Kobalt wird knapp
von Akram Belkaïd
Könnte eines Tages das Kobalt ausgehen? Ein Preisanstieg, der durch die Angst vor Versorgungsengpässen ausgelöst wurde, rückte den kleinen Kobaltmarkt – 2019 wurden 136 000 Tonnen produziert1 – in den vergangenen Jahren in den Fokus. Das „blaue Metall“ kommt seit Langem in der medizinischen Diagnostik bei bildgebenden Verfahren und in der Strahlentherapie zum Einsatz und ist unverzichtbar für Lithium-Ionen-Akkus, die in den allermeisten Handys und Elektrofahrzeugen verbaut werden.
Die Unternehmensberatung McKinsey prognostiziert, dass 2030 bereits 22 bis 30 Prozent des weltweiten Fahrzeugbestands einen Elektroantrieb haben werden.2 Da es keinen Ersatzrohstoff gibt und das Akkurecycling nach wie vor eine marginale Rolle spielt, dürfte die Kobaltproduktion in den nächsten zehn Jahren auf mindestens 220 000 Tonnen steigen – der aktuelle E-Bike-Hype wird in dieser Schätzung noch nicht berücksichtigt.
Kobalt ist rar. Zwei Drittel der weltweiten Lagerstätten befinden sich in der Demokratischen Republik Kongo. Das Land ist zwar der größte Kobaltproduzent (2019 waren es 100 000 Tonnen), aber bei der Erweiterung und Modernisierung seiner bergbaulichen Infrastruktur hinkt es hinterher. Die Gefahr ist groß, dass trotz einiger Abbauprojekte in Russland (6100 Tonnen 2019), Australien (5100 Tonnen), Kuba (3500 Tonnen) und anderswo (siehe nebenstehende Karte) die elektromobile Revolution durch unzureichende Produktionskapazitäten ausgebremst wird.
Die Analysten der Schweizer Großbank UBS haben ein noch extremeres Szenario durchgerechnet: Wenn man den gesamten Fahrzeugbestand der Erde zu 100 Prozent auf Elektroantrieb umstellen wollte, müsste die Weltproduktion von Kobalt um 1928 Prozent gesteigert werden (beim Lithium wären es 2898 Prozent und bei den seltenen Erden 655 Prozent).3 Ein Ding der Unmöglichkeit – es sei denn, man verwandelte ganze Regionen in Bergbaukomplexe und nähme große Umweltschäden in Kauf.
Die Märkte haben die Lage schon richtig eingeschätzt. Am 21. März 2018 kletterte der Kobaltpreis an der Londoner Metallbörse, dem wichtigsten Handelsplatz für Metalle, auf die historische Rekordmarke von 95 000 US-Dollar pro Tonne. Damit war das „blaue Gold“ um 300 Prozent teurer als zu Beginn des Jahrzehnts. Später sanken die Preise auf ein weniger spektakuläres Niveau, blieben aber stattlich: Im ersten Halbjahr 2020 schwankte der Durchschnittspreis je Tonne trotz der Covid-19-Pandemie zwischen 28 000 und 35 000 Dollar.
Kobalt ist zwar wie viele andere Rohstoffe ein Spekulationsobjekt für Anlagefonds, die nicht wissen, wohin mit dem billigen Geld, das ihnen die Niedrigzinspolitik beschert hat. Der Hauptgrund für den Preisauftrieb ist jedoch wie gesagt die Furcht vor mittelfristigen Versorgungsengpässen.
Seit 2018 liefern sich Handy- und Autohersteller einen Konkurrenzkampf. Aus Angst, das Elektroauto könnte die ganze Kobaltproduktion schlucken, verhandelten Apple und Samsung direkt mit den großen Bergbaukonzernen, um sich mehrjährige Liefergarantien zu sichern. Die Idee, strategische Vorräte anzulegen, deren Verwaltung man einer Art Genossenschaft der Nutzer von Elektroakkus anvertraut, setzte sich allerdings nicht durch. „Bei den Bergbaukonzernen stößt diese Idee nicht auf Gegenliebe, weil sie sich nachteilig auf die Preise auswirken würde“, erklärt ein in der Schweiz ansässiger Rohstoffhändler. „Und für die Smartphone- oder Elektroautohersteller würden hohe Kosten für den Schutz der Lager anfallen.“
Ob Baumwolle, Erdöl oder seltene Erden (siehe Seite 16) – seit der Jahrtausendwende folgt die Preisentwicklung der meisten Rohstoffe der schwankender Konjunktur Chinas. Beim Kobalt ist der entscheidende Faktor das chinesische Quasimonopol in der Raffinierung. 2019 gewann das Land gerade einmal 2000 Tonnen Kobalt aus eigenen Minen, übernahm aber die Raffinierung von 80 Prozent der gesamten Weltproduktion. Im Pentagon, das Kobalt als „strategischen Rohstoff“ einstuft, beobachtet man das mit Sorge. Seit 2016 drängt das US-Verteidigungsministerium daher nordamerikanische Unternehmen, selbst in die Infrastruktur zur Raffinierung zu investieren.
