Wahrheitskiller
Berichten in Zeiten von Krieg und Pandemie
von Patrick Cockburn
Der Kampf gegen Covid-19 wird immer wieder mit einem Krieg verglichen. So überzogen solche rhetorischen Vergleiche auch sein mögen, so lassen sich doch gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem Kampf gegen das Virus und gegen menschliche Feinde nicht von der Hand weisen. Die Berichterstattung über Kriege und über Epidemien haben viel gemeinsam, denn in beiden Fällen werden Ereignisse beschrieben, in denen es um Leben und Tod geht.
Das Interesse der Öffentlichkeit speist sich aus tiefsitzenden Ängsten, die bei Epidemien oft eine besonders große Intensität erlangen, weil sich die gesamte Bevölkerung bedroht sieht. Dagegen erfahren die Schrecken des Krieges, wenn man von militärischer Besetzung und Flächenbombardements absieht, vor allem diejenigen, die unmittelbar an Kampfhandlungen beteiligt sind.
Die Gefahren, die vom Ausbruch militärischer Gewalt und vom Ausbruch einer tödlichen Krankheit ausgehen, mögen auf den ersten Blick also sehr unterschiedlich sein. Doch aus dem Blickwinkel einer Regierung stellen beide eine existenzielle Bedrohung dar, weil in beiden Fällen jedwedes Versagen auf diese oder jene Weise einen Regimewechsel herbeiführen kann.
So verzeihen es die Menschen ihren Regierungen nur schwer, wenn diese sie in verlorene Kriege hineinziehen oder es nicht schaffen, auf eine Naturkatastrophe wie die Coronapandemie angemessen zu reagieren. Den jeweiligen Machthabern ist wohl bewusst, dass sie um ihr politisches, ja vielleicht sogar ihr physisches Überleben kämpfen. Deshalb reklamieren sie jeden Erfolg für sich selbst und tun alles, um die Schuld für Misserfolge und Versäumnisse auf andere zu schieben.
Ich selbst machte meine erste Erfahrung mit einer weltweiten Epidemie im Jahr 1956, als ich im Alter von sechs Jahren im irländischen Cork an Polio erkrankte. Als sich die Epidemie damals in Irland auszubreiten begann, hatte der Virologe Jonas Sark kurz zuvor in den USA einen Impfstoff entwickelt, der jedoch in Europa noch nicht verfügbar war. Polio-Epidemien erreichten ihren Scheitelpunkt in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Der Verlauf dieser umgangssprachlich als Kinderlähmung bezeichneten Krankheit wies in mehrfacher Hinsicht große Ähnlichkeiten zur aktuellen Covid-19-Pandemie auf: Obwohl viele Menschen erkrankten, führte sie nur bei einer Minderheit zu dauerhaften Schädigungen oder zum Tod. Im Gegensatz zu Covid-19 waren jedoch vor allem Kinder und nicht alte Menschen am stärksten gefährdet.
Das bedeutete auch, dass der Schrecken, den die Poliomyelitis verbreitete, noch dauerhafter und tiefgehender war als bei der heutigen Epidemie, weil die Krankheit sehr junge Menschen betraf und ihre Opfer in aller Regel nicht auf dem Friedhof verschwanden, sondern für alle sichtbar an Krücken liefen oder an den Rollstuhl oder eine Eiserne Lunge gefesselt blieben.1
Was den Ursprung der Gefährdung betraf, so standen die Eltern vor einem Rätsel, weil die Krankheit durch eine große Zahl asymptomatischer Träger verbreitet wurde, die sich keiner Erkrankung bewusst waren. Die heftigsten Polio-Ausbrüche gab es in den eher
gutbürgerlichen Wohngegenden moderner Städte wie Boston, Chicago, Kopenhagen, Melbourne, New York und Stockholm. Hier verfügten die Menschen über sauberes Trinkwasser und ein funktionierendes Abwassersystem, ohne zu ahnen, dass genau dieser Umstand ihre natürliche Immunität gegen das Poliovirus beeinträchtigte. Auch in Cork bestätigte sich dieses Muster: Die meisten Erkrankungen gab es in eher wohlhabenden Stadtteilen, während die Bewohner der Slums weitgehend verschont blieben.
