Die blauen Hemden von Gladstone
In der australischen Hafenstadt bestimmt der Bergbauriese Rio Tinto alles: von den Emissionsgrenzen bis zur Kleiderordnung von Mathieu O’Neil
Als Europäer verbindet man mit Industriezentren die Vorstellung von grauen Städten und stillgelegten Bergwerken, oder man denkt an chinesische Megastädte unter einer Dunstglocke, an Landflucht und verseuchte Flüsse. Der Anblick von Gladstone ist deshalb ziemlich überraschend: Der Küstenort im australischen Bundesstaat Queensland erweist sich trotz seiner riesigen Industriekomplexe als ein nettes, freundliches Hafenstädtchen.
Im Norden türmen sich Kohleberge, im Süden stehen Getreidesilos und die Zementfabrik. Noch weiter nördlich ragen drei gigantische Schornsteine in den Himmel: Vier Millionen Tonnen Kohle werden hier jährlich verbrannt. In Yarwun, zehn Kilometer nordwestlich von Gladstone, entstanden ein Chemiebetrieb des Unternehmens Orica und eine neue Aluminiumoxidraffinerie von Rio Tinto. Derselbe Konzern betreibt 10 Kilometer südlich der Stadt die Megaraffinerie Queensland Alumina Limited (QAL) und 25 Kilometer weiter auf der Insel Boyne die Gießerei Boyne Smelters Limited. Hier werden mehr als 20 Prozent des australischen Aluminiums produziert.
Wird die weltweit sinkende Rohstoffnachfrage auch Gladstone treffen, das vom australischen Wirtschaftsboom so enorm profitiert hat? Und was sagen die Wirtschaftsexperten dazu, dass zwischen Oktober 2008 und April 2009 allein in dieser Branche 12 500 Arbeitsplätze – davon 5 000 in Queensland – entfallen sind und dass im Bowen Basin, dem Reservoir der australischen Kohle, ein Bergwerk nach dem anderen geschlossen wurde?
In Gladstone bleibt man derweil gelassen. Es gibt so viele Abbaustätten, und die chinesischen Stahlwerke gieren nach Energie: Trotz der Krise wird der Kohlebergbau bleiben, es wird weiter Aluminium produziert; alles wird so weitergehen wie bisher. Zwar künden Anna Bligh, Regierungschefin in Queensland, und Kevin Rudd, der australische Premierminister und ebenfalls Sozialdemokrat, ständig neue Pläne zur Wiederankurbelung der Wirtschaft und Sofortmaßnahmen an, weil die Arbeitslosigkeit landesweit über 5 Prozent liegt und damit auf dem höchsten Stand seit vier Jahren. Doch das scheint die Leute in Gladstone nicht zu beunruhigen. Sie blicken zuversichtlich in die Zukunft.
Die Stadt hat einen natürlichen Hochseehafen, geschützt durch eine vorgelagerte Insel, ein warmes und trockenes Klima und gute Eisenbahnverbindungen. Außerdem sind wichtige Bauprojekte im Gange, etwa die Erweiterung der Aluminiumoxidraffinerie in Yarwun, oder in Planung, wie der neue Kohlehafen in Wiggins Island und ein Exportterminal für Erdgas. Zukunftssicherheit verspricht auch das vom Bund und Land finanzierte regionale Entwicklungsforum „Gladstone Economic and Industry Development Board“ (GEIDB), dessen Geschäftsführer Gary Scanlan beflissen erklärt, die Vielfalt der Unternehmen von Gladstone sei für Australien einzigartig, Vergleichbares gebe es nur im Nordwesten des Bundesstaats Western Australia: „Doch selbst da sind die Unternehmen auf drei oder vier Gebiete verteilt, hier aber konzentrieren sie sich auf eine einzige Region.“
Gladstones Ruf als Industriezentrum zieht sogar Touristen an. Zum Beispiel „graue Nomaden“, reisefreudige Rentner, die im Wohnmobil monatelang unterwegs sind. Inzwischen offerieren Reiseveranstalter sogar Stadtrundfahrten zu ausgewählten Industriestandorten. Auch für Tony Beers, Gewerkschafter der Australian Workers Union (AWU), ist seine Stadt das produktive Zugpferd Australiens, ein wahres „Industriemekka“. Dank ihrer Flexibilität wachse die Stadt immer weiter, da sie „für Queensland und die ganze Nation mitproduziert“.
