09.01.2020

Die Dienstwagen der anderen

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Die Dienstwagen der anderen

In Belgien blockiert ein Privileg für Besserverdienende alternative Verkehrskonzepte

von Vincent Doumayrou

Karin Kneffel, ohne Titel, 2004, Öl auf Leinwand, 100 x 300 cm Achim Kukulies
Die Dienstwagen der anderen
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Achtzig Prozent der Bevölkerung in Westeuropa sind motorisiert. Bei den meisten Fahrten sitzt nur ein Mensch im Auto. Um durchschnittlich 100 Kilo Ladung zu befördern, muss somit über eine Tonne Materie bewegt werden. Der Privatwagen wird oft auch dann genutzt, wenn es weder nötig noch sinnvoll ist – für kurze Distanzen, die man bequem zu Fuß oder per Fahrrad zurücklegen könnte, in Ballungsräumen, in denen es öffentliche Verkehrsmittel gibt, oder für längere Strecken, für die sich eher die Eisenbahn anbietet.

Das stellt die Allgemeinheit vor gewaltige Probleme: Staus, Bewegungsmangel, Abhängigkeit vom Erdöl, Umweltschäden im Kleinen (Ozon- und Feinstaubbelastung) und im Großen (Treibhauseffekt und Klimawandel).

Der frühere Renault-Vize Patrick Pélata prophezeit eine „Revolution des Verkehrswesens“. Zwischen 2020 und 2030 werde es zu einem tiefgreifenden Wandel kommen. Der Pkw als Spaßmobil verliere an Bedeutung, die Zukunft gehöre dem autonomen, gemeinschaftlich genutzten und auf seine Funktion als Transportmittel reduzierten Auto.1

Diese optimistische Prognose lässt allerdings einen allgemein wenig beachteten Faktor außer Acht, der das Alleinfahrertum begünstigt: den Firmenwagen. Seit den 1970er Jahren wurde es in Unternehmen Usus, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten ein Fahrzeug zur Verfügung stellen, das sie auch privat nutzen dürfen.2 Was als Arbeitsmittel eingeführt wurde, mutierte zur Lohnzusatzleistung und zum Statussymbol.

In Belgien machten 2015 Firmenwagen mehr als ein Zehntel aller zugelassenen Fahrzeuge aus. Umstritten sind sie nicht zuletzt deswegen, weil sie steuerlich begünstigt ­werden. Nach Berechnungen der Université Libre de Bruxelles kostet das Dienstwagen-Steuergeschenk den belgischen Fiskus jedes Jahr 2 Mil­liar­den Euro.3 Davon profitieren dürfen vor allem Menschen mit hohem Einkommen, denn das reichste Zehntel der Bevölkerung nutzt mehr als die Hälfte aller Firmenwagen.

André Crespin, der heute für die Belgische Arbeitspartei (PTB) im Anderlechter Stadtrat sitzt und früher als Ingenieur in einem Bauunternehmen auch einen Firmenwagen hatte, sagt: „Bei den Alumni-Treffen meiner Ingenieurschule sind Firmenwagen ein Dauerthema. In meiner Firma hatten nur die Ingenieure Anspruch darauf, und die edleren Marken waren der Führungsetage vorbehalten.“

Im Dezember 2014 sammelten mehrere Umweltschutzverbände wie der Bond Beter Leefmilieu bei einer Onlinepetition 25 000 Unterschriften für die Abschaffung der Steuerbegünstigung. Wenig später gab der Politologe Dave Sinardet in der Wirtschaftszeitung De Tijd zu bedenken: „Da der Steuervorteil auch für die von der Firma finanzierte Tankkarte gilt, wird der Wochenendtrip ans Meer oder in die Ardennen staatlich subventioniert. So kommt es, dass Firmenwagennutzer mehr Kilometer zurücklegen als private Autobesitzer.“4

