14.09.2012

Vandalen an der Macht

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Vandalen an der Macht

In Rumänien machen sich zwei korrupte Cliquen den Staat streitig von Markus Bauer

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Romania are cangrena: Toata clasa politica!“ (Rumänien hat den Knochenbrand: Die ganze politische Klasse!) „Opriti televizorul, porniti revolutia!“ (Macht den Fernseher aus, macht Revolution!) – Die Proteste in den rumänischen Städten, die im Januar 2012 bei klirrender Kälte ausgebrochen waren, kamen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen und waren entsprechend widersprüchlich. Aber die einigende Parole lautete: „Nieder mit Basescu!“

Präsident Traian Basescu (PDL) war zu Beginn seiner ersten Präsidentschaft 2004 als Retter vor den korrupten Politikern der postkommunistischen PSD gefeiert und 2009 knapp wiedergewählt worden. Jetzt aber hat er den letzten politischen Kredit verspielt. Gravierender als der Anlass – die Entlassung eines Staatssekretärs im Gesundheitsministerium – war dabei eine frühere Entscheidung von großer Tragweite: die Kürzung der Löhne und weitere von der Troika (EU-Kommission, IWF, EZB) geforderte Sparmaßnahmen. Damit wurden der Präsident und die Regierung des Liberaldemokraten Emil Boc endgültig zu Hassobjekten, die man aus dem Amt jagen wollte. Die Proteste kulminierten in Versammlungen und Aufmärschen im Winter, die zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Spezialeinheiten der „Jandarmeria“ führten, wie sie in Rumänien eher selten sind.

Nach der „Wende“ von 1989 hatte das Land mit Wachstumsraten von 7 Prozent als potenzielle Wachstumsoase gegolten. Die Kombination von niedrigen Löhnen und ökonomischem Aufholbedarf versprach ein Wachstum, das aber wegen der Abhängigkeit von Krediten aus dem Ausland stets fragil blieb. Das lag auch daran, dass die vom alten Regime hinterlassene Industriestruktur in Form gigantischer Kombinate auf der grünen Wiese nur zögerlich abgewickelt wurde, zugleich aber die erhaltenswerten und ausbaufähigen Industriekerne kaum Förderung erfuhren. So kamen auch in Rumänien Global Players wie der internationale Stahlkonzern ArcelorMittal zum Zuge.

In den Wachstumsphasen gelang es zwar, die notorische Armut der Roma, der Rentner, Jugendlichen und Bauern etwas zu mildern und eine – oberflächliche – Annäherung an das westliche Konsumniveau zu erreichen, aber das lag vor allem am Zufluss von Kapital aus den westlichen Exportnationen. Noch bevor Griechenland in den Schlagzeilen auftauchte, hatten einige osteuropäische Staaten die Folgen der internationalen Finanzkrise bereits deutlich zu spüren bekommen.

Michael Ehrke schrieb im Juli 2009 über die „Krise an der östlichen Peripherie“ der EU: „Die süd-, west- und nordeuropäischen Banken agierten in Zentraleuropa und auf dem westlichen Balkan nicht anders als amerikanische Hedgefonds und Hypothekenbanken auf dem Subprime-Markt: Sie kümmerten sich nicht oder nicht ausreichend um die Bonität ihrer Kreditnehmer, um deren Fähigkeit, die aufgenommenen Kredite zu bedienen und irgendwann einmal zu tilgen.“1 Zwischen 2002 und 2007 wurden immer mehr Kredite vergeben, wobei der jährliche Zuwachs in Rumänien mit 46,2 Prozent am höchsten lag.

Als die Schuldenkrise die ausländischen Banken erfasste, traf das auch die in Rumänien engagierten österreichischen Institute. Jetzt platzten auch im zweitärmsten EU-Land die (im globalen Vergleich eher kleinen) Blasen in den Boombranchen, also Baugewerbe, Immobilienhandel und Konsumgüterindustrie. Damit zerbarst die Zukunft einer städtischen Mittelschicht, die erwartet hatte, in absehbarer Zeit auf ein mit der übrigen EU vergleichbares Konsumniveau zu kommen.

Die Reaktion der Regierung und des Präsidenten auf die Krise war bezeichnend: Um die Auszahlung von Hilfskrediten aus einem Gesamtpaket von 20 Milliarden Euro zu sichern, akzeptierten sie die von der Troika geforderte drastische Sparpolitik. Obwohl dies eine Kürzung der Gehälter im öffentlichen Dienst (um 25 Prozent) und der Renten (15 Prozent), die Anhebung der Mehrwertsteuer (von 19 auf 25 Prozent) und Einschnitte bei den Sozialleistungen bedeutete, wurde diese Politik kaum kommuniziert oder gar diskutiert. Die Regierenden glaubten die Unterstützung der Bevölkerung für dieses Programm gewinnen zu können, indem sie einen späteren Lohnanstieg und weiteres Wirtschaftswachstum in Aussicht stellten.

Die dramatischen Folgen der Sparpolitik für die Bevölkerung machte der Fall des Adrian Sobaru sichtbar. Der Techniker beim Staatsfernsehen stürzte sich im Dezember 2010 während einer Parlamentsdebatte von der Zuschauertribüne in den Plenarsaal. Zuvor war die staatliche Unterstützung für seinen autistischen Sohn um zwei Drittel zusammengestrichen worden.