Auch in den 1950er Jahren wurde wie wild nach Sündenböcken gesucht, die man für die Ausbreitung der Krankheit verantwortlich machen konnte, wobei häufig Einwanderer ins Visier gerieten. Hier sei rückblickend daran erinnert, dass 1916 bei einer Grippe-Epidemie in New York sogar Tiere verdächtigt wurden, was 72 000 Katzen und 8000 Hunde das Leben kostete.
In meinem Fall hat die Krankheit meine Beine dauerhaft geschwächt, so dass ich bis heute hinke. Wenn ich bei meinen Recherchen im Nahen Osten in kritische Situationen geriet, konnte ich nicht wegrennen, sondern bestenfalls weghumpeln. Obwohl ich mir meiner Behinderung immer bewusst war, hatte ich über die Polio-Epidemie oder auch meine eigene Ansteckung jahrzehntelang nie groß nachgedacht – bis zu Beginn der 1990er Jahre, als ich im Irak die staatlichen Krankenhäuser von innen zu sehen bekam. Damals war das Gesundheitssystem des Landes aufgrund der von den Vereinten Nationen verhängten Sanktionen am Zusammenbrechen.
Als Kind war ich in Irland in einem ähnlich schäbigen Krankenhaus behandelt worden. Beim Anblick der Kinder und ihrer erbarmenswerten Lage wurde mir klar, dass ich über das, was mit mir selbst als Kind geschehen war, mehr erfahren wollte. Ich hatte damals nicht die geringste Ahnung. Ich wusste noch nicht einmal das Jahr, in dem die Polio-Epidemie in Irland ausgebrochen war oder ob der Krankheitserreger ein Virus oder ein Bakterium ist.
Dann begann ich anhand alter Zeitungsjahrgänge zu recherchieren, studierte einschlägige Akten des Gesundheitsministeriums, sprach mit überlebenden Ärztinnen, Pflegern und Patienten. Zum Beispiel mit Kathleen O’Callaghan, die als Ärztin im St.-Finbarr’s-Krankenhaus gearbeitet hat, wo ich nach der Erstdiagnose eingeliefert wurde. Sie erzählte mir, die Leute in der Stadt seien so verängstigt gewesen, dass „sie die Straßenseite wechselten, um nicht an der Mauer des Fieberhospitals entlanglaufen zu müssen“.
Mein Vater erinnerte sich, dass die Essensauslieferung an Erkrankte von der Polizei übernommen werden musste, weil sich niemand sonst diesen Häusern nähern wollte. Maureen O’Sullivan, eine Rotkreuz-Schwester, die damals mit der Ambulanz unterwegs war, schilderte mir, wie die Leute auch nach dem Ende der Epidemie beim Anblick ihres Krankenwagens mit dem Angstschrei „Die Polio ist zurück!“ reagierten und ihre Kinder ins Haus zerrten oder zum Gebet auf die Knie fielen.
Die Krankheit hat meine Beine dauerhaft geschwächt
Die Behörden einer armen Kleinstadt wie Cork verstanden besser als die heutigen Regierungen, dass die Angst eines der wesentlichsten Merkmale von Epidemien ist. Sie versuchten die Bevölkerung vor übertriebener Panik wie vor leichtsinniger Sorglosigkeit zu schützen, indem sie den Nachrichtenfluss über den Ausbruch kontrollierten. Als britische Zeitungen wie die Times berichteten, in Cork wüte eine Polio-Epidemie, sprach die Stadtverwaltung von einer „ typisch britischen“ Übertreibung. Aber alle Bemühungen, die schlechten Nachrichten zu unterdrücken, funktionierten nicht halb so gut wie erhofft. Im Gegenteil, je mehr die Regierung den Ernst der Lage herunterspielte, desto mehr verlor sie an Glaubwürdigkeit.
Die Hauptinformationsquelle in meiner Heimatstadt war seinerzeit nicht das Fernsehen, sondern der Cork Examiner, der Anfang Juli 1956 nach den ersten Polio-Infektionen zwar wahrheitsgetreu über die Fallzahlen berichtete, aber die Schwere der Erkrankungen systematisch verharmloste. Selbst Berichte unter der Überschrift „Grundlose Panikreaktion“ oder „Ausbruch noch ungefährlich“ wurden regelmäßig auf die untere Hälfte der Titelseite verbannt, während die fetten Schlagzeilen der Suezkrise oder dem Ungarnaufstand vorbehalten waren.
