07.11.2019

Maniok und Mao

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Maniok und Mao

In Guangzhou bilden Händler und Studierende die größte afrikanische Community Chinas – noch

von Louis Bertrand

Auf Einkaufstour in der Xiaobei Road von Guangzhou picture alliance/photoshot
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Auf den ersten Blick wirkt die Bar wie alle anderen. Kellnerinnen eilen zwischen den von Fett- und Bierresten klebrigen Tischen hin und her, die Ventilatoren brummen, und im Hintergrund läuft ununterbrochen der Fernseher. Aber hier gibt es nicht nur Harbin- und Tsingtao-Bier, sondern auch Guinness, Bissap (Eistee aus Hibiskusblüten) und Fisch mit Maniok. Das Café Moustache im Norden des südchinesischen Guangzhou ist seit Jahren der Treffpunkt für die Westafrikaner aus dem Stadtteil Xiaobei. Eingezwängt zwischen dem Berg Baiyun und einer der vielen Umgehungsstraßen, ist das kleine Viertel in Chinas drittgrößter Stadt (15 Millionen Einwohner) der wichtigste Stützpunkt für die afrikanischen Händler und Heimat für eine der größten afrikanischen Community Asiens.1

Die meisten Afrikaner kämen nach Guang­zhou, „um kleinere Geschäfte abzuwickeln und eine Art Brücke zu schlagen zwischen Unternehmen in ihrer Heimatregion und China“, erklärt Stammgast Kélian2 . Guangzhous Afrikaner – die Schätzungen schwanken zwischen 15 000 bis 25 000 Menschen3 – haben sich auf den Erwerb billiger Produkte wie Schmuck, Elektronik oder gefälschte Markenwaren spezialisiert, die sie in ihren Herkunftsländern wieder verkaufen.

In der Kolonialgeschichte gab es schon einmal – über Umwege – eine Zuwanderung aus Afrika. Damals waren es entflohene Sklaven aus der portugiesischen Kolonie Macau, die sich im 16. Jahrhundert im nahe gelegenen Guang­zhou niederließen, wo sie einigermaßen in Freiheit leben konnten – wenn sie nicht von chinesischen Familien ausgebeutet wurden.4 Im Lauf der Jahrhunderte verlor sich ihre Spur. Erst mit dem chinesischen Wirtschaftsaufschwung Anfang der 1990er Jahre kamen wieder afrikanische Migranten in die Stadt. Vor allem Nigerianer, Kongolesen und Malier wurden vom florierenden Handel mit der „Perle des Südens“ angelockt. Und für die Beziehungen zu China sind die Händler in den Augen ihrer Herkunftsländer ein Trumpf.

„Der internationale Afrikatag ist ein feierlicher Tag, der die Herzen aller Afrikaner hier in Guangzhou bewegt, unserer großartigen Stadt, die uns willkommen hieß und uns ein Zuhause bietet“, erklärte die malische Generalkonsulin Alima Danfakha Gakou am 24. Mai 2019 vor den Diplomaten, Studierenden und Unternehmern, die sich im Hotel Soluxe im teuren Geschäftsviertel Tianhe versammelt hatten. Auf beiden Seiten einer riesigen Leinwand illustrierten die Flaggen Chinas und der Afrikanischen Union den Geist der Veranstaltung. Seit Beginn der Belt and Road Initiative (BRI) – auch Neue Seidenstraße genannt – vor mittlerweile fast fünf Jahren wurden in der Stadt immer mehr afrikanische Konsulate eröffnet. Mit Ghana und Tansania, die 2019 hinzukamen, sind es heute 17.

Das Ziel derartiger Veranstaltungen ist es, Netzwerke zu den in Guangzhou ansässigen Händlern zu knüpfen. „Ich bin auf Einladung eines sudanesischen Freundes gekommen“, erklärt die chinesische Händlerin Frau Wu. „Die meisten Afrikaner hier haben ihren Hauptwohnsitz in ihren Herkunftsländern. Wenn sie neue Geschäfte anbahnen, kommen sie hierher und bleiben zwei bis drei Wochen. Dann kümmere ich mich um sie.“ Wie Frau Wu führen viele seit Langem in Xiaobei niedergelassene Chinesen und Afrikaner die Neuankömmlinge ins Geschäft ein. Diese „Präsidenten“5 , gewählte oder selbsternannte Anführer der verschiedenen nationalen Gruppen, fungieren als Mittler, die die reisenden Händler durch den Dschungel der chinesischen Bürokratie leiten.

