Das Ende einer Revolte
50 Jahre Schwarzer September in Jordanien
von Alain Gresh
Amman, September 1970: „Revolution bis zum Sieg!“, „Alle Macht dem Widerstand!“, „Der Weg nach Jerusalem führt über Amman!“ Solche Parolen stehen auf den Mauern der jordanischen Hauptstadt neben dem Konterfei des drei Jahre zuvor ermordeten Che Guevara. Bewaffnete Kämpfer, Palästinensertücher um den Kopf geschlungen, haben an den zentralen Kreuzungen Kontrollposten errichtet, Pick-ups mit Maschinengewehren rasen durch die Stadt. Hunderte linke Aktivisten aus dem Ausland sind zum Kongress der General Union of Palestine Students (Gups) gekommen, darunter auch jüdische Teilnehmer.
Man zitiert Fidel Castro und Mao Tse-tung, verschlingt die Schriften von Frantz Fanon und kommentiert die Berichte von Vo Nguyen Giap über den „Volkskrieg“ in Vietnam. In diesem Spätsommer herrscht in der Sieben-Hügel-Stadt eine Stimmung, die manchen an Petrograd 1917 denken lässt. Die Hoffnung: Der jordanische König Hussein werde sich letztendlich – so wie einst die russische Kerenski-Regierung 1917 den Bolschewiki – dem palästinensischen Widerstand beugen müssen.
1970 rebellierte die Dritte Welt in Amman – wie in Havanna, Algier und Hanoi – und träumte von einer anderen Welt. Und die revoltierende Jugend des Westens identifizierte sich mit dieser Utopie. Jean-Luc Godard drehte vor Ort „La guerre prolongée jusqu’à la victoire du peuple palestinien“ (Der Krieg geht weiter bis zum Sieg des palästinensischen Volkes), und Jean Genet formulierte seine Begeisterung für die palästinensischen Kämpfer.
Zu dieser Zeit war die arabische Welt von der Niederlage im Sechstagekrieg 1967 gegen Israel traumatisiert. Ein dumpfer Zorn im Volk gegen die Mächtigen war erwacht. Sogar die Vorkämpfer des antiimperialistischen arabischen Nationalismus, Nasser in Ägypten und die Baathisten in Syrien, büßten ihren Nimbus ein. Nassers Regime geriet 1968 durch Studenten- und Arbeiterdemonstrationen zunehmend unter Druck. Im Irak gelangte die Baath-Partei an die Macht, in Libyen wurde die Monarchie weggeputscht und im Jemen erkämpfte der Süden seine Unabhängigkeit als Volksrepublik.
In Jordanien, wo Palästinenser etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmachten, nutzten palästinensische Freischärler, die Fedajin, die Schwäche der Monarchie, um dort Fuß zu fassen. Sie sahen sich als Instrument der Vergeltung an Israel und dessen Verbündetem, den USA. Sie folgten damit dem Geist der Trikontinentalen Konferenz von Havanna 1966, die die Völker Afrikas, Asiens und Lateinamerikas im gemeinsamen Kampf gegen den „Yankee-Imperialismus“ vereint sah.
Die wichtigste Organisation der Fedajin war die Fatah unter der Führung des noch unbekannten Jassir Arafat, sie führte ihre erste bewaffnete Aktion gegen Israel am 1. Januar 1965 durch und propagierte die Befreiung ganz Palästinas. Die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) und die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) gingen aus der Bewegung der Arabischen Nationalisten (ANM) hervor, die der Arzt George Habasch, ein palästinensischer Christ, nach 1948 gegründet hatte. Habasch setzte, ganz auf der Linie Nassers, auf die arabische Einheit als Voraussetzung für die Befreiung Palästinas. Dann bekehrte er sich zum Marxismus-Leninismus und schmähte den ägyptischen Präsidenten wie die Fatah als „kleinbürgerlich“.
Die von der Arabischen Liga 1964 aus der Taufe gehobene Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) war durch ihren Bürokratismus diskreditiert und eigentlich nur noch eine leere Hülle. Doch im Februar 1969 geriet sie unter die Kontrolle der Fatah und Arafats, der Präsident ihres Exekutivkomitees wurde und verschiedene Fedajin-Gruppen unter ihrem Dach versammelte. Die Rückkehr zur Situation vor dem Krieg von 1967, wie die Resolution 242 des UN-Sicherheitsrats vom 22. November 1967 forderte, und die Formel „Land für Frieden“ lehnten alle Gruppen ab. Sie forderten die Befreiung ganz Palästinas, die nur durch den bewaffneten Kampf zu erreichen sei.
Damit stellten sie sich gegen die Regime in Jordanien und Ägypten. Ihre intensivierten Guerillaaktionen im besetzten Westjordanland schienen die Wirksamkeit ihrer Strategie zu bestätigen: 1967 gab es 97 Angriffe, 1968 stieg ihre Zahl auf 916 und 1969 auf 2432. Im Jahr 1970 wurden bis September 1887 Aktionen registriert, 1971 waren es dann nur noch 45.1
Vereint gegen den Yankee-Imperialismus
Mit der Schlacht von Karameh am 20. März 1968 erreichten die Fedajin den Höhepunkt ihrer Stärke: Fatah-Kämpfer hielten einen ganzen Tag dem Angriff israelischer Panzertruppen stand. Zum ersten Mal überhaupt war es arabischen Freischärlern gelungen, der israelischen Armee die Stirn zu bieten. Tausende oft sehr junge Freiwillige aus den palästinensischen Flüchtlingslagern, der übrigen arabischen Welt und sogar westlichen Ländern, Männer wie Frauen, schlossen sich ihnen an. Die Fatah versprach im Rausch des Erfolgs bald „befreite Zonen“ im Westjordanland.