Mit Aluminium groß geworden
Näher betrachtet reduziert sich die hochgelobte industrielle Vielfalt von Gladstone freilich vor allem auf ein Metall: Seit den 1960er-Jahren beruht der Wohlstand der heute 50 000-Einwohner-Stadt auf Aluminium, produziert vom Rio-Tinto-Konzern. Dabei wird das Bauxit von der Mine in Weipa, im Norden von Queensland, per Schiff nach Gladstone transportiert und in der Raffinerie von Queensland Alumina Limited (QAL) zu Aluminiumoxid verarbeitet. Die laut Rio Tinto „weltweit größte Aluminiumoxidraffinerie“ lässt an Dantes Inferno denken: ein gigantisches Labyrinth aus roten Gebäuden, Röhren und Galerien, aus dem überall weiße Rauchschwaden aufsteigen.
Das fertige Aluminium entsteht in der Gießerei von Boyne, die 50 Prozent der im Kraftwerk produzierten Energie verbraucht. Im Juli 2007 sollte die Kapazität der neuen Raffinerie von Yarwun verdoppelt werden. Umso schockierter war man, als Rio Tinto am 7. April 2009 ankündigte, in der Raffinerie von Yarwun und der Gießerei in Boyne fast 600 Stellen zu streichen.
In Gladstone laufen fast alle Männer in hellblauen Hemden herum; bei den Arbeitern wurden aus Sicherheitsgründen leuchtende Klettbänder angenäht; bei den Verwaltungsangestellten prangt das Firmenlogo auf der Hemdbrust. Cale Dendle, der Sprecher des Stadtrats, auch er in blauem Hemd, erzählt: „Bis zur Ankündigung der Stellenstreichungen dachten viele, es sei eher eine kleine Erschütterung als ein Erdbeben. Jetzt sind sie überrascht, denn das wird große Auswirkungen haben.“
Die Informationen sind unklar. Ursprünglich hieß es, die Entlassung werde 570 Mitarbeiter von Subunternehmen und 15 Festangestellte in Yarwun treffen, obendrein noch 20 Arbeiter der Gießerei in Boyne. Am Ende könnten es 800 oder sogar 1 100 sein.
„Wir sind an das Auf und Ab gewöhnt“, sagt Stadträtin Maxine Brush. Tatsächlich ist Gladstone im Rhythmus der Bauprojekte gewachsen: Rio Tintos Queensland Alumina Limited (QAL) entstand Ende der 1960er-Jahre, die Gießerei zu Beginn der 1980er, es folgten Orica, die Modernisierung des Kraftwerks, der Ausbau des Hafens, Cement Australia und schließlich Rio Tinto Yarwun. „Jedes Mal, wenn eins dieser großen Industrieprojekte errichtet war, löste es einen Zyklus von Boom und Pleite aus“, erklärt Gary Scanlan.
Ein solches Projekt läuft zunächst an, dann legt die Produktion zu, erreicht ihren Höhepunkt und geht langsam zurück, bis dann Schluss ist. Diesmal aber, erzählt Scanlan, „läuft das Ganze nicht allmählich aus, sondern es macht peng! Der Schock rührt daher, dass die Entscheidung so plötzlich kam …“ und dass so viele Beschäftigte betroffen sind: „500 Entlassungen sind viel. Das betrifft unmittelbar 2 000 Menschen, und wer weiß, welche indirekten Auswirkungen das noch hat?“
Gary Thompson vom Gladstone Observer geht davon aus, dass es zur Unterbeschäftigung kommen wird, selbst wenn die Kontraktarbeiter abwandern: „Inzwischen ist bei uns eine Generation groß geworden, die diese Erfahrung nie gemacht hat. Seit fünfzehn Jahren gab es hier keine Krise mehr“.
