07.11.2019

Stadt, Land, PiS

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Stadt, Land, PiS

In Polen bleibt Kaczyńskis Partei dominant, aber auf die entscheidenden Zukunftsfragen hat sie keine Antworten

von Michał Sutowski

Lia Darjes, ohne Titel, 2013, 50 x 40 cm
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Wie im Leben hängt auch in der Politik Zufriedenheit von den Erwartungen ab. Der Ausspruch des Ingenieurs Djatlow aus der Kultserie „Chernobyl“ würde ganz gut zusammenfassen, was ein Großteil der politischen Eliten nach den Wahlen zum Sejm empfindet: „Not great, not terrible“.

Was die politischen Kontrahenten betrifft, so konstatiert der Politikwissenschaftler Rafał Matyja: Der Sieg der PiS (Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit) hat für die Regierungspartei einen leicht bitteren Beigeschmack, während der Opposition die Niederlage etwas versüßt wurde. Eines ist sicher: Der Wahlkampf und die Kräfteverhältnisse im neuen Parlament haben die Innenpolitik nach dem 13. Oktober komplizierter gemacht – und die Zukunft Polens weniger vorhersehbar.

Der PiS-Vorsitzende Jarosław Ka­czyń­ski erklärte am Wahlabend, seine Partei habe „mehr verdient“. Das überrascht nicht. Denkt man an die teuren sozialen Transferleistungen (in Form einer 13. Rente und Kindergeld schon ab dem ersten Kind), an den aufwendigen Wahlkampf, die propagandistische Stärke und die stimmige Botschaft der PiS, so ist das Ergebnis in der Tat enttäuschend. Denn 8 Millionen Stimmen bei einer Parlamentswahl mit der höchsten Beteiligung seit 1989 sind sehr viel, brachten aber mit 235 Sitzen im Sejm nur fünf mehr ein als für die absolute Mehrheit erforderlich.

In der zweiten Kammer des Parlaments, dem Senat, droht der PiS sogar der Verlust der Mehrheit, es sei denn, sie kauft sich einen Senator der Opposition. Der Senat kann zwar Gesetze nicht gänzlich blockieren, wohl aber die Verabschiedung per Eilverfahren und ohne Debatte verhindern. Zudem hat die zweite Kammer ein Mitspracherecht bei der Besetzung einiger wichtiger Ämter.

Die knappe Mehrheit im Sejm bedeutet auch einen Machtzuwachs für die Satellitenparteien der PiS: die Partei Solidarisches Polen (Solidarna Polska) von Zbigniew Ziobro und die Einigungspartei (Porozumienie) von Jarosław Gowin. In Zukunft werden Ziobro wie Gowin deutlich mehr Selbstbewusstsein entwickeln, auch gegenüber dem bislang absolut dominierenden Kaczyński. Dabei repräsentiert Ziobro – als Justizminister und Generalstaatsanwalt eine mächtige Figur – eher eine traditionalistische Rechte, während Gowin technokratische und wirtschaftsliberale Positionen vertritt.

Das schwächt die persönliche Macht des PiS-Vorsitzenden über das Parlament wie auch die Kontrolle des Ministerpräsidenten Mateusz Mora­wiec­ki über die Regierung. Die inneren Reibereien werden sich also verschärfen; ein offener Bruderkrieg im Regierungslager ist dennoch nicht zu erwarten, es sei denn Kaczyński zieht sich aus der Politik zurück.

Das Wahlbündnis der oppositionellen Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) erzielte ein besseres Ergebnis, als die Umfragen erwarten ließen. Und das trotz eines spät begonnenen und chaotischen Wahlkampfs mit einer Spitzenkandidatin (Vizeparlaments­präsidentin Małgorzata Kida­wa-­Błoń­ska), die erst wenige Wochen vor dem 13. Oktober nominiert worden war. Programmatische Ideen der KO, etwa in puncto Gesundheitssystem, wurden kaum zur Kenntnis genommen und von den zusätzlichen sozialen Versprechen der PiS überdeckt.

