07.11.2019

Rendezvous mit einem Brandstifter

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Rendezvous mit einem Brandstifter

von Serge Halimi

Éric Zemmour auf dem „Konvent der Rechten“ in ParisBENOIT TESSIER/reuters
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Seit dem 14. Oktober moderiert der berüchtigte Figaro-Kolumnist Éric Zemmour wöchentlich ein vierstündiges Programm auf CNews (Vivendi). „Islam und Republik: eine französische Auseinandersetzung“ lautete der Titel seiner von viel Getöse begleiteten ersten Sendung. Es fiel ihm nicht schwer, sich in die „hochaktuelle Kopftuchdebatte“ zu verbeißen, und weil im Fernsehen keine schlechte Tat ungesühnt bleibt, verdreifachte sich an diesem Abend die Einschaltquote.

Vor fünf Jahren hatte der Sender (damals i-Télé) Zemmour noch vor die Tür gesetzt, weil er sich in einer Weise geäußert hatte, die ihm eine Verurteilung wegen Anstiftung zum Hass gegen Muslime bescherte. Genützt hat das nichts: Am 17. September, kurz bevor er unter das Dach von Vivendi zurückkehrte, wurde er erneut wegen An­stachelung zum religiösen Hass verurteilt.

Zemmour hat ein gutes Gespür für den Schlagabtausch. Er schreibt besser als die meisten seiner Kollegen. Oft kollidieren seine Meinungen mit dem, was im Medienmilieu als konform gilt. Die Gerichtsurteile haben ihm den Ruf des Vorlauten eingebracht – auch wenn er nur am Zeitgeist schnuppert. Und seine Bücher verkaufen sich gut. „Le Suicide français“ zum Beispiel, seine 2014 erschienene Abrechnung mit der Politik, erzielte eine Auflage von 500 000.

Jüngst verfiel ein Teil der notleidenden Rechten auf die Idee, sie könnten bei Zemmour eine neue Orientierung finden. Am 30. Januar luden ihn Les Républicains, die von Nicolas Sarkozy umgetaufte UMP (Union pour un mouve­ment populaire), zu einem „Rendezvous des idées“ in ihre Parteizen­trale ein. Der damalige Parteivorsitzende Laurent Wauquiez begrüßte den Gast in einem krachend vollen Saal mit den Worten: „Éric ist hier zu Hause. Éric, du bist hier unter deinesgleichen.“ Auch ein Teil der extremen Rechten ist auf das Markenzeichen Zemmour scharf. Aber Marine Le Pen, die der Journalist für zu links hält, scheint nicht gewillt, ihm einen Platz einzuräumen.

Seit Langem ist Zemmour Stammgast in den Medien, die ihn als allzeit bereit, berechenbar und allwissend schätzen. Und vor allem als unbeugsamen Krawallmacher. Mit solchen Attributen trotzt man jedem Verfallsdatum und kann so gut wie alles sagen. Auch kann man sich seine Gegner aussuchen, mitsamt den Kontroversen, die man sich mit ihnen liefert. Im Fall Zemmour vor allem über „gesellschaftliche Themen“, die wunderbar geeignet sind, alle anderen und besonders ökonomische Fragen unter den Tisch fallen zu lassen.

Zemmour hat uns in den letzten Jahren ein paar bemerkenswerte Einsichten vermittelt: zum Beispiel, dass der Feminismus einen „Vernichtungskrieg gegen den weißen, heterosexuellen Mann“ führt oder dass „Pétain französische Juden gerettet“ hat oder dass die Rede von „linken französischen Medien“ eine „hochgradig pleonastische Formulierung“ ist. Wenn aber fast alle Medien links sind, braucht es ein paar Ausnahmen, und zu denen gehört offenbar außer CNews und dem Nachrichtenkanal LCI TV, der seine Bürgerkriegsaufrufe in die Wohnzimmer trägt,1 auch die Tageszeitung Le Figaro. Deren Chefredakteur scheint von seinem Starautor geradezu entzückt zu sein: „Dieser Schriftsteller ist das mutige Sprachrohr für kollektive Ängste. Er taucht seine Feder in die klaffende Wunde eines verwundeten und gelähmten Frankreich.“2

Als der Historiker Gérard Noi­riel eine Kampfschrift gegen Zemmour verfasste, ging er damit ein Risiko ein – das Risiko, sich die Hände schmutzig zu machen.3 Zum Ausgangspunkt seiner Attacke macht Noiriel einen Vergleich zwischen Édouard Drumonts 1886 erschienenen einflussreichen antisemitischen Pamphlet „La France juive“ und Zemmours obsessiven Hass auf den Islam, den Feminismus und die „Homosexuellenlobby“.