Im Sozialamt laufen bereits Präventivmaßnahmen an. Eine Mitarbeiterin zeigt uns ein dickes Paket mit Broschüren (rechtliche und finanzielle Ratschläge für Paare, Mieter und so weiter), die bei der nächsten Informationsveranstaltung verteilt werden sollen. Ihr Kommentar – „ das haben wir schon einmal erlebt“ – kommt uns irgendwie bekannt vor. Das Gleiche hören wir beim Fremdenverkehrsamt von Sandra Wiseman: „Das Auf und Ab kennen wir! Es wird Entlassungen geben … Aber das betrifft vor allem Kontraktarbeiter, die nicht aus der Stadt sind. Sie sind daran gewöhnt, sie rechnen damit.“
Unmittelbar Betroffene reagieren weniger gelassen. In einer Bar erzählt eine Angestellte: „Mein Mann ist noch mal davongekommen, aber viele andere hatten nicht so viel Glück. Alle haben Angst.“ Und nicht alle Kontraktarbeiter sind von außerhalb. Bob zum Beispiel arbeitet für eine lokale Wartungsfirma. Von seinen Kollegen sehen 80 Prozent nervös in die Zukunft. Und die meisten sind von Rio Tinto abhängig: „Unsere Arbeiter sind für die Wartung zuständig. Wenn bei Rio weniger los ist, sind wir die Nächsten: Das werden alle hier zu spüren bekommen.“
Die Manager von Rio Tinto erklären auf Anfrage, der um 60 Prozent gesunkene Weltmarktpreis für Aluminiumoxid lasse dem Unternehmen keine andere Wahl. Die Entlassungen sollten helfen, die Verschuldung abzubauen, die Rio im November 2007 beim Kauf von Alcan in Kanada gemacht hat, der 38 Milliarden Dollar gekostet hat. Damit stieg Rio Tinto zum weltgrößten Aluminiumproduzenten auf. 2008 versuchte der Konzern, das chinesische Konsortium Chinalco zum Einstieg zu bewegen, um frisches Kapital zu beschaffen. Der Gewerkschafter Tony Beers erzählt, dass Rio Tinto im Dezember 2008 verkündete, man müsste 2 500 Stellen in Queensland streichen, falls die Regierung das Abkommen mit Chinalco nicht ratifizierte: „Eine schamlose Erpressung!“
Im Juni dieses Jahres beschloss Rio Tinto schließlich ein Joint Venture mit der anglo-australischen BHP. Sie erlösten damit die Regierung Rudd aus einer peinlichen Lage. Der Premierminister wollte nämlich Chinas „zhengyou“ (echter Freund) bleiben. Das aber könnte schwierig werden, wenn Chinalco in Australien künftig nicht nur als Käufer, sondern auch als Verkäufer von Rohstoffen auftreten würde.1
Die neue Partnerschaft löste auch in Gladstone große Erleichterung aus. Dort war schon das Gerücht im Umlauf, die Raffinerie von Yarwun würde ganz geschlossen. Der Journalist Thompson meint inzwischen, die Lage sei womöglich nicht so schlimm, wie man zunächst gedacht hatte: „Einige haben zwar ihren Job verloren, aber die Stadt geht noch lange nicht in die Knie.“
