12.08.2005

Krabben für die Reichen

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Krabben für die Reichen

Die reine Exportstrategie ist für Bangladesch kein Segen von Cédric Gouverneur

Wir befinden uns in der Region Khulna im Südwesten von Bangladesch. Das abgelegene Dorf Baro Ari verliert sich in den endlosen Windungen der Ganges-Arme. Sich bis hierher durchzuschlagen ist nicht einfach – aber die neoliberale Globalisierung hat es geschafft. Sie hat das einzige vermarktungsfähige Erzeugnis des Ortes ausfindig gemacht: die Krabbe. Im Jahr 2000 haben einflussreiche Leute dafür gesorgt, dass die Deiche der Polder geöffnet und die Felder der armen Bauern von Salzwasser überflutet wurden. Mit tatkräftiger Unterstützung einer korrupten Polizei ist es ihnen gelungen, die überschwemmten Böden in gewinnträchtige Krabbenzuchtbecken zu verwandeln.

„Wir haben nichts mehr“, sagt Suranjan Kumar. Seine Wangen sind hohl, die Unterernährung hinterlässt ihre Spuren. Die zwanzig Männer um ihn nicken. „Manchmal arbeiten wir als landwirtschaftliche Tagelöhner für 50 Takas (70 Cent) am Tag.“ Das sind Bedingungen, die an Sklaverei erinnern: Der Bauer muss dem Grundherrn bis zu zwei Drittel seiner Ernte abliefern. „Das Salz hat alles zerfressen“, konstatiert Abu Sahid Gazhi, der elf Monate im Gefängnis war, weil er protestiert hatte, als man ihm sein Land wegnahm.

Die Krabbenzucht hat den Salzgehalt des Bodens drastisch erhöht, zum Teil auf das Fünffache. Oft werden die Zuchtbecken absichtlich schlecht eingedeicht, damit das Land ringsum unfruchtbar wird. Dann kann man die Bauern vertreiben und die Aquakultur noch weiter ausbreiten. „In der Gegend hier wächst nichts mehr. Die Preise steigen, alles ist teurer geworden. Das Vieh wird krank vom dem vielen Salz.“

Seit den 1980er-Jahren, als die Shrimpsnachfrage in den reichen Ländern in die Höhe schoss, produzieren Asien und Lateinamerika riesige Massen von Zuchtkrabben. Bangladesch ist der fünftgrößte Erzeuger der Welt. Hier sind mittlerweile rund 190 000 Hektar Mangroven und fruchtbares Land in Wasseranbaubecken umgewandelt, die jährlich 30 000 Tonnen Schalentiere liefern. Fast die gesamte Produktion wird in die Länder des Nordens exportiert: Da 80 Prozent der 143 Millionen Bangladescher nach UN-Angaben über weniger als 2 Euro pro Tag verfügen, können sie sich Krabben zu 10 Euro das Kilo kaum leisten. Aber dank der Exporte hat es Bangladesch geschafft, sich im Rahmen der Globalisierung auf dem Weltmarkt zu etablieren. Und nach der magischen Lehre vom Trickle-down-Effekt1 müssten die dabei gemachten Gewinne theoretisch der ganzen Bevölkerung zugute kommen.

Aber hat die Aquakultur in Baro Ari tatsächlich Arbeitsplätze geschaffen? „Für die Arbeit in den Becken werden mastaan, Muskelprotze, aus Khulna geholt“, seufzt ein Bauer. „Damit wir überleben können, müssen unsere Kinder Krabbenlarven sammeln, die sie an die Zuchtfarmen verkaufen.“ Auf jede gesammelte Krabbenlarve kommen hunderte Larven anderer Arten, die am Ufer liegen bleiben und eingehen. Die Biodiversität bricht zusammen. Wie die Fischer der Region berichten, sind die Fangquoten bereits um 80 Prozent zurückgegangen. Für die westlichen Feinschmecker, die diese Krabben essen, haben die Leute hier nur wütende Blicke übrig und geballte Fäuste. „Sie trinken unser Blut“, meint Kumar. „Wie viele Bangladescher sollen noch sterben, um die Weißen zu ernähren?“ Nur die Vorstellung, dass es in Europa einen Krabbenboykott geben könnte, weckt hier noch schwache Hoffnungen.

