09.05.2019

Der Mueller-Report: ein Debakel für die Demokraten

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Der Mueller-Report: ein Debakel für die Demokraten

Letztendlich konnte nicht bewiesen werden, dass sich Trumps Wahlkampfstab mit der russischen Regierung abgestimmt hat. Diesen Präsidenten muss man anders schlagen.

von Aaron Maté

Nick Dawes, Sign (study), 2018, Öl auf Leinwand, 50 x 60 cm
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Nach den Schlussfolgerungen, die Sonderermittler Robert Mueller aus seinen Russland-Untersuchungen zieht, ist die Verschwörungstheorie, die die Präsidentschaft von Donald Trump begleitet hatte, vom Tisch.1

Insbesondere fand Mueller keinen Beleg für eine konspirative Zusammenarbeit zwischen Trumps Wahlkampfstab und der russischen Regierung mit dem Ziel, die Chancen von Hillary Clinton durch die Veröffentlichung gehackter E-Mails zu beeinträchtigen. Zwar haben sich Trump-Mitarbeiter mit gewissen (russischen oder nichtrussischen) Leuten getroffen, aber keine dieser Figuren hat sich als potenzielle Kontaktperson des Kreml erwiesen – wie zwei Jahre lang behauptet worden war.

In seinem 448 Seiten langen Abschlussbericht zeigt Mueller, dass kein einziges belastbares Indiz für das Narrativ einer „heimlichen Zusammenarbeit“, einer „collusion“, existiert. Das gilt für das obskure Treffen vom Juni 2016 im New Yorker Trump-Tower2 ebenso wie für das gescheiterte Immobilien-Projekt in Moskau; es gilt für die (abgelehnte) Änderung des Parteiprogramms der Republikaner zum Thema Ukraine im Jahr 2016 wie für die Kontakte von Trumps damaligem Wahlkampfchef Paul Manafort mit dem russischen Politikberater Konstantin Kilimnik;3 und es gilt für die Gespräche von George Pa­pa­do­poulos4 mit einem ominösen maltesischen Professor wie für die (abgehörten) Unterhaltungen von Michael Flynn mit dem russischen Botschafter in Washington.

In all diesen Fällen lautet die Schlussfolgerung Muellers: „Letztendlich haben die Ermittlungen nicht ergeben, dass sich der Wahlkampfstab mit der russischen Regierung bei deren Aktivitäten zur Beeinflussung der Wahl abgestimmt oder heimlich mit dieser kooperiert hat.“

Kurzum: Muellers Untersuchung hat gezeigt, dass die Geschichte einer verdeckten Zusammenarbeit zwischen Trump und den Russen, die vom politischen und vom Medien-Establishment der USA seit 2016 verbreitet wurde, reine Fiktion war. Aufgrund des Mueller-Reports wurde kein einziger US-Amerikaner wegen einer Verschwörung mit Russland zum Zwecke der Wahlmanipulation oder wegen eines anderen Wahlkampfvergehens angeklagt.

Das sollte allerdings niemanden überraschen. Die Öffentlichkeit hatte nur deshalb ein völlig anderes Bild der Dinge, weil die führenden Medien wie die Politiker alle Beweise ignoriert hatten, die ihre Darstellung eines kompromittierten Präsidenten untergraben würden. Deshalb ist der Mueller-Bericht nicht nur wegen seines Inhalts bedeutsam, sondern mehr noch als Auskunft über unsere Eliten in der Politik und in der Medienwelt, die nunmehr vollständig diskreditiert sind. Was sie womöglich teuer zu stehen kommt.

Die Parteiführung der Demokraten muss nunmehr erleben, dass sich die Untersuchung, die sie pausenlos und mit höchstem Nachdruck gefordert hatte, als Riesengeschenk für den Präsidenten herausstellt. Denn Trumps Twitter-Mantra „No collusion“, über das seine Widersacher bei den Demokraten und in den Medien ständig gespottet haben, erfuhr eine hochoffi­ziel­le Bestätigung – und ausgerechnet durch Robert Mueller, die Lichtgestalt des Anti-Trump-Widerstands.