Besonders paradox: Die Arbeitgeber beklagen sich zum einen über verstopfte Straßen und verteidigen zum anderen eine Regelung, die für noch mehr Autoverkehr sorgt. „Ich bin ein Freund des ÖPNV, aber ans Meer bin ich damals mit dem Auto gefahren“, erinnert sich André Crespin. „Mein Chef wollte mir kein Abo für die Brüsseler Verkehrsbetriebe finanzieren. Da wurde ich geradezu verleitet, im Auto zur Arbeit zu fahren.“

Frank van Gool, Chef von Renta, dem belgischen Verband der Autovermieter, versucht die Kritik zu relativieren: „Die Steuerregelung führt dazu, dass die Firmenflotten auf dem neuesten Stand sind und umweltfreundlichere Fahrzeuge angeschafft werden. Über manches lässt sich streiten, aber diese Regelung ernährt einen ganzen Wirtschaftszweig.“ Es genüge, wenn man die Tankkarte von der Steuervergünstigung ausnehme, meint van Gool.

2018 führte die belgische Regierung unter dem Namen „Cash for Car“ ein steuerfreies Mobilitätsbudget für Angestellte ein, die auf ihren Firmenwagen verzichten. 2019 ging die Regierung noch einen Schritt weiter: Wenn der Arbeitnehmer das Budget nicht in Anspruch nimmt, bekommt er vom Arbeitgeber die gleiche Summe, um sich ein umweltfreundlicheres Auto zuzulegen, näher an den Arbeitsort zu ziehen oder nachhaltige Verkehrsmittel zu nutzen.

Clara Gruner von der Université Libre de Bruxelles hat sich in ihrer Diplomarbeit mit dem Thema auseinandergesetzt und bleibt skeptisch: „Die Wortführer der etablierten Parteien sind mehrheitlich für einen Ausstieg in ganz kleinen Schritten, weil die Abschaffung eines Steuervorteils bei den Wählern nicht gut ankommt.“

SUVs sind die Lieblinge der Fuhrparkmanager

Im September 2018 war auf der Titelseite der auflagenstarken Tageszeitung Het Laatste Nieuws zu lesen, dass die Zahl der Firmenwagen seit 2015 um 22 Prozent und bei den unter 30-jährigen Angestellten sogar um 48 Prozent gestiegen ist.5 In ihrem Bekanntenkreis in dieser Altersklasse, bestätigt Gruner, sei der Firmenwagen unbedingt ein Kriterium bei der Arbeitsplatzwahl.

Der Aufwärtstrend bei Firmenwagen ist allerdings gegenläufig zur Entwicklung des belgischen Verkehrsaufkommens insgesamt. Denn das ist seit 2000 nur wenig gewachsen. Beruht die Dominanz des Autos also weniger auf individuellen Entscheidungen, von denen der Einzelne nur durch eine höhere Besteuerung abzubringen ist, als vielmehr auf der Vergütungspolitik der Arbeitgeber?

Die Firmenwagen machen nicht nur den öffentlichen Verkehrsmitteln Konkurrenz, sondern auch Alternativangeboten wie Carsharing und Fahrgemeinschaften. Der 1975 gegründete Verein Taxistop bot zunächst sichere Mitfahrmöglichkeiten für Anhalter im Großraum Gent an. Inzwischen haben die Zeiten sich geändert: Heute hilft Taxistop Unternehmen, Mitfahrgelegenheiten für ihre Belegschaft zu organisieren.

„Wir sind auf kommunale Zuschüsse angewiesen, denn der Austausch von Leistungen auf Peer-to-Peer-Basis ist kein kostendeckendes Geschäftsmodell“, erklärt Sandrine Vokaer, Projektmanagerin bei Taxi­stop. Obendrein sind die Fahrten wegen der verstreuten Wohnorte und der Arbeitszeiten schwer zu koordinieren. „Beim Audi-Werk in Forest funktioniert das Modell aber gut“, sagt Vokaer. Denn dort werde im Team gearbeitet, und die Arbeiter in der Fertigung, die nicht viel verdienen und selten einen Firmenwagen haben, seien sehr daran interessiert, die Fahrtkosten zu teilen.

