10.09.2020

Ein Schatz, der keiner ist

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Ein Schatz, der keiner ist

von Paul Hockenos

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Die Türkei, Griechenland und Zypern streiten im östlichen Mittelmeer erbittert um Bohrrechte für Erdgas. Dabei ist dieser fossile Energieträger weder nachhaltig noch ist seine Förderung wirtschaftlich sinnvoll. Die drei Länder könnten sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn sie die Ausbeutung der Erdgasvorkommen im Hellenischen Graben verbieten würden: Dadurch würde einerseits ein internationaler Zankapfel beseitigt, und andererseits würde dies helfen, die von Europa langfristig gesetzten Ziele zur Treibhausgasreduktion zu erreichen.

Ein Verbot neuer Bohrungen – das unmittelbar mit einem zweijährigen Stopp der Exploration neuer Öl- und Gasvorräte starten könnte – wäre gar nicht so abwegig. Denn im zentralen und westlichen Mittelmeer ist die Exploration von Erdöl wegen diverser Umweltauflagen bereits verboten. Und in der Ägäis hat ein griechisch-türkisches Abkommen den Abbau natürlicher Ressourcen seit 1976 erheblich eingeschränkt.

Die Konfliktparteien könnten sich zudem ein Beispiel am Vorgehen von Frankreich nehmen und den Hellenischen Graben – ein etwa 600 Kilometer langer und bis zu 5200 Meter tiefer Meerescanyon, der sich von der Westküste Griechenlands bis zur Südküste der Türkei erstreckt – sowie weitere Gebiete im östlichen Mittelmeer zur Schutzzone erklären.

2016 verhängte Frankreich ein Moratorium für Bohrungen in allen französischen Hoheitsgewässern – im Mittelmeer, im Atlantik und vor den Küsten seiner Überseegebiete – das ein Jahr später gesetzlich verankert wurde. Alle noch bestehenden Förderlizenzen sollen 2040 auslaufen. Die französische Regierung verwies darauf, dass die Öl- und Gasgewinnung dem Ziel des Pariser UN-Klimaübereinkommens von 2015, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, zuwiderläuft.

Neuseeland, Irland, Italien, Kroatien sowie elf US-Bundesstaaten unternahmen ähnliche Schritte. Noch in diesem Jahr wird erwartet, dass das spanische Parlament die Erschließung jeglicher neuer Öl-, Gas- und Kohlevorkommen verbieten und direkte Subventionen für fossile Energieträger streichen wird. Die Europäische Investitionsbank wird ab Ende 2021 keine Projekte mehr in diesem Bereich fördern.

Im Gegensatz zur Türkei haben auch Griechenland und Zypern das Pariser Übereinkommen unterzeichnet. Als EU-Mitglieder wären beide Länder zudem verpflichtet, das von der Kommission in Brüssel vorgeschlagene Ziel einer Reduktion von Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 bis 55 Prozent umzusetzen, falls die Staatengemeinschaft sich auf ein entsprechendes Gesetz einigt.

Die Erdgaslobby stellt ihren Energieträger gern als „Brücken“-Lösung auf dem Weg zur Klimaneutralität dar. Dabei zeigen zahlreiche neuere Stu­dien, dass Erdgas viel gefährlicher für das Klima ist als bislang angenommen.1 Bei seiner Extraktion und beim Transport sowie bei der Produktion von Flüssigerdgas (LNG) wird der Hauptbestandteil Methan freigesetzt, ein starkes Treibhausgas, das in den ersten 20 Jahren nach seiner Emission 84-mal schädlicher ist als CO2.

Ein weiterer Grund, Bohrungen zu unterlassen, sind die negativen Auswirkungen auf das Ökosystem des Meeres. Die Verbote im westlichen Mittelmeer wurden vor allem von Umweltaktivisten auf den Weg gebracht, aber auch von der Tourismusbranche, die die Feriengebiete an den Küsten nicht durch Bohrplattformen verschandelt sehen wollte.

