Es ging nie nur ums Öl
Briten und US-Amerikaner kontrollieren seit Langem die Golfregion – und festigen so den geopolitischen Status quo
von Tom Stevenson
Dass es die Vereinigten Staaten und Großbritannien auf das Erdöl des Nahen und Mittleren Ostens abgesehen haben, ist ein Gemeinplatz. Aber der Grund für ihre Obsession wird oft falsch diagnostiziert. Das nachhaltige anglo-amerikanische Interesse an den enormen Öl- und Gasvorkommen der Golfregion hat wenig mit Eigenbedarf zu tun. Bis zu Beginn der 1980er Jahre importierte Großbritannien beträchtliche Mengen saudischen Öls, doch heute deckt es seinen Bedarf vornehmlich aus der Nordsee; saudisches Öl macht aktuell nur 3 Prozent der britischen Energieimporte aus.
Noch eindeutiger liegen die Dinge bei den USA, die stets nur eine symbolische Menge Öl aus der Golfregion importiert haben. Seit 1945 waren sie sogar die meiste Zeit über Nettoexporteur. Anfangs hatte das Engagement der USA und Großbritanniens im Nahen Osten zwar mit dem Ölbedarf zu tun, aber dessen Bedeutung hat stetig abgenommen: In den 1950er Jahren bezog Europa noch drei Viertel seines Ölbedarfs aus dem Nahen Osten, heute ist es weniger als ein Fünftel.
Entscheidend war und ist vielmehr der strategische Vorteil, der aus der Kontrolle der energiereichen Golfregion erwächst. Das stellte der Chef der Nahost-Abteilung im US-Außenministerium Gordon Merriam bereits 1945 fest. Merriam zufolge waren die saudischen Ölfelder für sein Land in erster Linie „eine enorme Ressource strategischer Macht“. Und Adolf Berle, stellvertretender Außenminister unter Franklin D. Roosevelt, erklärte, die USA und Großbritannien hätten in der Region „die internationale Sicherheit zu gewährleisten“, deshalb müssten die Monarchien am Golf „ständig durch westliche Marinestreitkräfte geschützt werden“.
Riesige Rohölvorkommen gibt es auch in anderen Teilen der Welt, etwa in den USA, in Russland und in Kanada. Nach aktuellem Kenntnisstand hat Venezuela wahrscheinlich größere „nachgewiesene Ölreserven“1 als Saudi-Arabien. Aber in der Golfregion liegen die Vorkommen dicht unter der Erdoberfläche, sind also leicht zu erschließen. Dieses „light sweet crude oil“ ist nicht nur billig zu fördern, sondern auch qualitativ hochwertig und kann direkt, also kostengünstig, zu Treibstoff verarbeitet werden.2 Zudem liegen die Vorkommen unweit der eurasischen Landmasse, nicht aber auf dem Territorium einer der Weltmächte.
1979 hat Zbigniew Brzeziński, Sicherheitsberater von Präsident Carter, das Ziel der Nahostpolitik des Westens im Kalten Krieg wie folgt definiert: Es gehe darum, den Persischen Golf zu kontrollieren und die Sowjetunion von den „lebenswichtigen Energiequellen“ fernzuhalten, „von denen die wirtschaftliche und politische Stabilität Westeuropas wie auch Japans abhängt“. Wenn es nicht gelinge, den sowjetischen Einfluss zu stoppen, werde „das geopolitische Kräftegleichgewicht kippen“.
Ganz auf dieser Linie argumentierte ein Text, der vier Monate nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in der Zeitschrift The Atlantic erschien. Unter dem Titel „A New Grand Strategy“ erklärten Benjamin Schwarz und Christopher Layne, warum Washington „die Verantwortung für die Stabilisierung der Region“ trage: China, Japan und Europa blieben in absehbarer Zukunft von den Energieressourcen der Golfregion abhängig; deshalb wollten die USA diese Mächte davon abhalten, „die Fähigkeit zu entwickeln, die Ressource aus eigener Kraft zu schützen“. Mit anderen Worten: Die Macht der USA am Golf beruht auf der profitabelsten Schutzgeldvereinbarung in der modernen Geschichte.
