10.10.2019

Südafrikas ungelöste Landfrage

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Südafrikas ungelöste Landfrage

25 Jahre nach dem Ende der Apartheid lässt die versprochene Umverteilung von Grund und Boden immer noch auf sich warten. Das liegt an der Furcht vor den wirtschaftlichen Konsequenzen einer Enteignung. Aber auch am fehlenden politischen Willen und an den Rivalitäten innerhalb des ANC.

von Cédric Gouverneur

Pretoria, 1994: Ausflug in die burische Vergangenheit KARL-BERND KARWASZ/ullstein bild
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Zwischen Zuckerrohrfeldern und eleganten Landhäusern in der Provinz KwaZulu-Natal steht mitten im Grünen eine kleine Siedlung aus Lehm- und Wellblechbaracken. Hier wohnen die schwarzen Landarbeiter mit ihren Familien. Sie verdienen 1500 bis 3000 Rand (100 bis 200 Euro) im Monat. Dass seit Januar 2019 ein gesetzlicher Mindestlohn von 3500 Rand gilt, ignoriert ihr weißer Arbeitgeber.

Die meisten sind Zulu und stammen aus der Gegend, aber auch Xhosa wohnen hier, die 1981 aus der Nachbarprovinz Ostkap ihrem Boss nach KwaZulu-Natal folgten. Als der 2016 in Rente ging, verkaufte er sein Land an einen anderen Weißen: „Und der will, dass wir von hier verschwinden“, erzählt der Zulu-Bauer David.

Eines Tages kam der neue Eigentümer mit seinem Anwalt in die Siedlung und bot den 14 Familien jeweils 50 000 Rand, „damit wir uns verpissen“. Zwei Familien haben akzeptiert. Den verbliebenen droht er seitdem, mit Bulldozern anzurücken. „Das hier ist unser Zuhause! Unsere Vorfahren sind hier begraben“, sagt David und zeigt auf das Feld nebenan. „Da liegen ihre Gräber. Wir dürfen das Land nicht mehr betreten, der Weiße hat es uns verboten. Er hat die Kreuze rausgerissen.“

In der Barackensiedlung gibt es kein fließendes Wasser. Zweimal in der Woche kommt ein Lastwagen der Gemeinde und füllt die Zisterne auf. Von Zeit zu Zeit fährt eine mobile Klinik vor. Was hält einen an einem solchen Ort? „Wo sollen wir sonst hin?“, entgegnen die Bewohner. „In ein Township in der Stadt? Wo Banden herrschen? Dort hätten wir noch weniger Rechte. Wir leben hier seit 40 Jahren. Wir haben Rechte“, sagt die Xhosa Boniswa. Ein Taxi hält vor der Siedlung. Ein Gewirr aus Köpfen und Armen erscheint an den Fenstern. Zwei, vier, sechs … insgesamt acht Kinder klettern aus dem Wagen. Vor den Wahlen hatte die Regierungspartei ANC einen Schulbus versprochen. Auch zum Einkaufen in die 20 Kilometer entfernt liegende Stadt Howick fahren die Leute mit dem Taxi, oder sie trampen.

37 Millionen Hektar Land in Südafrika sind in Privatbesitz, fast drei Viertel davon gehören Weißen.1 30 000 Farmen beschäftigen insgesamt 840 000 Landarbeiter.2 Durch die Mechanisierung kommt heute ein Arbeiter auf 2 Hektar; 1994 war es noch ein Arbeiter pro Hektar. „Die Saisonarbeiter haben oft monatelang keine Einkünfte“, sagt Laurel Oettle, die in Pietermaritzburg die NGO Association for Rural Advance­ment (Afra) leitet. Seit 40 Jahren setzt sich die Weiße für die Rechte der schwarzen Landarbeiter ein. „Manche werden sogar nur mit Naturalien abgespeist. Und es gibt zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch.“

Die Kehrtwende des ANC

„Bure“ kommt von dem niederländischen Wort für „Bauer“ (Boer). Mit der Ankunft der niederländischen Siedler begann im 17. Jahrhundert die Inbesitznahme Südafrikas. Die Gründung der Südafrikanischen Union (Union of South Africa) institutionalisierte 1910 den Landraub.

