10.10.2019

Soziale Profite

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Soziale Profite

Ein neues Wohlfahrtsmodell macht Schule

von Margot Hemmerich und Clémentine Méténier

Amoako Boafo, Kenneth Ize, 2019, Öl auf Leinwand, 205 x 165 cm Nick Ash
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Wembley connected – die blaue Leuchtreklame erstrahlt vor dem grauen Himmel Londons. Das Stadion im Nordwesten der Stadt, von 2003 bis 2007 zum Eventtempel umgebaut, ist gigantisch. Ein paar Hochhausbaustellen in der Nähe verleihen der Gegend ein wenig City-Atmosphäre. Man kann sich kaum vorstellen, dass das hier eines der ärmsten Viertel Londons ist. Man merkt es, wenn man die Circular Road überquert, die den Stadtteil Brent in zwei Welten teilt. Die südliche Hälfte ist bar jeder Business-Ästhetik, stattdessen stehen Buden auf den Bürgersteigen. Die Nähe zum Zentrum hat die Wohnungspreise explodieren lassen, viele Menschen hier sind auf der Straße gelandet.

In London ist die Zahl der Wohnungslosen seit 2010 um 169 Prozent gestiegen. Im ersten Quartal 2018 schlief einer von 200 Briten im Freien oder in einer Notunterkunft.1 Die Stadtverwaltung von Brent hat sich entschlossen, das Problem mithilfe eines „Sozialen Wirkungskredits“ (SWK) anzugehen: Anstatt die Arbeit der beiden Wohlfahrtsverbände vor Ort (Thames Reach und Crisis) direkt zu subven­tio­nieren, wurde der Single Homeless Prevention Service (SHPS) durch eine solchen Kredit mit einem Budget von 2 Millionen Pfund (2,3 Millionen Euro) ausgestattet. Damit soll verhindert werden, dass Menschen in Geldnot auf der Straße landen.

Der Kredit kommt von einem privaten Investor namens Bridges Ventures. Vertraglich ist genau festgelegt, wie viele Bedürftige über welchen Zeitraum unterstützt werden müssen. Der Staat zahlt den mit 6 Prozent verzinsten Kredit für das Projekt nur dann zurück, wenn sämtliche Zielvorgaben erreicht sind. In manchen Fällen liegt der Zinssatz für einen SWK, die in Großbritannien als Social Impact Bonds (SIB) bekannt sind, bei bis zu 15 Prozent. Werden die Zielvorgaben nicht erreicht, bekommen die Investoren ihr Geld nicht zurück. Ob und wann dieser Fall eintritt, wird von unabhängigen Gutachtern entschieden.

„Die Kommune Brent hat kein Geld, um Programme gegen Wohnungsnot aufzulegen“, erklärt Steve Mars­land, der Leiter des Projekts. „Vor 2017 waren wir gesetzlich nur verpflichtet, Minderjährige und Personen über 65 unterzubringen. Heute besorgen wir den Sozialträgern über einen SWK das nötige Kapital, damit sie sich um alle Menschen kümmern können, die von Obdachlosigkeit bedroht sind. Und der Staat muss das Geld nur dann zurückzahlen, wenn es gelingt, die Situation zu verbessern.“

Ein Win-win-win-System, begeistern sich die Anhänger dieses Modells: Die Wohlfahrtsverbände können ihrer Arbeit nachgehen, der Staat verschwendet keine öffentlichen Mittel, und die Investoren bekommen Zinsen, die dem finanziellen Risiko entsprechen.

Großbritannien ist mit fast 50 So­zia­len Wirkungskrediten innerhalb der

letzten zehn Jahre – von denen 28 vom Privatinvestor Bridges kamen – Vorreiter im Gebrauch dieses neuen Finanzinstruments.2 Es wird bei der Bekämpfung von Armut, Kriminalität und Jugendarbeitslosigkeit genutzt sowie für Bildung, Gesundheit und Kinderschutz.

Der erste dieser Kredite wurde 2010, kurz nach der Finanzkrise, von der Labour-Regierung unter Gordon Brown angeschoben. Dessen konservativer Nachfolger Cameron griff die Idee auf. In einer Rede zu seinem gesellschaftspolitischen Programm „Big Society“ vom 19. Juli 2010 erklärte er, er wolle eine Kultur des Ehrenamts und der Philanthropie fördern, gleichzeitig die öffentliche Verwaltung reformieren, von Bürokratie befreien und für neue Akteure wie freie Wohlfahrtsverbände öffnen. So sollten „Gemeinschaften mutiger Menschen in den Kommunen“ entstehen, die „ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen“.