Die entwickelten Volkswirtschaften Asiens sind stark vom Öl aus der Golfregion und vom katarischen Erdgas abhängig. Drei Viertel der Ölexporte vom Golf gehen nach Asien; die fünf größten Importeure von Gas aus Katar sind Japan, Südkorea, Indien, China und Singapur. Dank ihrer Vormachtstellung am Golf können die USA also entscheidenden Einfluss auf sämtliche ihrer potenziellen asiatischen Rivalen ausüben.
Das erklärt auch die massive militärische Präsenz der USA am Golf. Das Regionalkommando der US-Streitkräfte für den Nahen Osten, Ostafrika und Zentralasien (Centcom) hat seine vorgeschobene Kommandobasis im katarischen Al-Udeid, wo das Pentagon den weltweit größten Luftwaffenstützpunkt mit einem Personal von 10 000 Leuten unterhält. In Bahrain befinden sich sowohl das Hauptquartier der V. US-Flotte als auch eine US-Luftwaffenbasis mit 7000 Soldaten. Weitere 5000 sind dauerhaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) stationiert, hier haben die USA auch zwei Flottenstützpunkte und eine Luftwaffenbasis.
In Kuwait kann das US-Militär drei Armee-Stützpunkte und eine Luftwaffenbasis nutzen, in Oman unterhält es vier Luftwaffen- und zwei Marinebasen. Im Irak sind nach wie vor US-Truppen auf der Al-Asad-Luftwaffenbasis bei Bagdad stationiert. Auf saudischem Boden betreiben die USA ein militärisches Ausbildungszentrum in Eskan Village in der Nähe von Riad. Lediglich in Iran hat das Pentagon keine Militärbasen, nachdem das Land 1979 aus dem US-Einflussbereich ausgebrochen ist.
Militärakademie Sandhurst: Kaderschmiede der Emire
Großbritannien ist in der Region noch viel länger präsent als die USA. 1798 unterzeichnete der Sultan von Oman als erster Herrscher in der Golfregion einen Vertrag mit der britischen East India Company, die bereits 1763 einen Handelsposten im (heute iranischen) Buschir eröffnet hatte, von wo das Empire seine Geschäfte in der Golfregion vorantrieb. 1819 belagerte die britische Kriegsmarine den Hafen Ra’s al-Khaima an der Straße von Hormus, um die lokalen arabischen Herrscherfamilien zu unterwerfen und ein Protektorat über die sogenannten Trucial States, die heutigen Vereinigten Arabischen Emirate, zu errichten.3 In den nächsten 100 Jahren entstanden britische Niederlassungen in Kuwait, Bahrain und Katar sowie im Irak und in Teilen Irans.
Ohne britische Protektion hätte es auch den politischen Aufstieg von Abd al-Aziz ibn Saud (circa 1875 bis 1953) nie gegeben. Der Spross einer alten Herrscherfamilie konnte sich mithilfe britischer Gelder und britischer Waffen im Kampf um das Erbe des Osmanischen Reichs gegen die konkurrierende Haschemiten-Dynastie durchsetzen. 1927 erkannten die Briten das neue Königreich an. Dank ihrer Militärhilfe konnte das Saud-Regime 1929 eine Rebellion niederschlagen. Auch danach war die Golfmonarchie auf britische Gelder angewiesen, ab 1943 bekam sie zudem finanzielle Unterstützung aus den USA. Erst mit dem Ausbau der Ölförderung konnte Saudi-Arabien ökonomisch auf eigenen Beinen stehen.
Als entscheidender Moment, in dem die USA die Briten als dominierende Macht in Nahost ablösten, gilt die Suezkrise von 1956. Tatsächlich aber konnte Großbritannien, wie der Historiker David Wearing zeigt, seinen Einfluss in den wichtigsten Golfstaaten auch nach 1956 noch 15 Jahre lang ausbauen.4 1964 unterstützte London eine Palastrevolte in Riad gegen König Saud ibn Abd al-Aziz, die dessen Bruder Faisal an die Macht brachte. Und im Emirat Schardscha, einem der Trucial States, zwangen die Briten 1965 den unbequemen Herrscher ins Exil, um ihn durch einen pflegeleichteren Cousin zu ersetzen. Auch die Trucial States blieben – wie Katar und Oman – britische Protektorate, deren Währungen an das Britische Pfund gebunden waren.
