BlackRock in Paris
Der Finanzriese und Macrons Rentenreform
von Sylvain Leder
Ein prachtvolles, öffentlich zugängliches Gebäude in New York. Im Erdgeschoss befinden sich ein Designladen und eine Bar, in der ein Pianist ein betuchtes Publikum mit improvisierten Melodien beglückt. Das Bauwerk gehört der Vermögensverwaltung BlackRock, die zusammen mit Vanguard und State Street zu den „big three“ der US-Finanzanleger gehört. Gemeinsam sind die drei Giganten die Mehrheitseigner von 90 Prozent der Unternehmen, die im US-Börsenindex S&P 500 gelistet sind.
Im Vergleich zum Finanz-Leviathan BlackRock sind seine beiden Mitstreiter allerdings Zwerge. Mit mehr als 14 000 Mitarbeitern in 34 Ländern verwaltet BlackRock allein fast 7 Billionen Dollar. Denn BlackRock ist es unter anderem gelungen, auch Kleinsparer in die Aktienwelt zu locken – über börsengehandelte Fonds (Exchange Trading Funds, ETFs). Selbst wer nur kleine Summen übrig hat, kann in einen der 2681 Indexfonds von BlackRock investieren.
Diese Fonds zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Kursverlauf eines Börsenindexes einfach spiegeln. Es gibt also keine aktiven Fondsmanager, die versuchen würden, „den Markt zu schlagen“. Stattdessen wird passiv dem Markt gefolgt. Das Verfahren ist denkbar simpel: Wann immer Anleger Fonds-Anteile kaufen, erwirbt BlackRock für die gleiche Summe die zugrunde liegenden Aktien, Anleihen, Rohstoffe oder Immobilien. Dieser Automatismus ist so einfach, dass kaum Gebühren anfallen: Pro Jahr werden nur zwischen 0,07 und 0,24 Prozent der Anlagesumme fällig. Momentan verwaltet BlackRock etwa 1,9 Billionen Dollar in seinen Indexfonds.
Gleichzeitig betreibt BlackRock aber auch klassisches Vermögensmanagement für Großkunden wie etwa den Pensionsfonds Norwegens, den mächtigsten Staatsfonds der Welt. Denn BlackRock besitzt ein Instrument, das in der Finanzwelt einzigartig ist: Es trägt den aussagekräftigen Namen Aladdin. In dem Märchen aus 1001 Nacht ist Aladdin ein Straßenjunge, der mit Hilfe eines Flaschengeistes zu grenzenlosem Vermögen gelangt. Bei BlackRock hingegen ist Aladdin ein Akronym: Asset, Liability, Debt and Derivative Investment Network. Dahinter verbirgt sich ein Supercomputer mit 6000 Hochleistungsservern, die Tag für Tag Finanzanlagen im Wert von etwa 20 Billionen Dollar überwachen.
Aladdins Aufgabe besteht darin, alle Daten und Nachrichten sofort auszuwerten, die den Wert von Anlagen und Fonds beeinflussen könnten. Das Computerprogramm beobachtet also die weltweiten Zinsbewegungen genauso wie die Kurse von Aktien, Edelmetallen oder Agrarrohstoffen. Aber auch Firmenumsätze, Wetterkapriolen oder politische Ereignisse werden registriert. Aladdin ist wie ein Laser, mit der ein Investor sein Portfolio durchleuchten kann.
BlackRock wurde bereits 1988 von dem New Yorker Investmentbanker Larry Fink gegründet. Doch der große Durchbruch gelang erst nach der Finanzkrise 2008: Die US-Notenbank Fed musste damals diverse Banken und das Versicherungsunternehmen AIG retten und saß nun auf einem Berg von toxischen Schachtelpapieren, deren Wert kaum abzuschätzen war. Also wandte sich die Fed an BlackRock, auf dass Aladdin Licht ins Dunkel bringe. Für Larry Fink war es das Geschäft seines Lebens: BlackRock kassierte nicht nur mehr als 200 Millionen Dollar an Provisionen1 – gleichzeitig war sein Computersystem Aladdin nun durch die Fed geadelt und zu einem quasistaatlichen Instrument aufgestiegen.
Auch die Indexfonds bekamen ihren entscheidenden Schub erst durch die Finanzkrise: Vorher setzten die Anleger vor allem auf möglichst hohe Rendite – seit 2008 steht im Vordergrund, dass das Risiko nicht zu hoch sein soll. Indexfonds erscheinen da ideal, weil sie ihre Anlagen breit streuen.
BlackRock investiert rund um den Globus. Der Vermögensverwalter hält Anteile an 17 000 Firmen und besitzt mehr Aktien von Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft als die jeweiligen Gründer dieser Unternehmen. In Frankreich gehören BlackRock je etwa 5 Prozent von BNP, Axa, Renault, Bouygues, Total, Vivendi, Société Générale und diversen anderen Unternehmen.