Die Krabbe ist für Bangladesch eine ähnlich verheerende Attacke auf die Artenvielfalt, wie sie der Viktoriabarsch – der „Darwin’sche Alptraum“ – für Tansania darstellt.2 Nur dass die Krabbenzucht hier über das soziale und ökologische Desaster hinaus auch noch zu Mord und Totschlag führt: Seit 1980 sind über 150 Bangladescher ermordet worden, weil sie sich den Züchtern widersetzt haben.3 Hinzu kommen die tausende von Toten, die 1991 im Südwesten des Landes dem Tsunami zum Opfer fielen. Nach einer Studie der britischen NGO Environmental Justice Foundation (EJF) hatte ein Phänomen ähnlichen Ausmaßes noch im Jahre 1960 nicht ein einziges Todesopfer gefordert. Doch seitdem sind auf weiten Küstenstreifen die riesigen Mangroven, die in salzhaltigem Wasser wurzeln und als Puffer zwischen Mensch und Meer fungieren, zugunsten der Shrimps-Aquakultur abgeholzt worden.

Dennoch werden die Zuchtbecken sowohl von der Weltbank als auch von der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) der Vereinten Nationen und der asiatischen Entwicklungsbank gefördert. Die US-amerikanische Behörde für internationale Entwicklung (Usaid) stellt sogar ein technisches Hilfsprogramm bereit, um die Qualität der Krabben zu überwachen. Durch Seuchenbekämpfung versuchen diese Philanthropen, den Schalentiermarkt in Bangladesch, der heute einen jährlichen Umsatz von 292 Millionen Euro macht, noch weiter auszubauen. Ihr Nahziel besteht darin, innerhalb von fünf Jahren auf 1,25 Milliarden zu kommen.4

„Wohin fließt das Geld aus dem Außenhandel, und wer profitiert davon?“, fragte sich schon im Jahr 2000 Manik Chandra Saha, ein junger Journalist aus Khulna, wenn man gleichzeitig feststellen müsse, dass die Aquakultur hunderttausende seiner Landsleute ruiniert hat. Der kritische Journalist wurde im Januar 2004 von einer bewaffneten Gang ermordet, deren notorische Spezialität es ist, ihre Todesschützen meistbietend zu verdingen. Allein in der Region Khulna wurden seit 1990 13 Kollegen von Chandra Saha umgebracht. Eine Gewalt, die Bangladesch, wo theoretisch Pressefreiheit herrscht, zu einem der gefährlichsten Länder für Journalisten macht.

Die gewinnträchtigen Exporte aus Bangladesch kommen nur einer Minderheit zugute. Dennoch können westliche Unternehmen ihr Geschäft mit diesem Musterschüler des Weltwährungsfonds (IWF)5 betreiben, ohne dass Menschenrechtler sie allzu sehr an den Pranger stellen – wie es etwa im Fall des totalitären Nachbarstaats Myanmar (Birma) geschieht. In Bangladesch machen die Krabben schließlich nur 6 Prozent der Exporte aus. Der größte Reiz des Landes liegt in Bekleidungsprodukten, auf die drei Viertel der Exporte entfallen und die 2004 nach den offiziellen Statistiken 4,67 Milliarden Euro eingebracht haben.