In der Bürgerkoalition dürfte es angesichts der ambivalenten Wahlergebnisse – klare Verluste im Sejm, aber deutliche Zugewinne im Senat – zu Kontroversen über die Rolle Grzegorz Schetynas kommen. Schetyna ist der Vorsitzende der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO), die den Kern der KO-Koalition ausmacht. Er ist ein erfahrener Strippenzieher, aber nicht populär. Der Mangel an profilierten Kandidaten oder Kandidatinnen könnte bei der im Frühjahr 2020 anstehenden Präsidentschaftswahl für die KO zum Problem werden.

Der Anspruch der KO, gegen die PiS ein Bündnis aller oppositionellen Kräfte von rechts bis links zu organisieren, hatte sich allerdings schon im Sommer erledigt, als Schetyna auf innerparteilichen Druck hin die Zusammenarbeit mit dem postkommunistischen Bündnis der demokratischen Linken (Sojusz Lewicy Demokratycznej, SLD) beendete. Doch nach dieser Wahl, bei der die zwei Formationen mit klarem Profil – die Linke und die konservative PSL – gut abgeschnitten haben, wird das schwammige Image für die KO zu einem Problem. Wenn die innerlich heterogene Bürgerkoalition sich nicht neu erfindet, wird die Partei „alle gegen PiS“ als eine „Partei für niemand“ enden. Oder die KO zerfällt wieder in ihre Bestandteile.

Die Linke kehrt zurück

Den relativ größten Wahlerfolg erzielte die postkommunistische SLD, auf deren Liste auch Männer und Frauen der liberalen Fortschrittspartei „Frühling“ (Wios­na) von Robert Biedroń und der jungen Linken „Gemeinsam“ (Razem) kandidierten. Sie zog nach vier Jahren Abwesenheit mit 49 Abgeordneten wieder in den Sejm ein.

Obwohl die drei Parteien sich erst wenige Wochen vor den Wahlen geeinigt hatten, konnten sie doch alte Streitigkeiten und ideologische Unterschiede überwinden und einen gemeinsamen Block bilden, der Rückhalt in allen Generationen fand. Mit ihren Forderungen nach einem säkularen Staat, nach mehr Frauenrechten, mehr Umweltschutz und Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, aber auch nach einer verbesserten öffentlichen Daseinsvorsorge kann die Linke die Regierungspartei erfolgreich kritisieren, zugleich aber auch einen Teil der liberalen Wählerschaft ansprechen. Allerdings steht sie vor der Aufgabe, aus den drei koalierenden Gruppierungen SLD, Wiosna und Razem eine gemeinsame Parlamentsfraktion zu schmieden und ihrer rein männlichen Führungsriege ein progressiveres Profil zu verschaffen.1

Überraschend hat die ehemals auf dem Land dominierende Polnische Volkspartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL) abgeschnitten. Sie trat allerdings in einer exotischen Koalition mit dem Anti-Establishment-Rocker Paweł Kukiz an, der für seine nationalistischen, antiukrainischen und homophoben Positionen bekannt ist. Die PSL mit ihrem alerten Vorsitzenden Wła­dy­sław Kosiniak-Kamysz war bei diesen Wahlen eine attraktive Alternative für Leute, die das konservative und soziale Profil der PiS schätzen, aber eine zu starke Dominanz der Kaczyński-Partei fürchten und auf innenpolitischer wie auf EU-Ebene statt einer antagonistischen Konfrontation einen versöhnlichen Politikstil befürworten.

Nach mehr als zehn Jahren ist 2019 wieder eine Partei in den Sejm eingezogen, die deutlich rechts der PiS steht: Das Parteienbündnis Konfederacja (Konföderation) ist ein seltsame Mischung von Leuten, die nationalistisch und stramm wirtschaftsliberal und zugleich gesellschaftspolitisch extrem traditionell orientiert sind. Zudem sind sie (eine in Polen seltene Kombination) offene Feinde der EU und der Nato und kokettieren mit der Idee einer polnisch-russischen Allianz.