Da BlackRock mit seinen Indexfonds den Markt abbilden will, ist es in allen großen Unternehmen einer Branche vertreten. Im Chemiesektor besitzt der Finanzanleger beispielsweise beachtliche Aktienpakete von Bayer, BASF, DuPont, Monsanto, Linde sowie von den französischen Konzernen Arkema und Air Liquide. Aber gerade weil BlackRock überall vertreten ist, hat das Unternehmen meist kein Interesse daran, sich in die Entscheidungen der Vorstände einzumischen. Für BlackRock ist es egal, wer den Wettbewerb zwischen den einzelnen Unternehmen gewinnt – ist man doch an allen Firmen beteiligt.
14 000 Mitarbeiter beschäftigt BlackRock weltweit – aber nur etwas mehr als 30 Angestellte kümmern sich um die 17 000 Unternehmen, in die man investiert hat. Da bleibt kaum Zeit, um einzelne Firmen gezielter zu kontrollieren. So wurden im Geschäftsjahr 2017/18 nur ganze zwei europäische Unternehmen „extensiv“ begleitet, wie der Rechenschaftsbericht von BlackRock ausweist. Auch auf den jährlichen Hauptversammlungen bleibt BlackRock meist passiv – und lehnt fast nie die Vorschläge des Managements ab. Mit einer Ausnahme: Der US-Finanzanleger stimmt regelmäßig für Fusionen, weil dann die Aktienkurse fast immer steigen.2
Doch obwohl BlackRock nur selten in die operativen Geschäfte der Unternehmen eingreift, hat es Folgen, dass sich die Aktienmacht bei wenigen Vermögensverwaltern ballt. Drei Wirtschaftswissenschaftler der University of Michigan haben 2016 die kommerzielle Luftfahrt in den USA untersucht und kamen zu dem Schluss, dass die Preise für die Tickets um etwa 5 Prozent gestiegen waren, weil es kaum Wettbewerb zwischen den fünf großen Fluglinien gab. Schließlich gehörten alle fünf den gleichen Vermögensverwaltern.3
Im Dezember 2017 empfing Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den BlackRock-Gründer sowie einige andere führende Persönlichkeiten der Finanzbranche, um ihnen das von seinem Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire geleitete Reformprogramm der französischen Regierung zu präsentieren. Im gleichen Jahr erhielt Jean-François Cirelli, Frankreich-Chef von BlackRock und übrigens kürzlich mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet, einen Sitz in dem Expertenkomitee CAP 2022. Das von Macron ins Leben gerufene Gremium hat die Aufgabe, für den Staat prioritäre „Strukturreformen“ sowie „signifikante und nachhaltige Einsparungen“ ausfindig zu machen – gegebenenfalls auch mithilfe von „Transfers in den Privatsektor“ und die „Einstellung“ bestimmter staatlicher Aufgaben.4
Im Juni 2019 veröffentlichte BlackRock sein Positionspapier5 zu einem französischen Gesetzespaket namens „Loi Pacte“: Adressaten waren sowohl die französische Regierung wie auch die Arbeitgeber und die Personalvertretungen. Erklärtes Ziel war, „die Altersvorsorge attraktiver zu machen“ sowie „den Zugang zu ETFs zu erleichtern“. Gleichzeitig schlug BlackRock Frankreich vor, dass sich die französische Regierung an den neuen Regelungen des Juncker-Plans orientieren sollte, der ebenfalls ein „europaweites privates Altersvorsorgeprodukt“ (Pan-European Personal Pension, PEPP) vorsieht. Das Projekt wird insbesondere vom lettischen EU-Kommissar Valdis Dombrovskis unterstützt, der BlackRock persönlich mit ersten Expertisen beauftragt hat.
Das BlackRock-Dokument benennt zudem drei Stoßrichtungen für staatliche Maßnahmen: Zunächst soll der Zugang zur kapitalgedeckten Altersvorsorge mithilfe von „Durchführungsverordnungen und Erlassen verbessert“ sowie langfristige Steueranreize geschaffen werden. Weiterhin soll zur „Verbesserung des Finanzwissens“ ein Onlinetool eingerichtet werden, „das es Sparern ermöglicht, ihre zukünftigen Erträge zu berechnen“. Und drittens soll künftig jeder Beschäftigte automatisch am Rentensparprogramm der Regierung teilnehmen.
Damit diese „Fortschritte“ nicht durch wechselnde Regierungen infrage gestellt werden können, wird zusätzlich die „dauerhafte Einrichtung einer unabhängigen Stelle“ nahegelegt, „die in der Lage ist, kontinuierlich Kosten und Effizienz der Reform zu evaluieren, aber auch ihre Fortführung garantieren soll“.