Über den Handel hinaus bemüht man sich auch um die Festigung der gesellschaftlichen Bande. China, das sich seit Jahren stark in Afrika engagiert, will sein Prestige und seine Soft Power stärken. Zu diesem Zweck umwirbt die Regierung insbesondere Studierende. Der akademische Austausch ist zwar nicht neu, aber die Kurve weist seit einigen Jahren deutlich nach oben. Mehr als 80 000 junge Afrikanerinnen und Afrikaner besuchten 2018 chinesische Universitäten – 2003 waren es noch weniger als 2000.6 Obwohl immer mehr Afrikaner ihr Auslandsstudium inzwischen selbst finanzieren können, bietet China nach wie vor Stipendien an, um die vielversprechendsten Kandidaten selbst aussuchen zu können.

Steigende Mieten in Little Africa

Einer der Glücklichen ist Trevor Ndlovu, Mitglied der Kommunistischen Partei Südafrikas und nun Student an der Sun-Yat-sen-Universität in Guangzhou. Mao Tse-tung ist sein Vorbild. „Damals hat die Bildung die Chinesen von den Vorzügen des Sozialismus überzeugt, sie war das Fundament“, erklärt er. Und darauf hätte China erst sein eigenes Wirtschaftsmodell aufbauen können, das sich sowohl am Kommunismus als auch an seinen Traditionen orientiert. In Anlehnung an den legendären tansanischen Präsidenten Julius Nye­rere (1922–1999) und dessen „afrikanischen Sozialismus“ lobt Trevor den von der KP Chinas verfolgten Mittelweg, lobt die gebildeten Eliten und den Kampf gegen die Korruption. Die Inhalte seiner einjährigen Ausbildung legt dabei der chinesische Staat fest.

Marie-Lydmina Soa gehört zu den 20 afrikanischen Studierenden an der Sun-Yat-sen-Universität, die ein Regierungsstipendium bekommen haben. Die ehemalige Jahrgangsbeste der Praktikanten in der madagassischen Na­tio­nal­versammlung wurde direkt angesprochen, als sie bereits im Außenministerium des Landes angestellt war. William Chifunile wiederum arbeitete als Analyst im sambischen Wirtschaftsministerium. „Hohe sambische Beamte sind in die Ministerbüros gekommen, um mehrere Beamte zu nominieren“, erzählt er. „So wurde ich rekrutiert. Man hob die Qualität unserer Arbeit hervor und ermahnte uns, diese Gelegenheit ja nicht zu versäumen. Es ging alles so schnell, dass meine Frau im Fernsehen von meiner Auswahl erfuhr, bevor ich sie vorwarnen konnte.“ Im Gegensatz zu ihrem südafrikanischen Kommilitonen haben er und Marie-Lydmina Soa keinen Hintergrund als politische Aktivisten. Sie planen, nach ihrer Rückkehr in den höheren öffentlichen Dienst zurückzukehren.

An allen 21 Universitäten Guang­zhous findet eine ähnliche Auswahl von Studenten statt, hauptsächlich aus Afrika, aber auch aus den Ländern der Neuen Seidenstraße. Diese sollen als informelle Vermittler in ihren Heimatländern das chinesische Bildungsmodell anpreisen, doch so mancher ist skeptisch. So organisierte die KP Chinas vor der Abreise der ausgewählten Studenten in der madagassischen Hauptstadt Antananarivo ein einwöchiges Se­minar.7

„Es war langweilig“, erzählt Marie-Lydmina, die nur an zwei der fünf angebotenen Vorbereitungstage teilnahm. „Sie sprachen nur über die Geschichte Chinas und seine Entwicklung.“ Trotz seiner starken Sympathie für das chinesische Modell gibt selbst Trevor zu, dass er es zu schätzen weiß, „sagen zu können, was ich will. Aus politischen Gründen bevorzuge ich natürlich China, aber als Mensch, der an seiner Freiheit hängt, lebe ich lieber in Südafrika.“

In der Tat erfahren viele Afrikaner in China von Jahr zu Jahr eine stärkere Beschneidung ihrer persönlichen Freiheit. Seit 2013, als die Ebola-Epidemie in Westafrika ausbrach, finden in Xiaobei immer wieder Polizei­raz­zien statt. Häuser werden regelmäßig geräumt, und öfter kommt es zu Zusammenstößen zwischen den ausländischen Bewohnern des Viertels – neben Afrikanern auch Araber, Türken und Pakistaner – und der Polizei. Immer mehr Migranten verlassen Guangzhou. Ihre Zahl hat sich seit 2010 halbiert.8

Der langsame Niedergang von Guang­zhous Little Africa dürfte auch mit dem Zustand der chinesisch-afrikanischen Beziehungen zusammenhängen. Der Rückgang der Rohstoffpreise 2015 hatte ebenso wie die Abwertung mehrerer afrikanischer Währungen gegenüber dem Yuan nachhaltig negative Auswirkungen auf die Kaufkraft der Afrikaner. Hinzu kommen die politische Instabilität in einigen Herkunftsländern und die dramatisch steigenden Mieten in chinesischen Großstädten. Es ist eine Kombination von Faktoren, die viele der reisenden Händler veranlasst hat, ihren Aufenthalt in Guang­zhou zu beenden.