Gewerkschafter Tony Beers ist sich sicher, dass der Gladstone Observer den Konzern nie kritisieren würde. Denn Rio kontrolliert ganz oder teilweise Gladstones Big Five: die Gießerei in Boyne, die beiden Raffinerien, das Kraftwerk und einige Kohlebergwerke. Die Mehrheit der Arbeiter in der Stadt sind bei Rio angestellt, und alle Unternehmen in der Gegend arbeiten mehr oder weniger mit dem Konzern zusammen. Hoffnungen auf Diversifizierung verbinden sich schon jetzt mit dem Bau eines Exportterminals für Flüssiggas, der Ende 2010 fertiggestellt sein wird.2 Die Macht von Rio hat mittlerweile ein allgemeines Unbehagen ausgelöst. Auch Thompson bestätigt: „Es gibt eine Menge Feindseligkeiten, weil viele der Meinung sind, dass Rio Tinto seiner Verpflichtung, sich um die Gemeinde zu kümmern, nicht nachkommt, dass Rio nur an Rio denkt.“
Ein Bonus für den Austritt aus der Gewerkschaft
Das, was man in Gladstone heute das „Rio-Modell“ nennt – individuelle Verträge zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ohne Beteiligung der Gewerkschaften –, steht am Ende einer Entwicklung, die 1993 begann. Damals beseitigte die Labor-Regierung von Paul Keating das Recht der Gewerkschaften, für ganze Industriezweige zu verhandeln (industry bargaining), und ersetzte es durch Verhandlungen auf Unternehmensebene (enterprise bargaining). Drei Jahre später setzte der Ultrakonservative John Howard von der Liberal Party diesen Weg fort: Seither spricht man nicht mehr von „industrial relations“ (industriellen Beziehungen), sondern von „workplace relations“ (Beziehungen am Arbeitsplatz).
Erst wenn die Beschäftigten mehrheitlich dafür eintraten, wurde die gewerkschaftliche Arbeit im Unternehmen zugelassen. Und die Einführung von Australian Workplace Agreements (AWA) zwischen einzelnen Beschäftigten und Unternehmern bedeutet, dass Mitarbeiter, die auf kollektive Verhandlungen verzichten, bessere Gehälter bekommen. So verloren die Gewerkschaften immer mehr Mitglieder.
Als die Konservativen 2004 auch im Senat die Mehrheit stellten, konnte Premier Howard das Programm „Work Choices“ endlich vollständig umsetzen. Die Rechte der Gewerkschaften wurden eingeschränkt; Gesetze, die Arbeitnehmer vor missbräuchlichen Entlassungen schützten, galten nur noch für Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten. Und wer sich weigerte, ein AWA zu unterzeichnen, konnte eine „betriebsbedingte“ Kündigung erhalten.
Beers behauptet, dass es heute in ganz Gladstone einen Tarifvertrag noch in einem einzigen Unternehmen gibt, und zwar in der Raffinerie Queensland Alumina Limited: „In Boyne und Yarwun gibt man den Arbeitern mehr oder weniger offen zu verstehen, dass sie ihre Stelle verlieren, wenn sie einer Gewerkschaft beitreten.“ Dabei gehörte Gladstone noch vor wenigen Jahren zu den Zentren des Widerstands gegen Howards Arbeitsgesetz. 6 000 Demonstranten gingen hier damals auf die Straße. Der Protest gegen die „Work Choices“ führte unter anderem dazu, dass Premierminister Howard im November 2007 sein Amt an Kevin Rudd von der Australian Labor Party (ALP) verlor.
Auf Initiative von Julia Gillard, Ministerin für Bildung und Beschäftigung und stellvertretende Regierungschefin, wurde ein neues Arbeitsgesetz („Fair Work“) verabschiedet. Seitdem genügt der Antrag eines einzigen Arbeitnehmers, um die Gewerkschaft einzuschalten. Und der Schutz gegen missbräuchliche Entlassung gilt jetzt für alle Firmen mit mehr als 15 Beschäftigten.