Doch diese PR-Strategie hat die Bevölkerung eher noch stärker verunsichert. Viele Menschen in Cork waren der festen Überzeugung, dass es viel mehr Todesopfer gab als offiziell verlautbart und dass die Leichen nachts heimlich aus den Krankenhäusern abtransportiert wurden. Wie mir mein Vater erzählte, soll damals eine Delegation einflussreicher Geschäftsleute und Ladenbesitzer beim Cork Examiner vorgesprochen und mit dem Rückzug ihrer Anzeigen gedroht haben, falls die Berichterstattung über die Epidemie nicht eingestellt würde. Ich hegte immer meine Zweifel an dieser Geschichte, bis ich viele Jahre später beim Durchforsten der Archive herausfand, dass die Zeitung ihre Berichterstattung über die Epidemie genau in dem Moment, als immer mehr kranke Kinder ins St. Finbarr’s Hospital eingeliefert wurden, fast vollständig eingestellt hat.
Als ich mit den Recherchen für mein Buch über die Polio-Epidemie in Cork begann,2 hatte ich bereits 25 Jahre Kriegsberichterstattung hinter mir, vom Nordirlandkonflikt in den 1970er Jahren über den libanesischen Bürgerkrieg, die irakische Invasion in Kuwait bis zum Einmarsch der USA in Afghanistan nach 9/11 und zu der von den USA angeführten Invasion des Irak von 2003. Nach Erscheinen meines Buchs begann ich erneut über dieselben endlosen Konflikte zu berichten, wie auch später über die neuen Konflikte, die im Gefolge des Arabischen Frühlings 2011 in Libyen, Syrien und im Jemen aufflammten.
Als vor neun Monaten die Coronapandemie ausbrach, war ich gerade dabei, mein neuestes Buch über die aktuellen Konflikte in der Nahostregion abzuschließen.3 Die Parallelen zwischen der Covid-19-Pandemie und der Polio-Epidemie vor 64 Jahren stachen mir sofort ins Auge. Eine Gemeinsamkeit war die allgemeine Angst, die von den Regierungen zunächst kaum wahrgenommen wurde. Dafür war Großbritannien, wie ich es zu Jahresbeginn erlebte, ein klassisches Beispiel: Die Regierung von Boris Johnson glaubte die Bevölkerung durch Horrorszenarien zum allgemeinen Lockdown motivieren zu müssen; dabei waren die meisten Menschen ohnehin bereits in Panik und hätten eher der Beschwichtigung bedurft.
Fatale Ähnlichkeiten fielen mir auch bei der Art und Weise der irreführenden Berichterstattung über Epidemien und Kriege auf. Die politischen Entscheidungsträger schreiben sich Siege und Erfolge auch dann zugute, wenn es sich in Wahrheit um Fehlschläge und Niederlagen handelt – Donald Trump ist dafür ein extremes Beispiel. Mir kamen die Worte des Konföderierten-Generals „Stonewall“ Jackson in den Sinne, der nach einer Schlacht im Amerikanischen Bürgerkrieg seinen Adjutanten fragte: „Haben Sie je darüber nachgedacht, welche Chancen ein Schlachtfeld einem Lügner bietet?“
Das gilt sicherlich für Kriege, aber gleichermaßen auch für Epidemien, wie es Präsident Trump seitdem immer und immer wieder demonstriert. Dabei haben Desinformationskampagnen während eines Kriegs, zumindest im Rückblick, eher eine schlechte Presse und gelten als moralisch anrüchig. Aber bei einigem Nachdenken erscheint es doch ziemlich einleuchtend, dass Leute, die sich gegenseitig umzubringen trachten, keine Skrupel haben, über die gegnerische Seite Lügen zu verbreiten. Der wohlfeile Spruch, wonach im Krieg die Wahrheit das erste Opfer ist, erweist sich oft genug als bedenkliche Ausflucht, die nur eine schlechte Berichterstattung oder eine gefällige Darstellung der realen Abläufe auf dem Kriegsschauplatz rechtfertigen soll. Und die wird vom Publikum gedankenlos geschluckt, nachdem sie den leichtgläubigen Medien von den jeweiligen Machthabern eingeflößt wurde.
