

Die Universalkirche selbst besitzt ein Netzwerk von 64 Radiostationen (Rede Aleluia), die 75 Prozent des brasilianischen Staatsgebiets abdecken, ein Verlagshaus (Unipro), ein Musiklabel (Line Records), einen Internet-Fernsehkanal und eine Gratiszeitung (Folha Universal), die in einer Auflage von 2 Millionen Exemplaren gedruckt wird. Zum Vergleich: Die auflagenstärkste Tageszeitung Brasiliens, Folha de São Paulo, kommt nur auf 330 000 Exemplare.

Seit Jair Bolsonaro 2019 Präsident wurde, konnte die Record-Gruppe stark von Staatsausgaben für Werbung profitieren, wie eine Recherche des Büros für Investigativen Journalismus Publica ergab.4 Bis dahin wurden die öffentlichen Gelder an die Sender je nach Zuschaueranteil vergeben. 2019 nahm Record 30 Millionen Real (etwa 7 Millionen Euro) aus staatlicher Werbung ein, das ist weitaus mehr, als zwei andere kirchliche Unternehmen für sich verbuchen konnten: Die Medien der Pfingstkirche Sara Nossa Terra erhielten nur 741 000 Real (170 000 Euro), die der Assembleias de Deus 472 000 Real (108 000 Euro).

Der Medienkonzern Rede Globo, der 2007 noch 48,5 Prozent der öffentlichen Werbeausgaben einstreichen konnte, bekam 2019 nur noch 16,3 Prozent. Dabei verzeichnet Globo nach wie vor die höchsten Zuschauerzahlen und eine Einschaltquote von 35 Prozent. Record verfügt im Schnitt über 13,1 Prozent Marktanteil, sein Anteil am staatlichen Werbebudget stieg jedoch von 26,6 Prozent im Jahr 2017 auf 42,6 Prozent im Jahr 2019.

Records Unterstützung für Bolsonaros Präsidentschaftskandidatur war so offensichtlich, dass das Wahlgericht eine Untersuchung einleitete, den Kandidaten aber letztlich nicht sanktionierte. Bolsonaro, dem öffentliche Debatten nicht liegen, hatte sich rundheraus geweigert, seinem Konkurrenten von der Arbeiterpartei (PT), Fernando Haddad, im Fernsehduell gegenüberzutreten. Er nahm auch nicht an der letzten TV-Runde vor dem ersten Wahlgang mit sieben weiteren Kandidaten teil und gab als Grund an, er sei nach einer Messerattacke auf ihn einen Monat zuvor geschwächt.

Während auf Globo die Kandidatendebatte lief, zeigte Record zur selben Zeit ein halbstündiges Exklu­siv­inter­view mit Bolsonaro. „Er konnte seine Ideen erläutern und seine Gegner angreifen, ohne dass er Widerspruch fürchten musste“, meint Mauricio Stycer, Kolumnist und Medienexperte der Zeitung Folha de São Paulo. „Für Bolsonaro, der in den Staatsmedien nur 10 Sekunden Sendezeit bekam, da er einer Kleinstpartei angehörte, war dieses Interview ein Glücksfall.“ Ein paar Tage, bevor dieses Interview „vom Himmel fiel“, hatte Macedo in den sozialen Netzwerken Bolsonaro seine Unterstützung zugesagt.

Der Bischof mischt in der Politik mit, seit er Record erworben hat. Zunächst unterstützte er Kommunalpolitiker in São Paulo, ging aber rasch zu Abgeordneten des Nationalkongresses und zu Präsidentschaftskandidaten über. Gegen Ende der ersten Amtszeit von Präsident Lula da Silva (PT) gründete er 2005 die Partei der Republikaner (PRB, 2020 umbenannt in Republicanos, REP). Lulas Vizepräsident und Verteidigungsminister Alencar und weitere Abgeordnete traten ihr bei, so dass sie nach den Wahlen 2006 Teil der Regierungskoalition wurde.