Rio Tinto hat alle Möglichkeiten der Work-Choices-Gesetze ausgeschöpft. Bis vor kurzem, so Thompson, „durften die Gewerkschaften die Betriebe nicht betreten, um sich vor Ort einen Eindruck zu verschaffen und mit den Bossen zu verhandeln. Sie mussten draußen mit den Jungs diskutieren. Das erste Mal seit fünf Jahren dürfen sie heute wieder den ‚eisernen Vorhang‘ der Gießerei Boynes passieren.“
Jim, den wir im Flugzeug getroffen haben, ist ein Kontraktarbeiter, der für ein paar Tage aus Tasmanien nach Gladstone kommt, um in der Gießerei Wartungsarbeiten vorzunehmen. Er bestätigt, dass auch er und seine Kollegen das Hemd der Gießerei tragen müssen, wenn sie in der Stadt unterwegs sind. „Keine Ahnung, warum. Vielleicht wollen sie nicht, dass man sieht, wie viele Selbstständige dort arbeiten.“ Viele ehemalige Mitarbeiter, die die AWA abgelehnt hatten, wurden nämlich erzwungenermaßen zu Honorarkräften. In Gladstone hat Rio Tinto die Tendenz zu Kontraktarbeitern gefördert, bei denen der Konzern weder Urlaubsgeld zahlen noch für Krankenversicherung oder Abfindungen bei einer Entlassung aufkommen muss.
Sogar die Universität ist unter Fremdeinfluss geraten. Die Central Queensland University hat ein Forschungszentrum für Leichtmetalltechnologie, das Process Engineering and Light Metal Center (Pelm), deren Programme partnerschaftlich mit den Firmen entwickelt werden.3 Doch das Engagement der Industrie geht noch weiter. Im Leo Zussino Building4 befinden sich beispielsweise ein Konferenzzentrum, das Büro des Campusdirektors und das „Rio Tinto – People & Organisation Support Capability Development“. Das Gebäude beherbergt außerdem das „Zentrum für saubere Kohle“ (Gladstone Centre for Clean Coal). Im Foyer stellt ein Modell mit eindrucksvollen akustischen Effekten die Geschichte der Kohle in drei Epochen dar. In der Neuzeit angekommen, erblickt man einen Hafen, der aufs Haar dem von Gladstone gleicht. Und man erfährt, dass die Stromerzeugung aus Kohle „immer effizienter und schadstoffärmer“ wird.
Gemessen an seiner Einwohnerzahl gehört Australien zu den schlimmsten Umweltverschmutzern der Welt.5 Dennoch sprach sich George Creed, der konservative Bürgermeister von Gladstone, öffentlich gegen die ursprüngliche Intention der Regierung Rudd aus, bis 2010 in den Emissionshandel einzusteigen. Er befürchtet, das Emissions Trading Scheme (ETS) gefährde zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt die Zukunft der Stadt: „Es würde niemandem schaden, ein, zwei Jahre zu warten, aber es wäre ein großer Nachteil für uns, das ETS jetzt einzuführen.“6
Im Rathaus sind die Meinungen dazu geteilt. Für Stadtrat Dendle „ist der Markt ein Kontrollmechanismus, der sich bewährt hat“. Aber ein Problem, das seiner Ansicht nach nicht nachweislich vom Menschen verursacht wurde, könne auch nicht durch den Markt geregelt werden: „Kann Australien etwas daran ändern? Das ist für mich die eigentliche Frage.“ Stadträtin Maxine Brush unterstützt den Emissionshandel, zweifelt jedoch an der Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen. Das Programm räume den Kohleproduzenten immer noch beträchtliche Zugeständnisse ein.7
Hier liegt übrigens nicht der einzige Widerspruch in der Umweltpolitik der Regierung Rudd.8 Der 2007 als Hoffnungsträger der Klimaschützer angetretene Labor-Mann knickte am Ende doch vor der Kohlelobby ein. Im Mai 2009 wurde beschlossen, das ETS auf das Jahr 2011 zu verschieben. Offizielle Begründung: die Rezession.