Diese neue Bewegung verkündet krass homophobe, islamophobe, flüchtlings-, frauen- und wissenschaftsfeindliche Parolen und vertritt sogar unverhüllt antisemitische Positionen, die bisher nur marginal waren. Ob dieses Projekt von Dauer ist, lässt sich nicht voraussagen. Allerdings könnte die Konfederacja die PiS im Sejm noch weiter nach rechts drängen, wenn diese die vornehmlich jüngeren und männlichen Wähler wiedergewinnen will, die Ka­czyń­skis Partei für zu opportunistisch halten – und zu unterwürfig gegenüber den USA und Israel.

Der Rückhalt für die einzelnen Parteien ist bei den verschiedenen Wählergruppen in etwa gleich, aber mit Ausnahmen. So ist die Konfederacja eine Männerpartei – mit doppelt so vielen Männer- wie Frauenstimmen, wobei die meisten Stimmen von jungen Männern stammen.2 Genau umgekehrt ist die Verteilung bei der PiS: Für sie stimmte nur ein Viertel der jüngsten Altersgruppe, bei der ältesten war es mehr als die Hälfte. Auch bei der Arbeiterschaft und Leuten mit mittlerer Ausbildung liegt die PiS vorn, weit vor KO und SLD. Diese beiden Parteien haben auch bei den Bauern keine Chance, die teilweise die PSL wählten, aber vor allem die PiS. Letzteres gilt auch für die Gruppe der Rentner und Arbeitslosen. Für Parteien des Mitte-links-Spektrums stimmen hingegen deutlich mehr Menschen in leitenden Positionen und Freiberufler, für die KO auch ein Großteil der Unternehmer.

Die PiS bekommt Konkurrenz von rechts

In die Zukunft weisen die Ergebnisse bei Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden. Hier gewannen die Linke und die Konfederacja viele Stimmen. Die deutlichsten Unterschiede zeigen sich zwischen Stadt und Land, wobei die Faustregel gilt: Auf dem Land wie in kleineren und mittleren Städten (bis 200 000 Einwohner) liegt die PiS vorn, wenn auch mit immer kleinerem Vorsprung; in größeren Städten dominiert die KO, aber auch die SLD schneidet gut ab, nicht hingegen die PSL. Die Konfederacja wiederum hat ihren größten Rückhalt wie die PiS in den mittelgroßen Städten.

Jahrelang hat man sich in Polen über die Gründe für die hohen Zustimmungswerte für die PiS gestritten. Dabei verweist die Theorie von einem „neuen Autoritarismus“, die der Soziologe Maciej Gdula vertritt, auf die Vi­sion der PiS von einer klassenübergreifenden, solidarischen Gemeinschaft, aber auch auf das Bedürfnis, sich anderen Gruppen, die als fremd definiert werden, überlegen zu fühlen.

Unter Liberalen war eher die These vom „Stimmenkauf“ durch die relativ großzügigen sozialen Transferleistungen verbreitet. Dieser Faktor und der Einfluss der katholischen Kirche sollen erklären, warum die PiS trotz Verfassungsbruch, Usurpation des Staatsapparats und umstrittener Reformen immer stärkeren Rückhalt fand.

Ein interessantes Licht auf die Wahlergebnisse wirft die kürzlich publizierte Studie „Politischer Zynismus der Polen“. Die Autoren Przemysław Sa­dura und Sławomir Sierakowski erklären darin, warum weder die Korruptionsaffären noch der Abbau des Rechtsstaats die Umfragewerte der PiS beeinträchtigt haben.