BlackRock kann nur wachsen, wenn dem Kapitalmarkt ständig neue Gelder zufließen. Mit geballter Lobbymacht drängt Larry Fink deswegen darauf, dass die staatlichen Rentensysteme zunehmend privatisiert werden. Anfang 2019 beschrieb der BlackRock-Chef seine Zukunftsvorstellung folgendermaßen: „Weil die Staaten angesichts tiefgreifender ökonomischer Veränderungen nicht mehr in der Lage sind, Lösungen anzubieten, blickt die Gesellschaft mehr und mehr auf die Unternehmen, um die drängendsten sozialen und wirtschaftlichen Probleme anzugehen. Die Welt braucht unsere Führung.“
2 BlackRock, 2018 Annuel Engagement and Voting Statistics, www.BlackRock.com.
5 „La loi Pacte: le bon plan retraite“, BlackRock France, Paris, Juni 2019, www.BlackRock.com.
Aus dem Französischen von Richard Siegert,
aktualisiert von Ulrike Herrmann
Sylvain Leder ist Professor für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und Mitherausgeber des „Manuel d’économie critique“, Paris (Le Monde diplomatique) 2016.
Der Aktionär aus Übersee
In Deutschland unterhält BlackRock seit 25 Jahren Filialen in München und Frankfurt am Main, wo rund 150 Mitarbeiter ein Kapital von mehr als 100 Milliarden Euro verwalten. In vielen Aktienunternehmen ist BlackRock längst zum größten Einzelaktionär aufgestiegen. Ein paar Beispiele: Der US-Finanzverwalter hält aktuell an Adidas 6,22 Prozent, an der Allianz 6,44 Prozent und an BASF 6,61 Prozent des Stammkapitals. Beim Mieterschreck Deutsche Wohnen ist die US-Firma gar mit 10,13 Prozent beteiligt.
Auch in der Schweiz ist BlackRock mit mehr als 100 Mitarbeitern vertreten und hat sich dort ebenfalls in alle wichtigen Aktiengesellschaften eingekauft. So besitzt BlackRock 3,4 Prozent am Pharmariesen Novartis oder jeweils über 4 Prozent an den Großbanken UBS und Crédit Suisse.
Eine Million deutsche Arbeitnehmer haben sich BlackRock anvertraut, wie das Unternehmen auf seiner Homepage schreibt. Seitdem die gesetzliche Rente unsicher erscheint, suchen immer mehr Beschäftigte nach Alternativen, um sich privat abzusichern. Von diesem Trend profitiert BlackRock.
Die neoliberale Deregulierung der Finanzmärkte hat das Unternehmen groß gemacht. Engste Kontakte zur Politik sind daher wichtig und werden gezielt gepflegt: Der einstige CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz ist seit 2016 Aufsichtsratsvorsitzender von BlackRock in Deutschland.
Lange Zeit konnte BlackRock unbehelligt wachsen, doch inzwischen wird die Kritik in Deutschland schärfer. So hat die Monopolkommission moniert, dass der Wettbewerb zwischen den Firmen einer Branche darunter leidet, wenn sich institutionelle Investoren wie BlackRock in alle Unternehmen gleichermaßen einkaufen.
Allerdings knüpft BlackRock an eine lange Tradition an: Kartelle und Trusts gab es schon im Deutschen Kaiserreich. Daraus wurde dann in der Bundesrepublik die sogenannte Deutschland AG. Im Zentrum dieses engen Netzes saßen Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank. Sie waren die Hausbanken der großen Unternehmen, amtierten in deren Aufsichtsräten – und versorgten die Firmen mit Krediten. Zudem hielten die Banken oft auch Aktien an den Unternehmen.
Diese alte „Deutschland AG“ ist Geschichte, denn inzwischen haben die deutschen Banken ihre Aktien verkauft. Die Papiere sind häufig an Käufer aus Übersee gegangen, zu denen auch BlackRock gehört.
Neu ist also nicht, dass der Wettbewerb zwischen den deutschen Unternehmen eher eingeschränkt funktioniert. Neu ist, dass BlackRock die Vermögensverwaltung weitgehend automatisiert. Der US-Finanzkonzern bildet mit seinen Indexfonds blind die Aktienindices ab – und genauso blind agiert auch das konzerneigene Computerprogramm Aladdin, das inzwischen weltweit von vielen Banken eingesetzt wird, um Portfolios zu managen. Da ist der „Herdentrieb“ vorprogrammiert: Alle Anleger entscheiden sich stets gleich. Ob Boom oder Crash – die Trends werden durch BlackRock verschärft.
⇥Ulrike Herrmann