10.08.2012

Hauptsache groß und teuer

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Hauptsache groß und teuer

von Alain Devalpo

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Als Erbauer der Kathedralen des nächsten Jahrtausends strebt ihr nach einem edlen und geistreichen Ziel. Aber nicht immer versteht das Volk eure Träume. „Euer Projekt ist zu nichts gut!“, hält man euch zuweilen entgegen. Wie könnt ihr eure ehrgeizigen Pläne unter diesen Umständen verwirklichen? Die Vortragenden, die heute bei uns waren, haben ihre unschätzbaren Erfahrungen mit uns geteilt, und ich werde versuchen, die strategischen Hauptlinien herauszuarbeiten, die euch zum Erfolg verhelfen sollen.

Beginnen wir mit den Transportwegen. Für den Baumeister unserer Tage ist es eine Augenweide, die Züge auf ihren Bahndämmen wie Blitze durch die Landschaft rasen zu sehen. Das Rennen um Mobilität ist ein Synonym des Erfolgs. In unserer heutigen Gesellschaft gibt das Internet das Tempo vor. Die Wirtschaft ist ein spannungsgeladenes Bündel aus Bedürfnissen, denen sich der Mensch unterwerfen muss.

Gerade im Verkehrswesen bieten sich zahlreiche mögliche Projekte an. Um eure Partner zu überzeugen, müsst ihr vor allem maßlos sein. Lasst eure Ingenieure pharaonische Entwürfe skizzieren, zum Beispiel einen 50 Kilometer langen Alpentunnel für die Trasse des Hochgeschwindigkeitszugs (TGV) zwischen Lyon und Turin; die Planierung von tausenden Quadratmetern Wallhecken-Landschaft in der Region von Nantes, um einen Flugplatz zu errichten; Grabungen unter der Stadt Barcelona und so weiter. Die patriotischen Gefühle, die solche Großtaten wecken, werden die damit verbundenen Unannehmlichkeiten für die Anwohner garantiert wettmachen.

Macht euch die Konkurrenz zwischen den Metropolen zunutze. Sie fördert den Gigantismus und eure Projekte. Bearbeitet das politische Terrain, schmeichelt der Megalomanie der Abgeordneten, die alle von einem eigenen Eiffelturm in ihrer Stadt träumen. Wenn ihr deren Vertrauen erst einmal gewonnen habt, werden sie Druck auf die Abgeordneten der Kommunen ausüben, die alles finanzieren müssen, auch wenn der Nutzen für deren Wahlkreis nur auf dem Papier existiert. Damit die Einwände gar nicht erst zum Zuge kommen können, müsst ihr unbedingt Arbeitsplätze versprechen. Das zieht immer. Wenn der Bau vollendet ist und man euch vorwirft, dass ihr eure Zusagen nicht eingehalten habt, lassen sich immer noch irgendwelche Analysen präsentieren, die euch entlasten: Im Zweifel ist die Krise schuld! Lasst eure Beziehungen zur Regierung spielen, um euer Projekt als gemeinnützig zu labeln: Dieser Status garantiert euch alle nur erdenklichen Vergünstigungen.

Umgebt euch mit Planungsbüros, die die Kunst beherrschen, eure Dossiers bis zur vollständigen Unverständlichkeit aufzublasen. Wenn man die banalste Tatsache nur abstrakt genug darstellt, werfen auch die Neugierigsten bald das Handtuch. Um sich eine Meinung zu bilden, werden sich die Abgeordneten an den Schlussfolgerungen eurer seriösen und objektiven Studien orientieren. Im Umgang mit der Lokalpresse lohnt sich kein übertriebenes Feingefühl: Die krisengeschüttelte Zeitungsbranche ist immer ein zuverlässiger Verbündeter, und die Großzügigkeit eurer Werbeabteilungen wird als Geste zur Förderung der Pressefreiheit wahrgenommen werden. Legt einen Finanzierungsplan erst vor, wenn ihr Abgeordnete und Presse auf eurer Seite wisst.

Die staatliche französische Eisenbahnbehörde (RFF) hat zwar bereits Dutzende Milliarden Euro Schulden.1 Mehrere TGV-Linien arbeiten defizitär, und das normale Schienennetz geht den Bach runter. Dennoch sollte man sich freuen, dass eine mobile Elite vom TGV profitiert. Auch in Spanien, das gerade mit einem Finanzdesaster kämpft, sollte man dreist genug sein, den Bau von 2 000 neuen Streckenkilometern zu fordern, die durchschnittlich 20 Millionen Euro pro Kilometer kosten.

Für die Finanzierung dieser Projekte, dessen wirtschaftliche Nachhaltigkeit mehr als zweifelhaft ist, müsst ihr unbedingt auf die Möglichkeit des Public Private Partnership (PPP) zurückgreifen. Wenn ihr den Zuschlag für Bau, Unterhalt, Verwaltung und Bewirtschaftung einer Infrastruktur bekommt, habt ihr alles in der Hand, und die Gemeinden sind euch vollkommen ausgeliefert. Eure Experten sollten erklären, dass die Gewinne nur euren Patriotismus widerspiegeln. Die Verluste der öffentlichen Hand solltet ihr als kleineres Übel hinstellen, gemessen an den, nun ja, geschaffenen Arbeitsplätzen.

Kriminalisiert eure Gegner

Angesichts der riesigen Defizite in den öffentlichen Haushalten mag das veranschlagte Gesamtbudget (welches später noch aufgestockt werden kann) euren Auftraggebern übertrieben vorkommen. Damit sie vor den Steuerzahlern Ausgaben von mehreren Milliarden Euro rechtfertigen können, müsst ihr Zahlen liefern, die selbst die größten Skeptiker berauschen. Einige Angaben müssen ab-, andere aufgerundet werden. Spekuliert über den künftigen Bedarf, das wird sie alle einlullen. Vervielfacht die Zahlen über transportierte Fracht und Fahrgäste, schreckt nicht vor absurden Übertreibungen zurück. Schließlich kann euch nur eine Zukunft Unrecht geben, in der ihr die Gewinner seid.