Die zwei Millionen Beschäftigten der Textilindustrie arbeiten unter Bedingungen, wie wir sie aus Romanen von Charles Dickens kennen. Die einheimischen Industriellen sind darauf versessen, so billig wie möglich für die westlichen Firmen zu produzieren, damit diese in Bangladesch bleiben und nicht in ein „wettbewerbsfähigeres“ Land abwandern.6 Die Belegschaften bestehen zu 85 Prozent aus jungen Mädchen, die dem ländlichen Elend zu entfliehen versuchen und nichts über ihre Rechte wissen. Sie arbeiten 12 Stunden am Tag – manchmal auch länger – und oft sieben Tage pro Woche zu einem Lohn von 13 bis 30 Euro im Monat. Sie sind bei der Arbeit eingeschlossen, werden beim Verlassen der Fabrik bis unters Hemd gefilzt; am Arbeitsplatz dürfen sie nicht miteinander reden. Die Freiheit, sich einer Gewerkschaft anzuschließen, bleibt reine Theorie, „Unruhestifter“ werden fristlos entlassen: Weniger als 1 Prozent der Frauen sind Gewerkschaftsmitglieder. Immer wieder kommt es zu Vergewaltigungen durch Vorgesetzte, und seit 1990 sind fast 300 Arbeiterinnen in brennenden Fabriken ums Leben gekommen.7 Unterdessen verkündet der Dachverband der bangladeschischen Bekleidungsexporteure (BGMEA) auf seiner Internetseite stolz, dass man Kinderarbeit verboten habe. Wahrscheinlich erwartet man dafür Glückwünsche aus aller Welt.

Am Morgen des 10. April 2005 brach in der Freihandelszone von Savar, einige Kilometer von Dhaka entfernt, eine neunstöckige Kleiderfabrik wie ein Kartenhaus zusammen. Die mehr als hundert Frauen, die in dem Betrieb arbeiteten, wurden in den Tod gerissen, zahllose gelten als vermisst. Am Tag nach dem Unglück musste eine Antiterroreinheit der Polizei vor dem zerstörten Gebäude Position beziehen, um die Wut der Angehörigen abzuwehren. Denn das Drama war kein Zufall: Wegen des schwammigen Untergrunds waren für den Fabrikbau nur vier Stockwerke genehmigt worden. Doch die Bauherren hatten sich über die Vorschriften hinweggesetzt, weil sie um die Aufträge ihrer europäischen Kunden fürchteten.

16 Stunden vor der Katastrophe hatten Arbeiter die Direktion auf neue Risse in den Wänden hingewiesen – ohne Reaktion. Die Polizei, die immer schnell zur Stelle ist, wenn es darum geht, kleine Gauner zu greifen oder auf Streikende zu schießen,8 konnte die Verantwortlichen „nicht finden“. Einer der Fabrikbesitzer war der Schwiegersohn eines Abgeordneten der Regierungspartei. Und der Daily Star schrieb am 22. April über den Fall: „Die Besitzer sind zu einflussreich für eine polizeiliche Vernehmung. Es kommt eben auf die Klassenzugehörigkeit an. Sie gestattet es den Privilegierten, sich ihrer Verantwortung zu entziehen, und sie verurteilt die Unterprivilegierten dazu, ausgebeutet zu werden.“

Auftraggeber der Textilfabrik in Savar war die Firma Inditex (Zara) in Barcelona. Sie hat den Angehörigen der Opfer Hilfeleistungen zugesagt. Die Firma betont, dass 60 Prozent ihrer Bekleidung in Europa gefertigt werden und sie bei ihren 900 Zuliefern in Asien seit Oktober 2004 eine „Sozialprüfung“ vornehmen lässt. Doch bei den Arbeiterinnen von Savar, die angeblich ohne Wissen von Inditex über eine indische Gesellschaft angeheuert worden waren, hatte nie eine Prüfung stattgefunden.