Das weiße, katholische Polen als Vorbild

Noiriel stechen mehrere strukturelle Analogien zwischen den beiden Journalisten Zemmour und Drumont ins Auge. Da ist zum einen die Beschaffenheit des öffentlichen Raums. Der heutige Trend zur Privatisierung der Fernsehsender und die gnadenlose Konkurrenz zwischen immer mehr Anbietern – von der Rolle des Internets ganz zu schweigen – hat sein funktionelles Gegenstück im 1881 verabschiedeten Gesetz über die Pressefreiheit, das zur Gründung vieler billiger Zeitungen führte, die bei ihrer Jagd auf Leser wenig Skrupel an den Tag legten. Damals wie heute erwiesen sich „Skandale, Provokationen und Polemik“ als die „sichersten Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen“.

Noiriel arbeitet auch das ideologische Versagen der Linken heraus, die Gewerkschaften inbegriffen. Im Lauf der 1880er Jahre hatte die Linke unter dem Einfluss einer radikalen Partei, die von einer gesellschaftlichen Revolution nicht viel wissen wollte, „ihren politischen Kampf auf die religiöse Frage konzentriert“. Mehr als ein Jahrhundert später – in der Ära Zemmour – ist die Arbeiterbewegung nicht mehr imstande, „die Vorstellung durchzusetzen, dass die Einwanderung eine Dimension der sozialen Frage“ darstellt. Damit wird der „Arbeitsmigrant“ schlicht und einfach zum „Migranten“. Es ist der erste Schritt zu einer zunehmenden Fokussierung auf die Problematik der „Identität“, an deren Ende die Identifizierung der Migranten als „Muslime“ steht.

Eine solche Achsenverschiebung der politischen Prioritäten, von den sozialen Kämpfen hin zur religiösen Konfrontation, hat zur Folge, dass man sich auf das Terrain der Nationalisten begibt, die wie Drumont und Zemmour den konservativen Katholizismus als ein wesentliches Merkmal der französischen Identität ansehen – wobei für den Journalisten Drumont damals „der Jude“ ein Volksverderber, Umstürzler und innerer Feind war, während Zemmour diese Rolle heute „den Muslimen“ zuschreibt.

Es ist also nur konsequent, wenn Zemmour auf das Beispiel Polen verweist, auf ein Land, das „seinen Willen zur Verteidigung eines katholischen, weißen Europa mit einer homogenen Bevölkerung bekundet“. Eines Europa, das sich als „Garant des inneren Friedens“ dem „Wahn des Multikulturalismus und der Entchristlichung“ entgegenstellt.4

Ebenso erhellend ist, dass Zemmour sich von der Bewegung der Gelbwesten, die er zunächst begrüßt hatte, in dem Moment abwandte, als sich die Gelbwesten „von der extremen Linken umdrehen und manipulieren ließen“. Das heißt, als sie sich weigerten, Mi­gran­ten zu attackieren. Zemmours Sympathie für „das Volk“ hat allein den Zweck, „das einfältig kosmopolitische Bürgertum zu beschuldigen“, befindet der Schriftsteller und Verfasser einer „Geschichte der Dummheit“, François Bégaudeau. Diese Sympathie endet da, wo die sozialen Bewegungen beginnen: „Er verteidigt die unteren Schichten nur in dem Glauben an deren identitäre Leidenschaft und den fundamentalen Rassismus, den er ihnen unterstellt.“5

