13.02.2020

Der Preis der Rose

zurück

Der Preis der Rose

Eine giftige Bilanz zum Valentinstag

von Zulma Ramirez und Geoffroy Valadon

Vibeke Slyngstad, Sønstegård IX, 2019, Öl auf Leinwand, 60 x 85 cm
Audio: Artikel vorlesen lassen

Was ist eine Rose? Eine List der Natur, um Insekten anzulocken? Eine duftende Augenweide in der urbanen Betonlandschaft? Vor allem ist sie ein Produkt, das gekauft wird, um es zu verschenken, gilt die Rose doch wie keine andere Blume als Symbol der Liebe und Wertschätzung, wie die Werbeindustrie vor jedem Valentins- und Muttertag niemals müde wird zu betonen. Und wenn die Rose verblüht ist, landet sie im Müll – beziehungsweise im Restmüll, denn wegen ihrer chemischen Belastung gehört sie nicht auf den Kompost.

Der Lebenszyklus einer Rose dauert acht Jahre, bis ihre Überreste in einem Container zur Müllverbrennungsanlage gekarrt werden. In deutschen, niederländischen oder französischen Rosengärten kreuzen Züchter die Pollen und Stempel unterschiedlicher Pflanzen, um deren verschieden ausgeprägte Eigenschaften wie Widerstandskraft, Form oder Blühfreudigkeit zu kombinieren.

Die Produktivität der Blumen wird an der Zahl der Stiele pro Quadratmeter gemessen – bei Supermarkt-Blumen, die in niedrigen Lagen gezüchtet werden, kommt man auf 240 Stiele. Auch Form und Farbe werden nicht dem Zufall überlassen und richten sich in jeder Saison nach dem, was gerade in der Kleidermode en vogue ist. Und so wie bei den industriell angebauten Tomaten1 nur das Aussehen zählt und nicht der Geschmack, so steht bei der Supermarkt-Rose der Duft an letzter Stelle.

Einen US-Dollar zahlt ein Blumenbauer pro Pflanze, plus jährlich 0,15 Dollar Lizenzgebühren. Innerhalb weniger Wochen kann er damit ein Treibhaus füllen: Er schneidet einen Spross von der Modellpflanze ab, und der Steckling vermehrt sich auf vegetative Weise. Das Verfahren wird wiederholt, bis man tausende Ableger erhält. Jeder davon wird auf Wurzeln gepfropft, um die Pflanze resistenter gegen Krankheitskeime zu machen.

Rosenkulturen gab es bereits in der Antike, auf alexandrinischen Münzen von der Insel Rhodos sind Rosen abgebildet, Konfuzius schrieb über Pekings Rosengärten, und die Römer dekorierten ihre Festtafeln, Feldherren und Gräber mit Rosen. Die moderne Rose mit geradem Stiel und großer Blüte ist allerdings eine amerikanische Erfindung vom Ende des 19. Jahrhunderts.

Nach dem Zweiten Weltkrieg profitierte dann auch die Blumenbranche von der Industrialisierung der Landwirtschaft und der Entwicklung neuer Pflanzenschutzmittel. Und in den beheizten Gewächshäusern züchtete man Sorten, die im europäischen Klima sonst schlecht gedeihen würden.

Nach der Ölkrise von 1973 rentierte sich diese Strategie allerdings nicht mehr – zumal inzwischen Konkurrenz von anderen Kontinenten auf den Markt drängte. So setzten die US-amerikanischen Branchenriesen seit den 1980er Jahren auf das äquatoriale Klima in Ländern, wo die Arbeitskräfte nicht viel kosten und das Land billig

ist, wie etwa in den Anden Kolum­biens oder Ecuadors (2018 lag hier der Lohn für einen Arbeitstag bei rund 15 US-Dollar). Die europäischen Rosenproduzenten zogen in den 1990er Jahren nach und investierten ihrerseits in für sie näher gelegene Standorte in den Bergen Kenias (3 bis 4 Dollar am Tag) oder Äthiopiens (etwa 1 Dollar am Tag).

Dank der Nähe zum Äquator und der Höhenlage bekommen die Rosen in solchen Ländern die maximale Sonneneinstrahlung und können in einem Klima wachsen, das ohne Frost und ohne Hitzewellen das ganze Jahr über gleich bleibt. Um die größtmögliche Sonneneinstrahlung zu gewährleisten und die klimatischen Bedingungen zu kontrollieren, werden die Kulturen in Treibhäusern angelegt, wo eine Temperatur von 35 Grad Celsius herrscht.