Im April 2012 gründete die britische Regierung die Big Society Capital, eine öffentliche Institution, die von den größten britischen Banken mit Mitteln aus „schlafenden Konten“ (die seit 15 Jahren herrenlos sind) in Höhe von fast 700 Millionen Euro üppig ausgestattet wurde.

Obwohl das Big-Society-Programm in Großbritannien ein Misserfolg wurde, machte sein Ansatz Schule. Seit September 2010 wurden dutzende soziale Wirkungskredite in aller Welt vergeben, zunächst in den USA, Kanada und Australien, dann in Europa und Israel, bis hin zu Peru und der DR Kongo. Da es keine globalen Standards dafür gibt, können die SWKs von Land zu Land sehr unterschiedlich aussehen, vor allem, was die Investoren betrifft.

Frankreich engagierte sich nur zögerlich. Im März 2016 schrieb das damals von Emmanuel Macron geleitete Wirtschaftsministerium ein Pilotprojekt aus – mit unmittelbarem Erfolg: 66 Sozialträger und Vereine bewarben sich, 13 entsprachen den Krite­rien. Der Verein für das Recht auf wirtschaftliche Initiative (Association pour le droit à l’initiative économique, Adie) unterzeichnete den ersten Kreditvertrag mit dem Staat und einem Investorenkonsortium, dem die Bank BNP Paribas, die staatliche Rentenkasse, der Automobilhersteller Renault, eine Versicherung und eine Stiftung für den ländlichen Raum angehörten. Mit einer Investi­tions­summe von 1,3 Millionen Euro sollten bis zu 320 Menschen in ländlichen Gebieten und in Gebirgsgegenden über Mikrokredite in eine selbstständige Tätigkeit gebracht werden.

„Mit diesem Instrument erhalten wir eine gesicherte Finanzierung über drei Jahre, was heute im Rahmen der üblichen staatlichen Unterstützung praktisch unmöglich geworden ist“, erklärt Marc Olivier, Schatzmeister von Adie.

Und Yannick Martell, Mitarbeiter des Godin-Instituts, das zu sozialer Innovation und öffentlicher Verwaltung forscht, analysiert: „Diese Verträge haben insbesondere mit dem Narrativ von der Krise des Wohlfahrtsstaats zu tun. So rechtfertigt man, dass der Staat und seine Behörden nicht länger die öffentliche Daseinsvorsorge betreiben, sondern sie an Dritte auslagern. Dahinter steht die Idee, in den Vereinen und freien Wohlfahrtsverbänden gebe es genügend Ehrenamtliche, und die Privatwirtschaft sei effizienter und innovativer.“

In der französischen Projektausschreibung wurde der SWK als Mittel präsentiert, um „ein innovatives Maßnahmenpaket zur Prävention sozialer Risiken zu erproben“. Die Herausforderung für die Adie bestand darin, die Zielpersonen in den entlegenen ländlichen Gegenden aufzusuchen: „Wir haben deshalb eine reine Fernfinanzierung vorgeschlagen, die Gespräche zur Vermittlung der Mikrokredite sollten per Telefon erfolgen, zugleich gibt es aber auch eine persönliche Betreuung im unmittelbaren Umfeld“, erklärt Xavier Favre, der für die Umsetzung verantwortlich ist. „Wir sind sogar mit einem ‚Mikrokredit-Bus‘ durch die Alpen getourt und haben die Vertreter der beteiligten Institutionen in die entferntesten Gebiete gefahren“, ergänzt Olivier.

Persönliche Ansprache und verstärkte Betreuung, Anpassung an die gesellschaftliche und geografische Umgebung – all das ist nicht neu. „Im Grunde genommen ist das, was in diesen Verträgen als Maßnahmen vorgeschlagen wird, schon lange bekannt. Aber die Sozialarbeiter haben die Nase voll von einem System, in dem sie gar nicht das tun können, was wirkungsvoll wäre, vor allem, weil ihnen die Mittel dazu fehlen. Deshalb versuchen sie jetzt, andere Wege zu gehen“, erläutert die Soziologin Ève Chiapello.