Die Rhetorik der Stigmatisierung hat stets etwas von einer Selffulfilling Prophecy an sich. So führte der Antisemitismus Ende des 19. Jahrhunderts dazu, dass Juden eigene Vereine gründeten, um sich durch innere Solidarisierung vor den Angriffen von außen zu schützen. 1897, zur Zeit der Dreyfus-Affäre, schrieb der Historiker Anatole Leroy-Beaulieu, dass die „allmählich voranschreitende Assimila­tion gerade von jenen gestoppt wurde, die den Juden vorwarfen, sich nicht zu assimilieren“. Denselben Effekt haben heute die Schmähungen Zemmours gegen „die Vorherrschaft von islamischer Macht und Halal in Frankreich“ oder gegen „die Allianz von Kalaschnikow und Dschellaba“.

Die essenzialistische Sicht der französischen Gesellschaft, wonach man einer ganzen Bevölkerungsgruppe die Gedanken und Praktiken einer ihrer Teilgruppen zurechnet, ist nicht mehr auf hasserfüllte und verängstigte Na­tio­nalisten beschränkt. Laut Noiriel pflegen kleine militante Gruppen wie die Parti des Indigènes de la République (PIR) „dieselben identitären Wahnvorstellungen wie die extreme Rechte“, also die problematische Fixierung auf Herkunft, Rasse, Religion. Diese Dauer­themen werden von Meinungsforschungsinstituten und Nachrichtensendern begeistert aufgegriffen und immer wieder reproduziert.

Der Philosoph Michaël Fœssel sucht Parallelen zu den vergifteten Debatten von heute nicht im 19. Jahrhundert, sondern im Jahr 1938, als sich die Regierung von Édouard Daladier aus Ministern der Rechten wie der linken Mitte zusammensetzte. Fœssel geht es nicht darum, den Leser von „einer Wiederholung der Geschichte“ zu überzeugen. Vielmehr möchte er ihn befähigen, „eine durch die Geschichte fundierte Diagnose der Gegenwart zu wagen“.6

Dabei unterlaufen ihm allerdings Fehler, weil er seine Studie ausschließlich auf die Lektüre von Zeitungen bestimmter Jahre stützt. Zum Beispiel ist es nicht korrekt, dass die Radikalen in der Zwischenkriegszeit „ihre Allianzen stets von links nach rechts verschoben haben“. Das Gegenteil geschah 1923 (Kartell der Linken) und 1934/35 (Volksfront).

Fœssels Untersuchungen zeigen allerdings auf, wie sich der autoritäre Liberalismus, der die Errungenschaften der Arbeiterbewegung (damals die 40-Stunden-Woche) bekämpfte, widerstandslos mit xenophoben und antisemitischen Exzessen7 abfand. Eine solche historische Rückbesinnung ist in der aktuellen Situation, da die französische Regierung auf Polizeigewalt setzt, bürgerliche Freiheiten einschränkt und Debatten über Einwanderung aufwirft, sehr zu begrüßen. Zumal Fœssel am Ende auf Vichy verweist, wo „die erbitterten Gegner der Republik davon profitierten, dass sich diese Republik ihrer demokratischen Verteidigungsinstrumente entledigt hatte“.

Éric Zemmours Erfolg ist eines von mehreren Anzeichen dafür, dass die Gefahr einer solchen fatalen Entwicklung wächst.

1 Éric Zemmour, „Convention de la droite“, LCI, 28. September 2019.

2 Vincent Trémolet de Villers, „Quand Cassandre alerte les Français“, Le Figaro Magazine, Paris, 2. September 2016.

3 Gérard Noiriel, „Le Venin dans la plume. Édouard Dru­mont, Éric Zemmour et la part sombre de la République“, Paris (La Découverte) 2019.

4 Le Figaro Magazine, 30. Oktober 2015.

5 François Bégaudeau, „Histoire de ta bêtise, Paris (Pauvert) 2019.

6 Michaël Fœssel, „Récidive. 1938“, Paris (Presses universitaires de France) 2019.

7 Xenophobie und Antisemitismus waren damals eins, weil die meisten Ausländer, die 1938 in Frankreich lebten, aus Nazideutschland geflohene Juden waren.

Aus dem Französischen von Uta Rüenauver

Le Monde diplomatique vom 07.11.2019, von Serge Halimi