Sambias neue Gläubiger
Das südafrikanische Land in der chinesischen Schuldenfalle
von Jean-Christophe Servant
Wieder einmal ist in Lusaka der Strom ausgefallen. Das einzige Licht im Restaurant kommt von einem Handy. Der Rapper Fumba Chama, besser bekannt als PilAto, hat gerade seinen neuesten Track auf Twitter hochgeladen.
Der bittersüße Text (in der BantuSprache Bemba) handelt von Yama Chinese – von einer Sorge, die viele Sambier umtreibt: „Sie tragen schöne Anzüge und gehen lächelnd nach China, um das Land zu verkaufen. Die Straßen gehören China. Die Hotels sind für Chinesen. Die Hühnerzucht ist chinesisch. Selbst die Ziegelsteine sind chinesisch.“
Fumba Chama oder PilAto (ein Akronym von „people in the lyrical area taking over“) ist die Stimme der Sambier, die in dem 16-Millionen-Einwohner-Land keine Stimme haben. Im Mai 2018 kam er aus Südafrika zurück, wo er ein halbes Jahr lang untergetaucht war. Wegen seines Raps „Koswe Mumpoto“ („Ratte im Topf“), der sich gegen die Korruption der Regierung Lungu richtete, hatte er Morddrohungen bekommen. Der neue Song „Yama Chinese“ trifft die aktuelle Stimmung: In Sambia wächst der Ärger über China, vor allem im Gebiet des sogenannten Kupfergürtels, aus dem Chama selbst stammt.
Es gibt zahlreiche Klagen über die Zustände in der Industrieregion, aus der 70 Prozent der sambischen Exporte kommen. Das betrifft vor allem die Arbeitnehmerrechte, wie Cosmas Mukuka klagt. Der Generalsekretär des Zambia Congress of Trade Unions verweist auf private chinesische Unternehmen, die sich – im Schatten der Bergbaumultis operierend – nicht an die Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation halten.
Als Donald Trumps Sicherheitsberater John Bolton im Dezember 2018 die neue Afrikastrategie der US-Administration präsentierte, behauptete er, China plane die Übernahme von Staatsbetrieben in Sambia, falls die Regierung in Lusaka ihre Schulden nicht bedienen würde.1 Dieser Vorwurf war kurz zuvor in der Zeitschrift Africa Confidential aufgetaucht. Demnach stehe der staatliche Stromversorger Zesco „in Übernahmeverhandlungen mit einer chinesischen Firma“, sodass man „die Aneignung strategischer Infrastruktur und einen möglichen Verlust staatlicher Souveränität“ befürchten müsse.2
In der Tat ist Sambias Staatsverschuldung seit 2011 dramatisch angewachsen: von 1,9 Milliarden auf fast 10 Milliarden US-Dollar Ende 2018. Damit beläuft sie sich aktuell auf rund 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Sambia ist die drittgrößte Volkswirtschaft im südlichen Afrika und der zweitgrößte afrikanische Kupferproduzent. Zugleich ist das Land ein exemplarisches Opfer der „chinesischen Schuldenfalle“, in der gegenwärtig 15 afrikanische Staaten gefangen sind, allen voran die Republik Dschibuti und die Republik Kongo (Kongo-Brazzaville).
Auf dem „Belt & Road“-Forum zur Neuen Seidenstraße, das im April 2018 in Peking stattfand, gab die damalige IWF-Chefin Christine Lagarde zu bedenken: Die chinesische Wirtschaftshilfe für Afrika könne einerseits die nötigen Infrastrukturen finanzieren, andererseits könnten solche Regierungspartnerschaften auch „zu einem problematischen Schuldenwachstum führen“ und damit den Spielraum für andere Ausgaben einengen. Im Frühjahr 2018 verweigerte der IWF der sambischen Regierung eine Anleihe über 1,3 Milliarden Dollar, mit der Begründung, deren Kreditpläne würden „die Schuldentragfähigkeit des Landes auf Dauer beeinträchtigen und die volkswirtschaftliche Stabilität des Landes untergraben“.
Die Regierung beklagte sich daraufhin über die negative Propaganda des IWF. Howman Lusambo, Minister für die Provinz Lusaka3 , behauptet, Washington führe im Zuge des Handelskriegs mit Peking eine Desinformationskampagne, die von den internationalen Finanzinstitutionen unterstützt werde. Nach den Daten der sambischen Finanzverwaltung hält China nur 30 Prozent der Staatsschulden, der Rest liege bei multilateralen Gläubigerinstitutionen und Geschäftsbanken oder werde auf dem internationalen Anleihemarkt gehandelt.