Und als 2008 der Hafen von Gladstone erweitert werden sollte, kam Umweltminister Peter Garrett mit der Begründung, dass die Kohleindustrie eben für Wachstum sorge und Arbeitsplätze sichere. Natürlich beteuerte er, man werde den Umweltschutz berücksichtigen und auf Technologien zur CO2-Filterung und -Bindung setzen.9 Diese würden aber frühestens zwischen 2015 und 2020 einsatzreif sein. Bis dahin wird es also keinen Ausgleich für die steigenden Emissionen geben, die Australien in der Zwischenzeit verursacht.10
Die Australier verweisen auf die Recyclingquote von Bierflaschen und die Solarzellen auf ihren Dächern. „Ich bin 1967/68 nach Gladstone gekommen, als die Raffinerie auf dem Gelände des früheren Schlachthofs entstanden war“, erzählt Tony Beers. „Ohne Hafen und Kohle gäbe es hier auch keine Uni. Wer wollte sich da also beschweren?“
Weißer Staub und erhöhtes Krebsrisiko
Thompson findet schon, dass der Kohlenstaub eine deutlich sichtbare Verschmutzung darstellt: „Man kann die großen Haufen auf der anderen Seite des Flusses nicht übersehen. Aber die Luft ist auch voll von weißem Staub, den die Leute nicht sehen. Heute würde man die QAL-Raffinerie sicher nicht mehr in Küstennähe errichten, sondern irgendwo in der Pampa.“
Lillian de Torres vom Forschungszentrum für Leichtmetalltechnologie (Pelm) untersucht die organischen Bestandteile in den Emissionen der Aluminiumoxidraffinerien von Gladstone. Sie hat mehr als 80 verschiedene Stoffe gefunden, darunter Aceton und Toluol.
Im März 2009 lud die NGO Clean Air Society zu einer Informationsveranstaltung über die Luftqualität in Gladstone ein. Die Umweltbehörde von Queensland (Environment Protection Agency, EPA) hatte das Ganze zwar finanziert, „wollte aber nicht genannt werden“, erzählt Professor Doley von der Queensland University und Mitglied der Clean Air Society. Die Veranstaltung sollte informell bleiben. Warum? Als „Modellbürger der Risikogesellschaft“ sollten die Einwohner von Gladstone, auch wenn sie „besser informiert sind als anderswo“, nicht zu viel wissen.
Laut einer Studie der Umweltbehörde, die 2010 veröffentlicht werden soll, traten in Gladstone zwischen 1996 und 2004 22 Fälle von chronischer lymphoider Leukämie auf (der Durchschnittswert hätte bei 14 Fällen liegen müssen).11 Fragt man jedoch Professor Doley, ob die Emissionen aus Aluminiumoxidraffinerien gesundheitsschädlich seien, erzählt er lediglich, dass man in Wagerup, im Bundesstaat Western Australia, „besorgt“ sei über die organischen Bestandteile in den Abgasen der Raffinerie. Zudem sei es immer schwierig, die Ursachen für überdurchschnittlich häufige Krebserkrankungen zu ermitteln.
Gewerkschafter Beers weiß zwar auch, dass es in Gladstone „Probleme mit Emissionen“ gibt, aber die Unternehmen würden intensiv daran arbeiten, diese Probleme zu lösen. „Meiner Meinung nach ist es ein Fehler, einen einzigen Industriezweig anzugreifen, auch wenn es nur kleine Interessengruppen sind, die das tun und eine Debatte anzetteln wollen. Aber wenn Sie nach Brisbane fahren und sich an die Hauptverkehrskreuzung stellen: Was meinen Sie, was Sie da einatmen?“
Vor einigen Jahren schrieb der Journalist John Pilger: „Die Sonne ist der Firnis von Australien.“12 Der Satz müsste im Gemeindesaal von Gladstone hängen. Denn in dieser postkartenbunten Stadt wird der Schulterschluss von Industrie und Gewerkschaft nicht einmal durch die Folgen der Finanzkrise gefährdet.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Mathieu O’Neil forscht an der Australian National University in Canberra und der Université Paris IV (Sorbonne).