13.06.2019

Iran – bedingt verteidigungsbereit

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Iran – bedingt verteidigungsbereit

Wegen der internationalen Isolation des Landes ist die reguläre iranische Armee notorisch schlecht ausgerüstet. Sollte es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den USA und ihren Verbündeten kommen, müsste sich Teheran verstärkt auf seine Revolutionsgarden verlassen.

von Akram Kharief

Jonathan Lasker, For Your Eyes Only, 2017, Öl auf Leinwand, 76 x 102 cm
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Am 5. Mai dieses Jahres verkündeten die Vereinigten Staaten die Verlegung des Flugzeugträgers „USS Abraham Lincoln“ und eines Bombergeschwaders in die Nähe des Persischen Golfs. Donald Trumps nationaler Sicherheitsberater John ­Bolton sprach von einer „Antwort auf eine Reihe beunruhigender Anzeichen und Hinweise, die zu einer Eskalation geführt haben“. Gleichzeitig warnte er Teheran vor jeglichen Angriffen auf die Interessen der USA in der Region.

Seither hat sich die Lage noch weiter zugespitzt. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, beides Verbündete Washingtons, machten Teheran mehr oder weniger direkt für Sabotageakte gegen Öltanker in der Straße von Hormus wie auch für das Wiederaufflammen der Huthi-Rebel­lion im Jemen verantwortlich. Zwar betonte Bolton, man wolle keinen Krieg mit dem iranischen Regime. Gleichzeitig aber tönte er, die USA seien darauf vorbereitet, „auf jeden Angriff zu reagieren, ob von Stellvertretern, den islamischen Revolutionsgarden oder regulären iranischen Truppen“.

Ein bewaffneter Konflikt zwischen Iran auf der einen und den USA und ihren Verbündeten am Golf sowie Is­rael auf der anderen Seite ist nicht mehr auszuschließen. Das Säbelrasseln des US-Sicherheitsberaters macht das sehr deutlich. Bolton hat in seinen Aussagen indirekt auch auf die Doppelstruktur der iranischen Streitkräfte verwiesen, auf die sich jede kriegführende Partei bei einem Angriff auf die Islamische Republik einzustellen habe.

Wenn man diese Struktur verstehen und einschätzen will, ob die iranischen Streitkräfte fähig wären, sich gegen eine neuerliche US-Intervention zu behaupten, muss man 40 Jahre zurückgehen, bis in die Zeit unmittelbar nach dem Sturz des Schah-Regimes.

Zur asymmetrischen Kriegsführung verdammt

Am 12. Februar 1979, gut eine Woche nach der Rückkehr Chomeinis nach Teheran, begannen die neuen Machthaber in Teheran eine brutale Säuberungsaktion in der Armee, die vor allem die höheren Offiziersränge betraf. Die Mullahs hatten den Verdacht, dass die Offiziere weiterhin loyal zu dem abgesetzten Schah hielten, der damals in Marokko im Exil war. Die Streitkräfte wurden in „Armee der Islamischen Republik Iran“ (Artesch) umbenannt und der direkten Kontrolle der Sepāh-e Pāsdārān-e Enqelāb-e Eslāmī unterstellt, die besser unter dem Namen Pasdaran oder Revolutionsgarden bekannt sind.

Diese Pasdaran gingen ursprünglich aus Volksmilizen hervor, die den Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini unterstützten. Sie waren stets ein Gegengewicht zur regulären Armee und dienten als wirksames Abschreckungsinstrument gegen jeden Versuch eines Staatsstreichs. Vor allem in den Anfängen der Islamischen Republik gab es eine ganze Reihe von mehr oder weniger ernst gemeinten Militärkomplotten, die von den Pasdaran stets vereitelt wurden und auf die jedes Mal blutige Säuberungen folgten.