Sie vollendete nicht nur die Vereinigung des Territoriums der heutigen Republik Südafrika, sondern auch die politische Allianz zwischen den Siedlern britischer Herkunft, die seit dem frühen 19. Jahrhundert die Kapkolonie, die heutigen Provinzen Northern, Western und Eastern Cape sowie KwaZulu-Natal kontrollierten, und den Afrikaanders (Nachkommen von Holländern, Franzosen und Deutschen). Diese Einigung in der Folge des Zweiten Englisch-Burischen Kriegs (1899–1902) ging natürlich auf Kosten der schwarzen Bevölkerung.3

1913 beschränkte der Natives Land Act den Landbesitz der „Eingeborenen“ auf 7 Prozent des Staatsgebiets, 1936 wurde er auf 13 Prozent angehoben. 4 Millionen Bauern verloren damals ihr Land. „Das Ziel war, an billige Arbeitskräfte zu gelangen“, erklärt der Präsident der Südafrikanischen Kommission für Menschenrechte (SAHRC), Tseliso Thipanyane. „Die schwarzen Farmer wurden Pächter oder Minenarbeiter. Auch meine Familie wurde damals enteignet. Was glauben Sie, was wir empfinden, wenn wir diese Ländereien sehen?“

Der Natives Land Act enthielt eine ganze Reihe diskriminierender Maßnahmen, unter anderem, dass bestimmte Stellen im Bergbau nur mit Weißen besetzt werden durften. In ihrer berühmten Freedom Charter von 1955 hatte die schwarze Untergrundpartei ANC noch gefordert, das Land unter denen aufzuteilen, die es bearbeiten. Nach der Aufhebung des Parteienverbots Anfang der 1990er Jahre verabschiedete sich der ANC dann aber vom Sozialismus und übernahm neoliberale Positionen: zum einen, um die Gunst der internationalen Finanzorganisationen zu erlangen, zum anderen, um die Chancen auf einen Kompromiss mit dem letzten Präsidenten des Apartheidregimes, Frederik de Klerk, zu erhöhen.

Nachdem der ANC bei den ersten freien Wahlen 1994 in die Regierungsverantwortung gekommen war, versprach er 1996 innerhalb von fünf Jahren 30 Prozent des Landes neu zu verteilen – allerdings nicht durch Zwangsenteignungen, sondern auf Grundlage des sogenannten Willing- Buyer-Willing-Seller-Prinzips: Die Regierung erwirbt das Land von verkaufswilligen weißen Farmern und gibt es an schwarze Käufer weiter, die teils durch Subventionsprogramme unterstützt werden. Zwei Gesetze (der Labour Tenants Act von 1996 und der Extension of Security of Tenure Act von 1997) sollten zudem die Pächter vor Vertreibung schützen und es ihnen ermöglichen, einen Teil des Landes, auf dem sie leben, für sich zu reklamieren.

Abschreckendes Beispiel Simbabwe

2009 erklärte Präsident Jacob Zuma4 die Land­reform zwar zur Priorität, das Budget des neu gegründeten Ministeriums für ländliche Entwicklung und Agrarreform (DRDLR) überstieg jedoch nie 1 Prozent des Staatshaushalts. Bis 2018 waren nur 9,7 Prozent des Landes umverteilt worden.5

Zudem öffnet die Art und Weise, wie das Land den Besitzer wechselt, Tür und Tor für Korruption und Klientelismus. Es gibt keinen festen Hektarpreis, sondern die Bewerber erheben Anspruch auf ein bestimmtes Territorium. Anschließend müssen sie ein bürokratisches Prozedere durchlaufen, in das fünf verschiedene Behörden involviert sind. Wird ihrem Antrag stattgegeben, müssen sie eine vorgeschriebene Summe zahlen. Ruth Hall, Professorin für Agrarfragen an der Universität des Westkaps, spricht von einer Landvergabe zugunsten der „zahlungskräftigen Eliten“.6

Im Dezember 2017 verabschiedete der ANC auf Betreiben von Anhängern des angeschlagenen Zuma eine Resolution, in der eine „Enteignung ohne Entschädigung“ (EWC lautet die englische Abkürzung) gefordert wird. Einerseits wollte man damit den Aufschwung der linksradikalen Partei Economic Freedom Fighters (EFF) bremsen, andererseits aber auch den Handlungsspielraum des neuen ANC-Vorsitzenden Cyril Ramaphosa einschränken, der kurz darauf Zuma zum Rücktritt aufforderte.