Die Studie arbeitet zwei Punkte heraus. Erstens: Während die fanatische PiS-Gefolgschaft negative Fakten über ihre Partei einfach abstreitet, ist ein Großteil des Wähleranhangs über Korruptionsaffären im Regierungslager bestens informiert. Aber die anderen Parteien sind in ihren Augen nicht besser: „Die PiS mag zwar auch stehlen, aber sie teilt mit den einfachen Leuten ...“

Zweitens: Das grundsätzliche Miss­trauen erstreckt sich auch auf den Staat, weshalb die finanziellen Transferleistungen so gut ankommen: Man traut dem Staat gar nicht zu, gute öffentliche Dienstleistungen zu organisieren. Und drittens ist sich der Wäh­le­ranhang der Linken und der liberalen Mitte in Wirtschaftsangelegenheiten sehr einig, die Linken sind ökonomisch sogar eher noch marktwirtschaftlicher orientiert.

Viele Leute wählen die PiS aber genau wegen der Sozialleistungen, auch wenn sie die absolute Macht einer Partei fürchten. Sie glauben dabei nicht, dass die Verfassung oder die Gewaltenteilung vor dieser Gefahr schützt, sondern die Existenz einer Opposition, die den Mächtigen auf die Finger schaut. Sie sehen die Demokratie durch einen Parteienpluralismus geschützt – nicht durch die Institutionen, auf denen sie beruht.

Das Wahlergebnis vom 13. Oktober verleiht den nächsten polnischen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2020 noch größere Bedeutung. Denn ein Veto des Präsidenten kann die Parlamentsmehrheit effektiv blockieren; um dieses Veto zu überstimmen, braucht die PiS im Sejm eine Dreifünftel-Mehrheit, an der ihr 40 Mandate fehlen.

Die Möglichkeit der „Kohabita­tion“ einer Regierung mit einem Präsidenten aus den Reihen der Opposition wurde vor 20 Jahren als unproblematisch angesehen. Doch der Konsens der Eliten, der damals in Grundsatzfragen herrschte, hat sich längst aufgelöst. Für die heutige Regierung wäre ein Präsident oder eine Präsidentin aus den Reihen der Opposition der Feind Nummer 1. Die daraus folgende Blockade der legislativen Arbeit könnte sogar zu vorgezogenen Parlamentswahlen führen.

Angesichts der Bedeutung dieser anstehenden Wahl ist für die Opposition die Kandidatenfrage von zentraler Bedeutung. Sie muss eine Figur präsentieren, die nicht polarisiert. Damit ist Donald Tusk prinzipiell ausgeschlossen. Der wird zwar von vielen geschätzt, aber für noch mehr ist er das Gesicht der Dritten Republik, die sie im Jahr 2015 überwunden haben. Die besten Chancen, den jetzigen Präsidenten Andrzej Duda im zweiten Wahlgang zu besiegen, hätten wohl Wła­dy­sław Kosiniak-Kamysz von der PSL oder Małgorzata Kidawa-Błońska von der KO; aber beide müssten den Wahlkampf bald beginnen.

Ein Sieg bei der Präsidentschaftswahl wäre ein erster Schritt, um die PiS von der Macht zu verdrängen. Er ist aber nur möglich, wenn sich die Opposition als glaubwürdige politische Alternative präsentiert, die Antworten auf reale Probleme hat, vor allem für die großen Themenbereiche Bildung, Umweltschutz, Gesundheitswesen, Gen­der­fragen und Frauenrechte. In den Reihen der Linken wie der KO gibt es fähige Leute, die diese Bereiche analysiert haben und zukunftsweisende Konzepte erarbeiten können.

An Herausforderungen fehlt es nicht. Bereits in dieser Legislaturperiode wird das doppelte Probleme einer alternden Gesellschaft offenbar werden: zum einen die rapide steigenden Kosten für das Gesundheitssystem und die Seniorenbetreuung, zum anderen ein dramatischer Mangel an ärztlichem und Pflegepersonal.

Im Schulbereich droht ein Lehrermangel, der zum Teil mit den zunehmend ideologischen und überfrachteten Lehrplänen zu tun hat. Die aktivsten Eltern und Lehrkräfte flüchten in den privaten Sektor, den sich heute dank der „Familienunterstützung 500+“ (was bedeutet: 500 Złoty ab dem ersten Kind) mehr Eltern leisten können als früher. Das heißt: Der Druck auf den zunehmend verfallenden öffentlichen Sektor wird im heutigen Polen dadurch gemildert, dass viele Dienstleistungen im Bildungs-, aber auch im Gesundheitsbereich indivi­duell gekauft werden können.