„Macedo hat alle Machthaber unterstützt, ganz gleich welcher Partei sie angehörten“, erklärt Suzy dos Santos, Kommunikationswissenschaftlerin an der Bundesuniversität Rio de Janeiro. „Er bekämpfte Lula, bis dieser die Wahlen gewann und die Partei (Macedos) schließlich zur Regierungskoali­tion gehörte. Er regierte auch mit Dilma Rousseff, bis die Abgeordneten seiner Partei für den Sturz der Präsidentin stimmten.“ Auch in der Regierung von Rousseffs Vizepräsidenten und Nachfolger Michel Temer hat die Mecedo-Partei ihren Platz gefunden. „Aber ideologisch ist seine Nähe zu Jair Bolsonaro weitaus größer“, sagt dos Santos.

In dem Buch, das sie mit Janaine Aires über die Beziehungen zwischen Medien und Politik in Brasi­lien verfasst hat,5 belegt dos Santos, dass die überwiegende Mehrzahl der Abgeordneten der Republikaner Mitglieder der Universalkirche des Königreichs Gottes oder Medienstars der Record-Gruppe sind, manchmal auch beides: „Die Universalkirche, Record TV und die REP stellen sich trotz offenkundiger Verbindungen immer als voneinander unabhängige Organisationen dar. In Wahrheit ist die Record-Gruppe aber ein wirkungsvolles Sprachrohr für die Partei.“

Bei den Wahlen 2006 konnte die Partei nur einen einzigen Sitz im Na­tio­nalkongresses gewinnen. Jetzt ist sie die achtstärkste Kraft im Parlament mit 32 Abgeordneten, von denen 14 bekannte Köpfe der Record-Gruppe sind oder waren.6 Seit 2016 regieren die Republikaner auch in Rio de Janeiro: Marcelo Crivella, einstiger Minister unter Dilma Rousseff, ist dort Stadtpräfekt – und außerdem Macedos Neffe, ebenfalls Bischof der Universalkirche und Gospelsänger; als solcher trat er häufig in Record-Sendungen auf.

Der Parteivorsitzende der Republikaner, Marcos Pereira, war lange Zeit Chef der Record-Gruppe und amtierte in der Regierung Temer als Indus­trie­minister. Heute ist er Vizepräsident der Abgeordnetenkammer und möchte 2021 zum Parlamentspräsidenten aufsteigen – in Brasilien ein Schlüsselposten, denn jeder Versuch einer Absetzung des Präsidenten muss über ihn laufen. Sobald Pereira an den Schalthebeln sitzt, muss sich Bolsonaro keine Sorgen mehr um die etwa 50 Amtsenthebungsverfahren machen, die bereits gegen ihn angestrengt wurden.

Im März traten zwei Söhne Bolsonaros, Flavio (Senator) und Carlos (Stadtrat in Rio de Janeiro), ebenso wie ihre Mutter Rogéria Braga den Republikanern bei. Offenbar will Crivella bei der Kommunalwahl 2020 zusammen mit Braga antreten. Damit wäre das Bündnis der Familien Bolsonaro und Macedo offiziell besiegelt – in der Stadt, über der sich die gigantische Statue von Christus dem Erlöser erhebt, ihrem größten Verbündeten.

1 „Violações de direitos na mídia brasileira“, ANDI – comunicacão e Direitos, in Zusammenarbeit mit Intervozes und dem Büro des Bundesanwalts für Bürgerrechte, Brasília 2016.

2 Gilberto Nascimento, „O Reino“, São Paulo (Companhia das Letras) 2019.

3 Lamia Oualalou, „Brasilien liebt Jesus. Der Vormarsch der Evangelikalen in Politik, Gesellschaft und Medien“, LMd, April 2014.

4 Mariama Correia und Bruno Fonseca, „Governo gastou mais de R$ 30 milhões em rádios e TVs de pastores que apoiam Bolsonaro“, Publica, São Paulo, 15. Juni 2020, apublica.org.

5 Janaine Aires und Suzy dos Santos, „Sempre foi pela família: Mídias e políticas no Brasil“, Rio de Janeiro (Mauad Editora) 2017.

6 Vgl. Rafael Cardoso, „Kulturkampf in Brasilien“, LMd, Februar 2020.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Anne Vigna ist Journalistin in Rio de Janeiro.

Le Monde diplomatique vom 10.09.2020, von Anne Vigna