Die Gegner des Präsidenten haben, indem sie auf der Collusion-Theorie herumritten, sehr viel Zeit und Energie verschwendet. Sie hatten sich in Trumps ersten Amtswochen angesichts der vielen Proteste gegen dessen Frauen­feindlichkeit und die Einreiseverbote für Muslime ziemliche Hoffnungen gemacht. Aber diese Dynamik ging verloren, als führende Demokraten und Medienleute sich darauf verlegten, einen Spionagethriller ­auszuspinnen statt eine Bewegung ­gegen Trumps Politik in Gang zu bringen.

Die Eliten sind nunmehr vollständig diskreditiert

Diese Strategie nutzte ein paar Kongressmitgliedern der Demokraten, die regelmäßig in TV-Nachrichtensendungen und Talkshows auftreten durften. Der größte Profiteur war ein Mitglied des Repräsentantenhauses namens Adam Schiff. Der heizte die Erwartung, dass die Mueller-Untersuchung mit einer Anklage gegen Trump enden werde, ständig aufs Neue an – etwa durch die Behauptung, er habe mit eigenen Augen „mehr als nur Indizienbeweise“ für Trumps angebliche „betrügerische Absprachen“ mit Russland gesehen. Seine Verbissenheit verschaffte Schiff den Ruf, „Trumps schlimmster Albtraum“ zu sein; eine Reputation, die ihm auch dann nicht abhandenkam, als er im Verein mit anderen demokratischen Militaristen dem Pentagon einen noch größeren Militärhaushalt zubilligte und Trumps Strategie eines Umsturzes in Venezuela unterstützte.

Die Russiagate-Manie der Demokraten war ein überaus sinnloser Kräfteverschleiß. Das zeigt sich am deutlichsten daran, dass sehr viel mehr Menschen gegen den Rauswurf des rassistischen Innenministers Jeff Sessions protestiert haben5 als gegen höchst folgenreiche Entscheidungen unter der Trump-Administration, als da sind: die Verteilung des Reichtums von unten nach oben durch die Steuergesetzgebung der republikanischen Mehrheit; die Demontage von Obamacare; der Rückzug der USA aus zwei der weltweit wichtigsten internationalen Vereinbarungen, dem Klimaabkommen von Paris und dem Nuklearabkommen mit Iran.

Die Entlassung des rechten Republikaners Sessions hatte die Befürchtung genährt, Trump werde womöglich Muel­ler von seiner Untersuchungsaufgabe entbinden. Die hat sich dann aber bald als gegenstandslos erwiesen. Es stimmt zwar, dass der Präsident auf Twitter immer wieder Muellers Ermittlungen aufs Korn nahm. Aber insgesamt verfolgten Trumps Anwälte eine Strategie „beispielloser“ Kooperation mit Mueller, indem sie dessen Kommission mehr als 20 000 Seiten an Dokumenten überließen und Dutzende von Zeugen frei aussagen ließen.

Dass die Collusion-These wie ein Kartenhaus zusammenfiel, ist eine krasse Blamage für die Medienkaste, der Trump mit Vorliebe die Produk­tion von ­Fake News anhängen will. Besonders penetrant bediente die prominente MSNBC-Moderatorin Rachel Maddow ihre Zuschauer mit para­noi­den Verschwörungstheorien. Unter anderem spekulierte Maddow, die Berufung von Trumps Wahlkampfleiter Paul Manafort wie von Trumps erstem Außenminister Rex Tillerson gehe auf Putin zurück. Auch habe der Mann im Kreml seinen Kumpel im Weißen Haus dazu gebracht, das US-Außenministe­rium zu „schwächen“ und das FBI „auszubluten“.

Laut Maddow hat Putin den US-Präsidenten auch zur Beendigung der Militärmanöver in Südkorea überredet und ist in der Lage, Trump „Befehle“ zu erteilen. Womöglich könnte er – dank des berüchtigten „Urin-Videos“ – seine Marionette im Weißen Haus dazu erpressen, US-Soldaten aus Gebieten nahe der russischen Grenze abzuziehen. In einem besonders kalten Wintermonat erzählte Maddow ihren Zuschauern, Russland könne Millionen von US-Amerikanern den Strom abdrehen.