Nach seiner Wahl zum Präsidenten im Februar 2018 bemühte sich Ramaphosa als Erstes darum, den Privatsektor zu beruhigen. „Die Zuma-Fraktion im ANC will die EWC. Aber der Präsident wird dafür sorgen, dass sie mit Bedacht umgesetzt wird“, erklärte noch im Januar 2019 John Purchase, Vorsitzender des Interessenverbands Agricultural Business Chamber (Agbiz), der sowohl Landwirtschaftskooperativen als auch Banken sowie Agrar- und Lebensmittelkonzerne vertritt.

Im Vorfeld der Parlamentswahlen vom Mai 2019 übergab der Präsident dann allerdings in einem bislang einmaligen Akt 1566 Hektar Land an Khoi- und Griqua-Gemeinden, die in den 1920er Jahren vertrieben worden waren. Zwei Jahrzehnte hatten sie für die Rückgabe gekämpft. „Es ist an der Zeit, das Land an seine rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben“, verkündete Ramaphosa – und an die weißen Farmer gerichtet: „Das ist ein Prozess, den Sie nicht aufhalten können. Arbeiten Sie bitte mit uns zusammen.“ Ramaphosa ist sich auch über die Korruption beim Vergabeprozess im Klaren, denn er fügte hinzu: „Wir werden über jeden Cent Rechenschaft ablegen.“7

„In 22 Jahren“, schreibt der Agrarfachmann Ben Cousins, „hat die Landreform die Agrarstruktur und die Lebensbedingungen im ländlichen Raum kaum verändert. Nur etwa 9 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen wurden transferiert, und viele Restitutionsansprüche blieben unerfüllt.“8 Als sich der ANC an der Spitze der Macht eingerichtet hatte und aufgrund der demografischen Gegebenheiten sicher sein konnte, dort zu bleiben, verlor er das Interesse an den ländlichen Massen und konzentrierte sich auf den Aufstieg der schwarzen urbanen Mittelschicht.

Die Landreform war schon immer ein umstrittenes Thema, doch zurzeit wird sie besonders heftig diskutiert. Das hat zum einen mit dem Erstarken der nationalistischen schwarzen Linken zu tun, die Verstaatlichungen fordert und gegen Weiße agitiert: Die EFF, die 2013 von Julius Malema, dem Ex-Chef der ANC Youth League, gegründet wurde, ist inzwischen drittstärkste politische Kraft. Bei der Wahl vom Mai 2019 konnte sie die Zahl ihrer Sitze in der Na­tio­nal­versammlung von 25 auf 44 erhöhen.

Von den insgesamt 400 Sitzen gingen 230 an den ANC, 84 an die Democratic Alliance (DA, Mitte-rechts), 44 an die EFF, 14 an die Inkatha Freedom Party (IFB) und 10 an die konservative Burenpartei Vryheidsfront Plus (VF+). Der zweite Faktor sind die Spannungen innerhalb des ANC: Der in eine Korruptionsaffäre verwickelte Zuma schürte den Groll gegen die weißen Farmer, indem er unter anderem eine britische PR-Agentur beauftragte, die sozialen Medien mit dem Hashtag #WhiteMonopolyCapital zu fluten.

„Niemand weiß, was die Regierung tun wird“, klagt Rossouw Cillié, einer der mächtigsten Farmer Südafrikas. „Wenn unser Grund und Boden enteignet wird, verlassen wir das Land – wie die vielen Südafrikaner, die 1994 nach Australien ausgewandert sind. 700 Bauern arbeiten ständig für mich, 1000 weitere als Saisonarbeiter. Die machen sich auch alle Sorgen.“ Cillié stammt von Hugenotten ab, die im 17. Jahrhundert nach Südafrika kamen. Auf seinem Gut Laastedrif baut er Obst und Gemüse für den Binnenmarkt und den Export an. Insgesamt besitzt er sieben Farmen mit einer Gesamtfläche von rund 20 000 Hektar.