Am 22. September 1980, knapp eineinhalb Jahre nach Ausrufung der Islamischen Republik, erfolgte die Inva­sion der irakischen Armee. Das bot auch der Artesch die Gelegenheit, ihre Loyalität zum Regime zu demons­trieren. Pen­sio­nier­te oder in den Ruhestand versetzte Offiziere wurden wieder mobilisiert, selbst inhaftierte Militärangehörige wurden freigelassen und kämpfenden Einheiten zugewiesen. Das galt insbesondere für viele Kampfpiloten, die als verdächtig galten, weil sie ihre Ausbildung in den USA absolviert hatten.

Mit einem erfolgreichen Gegenangriff im Mai 1982 konnte die Artesch den Hafen von Chorramschahr zurückerobern. Dieser Sieg war ein entscheidender Wendepunkt im Krieg. Im Sommer 1982 konnte Iran das gesamte vom Irak besetzte Gebiet zurückgewinnen. Doch das Mullah-Regime verbannte die reguläre Armee schnell wieder in die zweite Reihe, weil es den Revolutionsgarden die Chance verschaffen wollte, sich militärisch zu bewähren. Die Pasdaran waren allerdings so fanatisch, dass sie die Kämpfe bis zum Sturz von Saddam Hussein weiterführen wollten. Ihr Generalangriff auf den Irak hatte katastrophale Folgen: Hunderttausende Menschen kamen ums Leben, und als der Krieg nach sechs Jahren ­endete,

gab es keinen Sieger. Seit diesem Konflikt bestehen die iranischen Streitkräfte im Grunde aus zwei militärischen Organisationen, die genau definierte und unterschiedene Aufgaben haben.

Nach Artikel 143 der Verfassung von 1979 (die 1989 geändert wurde) ist die reguläre Armee „der Garant der Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit des Landes wie der islamisch-republikanischen Ordnung“. In Artikel 150 heißt es, die Revolutionsgarden müssten „erhalten bleiben, damit sie weiter ihre Rolle als Wächter der Revolution und ihrer Errungenschaften erfüllen können“, und zwar „in brüderlicher Kooperation“, womit die reguläre Armee gemeint ist.

Die Artesch ist als klassische Verteidigungsarmee mit vier Teilstreitkräften konzipiert: Heer, Luftwaffe, Marine und Luftabwehr (die es seit 2007 gibt). Als Hauptaufgabe der Artesch ist definiert, die Grenzen zu schützen und das Staatsgebiet zu verteidigen. Auch die Revolutionsgarden sind in die drei klassischen Waffengattungen gegliedert, aber ihre Hauptaufgabe besteht darin, der Ideologie der Islamischen Re­pu­blik zu dienen. Seit April 2019 werden die Pasdaran von Generalmajor Hussein Salami befehligt, unterstehen aber, wie auch die Artesch, dem Oberbefehl Chameneis.

Die Revolutionsgarden orientieren sich streng am Konzept der permanenten asymmetrischen Kriegsführung. Sie haben das Recht, sich die besten Rekruten auszusuchen. Von den insgesamt etwa 150 000 Kämpfern gehören schätzungsweise 10 000 bis 20 000 zu der Al-Quds-Einheit („Jerusalem“ auf Farsi und Arabisch), die für „auswärtige Operationen“ zuständig ist. Diese Elitetruppe kämpft in Syrien aufseiten des Regimes von Baschar al-Assad, im ­Libanon unterstützt sie die Hisbollah und im Irak die schiitischen Milizen.

Dagegen verfügt die reguläre Armee nicht über die nötigen logistischen Ressourcen, um Auslandsoperationen durchzuführen. Gravierender ist, dass sie bei einem feindlichen Angriff wahrscheinlich nicht in der Lage sein würde, den iranischen Luftraum zu verteidigen und ihre eigenen Truppen zu schützen. Personell steht die Artesch auf einer soliden Basis: Sie umfasst 350 000 Soldaten, von denen 200 000 Wehrpflichtige sind, die zwischen 18 und 24 Monaten dienen müssen.