Allmählich verbreiten sich betriebswirtschaftliche Begriffe und Methoden in der öffentlichen Verwaltung, und so werden auch soziale Maßnahmen inzwischen nach ihrer Wirksamkeit („Impact“) beurteilt. In Großbritan­nien richtete die Beratungsgesellschaft New Economy in Zusammenarbeit mit der Regierung eine Datenbank der „sozialen Kosten“ ein.4

Darin kann man beispielsweise folgende Angaben finden: Jeder Schüler, der endgültig aus dem Schulsystem gefallen ist, kostet die Gesellschaft jährlich umgerechnet 13 450 Euro (Stand 2006), ein Langzeitobdachloser schlägt bei den zuständigen Behörden vor Ort mit 9200 Euro zu Buche (2011), während ein psychisch kranker Erwachsener das englische Gesundheitssystem mit 2544 Euro belastet (2008). Umgekehrt brachte die Integration eines Asylbewerbers in den Arbeitsmarkt jährlich 9275 Euro ein (Stand 2013).

„Ich war schon immer ein Computerfreak“, grinst Herr Marsland, während er in seinem Rechner nach den Daten der Wohnungslosen von Brent sucht. Der Chef des Hilfsprojekts für die Londoner Obdachlosen, der auch noch für vier weitere SWK-Projekte im ganzen Land zuständig ist, verkörpert exakt das neue Management an der Schnittstelle von öffentlicher Verwaltung und Privatwirtschaft.

Der Begriff „Impact“ hat im internationalen Finanzwesen im Zusammenhang mit Evaluierungsmethoden für die Auswirkungen unternehmerischer Tätigkeiten auf Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt Karriere gemacht. Seit den 2000er Jahren taucht im Finanzjargon auch der Ausdruck „soziale Rendite“ auf.

Das unsichtbare Herz des Marktes

Inzwischen wurden Datenbanken geschaffen, um Leuten, die ihr Geld weltweit sozial- und umweltverträglich investieren wollen, die Entscheidung zu erleichtern. Das Portal Novafi etwa bietet eine Übersicht neuer Investitionsmöglichkeiten, und das Portal ImpactBase führt Kriterien auf, anhand derer man die finanziellen, ökologischen oder sozialen Leistungen einer Organisation messen kann.

Auch die sozialen Wirkungskredite nutzen diese Evaluierungswerkzeuge der Finanzwelt. Atara Fridler, die Leiterin von Crisis, einem der beiden in Brent tätigen Wohlfahrtsverbände, zeigt sich zufrieden: „Ich sehe positive Auswirkungen bei den Ergebnissen, die wir erzielen, wir müssen verantwortungsvoller mit unseren Mitteln umgehen. Außerdem vertritt der Investor Bridges ethische Grundsätze, die ich teile.“

Allerdings bietet die ausschließliche Orientierung am Ergebnis dem Investor oder dem Projektträger auch die Möglichkeit zu tricksen.5 So hat es Goldman Sachs 2015 gemacht, als das Bankhaus ein Vorschulprogramm für 109 „gefährdete“ Kinder in Utah finanzierte, das deren Abschiebung auf Förderschulen verhindern sollte. Die Erfolgsquote von 99 Prozent – normalerweise sind es bei solchen Maßnahmen 10 bis 20 Prozent – machte eine Gruppe von Bildungsexperten misstrauisch, die feststellte, dass der Auswahltest die ursprünglichen Probleme der Kinder stark übertrieben hatte.6

In Großbritannien ist die Begeisterung für die Sozialen Wirkungskredite jedoch ungebrochen. Im April 2018 unterstützte die damalige Premierministerin Theresa May Pilotprojekte für eine landesweite Reduzierung der Obdachlosigkeit: 11 Millionen Euro, die die öffentliche Hand über SWKs zur Verfügung gestellt hatte, sollten in solche Projekte fließen. Auf dem Papier hatte die soziale Wirkung höchste Prio­rität: Es sollte sichergestellt werden, dass die betreuten Menschen wenigstens acht Monate in ihrer neuen Wohnung bleiben. In der Ausschreibung hieß es jedoch, es werde diejenige Maßnahme ausgewählt, die „die beste Kosten-Nutzen-Rechnung“ präsentiere.

Die Vorstellung, der Markt sei in der Lage, die Mehrung des Wohlstands mit sozialer Rendite zu verbinden, geht auf Sir Ronald Cohen zurück, einen der Vordenker der „Big Society“ und Gründer von Bridges Venture. Er war ursprünglich im Risikokapitalmarkt tätig und ging dann in die Politik: Bei den Parlamentswahlen von 1974 und den ersten Europawahlen 1979 kandidierte er für die Liberaldemokraten. 1996 schloss er sich der Labour Party unter Tony Blair an und wurde ab 2004 einer der wichtigsten Financiers der Partei.