Angesichts dessen ist es keine Überraschung, dass Maddow und andere Mediengrößen sich bemühen, die diskreditierte Verschwörungstheorie durch eine neue zu ersetzen. In den Wochen vor der Veröffentlichung des Muel­ler-­Reports legte Trumps Justizminister William Barr der Öffentlichkeit eine kurzgefasste „Quintessenz“ vor. Darin zitierte er Mueller mit seiner Schlussfolgerung, er habe nicht feststellen können, dass Mitglieder von Trumps Wahlkampfteam „sich mit der russischen Regierung bei deren Aktivitäten zur Beeinflussung der Wahl abgestimmt oder heimlich mit dieser kooperiert haben“.

Außerdem hielt Barr fest, dass Muel­ler einen sehr breiten Begriff von „koordinierten“ Aktivitäten von Trump und Russland zugrunde lege, der nicht nur eine „ausdrückliche“, sondern auch eine „stillschweigende“ Kooperation zwischen Trump und den Russen umfasse. Maddow und andere Verfechter der Collusion-Theorie witterten daraufhin noch vor Veröffentlichung finstere Machenschaften: Unerhörterweise ­habe Barr die Schlussfolgerung ­Muellers verzerrt dargestellt, wozu Mueller aus unerfindlichen Gründen schweige.4

Zu Recht hat man das politische und mediale Russiagate-Debakel mit dem katastrophalen Propagandafeldzug im Vorfeld des Irakkriegs verglichen. Und wie schon bei der Mär von Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen und seinen Verbindungen zu al-Qaida geht die Story über Trumps Konspiration mit dem Kreml großenteils auf einflussreiche Geheimdienstleute und deren höchst fragwürdige Entscheidungen zurück.

Ein Beispiel: Im Oktober 2016 begründete der Inlandsgeheimdienst FBI seinen Antrag zur Überwachung des Trump-Wahlkampfberaters Carter Page mit der Annahme, die russischen Aktivitäten erfolgten „in Koordination mit Page und vielleicht weiteren Individuen“, die in Trumps Wahlkampf eine Rolle spielen. Als Quelle für diese Vermutung wurde ausgerechnet auf das Steele-Dossier verwiesen. Diese Kollektion halbseidener Informationen hatte der frühere britische Agent Christopher Steele zusammengetragen, und zwar im Auftrag und auf Rechnung von Trumps Gegnern, dem Wahlkampfteam Hillary Clintons. Auf dieses ­Steele-Dossier stützte sich das FBI in seinem Antrag zur Überwachung von Page als „Quelle Nummer eins“. Rückblickend nimmt sich diese Einschätzung besonders idiotisch aus, denn das Dossier unterstellte eine auf höchster Ebene angesiedelte Konspiration ­zwischen Trump und dem Kreml, die angeblich schon viele Jahre zurückreicht.

Die Geheimdienstler trugen zu dem publizistischen Geraune über Trumps „collusion“ mit Russland auch dadurch bei, dass sie leichtgläubige Journalisten mit anonymen und manchmal falschen Informationen fütterten. Das vielleicht beste Beispiel ist ein Bericht der New York Times vom Februar 2017, in dem von „telefonischen Verbindungsdaten und abgehörten Gesprächen“ die Rede war. Dieses geheimdienstliche Mate­rial würde angeblich beweisen, dass Mitglieder in Trumps Wahlkampfteam und seine Berater „im Jahr vor der Wahl wiederholt Kontakt mit hochrangigen russischen Geheimdienstagenten hatten“. Vier Monate später erklärte der damalige FBI-Chef Jim Comey, die Story sei „nicht wahr“. Die Zeitung hat sich bis heute nicht von diesem Bericht dis­tan­ziert.

Eine weitere Parallele zum Irakkrieg sind die Schlüsselakteure. Damals bekleidete John Brennan in der CIA bereits eine hohe Position, aber gegen das gefälschte Material, das seine Vorgesetzten zwecks Begründung des Irakkriegs lieferten, hatte er offenbar nichts einzuwenden. Brennan diente von 2013 bis 2017 als CIA-Chef unter Barack Obama. Wie er selbst bekannt hat, spielte er bei der Einleitung der Trump-Russland-Untersuchung eine entscheidende Rolle.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt setzte er die Suche nach einer „Verschwörung“ fort, jetzt als „Analyst“ für MSNBC. Der TV-Sender bot ihm einen gut honorierten Ausguck, von dem aus er Trump als „Landesverräter“ und „von Putin gekauft“ qualifizierte. Noch Anfang März sagte er ohne mit der Wimper zu zucken, weitere Anklagen gegen Trumps engsten Beraterkreis in Sachen Russlandverschwörung voraus. Als Mueller seine Untersuchungen ohne Anklageerhebung beendete, änderte Brennan seinen Ton: „Ich weiß nicht, ob ich Fehlinformationen erhalten habe“, sagte er bei MSNBC. „Aber ich habe schon vermutet, dass da mehr war, als sich jetzt herausstellt.“