„Kennen Sie diese Marken?“ Nazma Akter, Generalsekretärin der Bangladesh Independent Garment Workers Union Federation (Biguf), legt großen Wert darauf, die Etiketten der Kleidungsstücke zu zeigen, an denen sich die Frauen buchstäblich totarbeiten: GAP, H&M, Old Navy, Tesco, Ladybird, The North Face, Lee, Wrangler, Cherokee, Burton … Und sie fragt: „Was kosten diese Sachen in Europa? Die Leute sollten wissen, dass die genannten Firmen uns pro T-Shirt einen Euro zahlen.“

„Indirekt sind die westlichen Auftraggeber für den Lebensstandard der hiesigen Arbeiter verantwortlich“, meint Amirul Haque Amin von der National Garment Workers Federation (NGWF). Die Kleidungsstücke werden in Bangladesch in regelrechten Höllen produziert und dann in Europa, zur „Mode“ aufgepeppt, mit den entsprechenden Gewinnspannen verkauft.

Aber rufen die Bangladescher darum zum Boykott der inkriminierten Kleidermarken durch die Europäer auf? „Nein, dann wären wir ja unsere Arbeit los.“ Nazma Akter hält die Fabrikarbeit, so höllisch sie auch sein mag, dennoch für einen Schritt zur Emanzipation der Frauen: „Früher sind sie ohne Arbeit auf dem Land geblieben, der häuslichen Gewalt wehrlos ausgeliefert.“

Doch Haque Amin empfiehlt: „Informieren Sie die europäische Öffentlichkeit über die Arbeitsbedingungen hier, damit die dortigen Firmen Druck auf unsere Arbeitgeber ausüben.“ Der Gewerkschafter fordert die Verdopplung des Mindestlohns – von 930 auf 1 800 Takas (von 14 auf 28 Euro). Doch seit mit Datum vom 1. Januar dieses Jahres das Abkommen über die Quotenbeschränkungen beim Export chinesischer Textilien abgelaufen ist, droht der Wettbewerb mit China die Arbeiterinnen in Bangladesch unter noch größeren Druck zu setzen. Immerhin können sie angesichts der Missstände auf einen gewichtigen Verbündeten zählen: das weit gespannte Netz der lokalen Nichtregierungsorganisationen, die Millionen kleiner Leute mobilisieren.

Die jüngsten Ereignisse zeigen, wie stark diese Bewegung inzwischen ist. Im Befreiungskrieg von 1971, der die Unabhängigkeit von Pakistan brachte, hatten die fortschrittlichen Kräfte ganz auf einen gesellschaftlichen Wandel gesetzt. Doch die Diktaturen der 1970er- und 1980er-Jahre, die Verfolgung der Linken und das Scheitern des Guerillakampfs haben sie veranlasst, sich in Selbsthifegruppen und Verbänden zu organisieren. Und die werden vom Staat geduldet, weil sie diesem einen Teil seiner sozialen Verantwortung abnehmen.

Das erst vom Krieg verheerte, dann 1974 von einer Hungersnot und schließlich von wiederholten Überschwemmungen heimgesuchte Bangladesch hat eine Menge Geldgeber gefunden, die Projekte finanzieren. In einer NGO zu arbeiten ermöglicht den Eliten und der linken Mittelschicht, ihre Ideen in die Praxis umzusetzen.

Prosaischer ausgedrückt, bieten solche Organisationen die Chance auf eine Karriere jenseits der Vetternwirtschaft der beiden großen Parteien. Natürlich gibt es auch Fälle von Missbrauch. Zum Beispiel hat sich der von Professor Muhammad Yunus und der Grameen Bank erfundene und propagierte Kleinstkredit zu einer Marktchance für gewisse „Sozialarbeiter“ entwikkelt, der die Bauern in die Überschuldung treiben kann.9 Symbol dieses Abdriftens ins Merkantile ist zweifelsohne „Grameen Phone“ – das Handynetz der Grameen Bank.

