09.05.2019

Pipedreams und Realpolitik

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Pipedreams und Realpolitik

von Niels Kadritzke

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Das Potenzial der Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer (EastMed) ist aus heutiger Sicht eine Dunkelziffer.1 Noch unklarer ist deren Bedeutung für die globalen Energiemärkte, die von schwer voraussagbaren Entwicklungen auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite abhängt.

Was die Angebotsseite betrifft, so machen die bislang nachgewiesenen Mengen lediglich 2 Prozent der globalen Gasreserven aus. Und jüngst entdeckte Vorkommen haben die Bedeutung des EastMed-Gases noch weiter relativiert. Allein die vor der Küste von Mosambik nachgewiesenen Reserven übertreffen die des östlichen Mittelmeers um das Zehnfache.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Exploration der EastMed-Vorkommen wegen der Meerestiefe weitaus kostspieliger ist als in flacheren Küstenzonen. Dennoch beteiligen sich die größten internationalen Energiekonzerne an den Probebohrungen in den Wirtschaftszonen von Israel, Ägypten und Zypern; ob sie aber am Ende auch in die Gasförderung einsteigen, wird nicht nur von den ermittelten Mengen abhängen, sondern vor allem von der künftigen Nachfrage, die noch ungewisser ist.

Die Experten gehen davon aus, dass der globale Gesamtenergiebedarf weiterhin stark steigen wird. Das gilt selbst für den Fall, dass der größte Energiekonsument China vor einem ökonomischen Abschwung stehen sollte. Sicher ist jedoch auch, dass der Anteil erneuerbarer Energien weltweit wächst, was die künftige Bedeutung der fossilen Ressource Erdgas stark relativieren würde. Die Marktbeobachter gehen angesichts der wachsenden Konkurrenz der Erneuerbaren von stagnierenden bis fallenden Preisen aus, was für das teure EastMed-Gas fatal wäre. Schon heute sind die Förderkosten von 3,5 Dollar pro MMBtu (26,4 Kubikmeter) zu hoch für den europäischen Energiemarkt, auf dem das billigere russische Erdgas dominiert.

Das gilt erst recht, wenn man die Weiterleitungskosten einkalkuliert, die letztlich den Abnehmerpreis auf den Weltmärkten bestimmen. Hier sind sich die Experten in zwei Punkten einig. Erstens wird das EastMed-Gas Abnehmer vor allem in Ostasien finden, wo höhere Preise zu erzielen sind als in Europa; zweitens nur in Form von Flüssiggas (LNG), das mit Spezialtankern in LNG-hungrige Länder wie China, Japan und Indien gelangen kann.

Allerdings ist der Bau neuer Produktions- und Umschlaganlagen für Flüssiggas teuer. Deshalb haben im östlichen Mittelmeer die schon existierenden ägyptischen LNG-Anlagen in Idku und Danietta2 einen klaren Vorsprung. Insbesondere Idku ist seit der Erschließung des bislang größten EastMed-Gasfelds, des ägyptischen „Zohr“, bereits ausgelastet. Auch Zypern hat für sein erstes gesichertes Gasfeld „Aphrodite“ einen Liefervertrag mit Idku abgeschlossen, und selbst die Israelis wollen das Gas aus ihrem größten Feld „Leviathan“ in Ägypten verflüssigen lassen. Beide ägyptischen Anlagen produzieren derzeit mehr für den einheimischen Bedarf, aber der Anteil der Exporte steigt.

Kairo ist derzeit also der größte Gewinner im EastMed-Gasgeschäft. Dagegen muss Nikosia bei seinen Ambitionen gehörig zurückstecken. Die von ExxonMobil betriebene Prospektion im südöstlich von Zypern gelegenen Gasfeld „Glavkos“ hat rund 150 Billionen Kubikmeter nachgewiesen (Stand Februar 2019). Um die Investition in eine eigene LNG-Anlage zu rechtfertigen, wäre die dreifache Menge erforderlich. Damit gibt es für Zypern beim heutigen Stand der Dinge nur eine plausible Option: nationale Energiesicherheit für die nächsten 80 bis 100 Jahre. Für den Eigenbedarf wäre nur eine kurze Gasleitung von den Förderplattformen zur zyprischen Südküste erforderlich, was weit billiger wäre als eine 5 Milliarden Euro teure LNG-Anlage.3

Weit mehr Geld würde eine EastMed-Pipeline verschlingen, von der die Politiker in Athen und Nikosia träumen: Sie soll zyprisches und israelisches Gas über Kreta und das griechische Festland nach Südosteuropa und Italien bringen. Die Regierung Tsipras propagiert die Pipeline als Projekt von „überragender geopolitischer Bedeutung“, das Griechenland zur Drehscheibe der europäischen Energieversorgung machen würde.