Dieser „Ritter der gewinnorientierten Sozialwirtschaft“, wie ihn die Wirtschaftspresse nannte, wird als Vater des „sozialen Investments“ betrachtet. „Die City kennt zwar den ‚Wohlstand der Nationen‘ und die ‚unsichtbare Hand des Marktes‘, aber mit Adam Smiths ‚Theo­rie der ethischen Gefühle‘ und dem, was man als das ‚unsichtbare Herz‘ des Markts bezeichnen könnte, ist sie kaum vertraut“, erklärte Cohen 2014 in einer viel beachteten Rede.8

Goldman Sachs gegen Schulversagen

In Frankreich wird diese Vision von einigen wenigen Unternehmerpersönlichkeiten getragen, die die Regeln der neoliberalen Marktwirtschaft in die Sozial- und Solidarwirtschaft getragen haben. Viele von ihnen sitzen im 2013 gegründeten Nationalen Beratungsausschuss für sozial wirksames Investment (CNCIIS), damals unter dem Vorsitz von Hugues Sibille, dem ehemaligen Vizepräsidenten der Alternativbank Crédit coopératif und Gründer des Kollektivs für Social Entrepreneurship.9 Der Sozialist Benoît Hamon, von Mai 2012 bis März 2014 Minister für Sozial- und Solidarwirtschaft, schickte Sibille 2013 zur Social Impact Investment Taskforce der G8. Sibille verfasste einen Bericht,10 der allerdings zunächst in der Schublade verschwand.

Im Juni 2016 gründeten dann sechs Finanzinstitutionen, darunter die staatliche Rentenkasse Caisse des dépôts und die Alternativbanken Crédit coopératif und Finansol, das Impact Invest Lab (Iilab), um eine Struktur zur Begleitung künftiger SWK-Anträge zu schaffen.

Obwohl innerhalb von Iilab die SWK heftig kritisiert wurden, unterzeichnete dessen Leitung am 5. Mai einen Kreditvertrag, um für psychisch erkrankte Menschen eine Alternative zur stationären Zwangsunterbringung mit Wohngruppen und intensiver Betreuung zu schaffen. „Für uns war es endlich eine Gelegenheit, genug Geld für die Umsetzung zusammenzubekommen“, berichtet der Psychiater Thomas Bosetti und betont, wie schwierig es sei, seiner von der Gesellschaft völlig abgehängten Zielgruppe zu helfen. An dem Projekt, in dem 100 Menschen betreut werden sollen, wirken fünf Ministerien mit, und der Finanzrahmen kann bis zu 6,6 Millionen Euro umfassen. „Hier sitzen Akteure an einem Tisch, die für gewöhnlich nicht zusammenarbeiten, sich aber jetzt aus konkretem Anlass gemeinsam um dieselbe Präventionsfrage kümmern. Das ist das Spannende daran“, sagt die ­Iilab-Geschäftsführerin Raphaëlle Sebag.

Und wie steht es um das Innova­tions­potenzial? Für die Investoren liegt es nahe, vor allem solche Projekte zu finanzieren, die leicht zu evaluieren sind – auf Kosten anderer, die mit mehr Aufwand qualitativ beurteilt werden müssen. Zudem werden große Organisationen bevorzugt, denn viele kleinere Vereine haben gar nicht die Ressourcen, sich um solche Kredite zu bewerben. „Schon allein mit der Vorbereitung des Kreditantrags ist eine Vollzeitkraft ein ganzes Jahr beschäftigt“, erklärt Marc Olivier von Adie.

Je mehr Akteure beteiligt sind, desto komplexer wird die juristische und finanzielle Konstruktion. „Nach den Gesprächen mit Staatsvertretern und Investoren muss man ein Modell erarbeiten, mit dem man beispielsweise berechnen kann, wie viele Klinikplätze eingespart werden können, damit die Investition rentabel ist“, bestätigt Bosetti. Das Wichtigste bei der Ausarbeitung der Kreditverträge ist es, das Risiko einzuschätzen – vor allem für die Investoren.