Carsharing ist eigentlich eine alte Idee, auf die schon der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow kam, als er bei einem USA-Besuch fassungslos die verstopften Straßen von San Francisco sah.6 Yves Rigole, Kundenbetreuer beim Carsharing-Anbieter cambio Belgium, ist mit den Geschäftszahlen zufrieden. Er bedauert allerdings, dass seine Kunden in erster Linie gutsituierte urbane Akademiker sind.

„Im ländlichen Hennegau, wo ich aufgewachsen bin, hängen die Leute an ihrem Auto“, erzählt Rigole. „Für sie ist es Gebrauchsgegenstand und Identifikationsobjekt. Das sieht man auch daran, dass die Dorfjugend den lieben langen Tag ihre Autos aufmotzt.“ DriveNow, der Carsharing-Ableger von BMW, verzeichnet in Bel­gien hingegen herbe Verluste. Christian Lambert, CEO bei DriveNow, macht dafür vor allem die Firmenwagen verantwortlich.7

„Im selbstfahrenden Auto wird Mobilität in Paris nicht viel mehr kosten als im ÖPNV“, prophezeit Patrick Pélata.8 Doch wem wird das fahrerlose Auto mehr Konkurrenz machen – dem öffentlichen Nahverkehr oder dem Alleinfahrertum? In der französischen Region Île-de-France, in der auch die Hauptstadt liegt, werden U- und S-Bahn intensiv genutzt.

Wie E-Autos werden sie mit Strom betrieben, haben aber nicht das Pro­blem, dass der Strom in Akkus gespeichert werden muss. Frank van Gool bleibt, was selbstfahrende Autos angeht, zumindest in einem Punkt skeptisch: „Wer fahrerlos unterwegs ist, kann die Fahrzeit für andere Dinge verwenden. Das wird die Nutzerzahlen erhöhen und zumindest in der Anlaufphase die Straßen noch mehr verstopfen.“

Eine österreichische Denkfabrik gibt zu bedenken, dass in selbstfahrenden Autos der Auslastungsgrad vielleicht sogar auf unter 1,0 Personen sinkt, weil sie auch leer fahren können.9

Derweil verkaufen die gleichen Hersteller, die von Mobility as a Service schwadronieren, immer mehr SUVs. Als Statussymbole sind diese Schwergewichte Alleinfahrer­autos par excellence. Und die Fuhrparkmanager der Unternehmen haben eine ausgeprägte Schwäche für sie.

Der eigene Pkw ist wie das Einfamilienhaus ein Symbol des ­Nachkriegskapitalismus. Wie das eigene Heim ist er nach wie vor das dominierende Modell, auch wenn die Metropolisierung der Welt längst nach alternativen Formen des Wohnens und der Fortbewegung verlangt.

Inzwischen hat das Phänomen des Alleinfahrertums auch die Schwellenländer erreicht. In einem sind sich indes alle ernstzunehmenden Wissenschaftler, die sich mit dem ökologischen Wandel befassen, einig: Der erste Schritt zur Vergesellschaftung des Verkehrswesens muss die Abschaffung des Firmenwagens sein.

1 „Les changements majeurs arriveront entre 2020 et 2030“, Challenges, Paris, 1. Dezember 2017.

2 Siehe Luc Boltanski, „Les Cadres. La forma­tion d’un groupe social“, in: „Le Sens commun“, Paris (Minuit) 1982.

3 Xavier May, „L’épineuse question du nombre de voitures de société en Belgique“, Brussels Studies Factsheet, Brüssel 2017.

4 „File shift: zet voordelen bedrijfswagens om in daling lasten op arbeid“, De Tijd, Brüssel, 26. November 2014.

5 „22 % nog meer bedrijfswagens“, Het Laatste Nieuws, Asse, 13. September 2018.

6 Siehe Hélène Richard, „Unterwegs auf den Straßen Moskaus“, LMd, Oktober 2015.

7 „Autodelen met BMW’s en Mini’s slaat niet aan“, De Tijd, Brüssel, 8. August 2018.