Anfangs nutzten die Betriebe den natürlichen Boden, aber da die Monokulturen häufig von Krankheitskeimen befallen wurden, die sich über die Wurzeln verbreiten, wachsen die Rosenstöcke seit den 2000er Jahren nicht mehr im Boden, sondern auf pflanzlichem oder synthetischem Substrat.

Rosen sind aber auch sehr durstig: Je nach Anbausystem werden sieben bis dreizehn Liter Wasser pro Knospe verbraucht. Die Millionen von Pflanzen belasten also die lokalen Wasserreserven; hinzu kommt, dass die Blumenindustrie die natürlichen Gewässer nutzt oder das Grundwasser anzapft, ohne dafür zu bezahlen.

In der Savanne um Bogotá im Zen­trum Kolumbiens wie in der Region um die kenianischen und äthiopischen Seen2 spricht man schon von einer doppelten Wasserkrise: Die ansässige Bevölkerung leidet nicht nur unter Wassermangel, die Quellen werden zusätzlich auch noch verunreinigt, was unkalkulierbare Folgen für die Gesundheit der Menschen und die Ökosysteme hat.

Auf Druck der Bewohner und internationaler NGOs haben sich einige Unternehmen inzwischen dazu verpflichtet, Wasser einzusparen, etwa durch Wiederaufbereitung und die Nutzung von Regenwasser. Die Pflanzen werden inzwischen meist über ein Tropfsystem gegossen und genährt, so dass das Wasser mit dem Dünger und den Pflanzenschutzmitteln in das Substrat tropft und nicht in den Boden abfließt.

In diesen Breitengraden blühen die Rosen zwar das ganze Jahr, doch Termine wie der Valentinstag sind eine logistische Herausforderung und müssen minutiös geplant werden. Damit die Rosen auf den Tag genau am 14. Februar aufgehen, manipulieren die Rosenzüchter die Pflanzen.

So müssen sie etwa in einem bestimmten Zeitraum zurückgeschnitten werden, der anhand der Höhenlage und Sonneneinstrahlung genau berechnet wird. In Kolumbien liegt er im Schnitt 95 Tage vor dem Versand der Blumenkartons. Der Schnitt muss präzise ausgeführt werden, deshalb werden für diese Arbeit meist Frauen eingesetzt, die erfahrungsgemäß sorgfältiger und disziplinierter arbeiten als Männer.

In den letzten Jahrzehnten ist die geforderte Tagesleistung der Beschäftigten kontinuierlich gestiegen. Wegen des Tempos leiden heute viele kolumbianische Arbeiterinnen an Sehnenentzündung. „Aber wir beschweren uns lieber nicht“, sagt eine Arbeiterin. „Sonst denken die gleich, wir sind von der Gewerkschaft.“ Inés Maroquín vom kolumbianischen Blumenarbeiterverband kann das nur bestätigen. Die Geschäftsführer würden immerzu jammern, dass „der Betrieb schlecht läuft und die Gewerkschaften das Geschäft ruinieren“.

Eine Rose braucht außerdem viel Pflege. Die Schnittblumen dürfen keinen einzigen Fleck auf den Blüten und Blättern haben. Schließlich gilt die Rose als die „Königin der Blumen“ – die Blumenkonzerne tragen Namen wie Queens Flowers, Splendor ­Flowers oder Elite Flowers. Und damit alles nach Plan läuft, werden die Pflanzen ordentlich mit Pestiziden, Fungiziden und Bakteriziden besprüht.

Die Unternehmen geben dazu kaum Zahlen heraus. Doch Khaoula Toumi, Agrarwissenschaftler an der Universität Lüttich, hat seine eigenen Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass die Blumen „100- bis 1000-mal mehr als die im Ernährungssektor zulässige Menge an Pflanzenschutzmitteln“ enthalten.3

In den Dörfern in der Savanne von Bogotá beginnt man sich schon zu fragen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Arbeit in der Rosenindustrie und den Fehlgeburten, kindlichen Fehlbildungen und Krebserkrankungen. Die Gewerkschaft Untraflores (Unión Nacional de Trabajadores de las Flores) moniert, dass es keine umfassende Studie über die gesundheitlichen Auswirkungen der Rosenindustrie gibt, obwohl einzelne Untersuchungen bereits auf einen Zusammenhang schließen lassen.4

10 Liter Wasser pro Knospe

Das sei auch kein Wunder, meint To­más Enrique León-Sicart vom Institut für Umweltstudien der Universität Bogotá, „wenn Betriebe wie feudale Lehensgüter organisiert sind“.