„Es bleibt immer ein Rest Unsicherheit, weil es um Vorhaben geht, die noch nirgendwo getestet wurden. Manchmal müssen wir die staatlichen Stellen und die Betreiber auch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen: Anstatt einem Projekt die Finanzierung ganz zu verweigern, tun wir alles, damit es weniger riskant wird, und verhandeln gegebenenfalls auch über eine zusätzliche Risikoprämie“, be­richtet Marsland, der Londoner Manager.

Das Risiko scheint allerdings relativ gering zu sein: In einem OECD-Bericht von 2016 heißt es, bislang sei nur ein einziger Investor nicht auf seine Kosten gekommen, und zwar beim ersten, 2012 in den USA vergebenen SWK, mit dem die Rückfallquote von New Yorker Gefängnisinsassen nach ihrer Entlassung gesenkt werden sollte.11 Gemäß Kreditvertrag sollte der Investor Goldman Sachs vollständig ausgezahlt werden, wenn die Rückfallquote um 8,2 Prozent zurückginge. Obwohl das Vorhaben scheiterte, bekam die Bank von den 7,2 Millionen Dollar, die sie investiert hatte, 6 Millionen zurück, denn ihre Investition war von der Stiftung Bloomberg Philanthropies zu 75 Prozent abgesichert.

In Frankreich gab es für den ersten Sozialen Wirkungskredit ebenfalls Ausfallgarantien. Noch vor ihrer Bewerbung ließ die Adie von der Beratungsgesellschaft KPMG ein Gutachten erstellen, um die ökonomische Auswirkung ihrer gesamten Aktivitäten zu kalkulieren. Das Ergebnis: 1 Euro Subven­tion würde nach zwei Jahren 2,38 Euro netto für die Gesellschaft bedeuten. Anderthalb Jahre nach dem Start des Programms waren die Ziele fast alle erreicht. Von 320 betreuten Personen waren über 260 wieder beruflich aktiv.

„Wir fordern einerseits Innovation und Experimentierfreude, wollen aber andererseits alles genau berechnen, um die Unsicherheit zu verringern, die ein Experiment nun einmal mit sich bringt“, kritisiert Nicolas Chochoy, Leiter des Godin-Instituts. „In dieser komplexen Welt ist es schon sehr schwierig, eine Variable zu ermitteln, die den Zusammenhang zwischen einer Maßnahme und ihrer Wirkung darstellen kann. Noch schwieriger ist es für uns, Innovation und soziale Wirkung in Zusammenhang zu bringen.“

Speeddating zwischen Banken und Wohlfahrt

Den Evaluatoren und Beratungsfirmen, die den Impact vorhersagen und prüfen, kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. KPMG war während der gesamten Entwurfsphase des Adie-Projekts mit an Bord und wird sechs Jahre nach Beginn der Maßnahme die letzte Evaluation durchführen. „Sie machen insgesamt sechs Prüfungen, aber sie haben uns auch dabei geholfen, die Zielsetzungen zu definieren. All unsere Vorschläge wurden gefiltert, aus­ein­andergenommen und nach den von ihnen vorgeschlagenen Berechnungsmethoden neu ausgerichtet“, erinnert sich Marc Olivier. Einen juristischen Berater habe man auch noch engagiert.

All diese Etappen haben ihren Preis. Mit der klassischen staatlichen Zuwendung hätte das Projekt 1,2 Millionen Euro gekostet. Für den SWK mussten 100 000 Euro mehr veranschlagt werden, um all die zusätzlichen Dienstleister zu bezahlen. Der Staat wird also mindestens 1,3 Millionen Euro zurückzahlen müssen, dazu kommt noch die Erfolgsprämie, so dass die Abschlussrechnung voraussichtlich bei 1,5 Millionen Euro liegen wird. Ein Verband zivilgesellschaftlicher Organisation sprach in einem Beitrag in der Zeitung Le Monde gar von Finanzbetrug: „Manche Maßnahmen, die im Ausland über SWK durchgeführt wurden, kamen den Steuerzahler dreimal so teuer zu stehen, als wenn sie direkt von der öffentlichen Hand finanziert worden wären.“12

Der SWK-Markt wird für Investoren allmählich lukrativ. Auch wenn die Gewinnmargen meist nicht so hoch sind wie bei klassischen Finanzprodukten, nimmt die Zahl solcher Kredite immer weiter zu. Nach Angaben der Plattform Social Finance gab es im Juni 2019 weltweit immerhin über 130 laufende Projekte im Wert von über 350 Millionen Euro.13

Dass es sich um einen aufstrebenden Sektor handelt, zeigt sich auch daran, dass an den renommierten Hochschulen die Studiengänge stärker auf Impact Investment zugeschnitten werden. Die Pariser Eliteschmiede HEC will jetzt „realistische Idealisten“ ausbilden: „Wenn Sie ein Träumer sind, der die Dynamik der Märkte im Blick behält, besitzen Sie einen strategischen Vorteil gegenüber Ihren Konkurrenten“, heißt in der Werbung für den Masterstudiengang Management.