Es existiert kein offizielles Dokument, in dem die Artesch ihre Militär­doktrin dargelegt hat. In offiziellen Ansprachen bei Feiern zum „Sieg“ über den Irak wird von iranische Militärs aber regelmäßig die Widerstandskraft der Armee hervorgehoben. Das Selbstgefühl der Artesch lebt also immer noch davon, dass es ihr 1980 gelungen ist, den Schock des irakischen Vormarschs aufzufangen und in monatelangen blutigen Kämpfen das Blatt zu wenden.

Auch heute würde eine ausländische Invasion eine Welle des Patriotismus auslösen. Ein Angreifer würde aber auch auf eine reguläre Armee stoßen, die entschlossen ist, ihre Positionen um jeden Preis zu behaupten. Zudem bekäme er es mit Revolutionsgardisten zu tun, die darauf trainiert sind, jenseits der Landesgrenzen einen Zermürbungskrieg gegen zahlenmäßig überlegene Kräfte zu führen und dabei auch die wirtschaftlichen Interessen der Gegner zu bedrohen. Für Letzteres würden sich in der Golfregion alle möglichen Ziele anbieten, etwa Öltanker und Entsalzungsanlagen, aber auch ausländische Kriegsschiffe.

Die Doppelstruktur von regulärer Armee und Revolutionsgarden, von Verteidigungs- und Angriffskräften, kennzeichnet auch die iranische Luftverteidigung. Teherans Luftwaffe verfügt nur über 65 Kampfflugzeuge, von denen einige noch aus der Zeit des Schahs stammen (F-4 und F-5).

Zudem verfügt die Artesch über eines der besten Luftverteidigungssysteme weltweit. Es umfasst unter anderem ein Überhorizontradar und die passiven Avtobaza-Radarsysteme, aber auch klassische russische und chinesische Radareinrichtungen. Damit ist man – zumindest auf dem Papier – in der Lage, Tarnkappenflugzeuge wie die F-35 der U.S. Air Force zu orten.

Bedeutsamer ist allerdings, dass Teheran 2016 das russische Flugabwehrraketensystem S-300 erworben hat, das eine Reichweite von fast 200 Kilometern hat. Damit kann das Regime strategisch wichtige Einrichtungen sogar vor Mittelstreckenraketen schützen. Die Revolutionsgarden entwickeln aber auch selbst ballistische Systeme, die Angriffe jeglicher Art vereiteln sollen.

Über das iranische Raketenarsenal ist nicht viel bekannt, sicher ist aber, dass die Pasdaran über mindestens 300 Raketen vom Typ Shahab-1 und -2 mit einer maximalen Reichweite von 500 Kilometern verfügen. Diese Raketen wurden in den 1980er Jahren von Nordkorea entwickelt und produziert und in Iran teilmodernisiert. Durch ihre Reichweite sind sie eine direkte Bedrohung für die US-Stützpunkte in den Anrainerstaaten Irans, also am Golf, im Irak und in Afghanistan.

Intelligente Drohnen, veraltete Panzer

Nach Angaben des Internationalen Friedensforschungsinstituts in Stockholm (Sipri) haben die Iraner außerdem über rund 100 Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von über 1000 (Shahab-3/Ghadr) und sogar über 2500 Kilometern (Soumar/Sejjil). Diese Raketen könnten also Saudi-Arabien, Israel, das Innere Chinas, Russland und Osteuropa erreichen.

Vor allem in den iranischen Städten sind immer noch Spuren der Zerstörungen zu sehen, die von den rund 400 zwischen 1982 und 1988 abgefeuerten irakischen Raketen stammen. Heute ist das Land mit seinem ballistischen Arsenal jedoch in der Lage, einen Gegenschlag zu führen – oder sogar einen Erstschlag, der das Potenzial für einen feindlichen Gegenschlag vernichten soll. Die Luftwaffe der Pasdaran verfügt zudem über hunderte Drohnen, die das Radar des Gegners beschäftigen und täuschen könnten. Auch die von Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen haben wiederholt bewaffnete Drohnen eingesetzt, um Ziele in Saudi-Arabien anzugreifen.1