Viele Geschäftsführer beteuern indes, dass diese Zeiten vorbei seien und sich die Produktionsbedingungen immens verbessert hätten. Trotzdem dürfen Frauen vorsichtshalber keine Aufgaben übernehmen, bei denen sie unmittelbar mit Pflanzenschutzmitteln in Kontakt kommen würden – für diese Arbeit wird sogar eine Prämie gezahlt. „Das liegt daran, weil wir Frauen das Essen zubereiten, unsere Kinder stillen und weil man fürchtet, dass wir durch das Gift unfruchtbar werden könnten“, erklärt Daisy, die ihre Arbeit eigentlich sehr gern macht. Ihr Mann hat schon den Job gewechselt und versucht auch seine Frau zu überzeugen, „nicht ihre Gesundheit für Geld aufs Spiel zu setzen“. Das Versprühen von Fungiziden und Insektiziden wird während der gesamten Wachstumsphase der Stiele fortgesetzt. Die Treibhäuser dürfen erst wieder betreten werden, wenn sich die Substanzen gesetzt haben. Diese Quarantäne dauert einige Tage oder auch nur einige Stunden, je nach Produkt – und je nach Betrieb.

Fünfzehn Tage vor Sankt Valentin werden Arbeiter aus den armen Teilen Kolumbiens und Migranten aus Venezuela mit Bussen zur Ernte abgeholt. Die tägliche Arbeitszeit steigt nun von zehn auf durchschnittlich sechzehn Stunden; pro Stunde muss ein Arbeiter 350 Blumen schneiden. Um die Öffnung der Knospe hinauszuzögern, landen die Pflanzen unmittelbar nach dem Schnitt in gekühlten Lagerhallen, wo Frauenteams bei 4 Grad Celsius Blätter und Stacheln von den Rosen entfernen, sortieren, kürzen und Sträuße für die Supermärkte binden. „Mangelhafte“ Rosen mit zu wenig Blüten, krummen Stielen, kleinen Flecken oder „falschen“ Farben werden entweder sofort vernichtet oder auf den einheimischen Märkten billig verkauft.

Danach beginnt der Pendelverkehr der Kühlwagen zum Flughafen – die Nähe zu einem Flugplatz ist ein entscheidendes Kriterium bei der Wahl des Produktionsstandorts. Der Straßentransport steht unter Bewachung, um Diebstahl oder das Einschmuggeln von Rauschgift zu verhindern. Außerdem werden Ermittler eingesetzt, um die Konvois aufzuspüren, die keine Lizenzgebühren an die Rosenzüchter aus den USA bezahlt haben.

Die Aufrechterhaltung der Kühlkette bis zu den Lagern der Kunden steigert die Transportkosten erheblich. Neunzig Prozent des CO2-Fußabdrucks, den etwa die Blumen­pro­duk­tion in Kenia hinterlässt, entsteht durch den Transport. Der CO2-Fußabdruck der kenianischen Blumen ist trotzdem vergleichsweise niedrig. Die Produktion in den Niederlanden mit ihren beheizten und beleuchteten Treibhäuser verursacht sechsmal so viel Kohlendioxid.5

Zwei Tage nach dem Schnitt kommen die Paletten mit den Rosen in Aalsmeer an, der Weltbörse für Blumen in den Niederlanden, oder in Miami, der Drehscheibe der Branche für Nordamerika. Dort werden sie meistbietend an Großhändler und Supermarktketten verkauft und mit Lastwagen in die Vertriebszentren der Großstädte befördert. Fünf Tage nach dem Schnitt stehen sie beim Blumenhändler im Geschäft.

Über hundert toxische Substanzen

Der Rosenhandel wird in Dollar abgewickelt: 20 bis 30 Cent kostet eine Rose, wenn sie den Produktionsbetrieb verlässt, 80 Cent zahlt der Einzelhändler und 1,50 Dollar schließlich der Kunde – am Valentinstag auch das Doppelte oder Dreifache.