Nijera Kori (NK), eine lokale Nichtregierungsorganisation mit mehreren hunderttausend Mitgliedern, lehnt die Mikrokredite ab, weil sie die Abhängigkeit der Armen nur verschärfen. Diese NGO versucht im Gegenteil, die Emanzipation zu fördern – und zwar in erster Linie die ökonomische Emanzipation nach dem Motto „Sparen statt Schulden machen“. In manchen Dörfern wird etwa von den Hausfrauen bei jeder Mahlzeit eine Hand voll Reis beiseite gelegt und die gesparte Menge weiterverkauft, um in eine neue Einkommensquelle zu investieren, sei es ein Fischernetz oder die Anschaffung von Hühnern. Die Gewinne werden auf die gesamte Gemeinschaft umgelegt.

NK kümmert sich aber auch um die politische Emanzipation, die den Armen durch Bewusstwerdung dazu verhelfen soll, sich gegen die Unterdrückung zu wehren. Ihre lokalen Gruppen praktizieren die politische Willensbildung auf dem Weg der direkten Demokratie: Sie verteidigen jeden Quadratmeter gegen die expandierende Krabbenzucht, sie leisten Widerstand gegen die mastaan, sie widersetzen sich den Wucherern und legen mit Hilfe der Anwälte ihrer Organisation Einspruch bei den Gerichten ein.

Der wiedergefundene Stolz ist es auch, der die Bewegung der Landlosen antreibt. 67 Prozent der bangladeschischen Bauern sind ohne Land, während es 1971, zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit, noch 31 Prozent waren. Die Konzentration der landwirtschaftlichen Nutzflächen in den Händen einiger weniger Grundbesitzer ist auf Verschuldung und Korruption zurückzuführen. Über Bestechungsgelder, die den Beamten in den Verwaltungsbehörden zugeschoben werden, reißen sich einflussreiche Persönlichkeiten die khas unter den Nagel, den staatlichen Grund und Boden, der für die Armen bestimmt ist. Die Bauern dagegen sehen sich gezwungen, als landwirtschaftliche Tagelöhner auf den Großgütern zu arbeiten oder in Slums zu leben. Dabei würde eine Agrarreform, die für eine gerechtere Verteilung sorgt, jedem ein paar Morgen zuspricht und die Spitzeneinkommen kappt, nach Einschätzung der großen NGO Proshika nur 2 Milliarden Euro kosten.

„Die Weltbank hat offenbar Besseres zu tun, als mich anzuhören“, bedauert Qazi Faruque Ahmed, der Präsident von Proshika, der Anfang 2004 auf höhere Weisung hin inhaftiert worden war. „Wir besetzen und bewirtschaften den geraubten öffentlichen Boden“, erklärt Alam, Vorsitzender der Samata-Bewegung im Distrikt Pabna, „was allerdings nicht ungefährlich ist.“ Und dabei zeigt er auf die Narbe an seinem Kopf, die von einem Machetenhieb zurückgeblieben ist. Samata, Proshika, Nijera Kori und wie sie alle heißen, haben zehntausenden von Bauern wieder zu Recht und Würde verholfen.

Die Würde steht auch im Zentrum der Philosophie einer Bewegung namens Ubinig, die sich für biologische Landwirtschaft und unabhängige Nahrungsmittelversorgung einsetzt. Im Jahr 1995 hatte die Regierung unter Berufung auf die Vorschriften der Welthandelsorganisation (WTO) die Subventionen für Düngemittel gestrichen. Als dann die Preise explodierten, rebellierten die Bauern. Bei der Niederschlagung des Aufstands wurden 17 Bauern von der Polizei getötet. Weil sie diese Abhängigkeit vom Markt nicht mehr wollen und beunruhigt sind über den Einsatz von Pestiziden und Insektiziden, die die Böden auslaugen und die Biodiversität beeinträchtigen, sind zigtausende von Bauern – die Organisation spricht von 130 000 – und manchmal sogar ganze Dörfer zum Bioanbau übergegangen. Besonders im Distrikt Tangail (30 000 Einwohner) verwalten die Bauern ihr Saatgut in Genossenschaften und setzen auf die Entwicklung diversifizierter Kulturen.