„Wenn das intellektuelle Kapital das Land verlässt, bricht alles zusammen. Schauen Sie sich an, wie es in Simbabwe gelaufen ist“, sagt Cillié. In dem Nachbarland brach die Produktion ein und es kam zu einer Hyperinflation, nachdem Robert Mugabe (1924–2019) im Sommer 2000 eine „beschleunigte Landreform“ angeordnet hatte: 8,3 Millionen von insgesamt 11 Millionen Hektar Plantagenland wurden damals „umverteilt“. Nutznießer waren allerdings nicht etwa landlose Bauern, sondern Veteranen des Befreiungskriegs. Und mehrere weiße Farmer wurden zu Opfern gewalttätiger Übergriffe.9

Unter den neuen Besitzern gingen die meisten Farmen in Simbabwe schnell pleite. Ein Katastrophenszenario, das sowohl den Farmern als auch der Regierung in Südafrika als abschreckendes Beispiel dient – und von Anhängern des ungerechten Status quo als Totschlagargument benutzt wird.

Für eine EWC, eine Enteignung ohne Entschädigung, müsste die Verfassung von 1996 geändert werden. Dafür bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, also auch die Unterstützung des unberechenbaren Julius Malema. „Der ANC steht mit dem Rücken zur Wand“, erklärt Ruth Hall. „Seit einem Vierteljahrhundert sitzt er auf dem Problem, jetzt muss er handeln.“

Es sei bedauerlich, dass „aus reinem Wahlkampfkalkül“ die Grundrechte angegriffen würden und Verfassung geändert werden solle, meint Annelize Crosby vom Landwirtschaftsverband Agri SA, in dem die wichtigsten Exportfarmen organisiert sind. „Wir sind für eine Agrarreform“, sagt sie, aber in 25 Jahren, in denen Versprechen gemacht und nicht gehalten wurden, habe sich viel Frust angestaut. Eine Enteignung ohne Entschädigung lehnt sie natürlich ab: „Wir bevorzugen Public-private-Partnerships.“ Die privaten Agrarunternehmen, die unter den Folgen einer der schlimmsten Dürren in Südafrika leiden,10 sind der Ansicht, dass eine EWC-Lösung der gesamten Wirtschaft schaden würde.

Die fruchtbarsten Böden wären davon zwar nicht betroffen – Präsident Ramaphosa hat diesbezüglich Garan­tien gegeben, um vor allem die Lebensmittelversorgung nicht zu gefährden –, aber Crosby ist trotzdem skeptisch: „Die großen Farmen, die 15 Prozent der Landwirtschaft ausmachen, produzieren 80 Prozent der Nahrungsmittel. Wenn die enteignet werden, hat das Folgen für die ganze Lebensmittelversorgung.“ Die Unsicherheit habe bereits dazu geführt, dass Investoren das Interesse am Sektor verlieren – obwohl Präsident Ramaphosa angekündigt hat, innerhalb von fünf Jahren über 100 Milliarden Dollar Auslandsdi­rekt­in­vestitionen ins Land zu holen.

Tatsächlich sei das Vertrauen innerhalb der vergangenen zehn Jahre noch nie so niedrig gewesen, sagt John Purchase. Der Vorsitzende von Agbiz macht dafür die Verunsicherung aufgrund der Diskussion um die Landreform verantwortlich, aber auch die Dürre und sogar den Brexit. „Die Südafrikaner investieren lieber in Sambia. Das motiviert nicht gerade die ausländischen Investoren. Die Schulden in der Landwirtschaft liegen bei über 200 Milliarden Rand (12,3 Milliarden Euro). 77 Prozent dieser Forderungen hängen am Wert des Bodens.“ Die EWC könne „das gesamte Bankenwesen in Gefahr bringen“.

Bündnis zwischen Zulu-König und Buren-Lobby

Andile Mngxitama, ehemaliges Mitglied der EFF und Parteivorsitzender der 2015 gegründeten Black First Land First (BLF), empfängt uns in einer Villa in einem Vorort von Pretoria. Das Tor steht offen, der Swimmingpool ist leer, es gibt weder Wasser noch Strom.

„Wir halten dieses Haus seit drei Jahren besetzt. Ein Bure, der ins Ausland gegangen ist, hat es zurückgelassen“, erzählt er lächelnd. BLF setzt ihren Slogan „White monopoly capital, we are coming for you!“ in die Praxis um. „Ich bin auf einer Farm aufgewachsen. Als ich zwölf war, ist der weiße Farmer mit einem Stock hinter mir hergelaufen, weil ich mich geweigert habe, ihn Boss zu nennen“, erzählt er.