Gegen das Projekt spricht nur, dass es keinerlei Chance auf Realisierung hat. Für den besten Kenner der regionalen Energiepolitik, Charles Ellinas, ist die EastMed-Pipeline nur ein „pipedream“ (Luftschloss). Die längste Unterwasserleitung der Welt würde durch extrem schwieriges „Gelände“ verlaufen – und in einer seismisch aktiven Zone. Zudem liegen zwischen Zypern und Kreta bis zu 3000 Meter tiefe Meeresgräben; durch das Auf und Ab würde sich die 1300 Kilometer lange Pipeline (Luftlinie) noch beträchtlich verlängern. Die Kosten für dieses Vorhaben wären, da ohne Vorbild, nicht kalkulierbar.

Ein Kostenfaktor steht allerdings fest: Aufgrund des Wasserdrucks in bis zu 3000 Metern Tiefe müssten die Röhren extrem dicke Wände haben. Der Innendurchmesser würde damit auf 25 Zentimeter reduziert – und entsprechend das Durchleitungsvolumen. Zum Vergleich: Die Nord-Stream-Gasleitung durch die Ostsee verläuft in maximal 203 Meter Tiefe und hat einen Innendurchmesser von 115,3 Zentimeter, was eine jährliche Durchleitungskapazität von 55 Milliarden Kubikmetern ermöglicht. Die EastMed-Leitung könnte ­maximal 10 Milliarden Kubikmeter bewältigen.

Wie kann man einen solchen Aberwitz propagieren? Athen und Nikosia verweisen darauf, dass die EU die Pipeline als energiepolitisches Project of Common Interest (PCI) fördert. Das heißt aber nur, dass Expertisen bezahlt werden – und weiter nichts. Von der langen Liste offizieller PCIs wurde bislang nicht einmal jedes zehnte umgesetzt. Charles Ellinas hält eine EU-Beteiligung an der Finanzierung des EastMed-Pipedreams für ausgeschlossen. Und der Energiekonzern, der in ein Luftschloss investieren würde, muss erst noch gegründet werden.

Die Ankündigung der EU-Kommission ist dazu angetan, die europäische Öffentlichkeit zu täuschen. Weitaus zynischer verhalten sich jedoch die USA, deren Außenminister Pompeo beim Energiegipfel Israel/Zypern/Griechenland im März die Rückendeckung für das Energieprojekt bekräftigt hat. Der Grund ist durchsichtig: „Sie unterstützen das, weil sie wissen, dass es nie verwirklicht wird“, sagt Harry Tzimitras, Leiter der Forschungsstelle des Peace Research Institute Oslo (Prio) in Nikosia.

Die Unterstützung eines irrealen Projekts ist ein billiges, in diesem Fall aber auch ein besonders infames Stück Realpolitik. Alle Welt weiß, dass Washington vor allem auf den Export des eigenen Schiefergases setzt, unter anderem in Richtung Europa und Mittelmeer. Das ist nur in Form von LNG möglich, weshalb die USA überall in Europa die Errichtung neuer LNG-Umschlagplätze fördern. Ihr Lieblingsprojekt ist der LNG-Hub im nordgriechischen Alexandroupolis – ein ideales Einfallstor für Shelfgas nach Südosteuropa.

An konkurrierenden Gaslieferungen aus dem östlichen Mittelmeer hat Washington null Interesse. Das energiepolitische Engagement der Trump-Regierung ist nur ein Vorwand; tatsächlich verfolgen die USA in der EastMed-Region vor allem militärisch-strategische Ziele. Das zeigt etwa die Dauerpräsenz der US-Marine im östlichen Mittelmeer, die sich logistisch auf den Ausbau der kretischen Basis Souda-Bay stützt, aber auch die verdeckte Nutzung der britischen Basen in Zypern durch die CIA.

Diese Präsenz wird für Washington umso wichtiger, als die Krise in den Beziehungen mit Ankara zum Verlust der US-Stützpunkte und militärischen Nutzungsrechte in der Türkei führen könnte. ⇥Niels Kadritzke

1 Einen Großteil der Informationen für diese Analyse habe ich in Zypern gewonnen, vor allem in Gesprächen mit Harry Tzimitras und aus einer Präsentation von Charles Ellinas vom 8. April in Nikosia bei einer Veranstaltung der NGO Opek.

2 Die Anlage in Idku gehört mehrheitlich Shell (britisch)und Petronas (malaysisch), die in Danietta mehrheitlich Union Fenosa (spanisch), die ägyptische Beteiligung liegt bei 20 beziehungsweise 24 Prozent.

3 Siehe die Analyse des Bruegel-Instituts in Brüssel vom 12. März 2019.

© LMd, Berlin

Le Monde diplomatique vom 09.05.2019, von Niels Kadritzke