Kleinere Kampfinstrumente, die mittels einer Art Schwarmtaktik den Feind verwirren sollen, sind auch auf See einsetzbar. Die US-Marine weiß genau, dass sie es im Fall eines Konflikts mit einer Armada von Schnellbooten und Kleinst-U-Booten und auch mit Ekrano­plans, also Fluggeräten, die in geringer Höhe über der Wasseroberfläche operieren, zu tun hätte. Zwischen 2010 und 2017 haben iranische Erkundungsdrohnen im Persischen Golf mehrmals US-Schiffe – auch Flugzeugträger – aus nächster Nähe gefilmt.2

Trotz allem darf man das iranische Militärpotenzial nicht überbewerten. Die irakische Armee galt 1991 beispielsweise als „fünftstärkste der Welt“, bevor sie durch die Bombenangriffe der internationalen Koalition binnen weniger Tage ausgeschaltet wurde. Die Artesch und die Revolutionsgarden sind zwar finanziell solide ausgestattet: 2016 belief sich das Verteidigungsbudget auf 15,9 Milliarden Dollar, von denen 42 Prozent an die Pasdaran gingen. Das entspricht in etwa den Militärausgaben der Türkei oder Israels, liegt aber deutlich unter dem Rüstungsbudget des Regionalrivalen Saudi-Arabien. Die saudischen Militärausgaben steigen ständig weiter an und liegen inzwischen bei 60 Milliarden Dollar.

Zudem haben die Sanktionen der USA, Europas und der Vereinten Natio­nen dazu geführt, dass Iran von der internationalen Rüstungsindustrie als Paria behandelt wird. Als wichtigste Waffenlieferanten sind China, Nordkorea und Russland übrig geblieben, wobei sich Russland je nach dem globalen Klima schwankend verhält. So hat sich Moskau noch 2016 geweigert, 200 Mehrzweckkampfflugzeuge vom Typ Su-30 zu liefern, auch das S-300-­Flugabwehrsystem wurde verspätet ausgeliefert, weil Washington und Tel Aviv ihren Druck ausgeübt hatten.

Diese internationale Isolation ist auch der Grund für die chronisch schlechte Ausrüstung der Artesch. Deren stärkster Kampfpanzer ist der russische T-72, der Anfang der 1970er Jahre entwickelt und in Iran teilweise modernisiert wurde. Das Gros der gepanzerten Fahrzeuge besteht aus Tanks vom Typ Patton-M47 und Chieftain. Diese Panzertypen aus US-amerikanischer und britischer Produktion wurden noch zur Zeit des Schahs angeschafft und bereits im Koreakrieg (1950–1953) und im Vietnamkrieg (1955–1975) eingesetzt.

Die iranische Rüstungsindustrie entstand auf den Trümmern des ambitionierten Projekts, das seinerzeit der Schah verfolgte: den Aufbau eines militärisch-industriellen Komplexes nach westlichem Vorbild. Auch deshalb ist Teheran heute nicht in der Lage, die Auswirkungen der internationalen Sanktionen durch eine Ausweitung der eigenen Produktion zu kompensieren.

Heute haben die Revolutionsgarden auf dem Feld der militärischen Rüstung die Rolle einer innovativen Kraft übernommen, wobei sie von den Erfahrungen des permanenten Einsatzes auf vielen Schauplätzen im Ausland profitieren. Das beste Beispiel ist ihr Programm zur Entwicklung ballistischer Raketen, das freilich ausschließlich auf der Übernahme nordkoreanischer Technologie basiert.

1 Siehe „Saudi Arabia shoots down Houthi drone targeting Jizan airport“, Al Jazeera english, 26. Mai 2019.

2 Siehe „Iranian drone approaches Navy aircraft carrier in second dangerous encounter in a week“, The Washington Post, 14. August 2017.

Aus dem Französischen von Ursel Schäfer

Akram Kharief ist Journalist und verantwortlich für die Publikationen der Website www.menadefense.net.

Le Monde diplomatique vom 13.06.2019, von Akram Kharief