Wie Wearing darlegt, waren die Kosten des militärischen „Schutzes“ der entscheidende Faktor, der 1971 das Ende des informellen „britischen Empire am Golf“ und den Beginn der US-Vorherrschaft in der Region herbeiführte. Die Regierung in London hatte allerdings noch vor ihrem Rückzug den Herrscherfamilien, die sie in der Golfregion an die Macht gebracht hatte, pensionierte britische Offiziere als „Berater“ angedient. Schließlich galt es, ihre „Öl- und anderen Interessen“ zu schützen, wozu auch ein „sehr profitabler Markt für militärische Ausrüstungsgüter“ gehörte, wie damals Außenminister Michael Stewart ganz unverblümt formulierte.
Auch heute noch finden sich unter den Herrschern des Nahen Ostens viele Absolventen der britischen Militärakademie Sandhurst: etwa die Könige von Jordanien und Bahrain, der Sultan von Oman, der Emir von Dubai, der Emir und der Kronprinz von Abu Dhabi und der Emir von Katar. Und über Bahrain heißt es im Bericht des Royal United Services Institute von 2012, das Königreich verfüge über „einen Kader militärischer Führer, die auf britische Methoden und Standards geeicht sind“.5
Dagegen haben die meisten Mitglieder der saudischen Dynastie ihre Ausbildung in den USA absolviert. Aber auch bei den Saudis gibt es viele einflussreiche Leute, die an der Sandhurst Academy waren: die ehemaligen Chefs der Nationalgarde (der „weißen Armee“) und des Geheimdienstes, ein früherer Verteidigungsminister und mehrere Mitglieder des „Allegiance Council“, der über die Thronfolge entscheidet.
Großbritannien hat auch seine direkte Militärpräsenz nie ganz aufgegeben. Noch 2016 hat Theresa May eine Verstärkung des militärischen Engagements am Golf angekündigt, wo es künftig „mehr britische Kriegsschiffe, Flugzeuge und Soldaten als in jedem anderen Teil der Welt“ geben werde. In Bahrain hat die Royal Navy im April 2018 ihren Stützpunkt Jufair, den sie 1971 nach der Unabhängigkeit des Königreichs der U. S. Navy übergeben hatte, neu eröffnet und zur regionalen Versorgungsbasis gemacht. Eine weitere Marinebasis in Duqm in Oman soll noch dieses Jahr fertiggestellt werden.
In Riad behielt London noch so viel Einfluss, dass die saudischen Herrscher während der Ölkrisen der 1970er Jahre ihre britischen Freunde – unter Bruch ihres eigenen Embargos – weiter mit Öl versorgten. Zudem flossen die gigantischen saudischen Öleinnahmen großteils weiterhin in die Londoner City. Diese Gelder decken noch heute ein Fünftel des britischen Leistungsbilanzdefizits ab. Als 2008 die Finanzkrise ausbrach, ersuchte Premierminister Gordon Brown die Golfpotentaten, die britischen Finanzinstitute zu retten. Damals konnte die „systemische“ Barclays Bank dank 4,6 Milliarden Pfund aus Katar und 3,5 Milliarden aus Abu Dhabi ihre Verstaatlichung abwenden. Die Investitionen der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) in Großbritannien steuert seit Juli 2013 ein Team hoher Ministerialbürokraten, das dem britischen Finanzminister untersteht und als „Project Falcon“ firmiert.6
Für seine spektakulären Londoner Investitionen ist vor allem Katar bekannt, das sich in das Kaufhaus Harrods, in den Wolkenkratzer The Shard, in die Londoner Börse und in den Flughafen Heathrow eingekauft hat. Der Wert der Beteiligungen, die Saudi-Arabien und die VAE an britischen Aktien und Staatsanleihen halten, wird nur von denen der USA übertroffen.
Die Vereinigten Staaten können dank ihrer – von den Briten geerbten – Herrschaft über die Golfregion ihre Rivalen, aber auch ihre Verbündeten auf eine Weise unter Druck setzen, für die es in der Geschichte der Imperien vermutlich kein Beispiel gibt. Die USA haben im Nahen Osten eine extrem konservative regionale Ordnung errichtet, die vor allem auf ihren Bündnissen mit mehreren ägyptischen Militärdiktaturen und dem ethno-nationalistischen Staat Israel beruht. Ihre militärische Übermacht in der Golfregion sorgt dafür, dass Japan, Südkorea, Indien und sogar China jederzeit damit rechnen müssen, von ihrer wichtigsten Energiequelle abgeschnitten zu werden.