Bislang sind die SWKs nur als Ergänzung zum staatlichen Sozialsystem gedacht – sie können die allgemeine öffentliche Daseinsvorsorge nicht ersetzen. Zudem gibt es Befürchtungen, dass gerade die Ergebnisorientierung zu einer Konzentration auf bestimmte Gebiete führen könnte: „Wenn es leichter ist, das gewünschte Ergebnis im Großraum Paris zu erreichen als etwa in der Corrèze, weil rund um Paris der Arbeitsmarkt stabiler, größer und beweglicher ist, dann besteht die Gefahr, dass die Investoren die Corrèze links liegen lassen“, meint etwa ein Beratungsportal zur sozialen Verantwortung von Unternehmen.

Die französische Regierung versichert, soziale Wirkungskredite sollen nur für präventive Pilotprojekte vergeben werden; wenn diese Erfolg hätten, werde der Staat die weitere Finanzierung direkt übernehmen. Bis jetzt allerdings hat das Wiedereingliederungsprojekt der Adie noch keinerlei feste Zusagen.

„Wenn wir unsere Ziele erreichen, kann niemand behaupten, dass unsere Maßnahme nicht funktioniert“, sagt der Adie-Schatzmeister Olivier. „Wir haben aber noch keine Zusage für eine Finanzierung über 2020 hinaus. Theoretisch heißt es, bei den SWKs gehe der Träger keinerlei Risiko ein. Wir haben aber für diese Maßnahme fünf Mitarbeiter eingestellt, da darf die Unterstützung nicht am Ende einfach ausfallen.“

Wie es weitergehen wird, ist ungewiss. In Frankreich hat sich der Staat jedenfalls entschieden, zugunsten der Schaffung eines Markts für soziale Dienstleistungen zu intervenieren. Ob er bald schon, wie in Großbritan­nien die Ministerien, Speeddatings zwischen Wohltätigkeitsverbänden und Finanzinstitutionen organisieren wird, bleibt abzuwarten.

1 „The homelessness monitor: England 2018“, Crisis UK und england.shelter.org.uk.

2 In Deutschland ist der SWK weit weniger verbreitet. Siehe Mark T. Fliegauf u. a., „Investition, Intervention, Impact.
 Der Soziale Wirkungskredit in Deutschland“, Stiftung neue Verantwortung, Februar 2015: www.stiftung-nv.de/de/publikation/investition-intervention-impact-der-soziale-wirkungskredit-deutschland.

3 Frédéric Marty, „Les contrats à impact social: une nouvelle génération de PPP pour les politiques so­ciales“, Politiques et management public, Nr. 33 (3–4), Cachan 2016.

4 „Building an evidence base of costs“, New Economy, Manchester: neweconomymanchester.com.

5 „Social Impact Bonds: state of play & lessons learnt“, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Paris 2016.

6 Nathaniel Popper, „Success metrics questioned in school program funded by Goldman“, The New York Times, 3. November 2015.

7 Nicolas Madelaine, Les Échos, Paris, 4. September 2014.

8 Ronald Cohen, „Revolutionising Philanthropy: Impact Investment“, Mansion House Speech, London, 23. Januar 2014.

9 Inzwischen umbenannt in „Bewegung für Social Entrepreneurs“ (Mouvement des entrepreneurs so­ciaux, Mouves).

10 Hugues Sibille, „Comment et pourquoi favoriser des investissements à impact social“, Bericht des französischen Ausschusses für Social Impact Investment, September 2014.

11 „Social Impact Bonds: state of play & lessons learnt“ (siehe Anmerkung 5).

12 Collectif des associations citoyennes, „Quand le social finance les banques et les multinationales“, Le Monde, 10. März 2016.

13 sibdatabase.socialfinance.org.uk.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Margot Hemmerich und Clémentine Méténier sind Journalistinnen.

Le Monde diplomatique vom 10.10.2019, von Margot Hemmerich und Clémentine Méténier