Als die Bush-Regierung im Oktober 2003 verzweifelt nach Beweisen für die Existenz von Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen suchte, aber keine fand, sprang James R. Clapper, der damalige Leiter der Imagery and Mapping Agency, in die Bresche. Er sprach von Satellitenaufnahmen, die das Verlagern verbotener Waffen vom Irak nach Sy­rien angeblich „zweifelsfrei“ belegten. Clapper wurde unter Obama zum Nationalen Geheimdienstdirekter (DNI) befördert. Nach seinem Rücktritt betätigte er sich als Analyst in Sachen Russiagate bei CNN, wo er im Mai 2017 in einer Sendung behauptete: „Die Russen haben es fast in den Genen, Leute zu gewinnen, zu infiltrieren, sich einzuschleichen.“

Die geifernden Kommentare von Clapper und seinesgleichen sagen nichts über Russen aus, aber sehr viel über die Geisteshaltung, der die Trump-Russland-Mär entsprungen ist. „Ich habe die Russen schon immer gehasst“, sagte etwa die prominente FBI-Rechtsanwältin Lisa Page bei einer Anhörung im Kongress und setzte hinzu, nach ihrer Überzeugung stelle Russland die „allergrößte Bedrohung“ für Amerikas Lebensstil und Werte dar. Als der FBI-Agent Peter Strozk sich Ende Juli 2016 anschickte, die Verbindungen des Trump-Wahlkampfteams zu Russen zu untersuchen, schickte er Page eine SMS, in der es hieß: „Fuck the cheating motherfucking Russians … Bastards. I hate them ... I’m glad I’m on Team USA.“

Dass so viele hochrangige Offizielle einen Brass auf die Russen haben, erklärt zum Teil, warum sie die Ermittlungen gegen Donald Trump in Gang gesetzt haben. Sie waren überrascht und entsetzt über die positiven Kommentare, die der US-Präsident zu Putin abließ. Wie die New York Times am 11. Januar 2019 enthüllt hat, leitete das FBI über seine ersten Ermittlungen vom Sommer 2016 hinaus im Mai 2017 nach dem Rausschmiss von FBI-Direktor Comey eine zweite Untersuchung ein, die der Frage nachging, ob Trump möglicherweise „im Auftrag Russlands gegen amerikanische Interessen arbeitet“.

In der New-York-Times-Story ist allerdings nur von einer „Konstellation von Ereignissen“ die Rede, über die man beim FBI „beunruhigt“ gewesen sei. Dazu heißt es: „Die Spionageabwehrleute des FBI wurden auf Mister Trump aufmerksam, als dieser im Juli 2016 auf einer Wahlkampfpressekonferenz Russland aufforderte, die E-Mails seiner Gegnerin Hillary Clinton zu hacken. Mister Trump hatte sich geweigert, in seinem Wahlkampf Russland zu kritisieren, wogegen er Präsident Wladimir Putin gelobt hat. Und die Ermittler waren alarmiert, als die Republikanische Partei ihre Programmaussage zur Ukraine-Krise auf eine Weise abschwächte, die Russland entgegenzukommen schien.“

Dieser Text ist bemerkenswert, weil aus ihm hervorgeht, dass das FBI eine Sonderermittlung gegen den US-Präsidenten als potenziellen russischen ­Spion aufnahm, die auf seiner Interpretation eines öffentlichen Ereignisses basierte. Zudem zeigt sich, dass diese Interpretation seitens des FBI mehrere faktische Irrtümer enthielt: Denn Trumps Bemerkung vom Juli 2016 war als Witz gemeint; und die Änderung des Parteiprogramms blieb nicht nur folgenlos, sondern wurde später sogar ins Gegenteil verkehrt, als Trump Waffen an die Ukraine verkaufte – was Oba­ma verweigert hatte.