Die weltpolitische Bedeutung der Golfregion lässt sich kaum überschätzen. In den letzten Jahren unter Obama und Trump gab es immer wieder Mutmaßungen über einen Rückzug der USA aus dem Nahen und Mittleren Osten und über eine Verschiebung der strategischen Interessen in Richtung Asien. Sollte es solche Pläne tatsächlich geben, müsste man daraus folgern, dass die US-Regierungen mittlerweile vergessen haben, wie das System funktioniert, das ihre Dominanz sichert.7
Die arabischen Golfstaaten sind für ihre Rolle als Klientelstaat der USA auch deshalb bestens geeignet, weil ihre einheimische Bevölkerung sehr begrenzt ist, während sie ihre unterdrückten Arbeiter aus Ägypten und Südostasien importieren. Nur ein einziges Mal ist es vorgekommen, dass eine Krise in diesen peripheren Klientelstaaten für die imperiale Zentralmacht bedrohlich wurde. Das war beim Ölembargo von 1973, das jedoch nicht etwa ein Aufstand der Entrechteten war, sondern die Folge eines Verteilungskonflikts: Jahrzehntelang hatten vor allem die westlichen Ölkonzerne die gigantischen Profite aus dem Ölgeschäft eingefahren.
Diese Multis haben inzwischen stark an Macht eingebüßt. Die Ausnahme ist die Royal Dutch Shell, die in Oman noch immer ein Drittel der staatlichen Ölgesellschaft OOC besitzt. Zwar streiten sich die Golfmonarchien mit ihren westlichen Partnern gelegentlich über die Ölpreise, aber eine ernsthafte Krise ist daraus nie erwachsen. Selbst beim Thema Israel liegen die Saudis inzwischen auf der Linie der USA. Ihre Unterwürfigkeit gegenüber dem Westen war eine der wichtigsten Propagandawaffen der Islamisten; kein Wunder also, dass seit der Gründung von Al-Qaida die saudisch-amerikanischen Beziehungen noch enger geworden sind.
In den extrem konservativen Golfmonarchien gibt es keinerlei Mitspracherecht der Bevölkerung – also auch kaum Widerspruch dagegen, dass ein Großteil der Erlöse aus den Ölexporten in die Volkswirtschaften des Westens zurückfließt. Deshalb beschreibt Wearing die Beziehung zwischen den westlichen Regierungen und den Golfmonarchen als „asymmetrische Interdependenz“, von der auch die einheimischen Herrscher profitieren. Da diese Monarchen von London und Washington eingesetzt wurden, um eine klassische Extraktionsökonomie abzusichern, kann man die anglo-amerikanische Rolle in der Golfregion ohne Weiteres als eine spezielle Form von Kolonialismus beschreiben. Das Besondere an dieser Beziehung zeigt sich unter anderem darin, dass die Saudis und die übrigen Mitglieder des Golf-Kooperationsrats (Kuwait, Bahrain, Katar, VAE, Oman) zusammengenommen die weltweit größten Käufer von Rüstungsgütern sind. Die meisten Waffen liefern die USA, aber auch Großbritannien und Frankreich sind gut im Geschäft.8
Am 20. Mai 2017 vereinbarten US-Präsident Trump und der saudische König Salman den größten Waffendeal der Geschichte, mit direkten Käufen im Wert von 110 Milliarden Dollar und langfristigen Aufträgen im Gesamtwert von rund 350 Milliarden Dollar.
Von Großbritannien hatte Saudi-Arabien bereits zwischen 1985 und 2006 diverse Hightech-Waffensysteme im Wert von 46 Milliarden britischen Pfund eingekauft.9 Seit Beginn des Jemenkriegs haben die Lieferungen erneut dramatisch zugenommen: 2015 verkaufte Großbritannien an Saudi-Arabien Rüstungsgüter für 3,3 Milliarden Pfund (gegenüber 107 Millionen im Jahr zuvor). Für westliche Rüstungskonzerne sind dies äußerst profitable Geschäfte, aber die verbreitete Annahme, dass die Regierungen dabei vor allem die Interessen der Unternehmen bedienen, ist falsch.