Schnabelwale im Hellenischen Graben

Der Hellenische Graben ist ein Tiefseegebiet mit einer einzigartigen, aber bereits heute gefährdeten Vielfalt von Meeressäugern wie Pottwale, Finnwale, Cuvier-Schnabelwale, Delfine, Mittelmeer-Mönchsrobben und Meeresschildkröten. 2018 unterzeichneten einhundert international renommierte Wissenschaftler und Umweltorganisationen eine Erklärung, in der sie die griechische Regierung dazu aufforderten, Explorationen in diesem Gebiet nicht zuzulassen. Viele Arten im Hellenischen Graben „sind bereits massiven Bedrohungen ausgesetzt“, schrieben die Experten, unter anderem durch Schiffslärm, Zusammenstöße mit Booten, Überfischung, Plastikmüll und den Klimawandel.

In Erdgas zu investieren ist auch deswegen eine besonders schlechte Idee, weil wir in einer Zeit leben, in der fossile Brennstoffe unter immer stärkeren Preisdruck geraten. Nicht nur ist das „grüne Image“ des Erdgases dahin, die Coronapandemie hat auch zu einem Preisabsturz geführt. Das Rekordtief – mittlerweile ist Gas sogar billiger als Kohle – hat die Nachfrage etwas gestärkt, jedoch ohne dass das Geschäft dadurch rentabel geworden wäre.

Der extrem tief liegende Meeresgrund und die langen Pipelines zur Küste machen die Erschließung von Tiefseeerdgas besonders teuer. „Gas aus dem Mittelmeer muss seine Abnehmer in jenen Ländern der Region finden, in die es kostengünstig geliefert werden kann und in denen Entkarbonisierung nicht so weit oben auf der Regierungsagenda steht“, sagt Jonathan Stern vom Oxford Institute for Energy Studies. Der Gasexport aus dem östlichen Mittelmeer nach Europa wäre schon bei den Preisen von 2017 und 2018 wirtschaftlich unsinnig gewesen, so Stern. „Jetzt kommt das überhaupt nicht mehr infrage.“

Bis Gas aus dem Hellenischen Graben überhaupt in die Pipelines fließen könnte – vielleicht Ende der 2020er oder Anfang der 2030er Jahre –, würden auch die steigenden Kosten für CO2-Emission die Rendite stark beschneiden. Und die immer weiter sinkenden Preise für erneuerbare Energien und entsprechende Speichertechnologien verdunkeln die Aussichten zusätzlich.

„Diese Erdgasbrunnen würden verwaisen“, sagt Toby Couture von der Berliner Consultingfirma E3 Analytics. „Und die öffentliche Hand müsste am Ende für die Reinigungs- und Sanierungskosten aufkommen.“

Die östlichen Mittelmeerländer haben Angebote von den größten Ölkonzernen der Welt erhalten, darunter Chevron, ExxonMobil und Total. Diese suchen alle eine neue Perspektive, jetzt, wo sie andernorts nicht mehr bohren dürfen. Die Aussicht, auf dem globalen Gasmarkt mitzumischen, mag für die Länder der Region verlockend sein, aber sie ist eine Illusion.

Die EU könnte in dem gegenwärtigen Konflikt eine konstruktive Rolle spielen, indem sie den Anrainern des Hellenischen Grabens dabei hilft, ein Moratorium für Bohrungen zu verhängen und ihren Fokus auf erneuerbare Energien zu verlagern, für deren Erzeugung Griechenland, Zypern und die Türkei sehr günstige Bedingungen bieten. Diese sollten die drei Länder nutzen, mit so viel Unterstützung aus Brüssel wie möglich, anstatt sich um Gasfelder zu streiten, die am Ende nur Probleme bringen werden.Paul Hockenos

1 Siehe Stephen Leahy: „Fracking boom tied to me­thane spike in Earth’s atmosphere“, National Geographic, 15. August 2019.

Aus dem Englischen von Jakob Farah

Paul Hockenos ist Politikwissenschaftler und Journalist.

Le Monde diplomatique vom 10.09.2020, von Paul Hockenos