Als der kanadische Konzern First Cobalt am 6. Mai ankündigte, dass er 2021 die größte Kobaltraffinerie Nordamerikas einweihen würde, war das Medienecho groß. Herzstück des 56-Millionen-Dollar-Projekts ist die Wiederinbetriebnahme einer 2015 stillgelegten Industrieanlage in der Provinz Ontario mit einer Verarbeitungskapazität von 25 000 Tonnen. Aus Sicht der Projektträger ist der Standort ebenso wettbewerbsfähig wie die chinesischen Fabriken. Dass das Projekt zustande kam, ist aber zweifellos der Förderung durch die kanadischen Behörden und dem sicheren Absatzmarkt in Nordamerika zu verdanken.4 Das Erz, das hier raffiniert werden soll, wird nach Auskunft von First Cobalt der Bergbauriese Glencore liefern.
Die entscheidende Frage ist, ob das Erz aus den Lagerstätten der Demokratischen Republik Kongo kommen wird oder nicht. Denn wenn es um Kobalt geht, ist neben den Versorgungsrisiken die umstrittene Situation in den kongolesischen Minen ein zentrales Thema. Der belgische Geologe Jules Cornet, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Land im Auftrag von Bergbaugesellschaften erkundete, bezeichnete den Reichtum an Bodenschätzen in der Provinz Katanga als „geologischen Skandal“.
Kinderarbeit für Apple, Dell und Tesla
Mehr als ein Jahrhundert später bilden diese Bodenschätze die wichtigste Einkommensquelle der Demokratischen Republik Kongo. Die Exporte – die Kohlenwasserstoffe eingerechnet – bringen jährlich fast 15 Milliarden US-Dollar ein. Der wahre Skandal ist jedoch die Lage der Arbeiter in den Kobaltminen und die Tatsache, dass das Land immer noch eines der ärmsten der Welt ist.5
Während Großkonzerne wie Glencore, Umicore oder BHP für 80 Prozent der gesamten kongolesischen Produktion verantwortlich zeichnen, wird der Rest in mehr oder weniger legalen Kleinbetrieben abgebaut, in denen 200 000 sogenannte creuseurs (Schürfer) ihr Leben aufs Spiel setzen, weil sie mit einfachsten Werkzeugen und ohne jede Schutzausrüstung arbeiten. Viele von ihnen leiden unter Lungenkrankheiten und Dermatitis.
Noch gravierender ist, dass Tausende Kinder, statt zur Schule zu gehen, im kleingewerblichen Bergbau arbeiten,6 wo sie Abraum wegschaffen oder das Erz sortieren und waschen. Manche müssen sich in enge Stollen zwängen und das Gestein mit bloßen Händen herausbrechen. Unfälle sind in diesen „Todesstollen“, wie die Einheimischen sie nennen, an der Tagesordnung. Am 27. Juni 2019 kamen beim Einsturz zweier Stollen unweit der kongolesischen „Kobalthauptstadt“ Kolwezi 36 Bergleute ums Leben (andere Schätzungen gehen von mehr als 40 Opfern aus); mehrere Dutzend wurden verletzt.
Regelmäßig prangern Menschenrechtsorganisationen die Missstände an. Am 15. Dezember 2019 teilten die International Rights Advocates (IRA) mit, dass sie bei einem Washingtoner Gericht gegen mehrere transnationale Unternehmen eine Sammelklage wegen der Mitschuld am Tod von 14 Kindern in den kongolesischen Kobaltminen einreichen. Apple, der Google-Mutterkonzern Alphabet, Dell, Microsoft und Tesla werden sich vor Gericht verantworten müssen. Die IRA prangern an, dass der „Tech-Boom“ dazu geführt habe, dass „in der DR Kongo Kinder für ein oder zwei Dollar Tageslohn das Kobalt aus der Erde holen, das die reichsten Konzerne der Welt für die Herstellung ihrer teuren Gadgets brauchen“.7
Mit ihrer Klage knüpfen die IRA an die Arbeit von Amnesty International an, das seit Jahren die Lage in den dortigen Minen dokumentiert. 2016 beschuldigten Amnesty und African Resources Watch (Afrewatch) 16 IT- und Autokonzerne (darunter Apple, Daimler, Lenovo, Microsoft, Sony und Samsung), dass sie nicht überprüften, ob das Kobalt für ihre Akkus aus Kinderarbeit stammte. Mark Dummett, Amnesty-Experte für menschenrechtliche Unternehmensverantwortung, erklärte damals: „Die Schaufenster der Edelboutiquen und das Marketing für die neusten Technologien stehen in krassem Kontrast zu Kindern, die Säcke mit Steinen schleppen, und zu Minenarbeitern, die in engen, von Hand gehauenen Stollen arbeiten müssen und Gefahr laufen, dass ihre Lungen bleibende Schäden davontragen.“ 8
Zunächst beteuerten die IT- und Autokonzerne, in ihren Komponenten werde kein Kobalt aus Kinderarbeit verbaut. Als die Kritik nicht verstummte, änderten sie ihre kommunikative Strategie, verwiesen auf „komplexe“ Lieferketten und erklärten, man müsse erst einmal ein System schaffen, das für „Transparenz“ und „Rückverfolgbarkeit“ sorgte – zwei Schlagworte, die Anfang der 2000er Jahre schon die Juweliere bemüht hatten, die wegen des Handels mit „Blutdiamanten“ in die Kritik gerieten.