Hauptzweck dieser Waffenlieferungen ist es, die Bindung der Golfmonarchien an das anglo-amerikanische Militär zu festigen. Alle Hightech-Waffensysteme begründen eine dauerhafte Abhängigkeit, weil nur das Lieferland die nötige Ausbildung, Wartung und Lieferung von Ersatzteilen gewährleisten kann. Deshalb sind die westlichen Regierungen an diesen Geschäften mindestens ebenso interessiert wie die Rüstungsindustrie und in jedem Fall stärker als die Golfstaaten selbst.
Die Kontrolle über die Region bietet auch andere, weniger sichtbare Vorteile. Bis 1971 hatten die Königreiche und Emirate ihre Währungen an das britische Pfund gebunden, das mit dem Dollar um die Rolle als internationale Leitwährung konkurrierte. Nach dem Verlust ihrer Golf-Protektorate mussten sich die Briten mit der globalen Vorherrschaft des Dollar abfinden.
In Washington waren allerdings nicht alle glücklich über diese Entwicklung. Seit dem Bretton-Woods-Abkommen von 1944 war der US-Dollar an den Goldpreis gebunden, und die Wirtschaftsexperten befürchteten, dass selbst die immensen Goldreserven der USA nicht ausreichen könnten, um das nun vom Dollar dominierte globale Finanzsystem abzusichern. 1973 wurde der Goldstandard aufgegeben. Ein Jahr danach begab sich der US-Finanzminister William Simon auf eine geheime Reise nach Saudi-Arabien. Das Resultat war ein Abkommen, auf dem die globale Dollar-Dominanz bis heute beruht.
Washington knüpfte seine Sicherheitsgarantie für die Saudis und die anderen arabischen Golfstaaten an die Bedingung, dass deren Ölgeschäfte zur Stützung des Dollars beitragen müssten.10 In diesem Sinne erreichte Simon zwei Vereinbarungen: Erstens erwarben die Saudis ein riesiges Paket von US-Staatsanleihen, und zwar mittels geheimer außerbörslicher Transaktionen, worauf Riad bestanden hatte. Diese Geheimhaltung war so strikt, dass das genaue Volumen der US-Bonds in saudischem Besitz über vier Jahrzehnte verschleiert wurde.11
Jemenkrieg: US-Berater im saudischen Kommandozentrum
Die zweite Vereinbarung legte fest, dass Saudi-Arabien und die anderen Opec-Mitglieder ihre Ölverkäufe in US-Dollar abrechnen mussten. Auf Jahrzehnte hinaus konnten also Öllieferungen aus der Golfregion nur mit Dollar bezahlt werden. Der Gold-Standard wurde damit faktisch durch einen Öl-Standard abgelöst, der die Stabilität und die Dominanz der US-Währung sicherte.
Für die Bevölkerung der Region waren und sind die Folgen der 100-jährigen anglo-amerikanischen Dominanz weniger segensreich. Der Jemenkrieg hat seit 2015 etwa 75 000 Todesopfer gefordert; inzwischen leiden Hunderttausende Menschen unter Epidemien und Hunger. In den letzten vier Jahren lieferte London an die von den Saudis geführte Koalition, die gegen die Huthis kämpft, Rüstungsgüter im Wert von fast 5 Milliarden Pfund (5,65 Milliarden Euro).
Der saudischen Luftwaffe werden laufend neue Kampfflugzeuge verkauft, die von britischen Spezialisten gewartet werden. In den Kommandozentren von Riad sitzen britische und US-Militärberater; britische Elitesoldaten bilden saudische Truppen für den Kampf in Jemen aus, und saudische Piloten trainieren für ihre tödlichen Einsätze auf einer Basis der Royal Air Force im nordwalisischen Valley.
Die USA sind noch tiefer in den Jemenkrieg verstrickt. Bis November 2018 unterstützten sie die saudische und die VAE-Luftwaffe durch die – kostenlose – Betankung von Jagdflugzeugen in der Luft. Wie Großbritannien haben auch die USA über die VAE heimlich Waffen an verbündete Milizen in Jemen geliefert. Beide Regierungen könnten, wenn sie wollten, den Konflikt sofort beenden, indem sie ihre Unterstützung einstellen. London steht jedoch fest an der Seite von Riad.