Dazu kommt der Arbeitskräftemangel. Jedes Jahr scheiden 150 000 mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt aus, als neu hinzukommen. Dass die auf die Britischen Inseln ausgewanderten Polen zurückkehren, ist eher unwahrscheinlich (schon wegen des Wohnraummangels). Um den Bedarf der Wirtschaft zu befriedigen, gibt es zwei Lösungen: Zum einen die verstärkte Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte – und zwar nicht nur aus der Ukraine und aus Weißrussland, um die Polen etwa auch mit Deutschland konkurriert. Zum anderen eine Politik der Vitalisierung von Dorf und Provinz, was bessere Betreuungseinrichtungen und den Ausbau des Personennahverkehrs erfordert. Eine Alternative wäre auch die Anhebung des Renteneintrittsalters, aber die ist für die PiS ein Tabu.

Und schließlich die steigenden Strompreise, die vor den Wahlen künstlich niedrig gehalten wurden: Hohe Energiekosten würden die Wettbewerbsfähigkeit der polnischen Industrie beeinträchtigen. Aber da der Kostendruck von der veralteten Infrastruktur herrührt, ist schwer vorstellbar, dass die PiS-Regierung ein Wunderheilmittel findet. Bisher hat sie die Industrie mit großzügigen Transferleistungen unterstützt, aber angesichts einer Verschlechterung der Konjunktur, ausbleibender Investitionen und steigender Inflation wird die PiS ihr Business as usual nicht mehr lange betreiben können.

Diese akuten konjunkturellen und strukturellen Probleme anzugehen, zeigt sich die PiS bisher nicht in der Lage. Sie müsste mit den Sozialpartnern verhandeln, gesellschaftliche Konsens über die Parteigrenzen hinweg suchen, mit den Kommunen und Gebietskörperschaften kooperieren.

Die realen Systemkrisen also kann die PiS gerade nicht angehen. Dafür versteht sie es, Krisen optimal für politische Ziele nutzbar zu machen. Als 2015 hunderttausende Flüchtlinge an Europas südlichen Grenzen auftauchten, sprach Jarosław Kaczyński von einer Bedrohung der Sicherheit – durch Terroristen und Epidemien –, um zu versichern, allein die PiS könne Polen vor dieser Bedrohung schützen.

Heute versucht die Regierung – mit deutlich weniger Erfolg – Polen als Ziel des „globalen Angriffs auf die Familie“ darzustellen. Diesmal geht die Gefahr angeblich von der feministischen und LGBT-Bewegung aus, die vorhabe, die Kinder zu „sexualisieren“. Der neue Feind sind internationale NGOs, gegen die in der regierungsnahen Presse eine gezielte Kampagne läuft, wobei die bevorzugte Zielscheibe George Soros ist.

Welchen Erfolg solche ideologischen Kampagnen haben werden, ist schwer einzuschätzen. Viel deutet darauf hin, dass sie vor allem die „harte“ Wählerschaft der Regierung ansprechen. Zum Beispiel die in Bastionen des traditionellen Katholizismus wie der Woiwodschaft Podkarpackie ganz im Südosten Polens, wo die PiS bei den Wahlen ihr Rekordergebnis erzielte.

Klimaleugner und Kohlelobby kriegen Kontra

Allerdings scheint die Säkularisierung der polnischen Gesellschaft voranzuschreiten. Das zeigt sich etwa in der schwindenden Zahl der Kirchgänger, insbesondere bei der jungen Generation. Regierungspläne, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch einzuschränken, lösten große Proteste aus. Und immer mehr Menschen befürworten die Idee eingetragener gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften.