Joseph Mwenda, Chefredakteur der unabhängigen Tageszeitung News Diggers, sieht das anders: „Die offiziellen Zahlen bilden nur einen Teil der Realität ab: Einige der von China gewährten Kredite sind noch gar nicht verbucht, weil die damit finanzierten Bauarbeiten noch nicht begonnen haben“. Zudem ist der Haushalt durch überteuerte Infrastrukturprojekte belastet.4 Der US-amerikanische Thinktank Brookings Institution schätzte im September, dass chinesische Anleihen 65,8 Prozent der sambischen Auslandsschulden ausmachen – das wäre afrikanischer Rekord.5
Nachdem steigende Rohstoffpreise einigen Ländern volle Kassen beschert hatte, ist die Verschuldung seit 2010 wieder drastisch gestiegen. Schon im Zeitraum von 1980 bis 1990 hatten die internationalen Finanzinstitutionen fast allen Staaten Afrikas katastrophale Strukturanpassungsprogramme diktiert, um die Schulden gegenüber dem globalen Norden abzubauen. Neue Finanzhilfen gab es nur nach neoliberalen „Fortschritten“ und Freihandelsabkommen.6
Damals war die Verschuldung ein Ausdruck westlicher kapitalistischer Dominanz. Heute dagegen steht sie auch für den eisernen Zugriff Chinas auf einem Kontinent, der dringend Infrastrukturinvestitionen benötigt und deshalb auf Anleihen zu nichtkonzessionellen, also marktüblichen Bedingungen angewiesen ist. Solche Kredite machen mittlerweile 77 Prozent der sambischen Staatsverschuldung aus, während es im Jahr 2011 nur 23 Prozent waren.
Wenn der IWF und die Weltbank jetzt in Lusaka Bedenken anmelden, vergessen sie ihre eigene historische Verantwortung für die Probleme des Landes. Von 2002 bis 2008 stiegen die sambischen Kupferexporte um über 500 Prozent von 670 Millionen auf 4 Milliarden Dollar, während die Steuereinnahmen bei Weitem nicht im selben Maß zunahmen. Die westlichen und indischen Rohstofffresser waren auf Anraten des IWF und im Sinne des „Steuerwettbewerbs“ von allen Abgaben befreit worden und lenkten ihre Gewinne in Steuerparadiese wie die Schweiz oder Mauritius.
Die vier wichtigsten Bergbaumultis im Kupfergürtel – darunter die kanadische First Quantum Minerals und Glencore, der größte Rohstoffkonzern der Welt – prellten das Land im Zeitraum 2000 bis 2010 um Steuereinnahmen in Höhe von 3 bis 5 Milliarden Dollar. Da der Investitionsbedarf zum Aufbau der Infrastruktur wuchs, wandte sich das Land an einen Partner, mit dem es bereits eine 40-jährige Freundschaft verband: China.
Historische Verantwortung von IWF und Weltbank
Der IWF hatte damals keine Einwände. Doch für Sambia begann damit eine neue Schuldenspirale. Nach dem Vorbild anderer afrikanischer Staaten und auf Empfehlung des IWF wurden 2012 die ersten Eurobonds auf den Finanzmärkten platziert. Die Bonds in Höhe von 750 Millionen Dollar mit einer Laufzeit von 10 Jahren und einer Rendite von 5,65 Prozent wurden zur erfolgreichsten Emission in ganz Subsahara-Afrika: Sie war um das Fünfzehnfache überzeichnet, vor allem dank der Nachfrage der Investment- und Pensionsfonds aus den USA.
Als der überhitzte Rohstoffmarkt 2014 abzukühlen begann, legte Sambia eine zweiten Eurobonds-Tranche über 1 Milliarden Dollar auf – erneut mit Unterstützung des IWF. Mit der dritten Auslandsanleihe vom Juli 2015 – über eine Gesamtsumme von 1,25 Milliarden Dollar mit einer Laufzeit von 11 Jahren – kletterte die Rendite auf die Rekordhöhe von 9,375 Prozent: der höchste Zinssatz, den ein afrikanisches Land südlich der Sahara seit 7 Jahren für eine vergleichbare Finanzierung aufbringen musste.
Als die Abzahlung fällig wurde, lieh sich Sambia weiter Geld von China, um das auf mindestens 1,5 Milliarden Dollar veranschlagte Staudamm-Projekt an der unteren Kafue-Schlucht zu finanzieren. Nach Einschätzung des IWF könnte die sambische Staatsverschuldung 2019 auf 11,4 Milliarden Dollar steigen, das würde für das Land eine „erhöhte Gefahr externer Überschuldung“ bedeuten. „Die 3 Milliarden Dollar Eurobonds sind das Problem, nicht die chinesischen Kredite“, schimpft Lubinda Habazoka, Präsident des sambischen Wirtschaftsverbands. „2019 müssen wir 800 Millionen Dollar für die Schuldentilgung aufbringen, davon fast 300 Millionen für die Eurobonds. Und es gibt keinerlei Spielraum bei der Rückzahlung. Die chinesischen Kredite können dagegen neu verhandelt, umstrukturiert oder refinanziert werden.“
Heute liegt die Rendite der Eurobonds über 10 Prozent. Sambia muss also mehr als ein Zehntel der Kreditsumme zusätzlich aufbringen. Habazoka, der Präsident Lungu in Finanzfragen berät, plädiert für eine Verstaatlichung des Bergbausektors und die Refinanzierung der Eurobonds durch einen türkischen Investmentfonds.