Schon zu Beginn des Jemenkriegs im März 2015 hatte Außenminister Philip Hammond angekündigt, Großbritannien werde die Saudis „in jeglicher praktischer Hinsicht unterhalb von Kampfeinsätzen“ unterstützen. Es geht also nicht um indirekte Unterstützung, sondern um die direkte Beteiligung an einem Krieg, in den die westlichen Unterstützerländer mittlerweile genauso involviert sind wie Riad und Abu Dhabi.
Die Golfmonarchien sind Diktaturen von Familienclans, die sich dank ausländischer Interessen an der Macht halten. Dabei sind die Scheichtümer und Emirate vielleicht nicht so repressiv wie das saudische Regime, aber keinesfalls weniger autoritär. Bis zur Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 im saudischen Konsulat von Istanbul galt Mohammed bin Salman, der faktische Herrscher in Riad, in westlichen Kreisen als ein aufgeklärter Reformer. Als Deutschland nach dem Mord an Khashoggi seine Waffenlieferungen an Saudi-Arabien aussetzte, drängte der britische Außenminister Jeremy Hunt auf die Rücknahme dieser Entscheidung.
Die größte Bedrohung westlicher Interessen in Saudi-Arabien wäre ein Aufstand nach Art der iranischen Revolution von 1979. Um eine solche Entwicklung zu verhindern, wird die saudische Polizei von Großbritannien bewaffnet und ausgebildet, den saudischen Sicherheitskräften stehen britische Militärberater zur Seite, und britische Spezialisten entwickeln im Auftrag des Londoner Verteidigungsministeriums (und finanziert durch Riad) ein hochmodernes Kommunikationsprogramm für die saudische Nationalgarde.
Von den Golfstaaten hat einzig Bahrain in den letzten Jahren eine schwere innenpolitische Krise erlebt. In dem Inselstaat, den ein Thinktank des Londoner Außenministeriums als den „engsten Verbündeten Großbritanniens“ beschrieben und mit einem „permanent im Golf stationierten Flugzeugträger“ verglichen hat12 , kam es im Februar 2011 zur Arabellion. Auch als die Demonstrationen in der Hauptstadt Manama gewaltsam aufgelöst wurden, ging die von Schiiten getragene Protestbewegung weiter. Am 11. März traf US-Verteidigungsminister Robert Gates in Manama ein, drei Tage später forderte Bahrain zusätzliche Sicherheitskräfte aus Saudi-Arabien und den VAE an, die in britischen Tacticas-Transportpanzern über den König-Fahd-Damm in den Inselstaat einrückten.
Die strategische Bedeutung des Nahen Ostens nimmt zu und nicht etwa ab, wie viele Kommentatoren in Washington neuerdings behaupten. Es stimmt zwar, dass die USA heute – dank der staatlich subventionierten Schiefergasgewinnung (Fracking) – fossile Brennstoffe exportieren. Aber das ändert nichts an den strategischen Vorteilen, die ihnen die Kontrolle über die Golfregion verschafft. Denn die meisten Staaten sind offenbar nicht einmal angesichts der drohenden Klimakatastrophe bereit, sich von den fossilen Brennstoffen abzuwenden – und die ostasiatischen Schwellenländer schon gar nicht.
Was die Ziele der US-Politik im Nahen und Mittleren Osten betrifft, scheint bei den Strategen in Washington einige Verwirrung zu herrschen. Ein 2017 erschienener Bericht des National Intelligence Council über die Zukunft der Region erinnerte besorgt daran, wie sehr sich die Golfmonarchien im Stich gelassen fühlten, als in Washington die geopolitische Neuausrichtung der US-Außenpolitik auf Ost- und Südasien verkündet wurde.
Die Autoren dieses Reports sahen für die Region eine düstere Zukunft voraus: „großräumige gewalttätige Konflikte, Bürgerkriege, ein Autoritätsvakuum und humanitäre Krisen“, die Jahre andauern könnten. Als Hauptursachen nannten sie die „etablierten Eliten“ und „niedrige Ölpreise“. Dass die US-Politik darauf angelegt ist, genau diese Eliten an der Macht und den Ölpreis stabil zu halten, bleibt unerwähnt.
Aus dem Englischen von Niels Kadritzke
Tom Stevenson ist Journalist in Kairo.
© London Review of Books; für die deutsche Übersetzung LMd, Berlin (vom Autor aktualisiert)