Doch am wichtigsten ist der dritte Punkt: Wenn das FBI Ermittlungen gegen Trump für legitim hielt, weil er in seinem Wahlkampf die Russen nicht kritisiert und Präsident Putin gelobt hatte, müsste man dann nicht weitere Ermittlungen gegen den Präsidenten anstrengen, weil er die Staatsführer von Israel und Saudi-Arabien in den Himmel gelobt hatte?

Es gibt allerdings einen Aspekt, der auf einen entscheidenden Unterschied zu den Falschinformationen im Fall des Irakkriegs verweist. Letzterer hatte die eindeutige Unterstützung beider Parteien, deshalb musste keiner der Kriegsbefürworter – ob Republikaner oder Demokrat – mit Konsequenzen rechnen. Im Gegenteil war es ihrer Karriere förderlich, was insbesondere für viele Medienvertreter gilt.

Im Fall Russiagate dagegen geht es um einen erbitterten Streit zwischen den politischen Lagern. Seit der Mueller-Bericht vorliegt, ist Trump wieder in die Offensive gegangen. Justizminister William Barr hat in seiner Rolle als Attorney General bereits angekündigt, er werde die Entstehung der Russiagate-Ermittlungen unter die Lupe nehmen. Am Ende wird es wohl kaum eine Reform der Geheimdienste geben, sondern nur weitere erbitterte Auseinandersetzungen zwischen den beiden politischen Lagern.

Egal wie dieser Streit ausgeht, schon heute ist so gut wie sicher, dass sich beide Parteien auf der Linie der Dämonisierung Russlands wieder näher kommen werden. Die Russiagate-Kampagne der Demokraten ergänzt sich trefflich mit der Opposition der US-Geheimdienste gegen Trumps Wunsch nach besseren Beziehungen zu Moskau. Und sie bietet mächtigen Eliten in beiden Parteien die Chance, ihren militaristischen Ehrgeiz gegenüber Moskau durch patriotischen Furor zu kaschieren. So gesehen ist Russia­gate nur ein zusätzlicher Schauplatz in einem neuen Kalten Krieg, der weiter eskalieren wird.

Russiagate hat Trump noch bedrohlicher gemacht

Deshalb ist Russiagate nicht als Skandal im eigentlichen Sinn dieses Wortes zu sehen, sondern als ein Unternehmen zur Absicherung von Privilegien. Und damit als Ausdruck von – nicht durchweg funktionalen – Interessen der mächtigen Gesellschaftsschichten, die diesen „Skandal“ angeheizt haben. Das Phänomen Russiagate ist Fleisch vom Fleische eines politischen und medialen Systems, das die elitären Interessen ihrer beiden Hauptfraktionen verkörpert, also der Demokraten und der Republikaner respektive der sogenannten Liberalen und Konservativen. Kurz – Russiagate ist die natürliche Pathologie der Privilegierten.

Russiagate hat uns ein kombiniertes Desaster hinterlassen: Wir sehen einen größenwahnsinnigen Präsidenten in Konfrontation mit einem größenwahnsinnigen „Widerstand“, die auf ihre je eigene Art die Öffentlichkeit täuschen, um ihre engstirnigen Ziele durchzusetzen.

Was sich im „Widerstand“ gegen Trump ausdrückt, ist letztendlich nur der Widerstand gegen die Tatsache, dass Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Diese dysfunktionale Verweigerungshaltung behindert die Entwicklung eines Widerstands von ganz normalen Menschen, die gegen Trump sind, weil sie unter den Folgen seiner Politik zu leiden haben. Diese Menschen spielen in dem zermürbenden Drama, das die Eliten inszenieren, nur eine Statistenrolle.

Dabei hilft Russiagate dem Trump-Lager, seine Basis zu konsolidieren. Der missglückte Versuch, eine bundesstaatliche Ermittlung parteipolitisch auszubeuten, liefert Trump reichlich Muni­tion für seine Stimmungsmache. Damit kann er die Wähler in den republikanischen Hochburgen von „Middle America“ gegen die abgehobenen Eliten der Ost- und Westküste mobilisieren. Und die Medien machen dieses Spiel mit, indem sie weiter auf Russiagate fokussieren – statt auf Trumps tatsächliche Politik.