Die Bauern betonen, dass ihre Einnahmen dank der geringeren Investitionen gestiegen seien. Ihre Unabhängigkeit von westlichen Unternehmen erfüllt sie mit Stolz. Die Gründerin von Ubinig, Farida Akhter, sieht jedoch ein neues, äußerst beunruhigendes Problem: das aggressive Vorpreschen der Verfechter genmanipulierter Organismen (GMOs) und ihre pseudohumanitären Argumente. „Die multinationalen Konzerne versuchen immer, die Befürchtungen der Verbraucher im Norden in Sachen genmanipulierter Lebensmittel als Luxushaltung und Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Hunger im Süden darzustellen. Als sei unser Leben weniger wert als das der westlichen Welt!“

Gegenüber den neoliberalen Wirtschaftslehren und dem herrschenden Individualismus erinnert Farida Akhter an die wechselseitige Abhängigkeit der Völker, im Norden wie im Süden. Aus ihrer Sicht beruht der Konsum der einen auf der Produktion – und der Ausbeutung – der anderen. Und sie zieht daraus den Schluss: „Lebensform haben eben doch etwas mit Politik zu tun.“

Fußnoten: 1 Der Trickle-down-Theorie zufolge, die von Walt W. Rostow für die Entwicklungsländer formuliert wurde, sickert der Reichtum der Eliten durch das Zusammenspiel von Investitionen und Konsum allmählich bis in die unteren Schichten der Gesellschaft durch. 2 „Darwins Alptraum“, ein Dokumentarfilm des Österreichers Hubert Sauper, zeigt die verheerenden Folgen der Ansiedlung und kommerziellen Zucht des Nilbarschs im Victoriasee; Koproduktion von „Mille et une productions“ (Paris), „Coop99“ (Wien) und „Saga film“ (Brüssel), 2004. 3 In elf Ländern wurden Menschen getötet, die gegen die Krabbenzucht opponiert hatten: Bangladesch, Indien, Indonesien, Philippinen, Vietnam, Thailand, Brasilien, Ecuador, Mexiko, Guatemala und Honduras. Vgl. www.ejfoundation.org. 4 Financial Express, Dhaka, 26. Juli 2004. 5 Der IWF „beglückwünscht“ Dhaka zur Liberalisierung seines Handels, bindet jedoch ein Darlehen von 80 Millionen Dollar an eine Erhöhung der Zinssätze und der Energiepreise. „Ich glaube, die Leute werden die Situation verstehen“, erklärte im April 2005 in Dhaka der für den asiatisch-pazifischen Raum zuständige Vertreter der Organisation, Nissanke Weerasinghe. 6 Zum Problem der Zuliefererfabriken siehe Philippe Revelli, „Schmutzflecken, die nicht weggehen wollen“, in: Le Monde diplomatique, Juli 2005. 7 Siehe den Bericht von Khorshed Alam von „Alternative movement for resources and freedom society“ (Bangladesch), der im Mai 2004 im Auftrag der deutschen „Kampagne für saubere Kleidung“ (Clean Clothes Campain, CCC) die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie recherchierte. 8 Die Antiterroreinheit Rapid action bataillon (RAB) liquidiert fast jeden Tag mutmaßliche Verbrecher. In der Presse heißt es dann meistens, bei einer „Schießerei“ seien Gauner ums Leben gekommen, wobei die Anführungszeichen deutlich machen, dass niemand daran glaubt. Anfang April 2005 wurden bei der Auflösung eines Protestmarsches von Textilarbeitern 200 Demonstranten verwundet, darunter 20 durch Schüsse. 9 Vgl. Jean-Loup Motchane, „Wenn die Armen solvent werden“, in: Le Monde diplomatique, April 1999. Aus dem Französischen von Grete Osterwald Cédric Gouverneur ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 12.08.2005, von Cédric Gouverneur