09.07.2020

Schuldenschnitt für Afrika

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Schuldenschnitt für Afrika

von Milan Rivié

IWF-Chefin Christine Lagarde und Äthiopiens Premier Abiy Ahmed in Berlin, 30. Oktober 2018 SVEN SIMON/picture alliance
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Am 13. April 2020 erregte Emma­nuel Macron weltweit Aufmerksamkeit. Um Afrika in Zeiten der Co­vid-19-­Pan­demie zu unterstützen, forderte er einen „massiven Erlass“ der Schulden des Kontinents, die sich im Zeitraum 2010 bis 2018 auf 195 Milliarden US-Dollar verdoppelt hatten (siehe Kasten auf Seite 18). Doch zwei Tage später ließen die G20-Finanzminister den französischen Präsidenten auflaufen, als sie den ärmsten Ländern lediglich eine befristete Aussetzung der Tilgungszahlungen zugestand.

Würde Frankreich als einziger Gläubiger verzichten, wäre damit nicht viel gewonnen. 41 afrikanische Staaten stehen bei Paris mit 14 Milliarden Euro in der Kreide. Das entspricht weniger als 3 Prozent der bilateralen Außenverschuldung des Kontinents.1 Die Forderungen Chinas werden dagegen auf 20 Prozent der Gesamtschulden Afrikas bei nichtafrikanischen Gläubigern geschätzt.2 Ein kompletter Schuldenerlass Frankreichs, der natürlich wünschenswert wäre, hätte also nur sehr marginale Auswirkungen auf die Verschuldung des Kontinents. Deshalb gehört die gesamte Architektur des Schuldendienstes auf den Prüfstand.

Frankreich gehört zu den Gründerstaaten des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, der beiden für die Regelung von Staatsschulden entscheidenden Institutionen, die 1944 im Rahmen des Bretton-Woods-Abkommens entstanden sind. Überdies war Frankreich 1956 maßgeblich an der Gründung des Pariser Clubs beteiligt. Dieses informelle Gremium setzt sich aus 22 Gläubigerstaaten zusammen und hat seinen Sitz im Pariser Finanzministerium in der Rue de Bercy. In den letzten 64 Jahren hat der Pariser Club in 434 Fällen eine Restrukturierung der Staatsschulden von 90 unterschiedlichen Ländern organisiert.3

Allerdings verfügt das Gremium trotz seiner wichtigen Rolle über keinerlei Legitimität. Der Club sieht sich selbst als eine Nichtinstitution und hat entsprechend weder Statuten noch eine Charta, noch formelle Rechtsregeln. Er orientiert sich lediglich an einigen Grundsätzen, zu denen auch das sogenannte Solidaritätsprinzip gehört.4

Im Prinzip kann kein Mitgliedstaat des Pariser Clubs einem Land einseitig Schuldenerleichterungen gewähren. Ein sehr einflussreiches Mitglied ist der IWF, entsprechend hat das Gläu­bi­ger­kartell seit den von Weltbank und IWF in den 1980er Jahren ersonnenen „Strukturanpassungsprogrammen“ zahlreiche einseitige Entscheidungen zur Umsetzung einer neoliberalen Agenda getroffen.5

Anfangs repräsentierte der Pariser Club den Großteil der Gläubigerstaaten, heute ist er nur noch ein Gläubiger unter vielen. 2007 entfielen noch rund 50 Prozent der bilateralen Verschuldung der einkommensschwachen Länder auf Club-Mitglieder. 2018 war dieser Anteil auf 10 Prozent geschrumpft. Im selben Zeitraum steigerte China seinen Anteil von rund 2 Prozent auf mehr als 25 Prozent.6 Bis heute hat sich China trotz zahlreicher Aufforderungen noch immer nicht dem Pariser Club angeschlossen.

Selbst wenn der Club tatsächlich den „Erlass“ der afrikanischen Schulden organisieren wollte, würde sein Einfluss nicht mehr ausreichen, um die anderen bilateralen Gläubiger – allen voran China – ins Boot zu holen. Vor allem aber sind die afrikanischen Staaten heute ohnehin großenteils gegenüber privaten Kreditgebern verschuldet. Angesichts dessen hat sich die Welthandels- und Entwicklungskonferenz (Unctad) wiederholt für die Schaffung eines internationalen, unabhängigen Mechanismus zur Restrukturierung von Staatsschulden ausgesprochen. Davon wollen allerdings die Mitglieder des Pariser Clubs nichts wissen, und zwar im Einklang mit dem IWF, den G20 sowie dem International Institute of Finance (IFF), das die Interessen von 500 Kreditinstituten vertritt.

Präsident Macron wollte mit seiner Forderung eines massiven Schuldenerlasses für Afrika zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Er hoffe, erstens, China zum Verzicht auf seine Forderungen zu bewegen und anschließend, zweitens, Peking zu bewegen, dem Pariser Club beizutreten. Als Mitglied hätte Peking, gemäß dem Prinzip der „Behandlungsvergleichbarkeit“, dafür sorgen können, dass sich seine Konkurrenten auf dieselben Modalitäten einlassen müssten.

Wäre der Plan des französischen Präsident aufgegangen, hätte er damit dem Pariser Club wieder die Hauptrolle bei der Lösung der Staatsschuldenfrage verschafft. Doch dieser Plan, der auch den politischen und wirtschaftlichen Interessen Frankreichs entsprochen hätte, ist gescheitert.

Einfallstor für neoliberale Auflagen

Heute verausgaben 46 der Länder mit geringen Staatseinnahmen im Durchschnitt mehr Geld für den Schuldendienst als für die Gesundheitsversorgung, nämlich 7,8 gegenüber 1,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).7 Diese Zahlen zeigen, wie viel Sauerstoff ein Schuldenerlass der Volkswirtschaft des Landes zuführen würde. Entscheidend wäre dabei nicht so sehr das Volumen der erlassenen Schulden, sondern vielmehr das Wie.