Entsprechend könnte man sagen, dass die Wahrheit das erste Opfer einer Pandemie ist. Dafür sorgt schon das Chaos, das die rasende Ausbreitung einer tödlichen Krankheit unweigerlich mit sich bringt, vor allem aber das verzweifelte Bemühen der Mächtigen, die Verantwortung für die steigenden Todeszahlen von sich abzuwälzen.
Dass die Wahrheit auf der Strecke bleibt, ist natürlich nicht unvermeidlich – weder im Krieg noch bei Epidemien noch überhaupt. Journalisten stehen nun mal, einzeln und kollektiv, im ständigen Kampf gegen die Propagandisten und PR-Typen, wobei keineswegs ausgemacht ist, wer den Sieg davonträgt.
Zudem sind Kriege wie Epidemien unglücklicherweise auch melodramatische Ereignisse, was deren echtes Verständnis erschwert. Die Formel „If it bleeds, it leads“ im Sinne von „Blut schafft es immer auf die Titelseite“ gilt ganz allgemein, egal ob es sich um die Zustände auf einer Intensivstation in Texas oder einen Raketenangriff in Afghanistan handelt. Sie wirken schockierend, machen aber nicht unbedingt klar, worum es tatsächlich geht.
In dieser Hinsicht ist die Kriegsberichterstattung der jüngsten Zeit wenig ermutigend. Die Journalisten müssen ständig gegen die Propaganda der jeweiligen Machthaber anschreiben. Seit dem Ersten Golfkrieg von 1999, den die von Washington geführte Koalition gegen das Regime Saddam Husseins führte, habe ich den deprimierenden Eindruck, dass in der Nachrichtenschlacht die Propagandisten am Ende immer öfter gewinnen. Dass also sauberer Journalismus und echte Augenzeugenberichte auf dem Rückzug sind.
Über Kriege zu berichten ist und bleibt naturgemäß immer schwierig und gefährlich, aber das gilt noch verstärkt für die letzten Jahre. Die Berichterstattung über die Kriege der USA in Afghanistan und im Irak war häufig unzulänglich, aber niemals derart schlecht wie das, was man heute über das Kriegsgeschehen in Libyen und Syrien erfährt – von der fast vollständigen Abwesenheit von Berichten über die Gräuel im Jemen ganz zu schweigen. Dieser Mangel an Informationen führt zu falschen Einschätzungen selbst in der entscheidenden Frage, wer dort eigentlich gegen wen kämpft und aus welchen Gründen, und wer am Ende die wahren Sieger und Verlierer sein könnten.
All dies, also Propaganda oder die Kontrolle von Nachrichten oder das Lancieren „falscher Fakten“, ist natürlich nichts Neues. Schon die Pharaonen im Alten Ägypten ließen sich mit lügenhaften Inschriften über Schlachten verherrlichen, die Niederlagen zu heroischen Siegen umdichteten. Neu an der Kriegsberichterstattung der letzten Jahrzehnte sind die viel raffinierteren Methoden und die viel größeren Summen, die den Regierungen bei der „Gestaltung“ der Nachrichten zur Verfügung stehen.
Im Fall Irak war es wahrlich nicht allzu schwer, den langjährigen Herrscher Saddam Hussein zu dämonisieren, der ja tatsächlich ein grausamer Autokrat war. Und doch hat sich damals die einflussreichste Nachricht über die irakische Invasion im Nachbarland Kuwait im Nachhinein als Falschmeldung erwiesen. Nach einem „journalistischen“ Bericht vom August 1990 haben irakische Soldaten in einem Krankenhaus in Kuwait die Babys aus den Brutkästen gezerrt, die dann auf dem Boden liegend elendiglich zu Tode kamen. Eine junge Frau aus Kuwait, die angeblich als Freiwillige in dem Krankenhaus gearbeitet hat, schwor vor einem Ausschuss des US-Kongresses unter Eid, dass sie diese Gräueltat gesehen habe. Ihre Geschichte hatte einen enormen Einfluss auf die Mobilisierung der internationalen Unterstützung für den Krieg von Präsident George H. W. Bush und seinen Verbündeten.