Die Geschichte hat noch eine ironische Pointe: Der staatliche Stromversorger Zesco sollte nach den Vorstellungen des IWF bereits Anfang der 2000er Jahre privatisiert werden. Zesco hält heute 30 Prozent der Anteile an der Sinozam Power Corporation, die den neuen Kafue-Staudamm bauen soll; dieser wird zu 50 Prozent von der chinesischen Sinohydro und zu 20 Prozent vom Chinesisch-Afrikanischen Entwicklungsfonds finanziert.
Dabei handelt es sich um eine sogenannte Zweckgesellschaft (Special Purpose Entity, SPE) zur Finanzierung von öffentlich-privaten Partnerschaften (Public Private Partnerships, PPP), einer Lieblingsidee des IWF. Aber in diesem Fall könnte Peking mittels der SPE die Kontrolle über die Zesco erlangen, falls Sambia seine Schulden an China nicht zurückzahlen kann.
In der Lobby der Zentrale von TopStar in Lusaka kann man auf sechs Bildschirmen sechs Programme verfolgen: einen Kung-Fu-Film, eine nigerianische Fernsehserie, eine türkische Seifenoper, eine sambische Talkshow, ein Fußballspiel der französischen Ligue 1 und eine auf Swahili synchronisierte chinesische Serie. Die Zweckgesellschaft TopStar wurde 2016 vom staatlichen Sender Zambia National Broadcasting Company (ZNBC) und dem chinesischen Medienunternehmen StarTimes gegründet. Zweck der SPE (mit 5 chinesischen und 130 sambischen Angestellten) ist es, das sambische Staatsfernsehen auf digitalen Sendebetrieb umzustellen.
StarTimes ist das einzige chinesische Privatunternehmen, das auf dem ausländischen Radio- und Fernsehmarkt investieren darf. In Afrika will StarTimes offenbar den Markt für digitales terrestrisches Fernsehen (DVB-T) erobern. Beim China-Afrika-Gipfel vom September 2018 in Peking organisierte die Firma ein Forum, an dem 18 afrikanische Staatschefs teilnahmen.
TopStar-Vizechef Cliff Sichone tut die Behauptung, China kontrolliere die ZNBC, als haltlos ab. Im Blog der China Africa Research Initiative (von der Johns Hopkins School of Advanced Studies in Washington) heißt es dazu: „Die Übernahme eines staatlichen Senders durch einen ausländischen Betreiber wäre erst durch eine Änderung des sambischen Rundfunkgesetzes möglich, die nicht ohne starke Reaktionen in der Öffentlichkeit durchs Parlament gebracht werden könnte.“7 Allerdings hat die Gesellschaft TopStar laut Gründungsvertrag das Recht, „Sendesignale, aber auch Inhalte zu verbreiten“.8 Damit hat China zweifellos einen wichtigen Hebel in der Hand. Sichone gibt im Übrigen zu, dass die Daten der afrikanischen Abonnenten von StarTimes für Peking von strategischem Wert sind.
Wynter Kabimba, Vorsitzender der sozialistischen Oppositionspartei Rainbow, kommt zu dem Schluss, dass alle auswärtigen Mächte Sambia ausbeuten wollen, auch der Westen. Die USA haben zur Stärkung ihrer Entwicklungsagentur USAID eine neue Institution zur Entwicklungsfinanzierung geschaffen. Diese US International Development Finance Corporation sei speziell für Regionen zuständig, „in denen China dominant ist“.9
Für Vito Laterza und Patience Musuza ist es „eine tragische Ironie, dass China jetzt vom Westen dafür kritisiert wird, genau das zu tun, was der IWF jahrzehntelang getan hat.“ Dem Westen gehe es nicht darum, dass Sambia – wieder einmal – in die Falle internationaler Gläubiger getappt ist: „Der IWF und seine westlichen Partner fürchten vor allem, dass das parallele Wirtschaftssystem, das China aufgebaut hat, ihren Einfluss auf Sambia und andere afrikanische Länder gefährdet.“10
3 Lusaka ist zugleich Partnerprovinz der chinesischen Provinz Sichuan.
4 Siehe „Zambia. End of the road“, The Economist, London, 15. September 2018.
6 Siehe Sanou Mbaye, „Neuerdings kreditwürdig“, LMd, Mai 2015.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Jean-Christophe Servant ist Journalist.