Ein Schuldenerlass funktioniert wie folgt: Man nimmt die gesamte oder einen Teil der Schuldenlast eines Landes, die sich aus dem Kreditbetrag und der Zinsbelastung zusammensetzt, und setzt die Tilgungssumme auf null. Die Gläubiger erhalten also ihr Geld nicht zurück – ein Risiko, das alle Kreditgeber kennen und das über den Zins honoriert wird. Deutschland, Ägypten, Ecuador, Jamaika, Mosambik, Namibia, Peru und Sierra Leone sind nur einige Beispiele für Länder, die in der Vergangenheit von einem derartigen Schuldenerlass profitiert haben.

Eine Schuldenerleichterung oder -restrukturierung ist etwas anderes. Im Rahmen einer solchen Operation kann ein Teil der Forderungen, in der Regel ein sehr kleiner, erlassen werden. Der rückzahlbare Restbetrag wird hingegen umgeschuldet. Das heißt, dass die Tilgung aufgeschoben und/oder der Rückzahlungszeitraum verlängert wird.

Eine andere Möglichkeit ist die Neuverhandlung der Kreditzinsen oder die Refinanzierung mittels Umwandlung in Direktinvestitionen. In letzterem Fall investiert der Kreditgeber sein Darlehen in die Wirtschaft des verschuldeten Landes. Bei der Schul­den­er­leich­te­rung beziehungsweise -­restrukturierung wird nur der Teil der Schuldenlast neu verhandelt, den die Gläubiger als untragbar definieren. Diese wollen damit einen Zahlungsausfall vermeiden, zugleich aber ihren Einfluss auf das Schuldnerland aufrechterhalten.

Es ist keine Überraschung, dass IWF und Weltbank im Zuge der Coronakrise seit Ende März vor allem auf eine Restrukturierung der Schulden setzen. Sie rufen die bilateralen Kreditgeber zu Schulden­erleich­terun­gen auf, ohne selbst vergleichbare Schritte zu unternehmen. Ein zusätzliches Problem ist dabei, dass die meisten Kredite, die akut für die Finanzierung von Soforthilfe gebraucht werden, mit neoliberalen Auflagen wie zum Beispiel Privatisierungen verknüpft sind.

Auch vonseiten der privaten Gläubiger erfolgten bislang keinerlei Schritte zum Schuldenerlass oder zu Schul­den­erleich­terun­gen. Was die bilateralen Staatsschulden betrifft, haben die G20 einen Aufschub der Tilgungszahlungen bis 2022 angekündigt. Doch das betrifft letztlich nur 8 Prozent der staatlichen Außenverschuldung der Länder im globalen Süden. Hier geht es also nicht um einen Schuldenerlass, sondern nur um den Zahlungsaufschub für 3,6 Prozent der Gesamtschuld der betreffenden Länder.

Dabei könnten die Länder des Südens sofort ihren Schuldendienst aussetzen und die Rückzahlung verweigern. Dafür gibt es etliche historische Präzedenzfälle und völkerrechtliche Argumente, etwa die Berufung auf höhere Gewalt, eine Notstandssituation oder eine grundlegende Änderung der Umstände (Rebus-sic-stantibus-­Klausel).8 Daneben gibt es weitere Begründungen wie die Unrechtmäßigkeit von Schulden, die noch aus der Kolonialzeit stammen oder von diktatorischen Regimen aufgenommen wurden.9

Die Länder des Südens könnten eine gemeinsame Front bilden, um die Kreditforderungen abzuweisen. Dafür bedarf es allerdings der Solidarität unter den Menschen der betroffenen Länder. Und einer öffentlichen Debatte über die Schuldenfrage, die den Druck auf die Regierungen sowohl der Schuldner- als auch der Gläubigerstaaten verstärken könnte.

1 „Encours de créances de la France sur les États étrangers au 31 décembre 2018“, Website des französischen Finanzministeriums, Paris, 12. November 2019. www.tresor.economie.gouv.fr.

2 China Africa Research Initiative, www.sais-cari.org.

3 Website des Pariser Clubs, www.clubdeparis.org.

4 Siehe „Club de Paris: Comment sont restructurées les dettes souveraines et pourquoi une alternative est nécessaire“, Plateforme d’action et d’information sur la dette des pays du Sud, Paris, 18. März 2020, dette-developpement.org.

5 Siehe Damien Millet und Eric Toussaint, „Hohes Gericht der Gläubiger“, LMd, Juni 2006.

6 „Macroeconomic developments and prospects in low-income developing countries 2018“, IMF Policy Paper, Internationaler Währungsfonds, Washington, D. C., März 2018, www.imf.org.

7 Daniel Munevar, „Covid-19 and debt in the global ­south: Protecting the most vulnerable in times of crisis I“, European Network on Debt and Development (Eurodad), Brüssel, 26. März 2020, eurodad.org.

8 Siehe Éric Toussaint, „Pour combattre le Covid-19: pourquoi et comment suspendre immédiatement le paiement de la dette“, CADTM, Lüttich, 6. April 2020, www.cadtm.org.

9 Siehe Jean Gadrey, „Faut-il vraiment payer toute la dette“, LMd (französische Ausgabe), Oktober 2014.

Aus dem Französischen von Markus Greiß

Milan Rivié ist Mitarbeiter beim Komitee zur Streichung der illegitimen Schulden (CADTM).

Le Monde diplomatique vom 09.07.2020, von Milan Rivié