Die EWC ist laut Mngxitama eine Farce: „Ramaphosa spricht davon, nur das ungenutzte Land enteignen zu wollen. Es ist also eine Enteignung ohne Enteignung, er will Stimmen gewinnen, muss keine Entschädigungen zahlen, und die Kapitalakkumulation geht weiter.“ Die Befürchtung, durch Enteignungen könnte Südafrika in eine Krise stürzen, wischt er beiseite: „Der Alltag der Schwarzen in diesem Land ist ohnehin schon eine ökonomische Katastrophe!“

„Die Landfrage ist emotional sehr aufgeladen“, sagt William Gumede, Professor an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg und geschäftsführender Direktor des Thinktanks Democracy Works Foundation. Er hält nichts von Enteignungen: „Ich nehme einem weißen Farmer das Land weg. Ich räche mich. Aber morgen habe ich einen leeren Magen, weil Lebensmittel importiert werden müssen.“

Neo Masithela, Präsident des einflussreichen Verbands südafrikanischer Farmer (Afasa), in dem rund 300 000 Bauern und Pächter organisiert sind, hält dagegen: „Südafrika ist nicht Simbabwe, es ist ein Rechtsstaat.“ Masithela ist für die EWC und arbeitet gemeinsam mit der Regierung an ihrer Umsetzung: „Die Agrarfrage ist eine soziale Zeitbombe. Gleichzeitig müssen wir verhindern, dass es zu Panik und Kapitalflucht kommt. 1994 haben wir das auch hinbekommen.“

Ein weiterer Streitpunkt ist das Land der Zulu: Zwischen 1986 und 1994 starben tausende Menschen bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen dem ANC und der Inkatha Freedom Party (IFB) des Prinzen Mangosuthu Buthelezi, Chief des Homelands der Zulu und Verbündeter des Apartheidregimes. Der König der Zulus, Buthelezis Neffe Goodwill Zwelithini kaBhekuzulu, gründete drei Tage vor den ersten freien Wahlen am 27. April 1994 den Ingonyama Trust Board (ITB). Die umstrittene Stiftung verwaltet 2,8 Millionen Hektar Land, auf dem 4,5 Millionen Menschen leben.

Die Praktiken des ITB sind zum Beispiel in der Savanne unweit der Inkatha-Hochburg Ulundi zu beobachten. Hier leben in einem kleinen Dorf sieben Familien ohne fließend Wasser und Strom. Thokozani Ndawo erzählt, er und seine Familie hätten während der Apartheid für burische Farmer gearbeitet und Übergriffe und gewaltsame Vertreibungen erlebt. 1997, als sie glaubten, das Land gehöre nun ihnen, erklärte es der ITB zu seinem Eigentum und machte es zum Naturreservat.

„Niemand hat uns informiert“, klagt Ndawo. Seitdem muss sich sein Vieh das Weideland mit Zebras und Giraffen teilen, die der Trust angesiedelt hat. „Sie haben Pythons hier ausgesetzt und drohen sogar damit, Löwen herzubringen. Aber wir sind hier geboren. Wenn wir gehen, werden wir noch weniger Rechte haben. Wir wollen die EWC, wir fordern dieses Land für uns!“

Der pensionierte ­Polizeibeamte Bongani Zikhali wurde von seinem Dorf­chief bedrängt, den Familienbesitz an Grund und Boden beim ITB einzutragen. „Ich dachte, das wäre für unseren König.“ Doch der Trust verlangte anschließend eine Miete von 3000 Rand pro Jahr. Der Ex-Polizist mit den breiten Schultern ließ sich nicht einschüchtern und vermutet, dass viele Zulu nur aus Angst zahlen.

Ein weiteres Beispiel ist Edward Mpe­ko, der eine Lodge an der Küste besitzt. Nach einem Streit mit dem lokalen Chief wurde seine Ferienanlage von Schlägern zerstört. „Die ITB interessierte sich für meine Lodge. Erschwerend kommt wohl hinzu, dass ich kein Zulu bin, sondern Sotho.“ Das Gericht gab ihm schließlich recht, ohne ihn jedoch zu entschädigen. In der Nähe von Eshowe erzählen uns die Bewohner, wie sie für ihr Land kämpfen mussten, das der ITB ohne jede Absprache an ein indisches Bergbauunternehmen verkauft hatte. „Offiziell gehört das Land der Gemeinde, aber in Wahrheit entscheidet der Chief allein“, sagen die Dorfbewohner.