8 Siehe Anmerkung 1.

9 „Rebound-Effekte im Verkehr gefährden Klimaziele“, VCÖ, Wien, 2018.

Aus dem Französischen von Andreas Bredenfeld

Vincent Doumayrou ist Journalist und Autor von „La Fracture ferroviaire. Pourquoi le TGV ne sauvera pas le chemin de fer“, Ivry-sur-Seine (Éditions de l’Atelier) 2007.

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Das Dienstwagenprivileg folgt einer simplen Logik: Wer hat, dem wird gegeben. Je teurer das Auto, desto mehr Betriebskosten – einschließlich Versicherung, Reparaturen und Spritverbrauch – können die Firmen von der Steuer absetzen. Je höher das Gehalt, desto häufiger bekommt jemand einen Dienstwagen (inklusive Tankkarte) – und desto größer ist dieser. Wird das Auto auch privat genutzt, muss in Deutschland lediglich 1 Prozent des Listenneupreises als „geldwerter Vorteil“ versteuert werden. So entgehen dem Fiskus jährlich mehr als 3 Milliarden Euro.

Das Dienstwagenprivileg ist aber nicht nur sozial ungerecht, sondern auch klimaschädlich. Die Autoflotten der Unternehmen prägen maßgeblich den Fahrzeugbestand in Deutschland. Mehr als 60 Prozent aller Neuzulassungen in Deutschland sind gewerblich, ein großer Teil davon als Dienstwagen. Von den 3,4 Millionen Autos, die 2018 neu auf die Straßen kamen, haben nur 36,4 Prozent private Eigentümer. Ein Großteil der Dienstwagen bewegt sich im oberen Segment: 2012 lag der Anteil der Oberklassewagen bei den gewerblich zugelassenen Pkws bei 85,8 Prozent.

Und dieser Trend ist ungebrochen. Die Liste der „zehn beliebten Dienstwagen“, die das Handelsblatt am 13. März 2019 veröffentlichte, dominieren Wagen aus der Premiumklasse und Kompakt-SUVs.

Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, weiß um diesen Effekt. Im Mai 2019 betonte er, wie sehr die steuerliche Förderung von Dienstwagen der deutschen Autoindustrie nütze, was wiederum dem ­Exportgeschäft der Premiumhersteller zugutekäme. Ungefähr 90 Prozent der Exporte deutscher Autohersteller nach Asien und Nordamerika sind Fahrzeuge der Premiumklasse.

So prägt das Dienstwagenprivileg die Flotten im Ausland wie im Inland. Denn die meisten Unternehmen hierzulande leasen ihre Dienstwagen für zwei oder drei Jahre, bevor sie auf dem Gebrauchtmarkt landen. Erst dadurch werden die großen, ressourcenintensiven Modelle für viele Autofahrerinnen und Autofahrer überhaupt erschwinglich.

Seit kurzem gibt es erste Versuche, das Dienstwagenprivileg ökologisch umzugestalten. Seit 2019 gilt zum Beispiel die Regelung, dass E-Autos mit 0,5 Prozent des inländischen Listenpreises statt 1 Prozent versteuert werden müssen – dies gilt jedoch auch für Hybridfahrzeuge, womit weiterhin auch der Kauf von SUVs gefördert wird.

Die Große Koalition debattiert eine weitere Staffelung der Steuer nach Antriebsart und Emissionen. So könne der Prozentsatz des Listenpreises zwischen 0,25 Prozent und mehr als einem Prozent schwanken. Das Umweltbundesamt möchte indes noch einen Schritt weitergehen: Anfang Dezember 2019 wurde ein internes Papier bekannt, in dem die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs gefordert wird – ebenso wie die Abschaffung der Pendlerpauschale und der Dieselsubventionierung.

⇥Merle Groneweg

Le Monde diplomatique vom 09.01.2020, von Vincent Doumayrou