Im Bereich des Schienentransports gibt es zwar lukrative Verträge, aber vergesst auch den Luftverkehr nicht. Nehmen wir zum Beispiel das nordfranzösische Flughafenprojekt Grand Ouest in Notre-Dame-des-Landes. Der Flughafen von Nantes ist zwar nicht ausgelastet, und in der Region gibt es insgesamt zwölf. Doch man sollte nicht vergessen, dass wir im Zeitalter der Virtualität leben. Schließlich bedarf es keines Bedarfs, um eine Idee gedeihen zu lassen!

Mit der Zeit zu gehen, hat seinen Preis. Natürlich ist es bedauerlich, viele Hektar Artenvielfalt unter technologischen Glanzstücken zu begraben, aber diese Opfer sind notwendig. Angesichts der immer restriktiveren Gesetzgebung müssen eure Infrastrukturprojekte den Landschaftsschutz und ökologische Standards berücksichtigen. Es gibt unzählige Tricks, um Stahl und Beton den grünen Anstrich des „ökologischen Bauens“ zu verpassen: ein Museum über die örtliche Landwirtschaft, Solarpanele, begrünte Dächer.

Auf diesem Gebiet müsst ihr wirklich standhaft sein. Denn trotz eurer zahlreichen Verpflichtungen werden euch die Umweltschützer mit ihrem Gejammer die Zeit stehlen. Sie werden eine leicht beeinflussbare Menge gegen euch aufhetzen, deren naive Weltsicht ein ungeplantes Hindernis darstellen kann. So kann sich ein rüstiger Rentner als hartnäckiger Gegner erweisen, der eure Pläne mit wahrer Besessenheit zerpflückt. So leider geschehen im Baskenland, beim Projekt der TGV-Trasse nach Spanien: Ein flammendes Pamphlet zweier Störenfriede2 hat sich in der alternativen Szene verbreitet. Hier müssen eure PR-Abteilungen an die Front, um diesen Quälgeistern den Zugang zu Medien mit großer Reichweite zu versperren. Vermeidet eine Ausweitung des Konflikts, damit er keinen Symbolcharakter bekommt oder gar bei den Verwaltungsgerichten landet und zum Baustopp führt.

Eine Zahlenschlacht können nur Gegner auf Augenhöhe austragen. Führt gegen die Argumente der Amateure eure Fachleute ins Feld. Zeigt euren Pioniergeist, schwenkt die Fahne der nationalen oder gar internationalen Interessen gegen die rückwärtsgewandten Visionen eurer Gegner. Betont immer wieder, dass ihr an ehrlichen und transparenten öffentlichen Aussprachen teilnehmen möchtet. Angesichts der politischen und medialen Unterstützung und mit den geeigneten Methoden inszeniert, dürften euch solche Treffen keine Sorgen bereiten.

Eure Gegenoffensive muss sich stufenweise steigern. Unter Umständen müsst ihr eine Schmutzkampagne in der Presse lancieren. Wenn der Protest nicht im Keim erstickt werden kann, sollte euer Lobbying auf die Kriminalisierung des Gegners zielen. Antwortet auf die von den Demonstranten beanspruchte Legitimität mit der institutionellen Rechtmäßigkeit eures Vorhabens, beruft euch auf die öffentliche Gewalt. Und wenn man euch zum Kräftemessen drängt, zeigt eure Entschlossenheit. Auch ihr habt das Recht, euch zu äußern! Bringt die Protestierenden im Namen des Gemeinwohls vor Gericht, zur Not muss man sie eben mit Tränengas und hohen Geldstrafen bekämpfen. Lasst unter Umständen mit aller Härte zuschlagen, wie etwa in Stuttgart. Die Schlacht kann auch manu militari gewonnen werden, wie die Erfahrung beim Umgang mit dem radikalen Widerstand NO TAV (No treno ad alta velocità: kein Hochgeschwindigkeitszug) im italienischen Susatal gelehrt hat: Wenn es die Wendung der Ereignisse erfordert, sollte man nicht davor zurückschrecken, eine Baustelle zur „militärischen Zone von strategischem Interesse“ zu erklären.

Ein großes Geschäft mit der öffentlichen Hand zu planen, wird zwar immer mühsamer, doch es lohnt sich. Die von den Behörden vergebenen Konzessionen erstrecken sich heutzutage über mehr als fünfzig Jahre. Für eure Unternehmen und eure Aktionäre verspricht das Jahrzehnte des Wohlstands. Erst recht, da die Palette der Möglichkeiten in Zukunft immer breiter wird: Krankenhauskomplexe, Handelszentren, Geschäftsviertel, Sportanlagen, Hochhäuser.3

In George Orwells Roman „1984“ verkündet die Partei: „Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke.“4 Heute könnte man ohne zu zögern behaupten: „Das Unnütze ist das Rentable!“

Fußnoten: 1 Marc Fressoz, „FGV, Faillite à grande vitesse“, Le Cherche Midi, Paris 2011. 2 Pierre Recarte und François Tellier, „Les Rails de la déraison. La très grande vitesse en Aquitaine et ailleurs“, Paris (Nuvis) 2011. 3 Siehe Thierry Paquot, „Das Nächste wird noch höher“, Le Monde diplomatique, März 2008. 4 George Orwell, „1984“, Deutsch von Michael Walther, Frankfurt am Main (Ullstein) 1984, S. 10. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz Alain Devalpo ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 10.08.2012, von Alain Devalpo