In Wirklichkeit war die Geschichte von A bis Z erfunden. Die angebliche Freiwillige entpuppte sich als Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington. In der Empörung, die ihre Geschichte auslöste, gingen auch die Stimmen der Journalisten und Menschenrechtsexperten unter, die von Anfang an Zweifel an der Horrorstory geäußert hatten. Es war das klassische Beispiel eines erfolgreichen Propagandacoups, der unmittelbar Schlagzeilen macht und schwer zu widerlegen ist. Und als der Coup – lange nach dem Feldzug – doch noch aufflog, hatte er die erwünschte Wirkung bereits erzielt, nämlich die Öffentlichkeit für eine von den USA angeführte Koalition gegen den Irak zu mobilisieren.
Ähnliches erlebte ich dann 2001 und 2002, als ich über den Krieg in Afghanistan berichtete. Damals hinterließen die internationalen Medien den Eindruck, dass die US-Truppen und deren afghanische Verbündete die Taliban entscheidend geschlagen hätten. Im Fernsehen konnte man dramatische Szenen mit Bomben- und Raketeneinschlägen in der Taliban-Front sehen und dazu Bilder von Truppen der gegnerischen Nordallianz, die ungehindert auf die afghanische Hauptstadt Kabul marschierten, um sie von den Taliban zu „befreien“.
Als ich damals den Taliban auf ihrem Rückzug nach Süden in die Provinz Kandahar folgte, ging mir allerdings schnell auf, dass hier keineswegs eine Truppe abzog, die im üblichen Sinne „geschlagen“ war. Vielmehr hatten diese Einheiten schlicht den Befehl erhalten, sich aufzulösen und nach Hause zurückzukehren. Offensichtlich hatten ihre Anführer begriffen, dass der Gegner momentan überlegen war und dass sie gut beraten waren, eine günstigere Entwicklung abzuwarten, die dann 2006 auch eintrat.
Seitdem haben die Taliban wieder in großem Stil einen Krieg aufgenommen, den sie bis heute mit großer Entschlossenheit führen. Schon 2009 war es gefährlich, von Kabul aus über die letzte Polizeistation hinaus nach Süden zu fahren, weil man auf den Landstraßen jederzeit auf improvisierte Kontrollposten der Taliban stoßen konnte.
Keiner der Kriege, über die ich in der Vergangenheit berichtet habe, wurde je wirklich beendet. In den meisten Fällen haben sie lediglich ihren Neuigkeitswert eingebüßt oder sind ganz aus den Nachrichten verschwunden. Bei der Coronapandemie könnte es ganz ähnlich laufen, falls ein effektiver Impfstoff gegen Covid-19 gefunden und weltweit eingesetzt wird. Das klingt angesichts der Vielzahl einschlägiger Meldungen, die heute die Nachrichtensendungen beherrschen, ja regelrecht fluten, vielleicht ganz unwahrscheinlich, aber es gibt Präzedenzfälle.
Als 1918 noch während des Ersten Weltkriegs die verheerende Grippepandemie ausbrach, unterdrückten die Regierungen die Informationen. Nur Spanien, das nicht am Krieg beteiligt war, zensierte die Berichterstattung über die gefährliche Krankheit in viel geringerem Maße. Mit der Folge, dass die Pandemie zu Unrecht als „Spanische Grippe“ bezeichnet wurde, obwohl sie höchstwahrscheinlich zuerst in den USA ausgebrochen war.
In Cork endete die Polio-Epidemie abrupt Mitte September 1956, als die lokale Presse nicht mehr über das Thema berichtete. Gut zwei Wochen später haben sich mit mir viele Kinder mit dem Virus infiziert. In ähnlicher Weise werden heute Ereignisse, die noch vor kurzem Schlagzeilen gemacht haben, nur noch ganz selten erwähnt. Das gilt etwa für die Kriege im Nahen Osten und in Nordafrika, wo Länder wie Syrien und Libyen im Chaos versinken.
Genauso könnte es in den nächsten Jahren auch mit der Coronaberichterstattung kommen.
2 Patrick Cockburn, „The Broken Boy“, London (Jonathan Cape) 2005.
Aus dem Englischen von Robin Cackett
Patrick Cockburn ist Nahostkorrespondent des Londoner Independent.
© Patrick Cockburn/Agence Global; für die deutsche Übersetzung LMd, Berlin. Dieser Text erschien zuerst auf TomDispatch.com.