Letztes Jahr verkündete BMW schließlich, man habe beschlossen, in der Herstellung von Elektroautos kein kongolesisches Kobalt mehr zu verwenden, und Tesla versicherte sogar, seine Fahrzeuge würden künftig ganz ohne Kobalt auskommen, obwohl es noch gar keine passende Alternative gibt. Apple behauptete, dank inzwischen eingeführter „Kontrollen durch unabhängige Dritte“ überprüfen zu können, ob in den Minen die vereinbarten Standards eingehalten würden. 2019 habe man bereits sechs Lieferanten ausgeschlossen.
Glencore, das für 60 Prozent der kongolesischen Kobaltproduktion verantwortlich ist, beteuert, dass in seinen Minen keine Kinder beschäftigt würden, und schiebt die Schuld auf die creuseurs, die die Abbaustätten des Unternehmens widerrechtlich in Beschlag nähmen. Der chinesische Konzern Huayou, der größte Kobaltraffineur in der Demokratischen Republik Kongo, gab am 28. Mai bekannt, er werde keine Erze mehr aus dem Kleinbergbau kaufen. Bislang gehörten chinesische Zwischenhändler, die vor allem in der Provinz Lualaba ansässig sind und Huayou und andere Raffineure beliefern, zu den Hauptabnehmern der creuseurs.
„Die Rolle dieser Händler ist und bleibt sehr undurchsichtig“, erklärt der Schweizer Rohstoffhändler. „Sie kaufen das Kobalt ganz unabhängig davon, woher es stammt, und verkaufen es an jeden weiter, der es haben will. Es gibt keine Instanz, die in der Lage wäre, das zu regulieren.“ Auch kontrolliert niemand, ob Huayou seine Kobaltbeschaffung bei den creuseurs möglicherweise nur vorübergehend aussetzt und sie wieder aufnimmt, wenn sich die Aufregung nach der IRA-Klage gelegt hat.
Die kongolesische Regierung hat offenbar wenig Einfluss auf den Lauf der Dinge. Um zu demonstrieren, dass sie das Land vor intensiver Ausbeutung schützen will, erklärte sie am 24. November 2019 Kobalt, Coltan und Germanium zu strategischen Rohstoffen. Nach zähem Ringen mit den Bergbauunternehmen erließ die Regierung außerdem eine neue Verordnung: Für den Abbau dieser Mineralien werden statt wie bisher 3,5 künftig 10 Prozent Abgaben fällig.
Des Weiteren warnte Kinshasa wegen der Diskussion über die Arbeitsbedingungen in den Minen vor einer Verschwörung gegen die kongolesischen Interessen und unterstützte die von Journalisten und Verbänden ins Leben gerufene Kampagne „Touche pas à mon cobalt“ (Finger weg von meinem Kobalt).9 Erst als das Ausmaß der Missstände ans Licht kam, verwiesen die Behörden kleinlaut darauf, dass Kinderarbeit verboten sei. Das ist ein denkbar schwaches Argument und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land, in dem 90 Prozent der Arbeiter ungelernt sind, keinen Plan hat, wie die Bevölkerung von der industriellen Entwicklung direkt profitieren könnte – obwohl es so reich mit Bodenschätzen gesegnet ist.
2 „Lithium and cobalt: a tale of two commodities“, McKinsey, 22. Juni 2018.
4 „First Cobalt seeks government backing to restart Canadian refinery“, Reuters, 13. November 2019.
5 Siehe Colette Braeckman, „Die dritte Plünderung des Kongo“, LMd, Juli 2006.
7 International Rights Advocates, 15. Dezember 2019.
9 Der Appell vom August 2018 ist unter congomines.org abrufbar.
Aus dem Französischen von Andreas Bredenfeld