Statt dem Schutz der Demokratie zu dienen, wird damit die Krise demokratischer Partizipation nur noch verschärft. Russiagate hat die verhängnisvolle Trump-Regierung weder gefährdet noch blockiert, sondern im Gegenteil noch bedrohlicher gemacht, weil die Skandalisierung von den entscheidenden Fragen ablenkt. Stattdessen heizt sie den Chauvinismus und die Spannungen mit Russland an, vertieft die Kluft zwischen den politischen Lagern, stellt abweichende Meinungen unter Generalverdacht. Vor allem aber adelt sie Machteliten, die selbst eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen: die Geheimdienste, das alte Establishment der Demokraten oder die Konservativen vom Schlage „Never Trump“.

Das eigentliche Ziel von Russia­gate ist nicht, wie dessen verbohrteste Protagonisten behaupten, die Gesellschaft gegen eine „nationale Bedrohung“ durch Russland zu schützen. Es geht auch nicht um den Schutz unserer wohlverstandenen nationalen und globalen Interessen vor der – sehr realen – Bedrohung durch Trump. Es geht vielmehr darum, dass der Schutz von Privilegien und Interessen der wenigen wichtiger ist als alles andere, was aber mehr Unsicherheit für die vielen bedeutet. So gesehen hat Russiagate das Kernproblem des politischen und wirtschaftlichen Systems der USA aufgedeckt.

Dass die Collusion-Theorie zusammengebrochen ist, mag die Trump-Gegner enttäuschen, könnte aber auch Hoffnung machen. Das setzt zuallererst das Eingeständnis voraus, dass die Politiker und Funktionäre beider Lager ihren Wählern Lügenmärchen aufgetischt haben. Während Trump verlogene Sprüche klopfte – Rettung der Arbeiterklasse, Kampf gegen die korrupte Hauptstadtelite, „Make America Great Again“ –, setzte das liberale Lager auf ein beklemmend ähnliches Hirngespinst namens Russiagate: Trump als historische Verirrung und Produkt einer russischen Geheimdienstopera­tion; Mueller als Hüter von Recht und Ordnung, der das Collusion-Komplott aufdeckt und die Normalität wiederherstellt, die uns Trump geklaut hat.

Nachdem das Hirngespinst zerrissen ist, haben die Trump-Gegner eine neue Chance, die Realitäten in den Blick zu nehmen, den sie sich mit Russia­gate verstellt hatten.

1 Die veröffentliche Fassung des Mueller-Reports (mit vielen geschwärzten Stellen) ist zu finden unter: www.justice.gov/storage/report.pdf. Seit dem 18. April ist der Bericht in verschiedenen Ausgaben als Buch und Audiobook in den USA im Handel. Auf Deutsch erscheint er am 1. Juli bei Ullstein.

2 An diesem Tag trafen sich Trumps Sohn Donald Trump jr., Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und sein Wahlkampfchef Paul Manafort mit der russischen Anwältin Natalja Wesselnizkaja, die bestreitet, für den Kreml zu arbeiten. Siehe: The Guardian, 18. April 2019.

3 Kilimnik werden Kontakte zum russischen Geheimdienst unterstellt, die dieser bestreitet.

4 Papadopoulos ist ein griechisch-amerikanischer Aufschneider, der nur einmal mit Trump zusammengetroffen ist. Nach seinen Angaben wollte ihm der maltesische Professor Joseph Mifsud Kontakte im Kreml vermitteln, um ein Treffen zwischen Trump und Putin zu organisieren. Von Mifsud will Papadopoulos erstmals von den gehackten E-Mails Hillary Clintons erfahren haben. Siehe dazu: Kathimerini (Athen), 25. März 2019.

5 Die Vertuschungstheorie war so grotesk, dass Maddow ein höchst peinlicher Fehler unterlief: Während sie ihren Zuschauern erzählte, Barr habe den Mueller-Bericht ganz allein „bearbeitet“, lief am Unterrand des Bildschirms die korrekte Meldung, dass Mueller persönlich an der Bearbeitung mitgewirkt hat.

Aus dem Englischen von Max Böhnel

Aaron Maté ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 09.05.2019, von Aaron Maté