Der harte „weltanschauliche“ Streit kommt unter den aktuellen Umständen also nicht unbedingt der PiS zugute. Denn im Sejm sitzt jetzt rechts von Kaczyńskis Partei die Konfederacja, die noch noch stärker als die PiS auf extremistische Aussagen setzt und zum Beispiel ein absolutes Abtreibungsverbot und Strafen für die „Propagierung von Homosexualität“ fordert.

Auch die Erhaltung des politischen und medialen Pluralismus wird in den nächsten Jahren ein Thema sein. Die Regierung verfügt über eine enorme Propagandamaschinerie. Sie kontrolliert nicht nur die staatlichen Medien und etliche Wochenzeitschriften, es ist ihr auch gelungen, den zweitgrößten privaten Fernsehsender (Polsat) zu neutralisieren.3

Für die Unabhängigkeit der Me­dien sorgt sicher die Beteiligung ausländischer Unternehmen, vor allem bei den Lokalzeitungen und Wochenzeitschriften. Der in PiS-Kreisen diskutierte Plan einer „Repolonisierung“ der Medien würde de facto tatsächlich eine Verstaatlichung bedeuten. Da kein großer polnischer Kapitaleigner bereit wäre, in einen so unsicheren Markt zu investieren, kommen als inländische Investoren nur die von der Regierung kontrollierten staatlichen Gesellschaften infrage.

Die Regierung will aber nicht nur den Einfluss und die Unabhängigkeit der Medien begrenzen. Sie wird auch versuchen, die „Reform“ des Justizwesens abzuschließen und die kommunale Selbstverwaltung unter ihre Kontrolle zu bringen. Das dürfte ihr angesichts des stärker pluralistischen Parteienspektrums schwerer fallen als zuvor. Aber das wird die PiS nur in ihrer Entschlossenheit stärken, das System vollständig unter Kontrolle zu bekommen.

Der Grund liegt auf der Hand: Im Falle einer Wirtschaftskrise bedeuten freie Medien mit großer Reichweite eine tödliche Bedrohung für das Image der Machthaber. Unabhängige Gerichte könnten eine repressive Politik stoppen und zum Beispiel auch den Einsatz der Geheimdienste zur Überwachung und Kompromittierung politischer Gegner verhindern. Und die kommunale Selbstverwaltung stellt eine bürgernahe, vom Zentrum unabhängige Machtstruktur dar, die der Opposition viele Kompetenzen und organisatorische Möglichkeiten bietet.

All das führt uns zu der Frage, welchen Einfluss das internationale Umfeld auf die Situation in Polen hat und wie weit die Regierung gehen wird, um ihre Macht mit autoritären Methoden zu konsolidieren. Die Einsprüche des Europäischen Gerichtshofs haben die Entmachtung der polnischen Gerichte eindeutig gebremst. Und die Europäische Kommission hat beträchtliche Möglichkeiten, sich für Medienpluralismus und die Rechte von Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung einzusetzen.

Dagegen wäre es höchst problematisch, wenn die EU die Frage der Rechtsstaatlichkeit mit dem Zugang zu verschiedenen europäischen Fonds verknüpfen würde – nicht nur wegen der Gefahr einer „nationalistischen Reaktion“ auf den „Druck aus Brüssel“. In Polen profitieren von den EU-Strukturfonds zu einem guten Teil die Kommunen, die häufig von der Opposition kontrolliert werden.

Was die ländlichen Gegenden betrifft, so ist die Zahl derer, die von der EU-Agrarpolitik profitieren, doch deutlich kleiner als die Zahl derer, denen die sozialen Transferleistungen der polnischen Regierung zugutekommen. Deshalb ist nicht zu erwarten, dass finanzieller Druck auf das EU-Mitglied Polen die Wählerschaft gegen die PiS-Regierung aufbringen würde.