Doch Palästina war nicht Südvietnam und Jordanien nicht Nordvietnam. König Hussein unterhielt Kommunikationswege mit der israelischen Regierung, war ein enger Verbündeter der USA, wurde sogar von der CIA bezahlt und war nicht willens, eine konkurrierende Macht in seinem Land entstehen zu lassen. Die Palästinenser dagegen besaßen keinen strategischen Verbündeten, nicht einmal in Ägypten.
Im Juni 1970 schlugen die USA einen Verhandlungsplan auf Grundlage der UN-Resolution 242 vor, der von Jordanien, Ägypten und im zweiten Anlauf auch von Israel akzeptiert wurde. Die Fedajin aber lehnten jede Vereinbarung ab, die die Rechte der Palästinenser ignorierte und ihnen nur den Status von Flüchtlingen zuerkannte.
Bereits im Juli 1968 hatte die PFLP mit der Entführung westlicher Passagierflugzeuge begonnen, um die Freilassung palästinensischer Häftlinge in Israel zu erzwingen. Die nächste Eskalationsstufe folgte am 6. September 1970, als die PFLP gleichzeitig vier Maschinen in ihre Gewalt brachte, drei von ihnen zur Landung in Jordanien zwang und sie dort in die Luft sprengte. Die Bilder gingen um die Welt. Mit der letztlich unblutigen Aktion wurden mehrere Gefangene freigepresst, alle Geiseln überlebten. Doch die jordanische Regierung startete nun eine Offensive zur „Wiederherstellung der Ordnung“.
König Hussein ließ am 15. September Panzer gegen die von den Fedajin gehaltenen Stadtviertel vorrücken, die Tag und Nacht bombardiert wurden. Anders als von den Fedajin erhofft, hielt sich die Zahl der Deserteure bei den Streitkräften in Grenzen, obwohl unter den Soldaten viele Palästinenser waren. Der Journalist Éric Rouleau schrieb darüber in seinen Memoiren: „(Der König) hatte eine Kampagne organisiert, um die Kommandos (der Fedajin) zu diskreditieren. Sie wurden beschuldigt, Atheisten, Feinde Gottes, Verbündete linksextremer Juden zu sein. Denn hatten am Kongress der Union Palästinensischer Studenten nicht auch junge Israelis sowie europäische und amerikanische Juden teilgenommen?“2 Diese „jüdische Präsenz“ war ein starkes Argument gegen den palästinensischen Widerstand.
Das irakische Truppenkontingent, das seit 1967 in Jordanien stationiert war, griff entgegen den Versprechungen Bagdads nicht ein. Syrien versuchte zwar mit Panzertruppen in das Nachbarland einzumarschieren, zog sich jedoch angesichts der Drohungen Israels und der USA zurück. Als es bei den Kämpfen nach jordanischen Angaben bereits 3000 Todesopfer gegeben hatte – palästinensische Quellen beziffern die Verluste auf das Dreifache –, retteten die Vermittlungsbemühungen Nassers schließlich die Fedajin. Am 27. September wurden ein Waffenstillstand und eine – für die Palästinenser trotz ihrer militärischen Niederlage günstige – Vereinbarung unterzeichnet. Doch am 28. September erlag der ägyptische Präsident einem Herzinfarkt. So war für König Hussein der Weg frei, die „Säuberung Jordaniens“ bis zum Sommer 1971 abzuschließen.
Eine Folge der Niederlage war die Gründung der Gruppe Schwarzer September, die am 28. November 1971 den jordanischen Premierminister Wasfi al-Tal ermordete und für das Münchner Olympia-Attentat von 1972 verantwortlich war, dem elf Mitglieder der israelischen Delegation zum Opfer fielen. Der palästinensische Widerstand verlagerte seine Operationsbasis von Jordanien in den Libanon und gewann zum Leidwesen König Husseins auch im Westjordanland an politischem Einfluss. Nach und nach wurde die PLO als „einziger Repräsentant des palästinensischen Volkes“ anerkannt.
Sie knüpfte diplomatische Kontakte sowohl in Westeuropa als auch im „sozialistischen Lager“, verabschiedete sich von den Träumen der 1960er Jahre und verzichtete auf Flugzeugentführungen und Aktionen im Ausland. Nach dem Jom-Kippur-Krieg vom Oktober 1973 forderte sie die Schaffung einer palästinensischen Verwaltungsbehörde – später eines Palästinenserstaats – im Westjordanland und im Gazastreifen. Doch bisher hat dieser „realistische“ Kurs auch nicht zu mehr greifbaren Ergebnissen geführt als die einstige Utopie von der palästinensischen Revolution, die in den 1970er Jahren die Herzen der Jugend rund um den Globus höher schlagen ließ.
1 Siehe Alain Gresh, „OLP, Histoire et strategies“, Paris (Spag-Papyrus) 1983.
Aus dem Französischen von Markus Greiß
Alain Gresh leitet das Onlinemagazin Orient XXI.