Die größten Anbaubetriebe gehören US-amerikanischen oder europäischen Konzernen, die von den Freihandelsabkommen profitieren, die den Erzeugern in den USA das Genick gebrochen haben. Im Gegenzug hat die US-amerikanische Agrarlobby durchsetzen können, dass die kolumbianischen Importzölle auf Soja, Weizen, Mais und Öl abgeschafft wurden.6 Eine fatale Entwicklung, wie Ricardo Zamudio vom kolumbianischen Umweltverband Cactus kritisiert: „Diese Handelsabkommen sorgen dafür, dass die Blumenproduktion für den Export den Anbau von Lebensmittelkulturen verdrängt. Das gefährdet unsere Ernährungssouveränität.“

Im Gegensatz zu den Vorschriften für Obst und Gemüse gibt es bei Blumen keine verpflichtende Herkunftsangabe. Die meisten Kunden wissen gar nicht, dass fast alle Rosen aus Äquatorialstaaten importiert werden.7 Und den Blumenhändlern ist zwar klar, dass die Produktion chemisch belastet ist, aber sie glauben nicht, dass das für sie schädlich sein könnte.

Khaoula Toumi hat allerdings auch an den Händen von Floristen Rückstände von über einhundert toxischen Substanzen nachgewiesen, und allein siebzig Stoffe im Urin, darunter auch solche, die in Europa verboten sind. Mit der Begründung, dass man Blumen nicht isst,8 muss sich die Gartenbaubranche bislang keine Gedanken um Gesundheitsstandards machen und bleibt von der Biowelle unberührt. Die Industrie hat zwar trotzdem eine „grüne“ Kennzeichnung eingeführt, aber das ist lediglich eine Selbstzertifizierung, die private Firmen im Auftrag der Hersteller anfertigen. „Die Arbeitskräfte bleiben bei der Beurteilung der Produktionsprozesse komplett außen vor“, klagt Ricardo Zamudio.

Doch es gibt immer Alternativen: In Europa und in den USA züchten kleine Betriebe noch – beziehungsweise wieder – einheimische oder alte Sorten. Sie setzen möglichst wenig Chemika­lien ein und richten sich mit ihrem Angebot nach den Jahreszeiten. Die Produktion ist weniger kapitalintensiv, erfordert aber mehr Arbeitskraft und Fachkenntnis. Im Sommer kann man solche Rosen beim Gemüsehändler kaufen. Sie sind etwas kleiner und duften stärker. Und man kann sie im Kompost entsorgen.

1 Siehe Jean-Baptiste Malet, „Täglich Tomate“, LMd, Juli 2017.

2 Siehe Christelle Gérand, „Salz und Rosen – Die Schattenseiten des äthiopischen Wirtschaftswunders“, LMd, April 2019.

3 Khaoula Toumi, „Exposition des travailleurs aux résidus de pesticides sur les fleurs coupées et sur les produits horticoles“, Universität Lüttich, 2018.

4 Mauricio Restrepo et al., „Prevalence of adverse reproductive outcomes in a population occupationally exposed to pesticides in Colombia“, Scandinavian Journal of Work, Environment and Health, Bd. 16, Nr. 4, Helsinki, August 1990; Marcela Varona u. a., „Alteraciones citogenéticas en trabajadoras con riesgo ocupacional de exposición a plaguicidas en cultivos de flores en Bogotá“, Biomédica, Bd. 23, Nr. 2, Bogotá 2003.

5 Adrian Williams, „Comparative study of cut roses for the British market produced in Kenya and the Netherlands“, Cranfield University, 2007.

6 Damian Paletta, „In rose beds, money blooms“, The Washington Post, 10. Februar 2018.

7 In Frankreich stammen 99 Prozent der Schnittrosen aus dem Import. „Bilan annuel. Commerce extérieur français des produits de l’horticulture“, FranceAgriMer, Paris 2016.

8 Die reichen römischen Patrizier, heißt es, aßen Rosenhonig, gezuckerte Rosenblätter und haben sogar ein Rezept für Rosenpudding hinterlassen. Siehe Gabriele Tergit, „Der alte Garten“, S. 53, Frankfurt am Main (Schöffling & Co.) 2014 (die Erstauflage erschien 1958).

Aus dem Französischen von Birgit Bayerlein

Zulma Ramirez und Geoffroy Valadon sind Mitglieder des sozialkritischen Kollektivs La Rotative.

Le Monde diplomatique vom 13.02.2020, von Zulma Ramirez und Geoffroy Valadon