Das vielleicht komplizierteste Thema an der Schnittstelle zwischen EU-Politik und Innenpolitik ist die Energie- und Klimapolitik. In den letzten Jahren hat sich in Polen ein großer Bewusstseinswandel in Sachen Ökologie vollzogen, auch im Hinblick auf den Klimawandel. Selbst wenn im Diskurs der politischen Eliten und in einigen rechten Medien nach wie vor die Klimaleugner und die Kohlelobby den Ton angeben, so erkennt eine Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile an, dass eine Entkarbonisierung der polnischen Industrie notwendig ist. Die Auseinandersetzung über Richtung und Tempo des Kohleausstiegs wird also sicher auf die politische Agenda kommen, wobei ein zentraler Streitpunkt der Anteil der Atomenergie am zukünftigen Energiemix sein wird.

Dabei melden sich seit einiger Zeit solche Gruppen immer stärker zu Wort, die den Ausbau erneuerbarer Energien und insbesondere von Windparks fordern. Der Kampf gegen Luftverschmutzung und Smog ist inzwischen ein Thema der Mainstream-Medien. Und das Recht auf öffentliche Verkehrsmittel als Alternative zum Auto findet sich in den Wahlprogrammen fast aller Parteien.

Angesichts der konservativen bis eindeutig reaktionären Positionen der PiS und der unentschiedenen und wenig glaubwürdigen Haltung der Bürgerkoalition in ökologischen Fragen eröffnet dieses Thema große Chancen für die Linke und auch für die PSL.

Umweltschutz und eine sozial gerechte Transformation des Energiesektors sind Themen, über die sich die politischen Konflikte in Polen neu definieren lassen. Der Erfolg einer ökologischen Politik wird sich allerdings daran entscheiden, ob es gelingt, ein solches Programm mit dem Ziel wirtschaftlicher Entwicklung und einer fairen gesamtgesellschaftlichen Verteilung von Kosten und Nutzen zu verbinden.

Die PiS-Regierung wird jede ambi­tio­nierte EU-Klimapolitik als Neokolonialismus darstellen und als Versuch denunzieren, den Konkurrenzvorsprung der stärkeren Volkswirtschaften gegenüber Polen abzusichern. Daher ist es wichtig, dass bei der Planung der EU-Politik insbesondere die dezentralen Akteure berücksichtigt werden, also Kommunen und lokale Gemeinschaften, oder kleine und mittelständische Unternehmen im Ökosektor, auch große Unternehmen, die etwa umweltfreundliche öffentliche Verkehrsmittel (Busse, Straßenbahnen, Schienenfahrzeuge) produzieren.

Mit starken nationalen Interessengruppen, die von der Umwelt- und Klimapolitik profitieren, könnten eine ökologische Agenda auch außerhalb der urbanen liberal-bürgerlichen Kreise Unterstützung finden. Diesen Kontext sollte die EU im Hinterkopf behalten.

Die Wahlen im Oktober 2019 haben neue Möglichkeiten eröffnet. Im Lager der Opposition gibt es viele, die sich eine große Krise herbeiwünschen, um die PiS-Wählerschaft umzustimmen. Das wird jedoch nicht gelingen, solange die Opposition den Machthabern keine überzeugende Alternative entgegenstellt. Ob sie dazu in der Lage ist, werden die nächsten Monate und Jahre zeigen. Aber zum ersten Mal seit Langem gibt es dafür zumindest eine Chance. Am 13. Oktober hat sich fast nichts geändert – und doch ist nichts beim Alten geblieben.

1 Diese „drei Tenöre“ sind Włodziemierz Czarzasty (SLD), Robert Biedron (Wiosna) und Adrian Zandberg (Razem).

2 Der Stimmenanteil liegt bei der jüngsten Wählergruppe bei 20 Prozent, bei der ältesten Gruppe nur knapp über 1 Prozent.

3 Der größte Privatsender TVN gehört mehrheitlich der US-amerikanischen Sendergruppe SNI, weshalb er quasi „unter dem Schutz“ des State Departments steht.

Aus dem Polnischen von Dorothea Traupe

Michał Sutowski ist Politikwissenschaftler und Kolumnist der linken Zeitschrift Krytyka Polityczna.

© LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 07.11.2019, von Michał Sutowski