Selbst dauerhaft in China lebende Afrikaner kehren inzwischen nach Hause zurück. „2015 konnte man spüren, dass die Bestellungen der Händler, die nach China kamen, nicht mehr so umfangreich waren wie früher“, erzählt Frau Wu. „Der Wechselkursverfall hat sie zurückhaltend werden lassen.“ Die junge Frau, die sich hauptsächlich auf ein Netzwerk sudanesischer Kunden stützt, macht sich Sorgen wegen der politischen Unruhen, die den Sudan seit mehreren Monaten erschüttern: „Die meisten Händler rufen mich an, um ihre geplante Reise abzusagen.“

Viele von Guangzhous afrikanischen Einwohnern sehen sich gezwungen, China zu verlassen, auch wenn das bedeutet, dass lokale Zwischenhändler das Geschäft übernehmen. Wie Wu investieren jetzt dutzende von ihnen in Xiaobei, bauen ein Netzwerk mit afrikanischen Handelspartnern auf und gründen bei dieser Gelegenheit ihr eigenes Unternehmen. „Ich habe als Teil eines afrikanischen Teams gearbeitet. Ich habe dank ihnen viele Erfahrungen gesammelt, sie haben mir viel beigebracht: wie man Geschäfte macht, wie man in diesem Bereich arbeitet“, sagt Wu.

Wird sich die afrikanische Gemeinde in Xiaobei wieder auflösen? Der Handel zwischen Guangzhou und dem afrikanischen Kontinent dürfte jedenfalls weiter zunehmen. Die Regierung in Beijing erwägt, afrikanische Staaten an die Neue Seidenstraße anzubinden. Doch im Zuge der Formalisierung der Beziehungen scheinen es die Behörden auf die Vertreibung der einzigen historisch gewachsenen afrikanischen Gemeinde des Landes anzulegen. Lieber organisieren sie Veranstaltungen, die staatlich akkreditierten und kontrollierten Händlern auf kurzen Geschäftsreisen vorbehalten sind.

Im vergangenen Jahr umriss Präsident Xi Jinping die Grundzüge der neuen Geschäftsbeziehungen: „China hat beschlossen, auf seinem Territorium eine chinesisch-afrikanische Wirtschafts- und Handelsmesse zu organisieren. Sie wird chinesische Unternehmen ermutigen, ihre Investitionen in Afrika auszuweiten und gemeinsame Wirtschafts- und Handelszonen in Afrika zu errichten beziehungsweise auszubauen.“9 Im Juni 2019 fand die erste dieser Messen in Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan, statt – fernab der afrikanischen Gemeinde von Guang­zhou.

1 Siehe Tristan Coloma, „Chocolate City“, LMd, Mai 2010.

2 Die nur mit Vornamen genannten Gesprächspartner baten um Anonymität.

3 Jeremy Luedi, „Goodbye Chocolate City: the death of Asia’s largest African community“, Asia by Africa, 11. März 2018, www.asiabyafrica.com.

4 Siehe dazu Frank Dikotter, „The Discourse of Race in Modern China“, Oxford (Oxford University Press) 1992.

5 Siehe Gordon Mathews, „Africans in Guangzhou“, Journal of Current Chinese Affairs, Nr. 44, Hamburg 2015.

6 Laurie Chen, „From Africa and across Asia, students follow the belt and road map to an education at Chinese universities“, South China Morning Post, 16. Juni 2019.

7 Meistens werden die Studierenden allerdings vom Außenministerium und nicht von der Kommunistischen Partei ausgewählt.

8 Jenni Marsh, „The African migrants giving up on the ­Chinese dream“, CNN, 26. September 2016, www.cnn.com.

9 Rede Xi Jinpings auf dem China-Afrika-Forum am 3. September 2018.

Aus dem Französischen von Nicola Liebert

Louis Bertrand, Masterstudent an der Sciences Po ­Lyon, ist Gewinner des diesjährigen Studierendenwettbewerbs von Le Monde diplomatique, Paris.

Le Monde diplomatique vom 07.11.2019, von Louis Bertrand