Nach Dutzenden Beschwerden hatte 2017 eine Untersuchungskommission unter Leitung von Kgalema Motlanthe, Präsident Südafrikas von 2008 bis 2009, den Ingonyama Trust Board Act für verfassungswidrig erklärt und die Auflösung der Stiftung empfohlen. Das wiederum trieb die Anhänger der Inkatha-Partei, deren Aktivisten gern mit Lanzen bewaffnet demonstrieren, auf die Barrikaden. „Einige aus meinem Umfeld wollten Krieg, aber ich habe Nein gesagt“, brüstete sich König Zwelithini im vergangenen März.12

„Die Regierung wird gegen diesen feudalen Trust, diesen Staat im Staate, nichts unternehmen, um keinen Bürgerkrieg zu riskieren“, erklärt ein Insider, der anonym bleiben will. Die Einrichtung des Ingonyama Trust gehört zum „großen Kompromiss von 1994“. Aus dem gleichen Grund toleriere der Staat die Existenz von Oranje oder Vanderkloof, jenen Enklaven, in denen schwer bewaffnete Buren leben und der Apartheid-Ära nachtrauern.

Zwelithini wird inzwischen von der Organisation AfriForum unterstützt, die für die Rechte der Buren kämpft und über 200 000 Mitglieder haben soll: „Wir sind auch gegen die EWC“, bestätigt uns der Vorsitzende von AfriForum, Ernst Roets. Ruth Hall verwundert diese Einmütigkeit nicht: „AfriForum und der Zulu-König sind beide konservativ. Individuelle Rechte interessieren sie nicht.“

1 „Land audit report 2017“, Ministerium für ländliche Entwicklung und Agrarreform, Pretoria, 5. Februar 2018.

2 Ben Cousins, Amelia Genis und Jeanette Clarke, „The potential of agriculture and land reform to create jobs (policy brief 51)“, Institute for Poverty, Land and Agrarian studies (Plaas), Universität des Westkaps, Kapstadt, Oktober 2018.

3 Siehe Martin Bossenbroek, „Tod am Kap. Geschichte des Burenkriegs“, München (C. H. Beck) 2016; und Johann Rossouw, „Südafrika und sein verdrehter Nationalismus“, LMd, Juni 2008.

4 Siehe Sabine Cessou, „Letzte Chance für den ANC“, LMd, März 2018.

5 Siehe Melanie Müller und Laura Kotzur, „Stadt, Land, Frust. Die Debatte über eine Landreform in Südafrika“, SWP-Aktuell, Stiftung Wissenschaft und Politik Berlin, März 2019.

6 Ruth Hall und Tembela Kepe, „Elite capture and ­State neglect: new evidence on South Africa land reform“, Review of African Political Economy, Bd. 44, Nr. 151, Kapstadt 2017.

7 Thabo Mokone, „Land reform can no longer be resisted – Ramaphosa“, The Sunday Times, Johannesburg, 23. März 2019.

8 Ben Cousins, „Land reform in South Africa is sinking. Can it be saved?“, Plaas, Nelson-Mandela-Stiftung, Mai 2016.

9 Siehe Colette Braeckman, „Günstlingswirtschaft als Landreform“, LMd, Mai 2002.

10 In der Kapprovinz soll aufgrund der Dürre die landwirtschaftliche Produktion um 20 Prozent zurückgegangen und der Wirtschaft ein Schaden von 5,9 Milliarden Rand (350 Million Euro) entstanden sein (Bureau for Food and Agricultural Policies, BFAP).

11 Lwandile Bhengu, „Zulu king says he prevented war over legal action against Ingonyama Trust“, The Sunday Times,Johannesburg, 14. März 2019.

12 James Pogue, „The myth of white genocide“, Harper’s Magazine, New York, 6. März 2019.

Aus dem Französischen von Uta Rüenauver

Cédric Gouverneur ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 10.10.2019, von Cédric Gouverneur