Selbstmordversuch im Parlament

Da die Industrie großenteils im Besitz ausländischer Unternehmen ist, stellt die Beschäftigung in Rumänien – bei allerdings sehr niedrigen Löhnen – derzeit kein großes Problem dar. Weit dramatischer sind die Folgen, die der Umbau des Gesundheits- und Sozialsystems der Bevölkerung zumuten. Auf diesem Gebiet stehen die früheren Planwirtschaften immer noch vor ihrer größten Herausforderung. In Rumänien existiert das alte Versorgungsdenken, das sichere und relativ hohe Renten (gemessen am Lohn) bei niedrigem Renteneintrittsalter und ein vollständig staatlich finanziertes Gesundheitssystem gewohnt war und von – jedenfalls offizieller – Vollbeschäftigung ausgehen konnte, noch parallel zu einer neoliberal geprägten kapitalistischen Realität. So wird die Altersvorsorge zunehmend privatisiert, während viele gut versorgte Frührentner noch immer von der Planwirtschaft profitieren.

Ähnlich sieht es im Gesundheitswesen aus: Da es unterfinanziert ist, kann sich nur eine kleine Schicht Wohlhabender die verbesserte Gesundheitsversorgung mit ihren modernen Techniken leisten. Die Preise für Medikamente und Arztleistungen sind relativ hoch, zudem ist eine medizinische Behandlung häufig nur durch Bestechung zu erreichen.2 An der hohen Verschuldung der Krankenhäuser werden auch die 2010 eingeführten offiziellen Zuzahlungen wenig ändern. Zudem gehen jedes Jahr hunderte Ärzte (die ein jämmerliches Gehalt von 500 bis 900 Euro im Monat beziehen) außer Landes. Insgesamt gibt Rumänien nicht einmal 4 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitssystem aus (in Deutschland sind es 10,7 Prozent). Mit 73,5 Jahren ist die Lebenserwartung eine der niedrigsten innerhalb der EU.

Gegen die Sparbeschlüsse der Regierung machten vor allem die Gewerkschaften mobil. Bei Streiks im Gesundheitssektor und Massendemonstrationen in den Straßen von Bukarests artikulierte sich die wachsende Wut einer Bevölkerung, die in der Krise die bescheidenen materiellen Fortschritte im Land dahinschwinden sah. Und die Gewerkschaften erwirkten die Überprüfung der Spargesetze durch das Verfassungsgericht mit dem Argument, Gehaltskürzungen per Gesetz seien ein Eingriff in die Tarifautonomie. Die Richter befanden Ende 2010, die Kürzung der Renten sei nicht verfassungskonform, machten die Lohnkürzungen aber nicht rückgängig. Damit fielen ab Januar 2011 viele Löhne und Gehälter deutlich niedriger aus.

Ein Jahr später machte dann der machtbewusste und in Nepotismus und undurchsichtige Geschäfte verstrickte Präsident Basescu den entscheidenden Fehler: Er reagierte auf die öffentliche Kritik von Raed Arafat, Staatssekretär im Gesundheitsministeriums und Begründer des ärztlichen Notfalldienstes (SMURD), indem er diesen kurzerhand feuerte. „Vandalismus der Macht“ nennt die Herausgeberin der Kulturzeitschrift Observator cultural die Reaktion des Präsidenten. Jetzt wissen alle, so Carmen Musat, was die Herrschenden unter Dialog verstehen: „Die Macht befiehlt, die Bevölkerung kuscht.“

Die spontanen Proteste gegen Basescus selbstherrliche Machtausübung führten dazu, dass der gebürtige Palästinenser Arafat in sein Amt zurückkehren konnte. Das war aber nur der Auftakt zu weiteren Verwicklungen, an deren Ende sich der liberale Ministerpräsident Boc am 6. Februar zum Rücktritt gezwungen sah. Sein Nachfolger wurde der Oxford-Absolvent Mihail-Razvan Ungureanu, Historiker an der Universität Iasi, der zuvor bereits das Amt des Außenministers und des Geheimdienstchefs bekleidet hatte.

Aber auch Ungureanu, der in Sachen Korruption und Bereicherung noch unbescholten war, hielt an der Austeritätspolitik fest. Seine Regierung kam jedoch zu Fall, als zahlreiche Abgeordnete seiner Partei ins andere politische Lager zum Sozialliberalen Bündnis USL überliefen, das Anfang Mai aus dem Zusammenschluss der oppositionellen Sozialdemokraten (Partidul Social Democrat, PSD), Nationalliberalen (Partidul National Liberal, PNL) und Konservativen (Partidul Conservator, PC) entstanden war. Nach nur zwei Monaten Amtszeit wurde Ungureanu im April 2012 durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Jetzt musste Präsident Basescu den PSD-Vorsitzenden Victor Ponta mit der Regierungsbildung beauftragen.

Ponta setzte sogleich alle Hebel in Bewegung, um Basescu zu stürzen und dabei gleich einige lästige Institutionen (wie das Basescu-freundliche Verfassungsgericht) endgültig zu schwächen. Es war ein „kalter Putsch“, ein Staatsstreich von oben. Das rief die EU auf den Plan, die auf der Einhaltung der demokratischen Spielregeln bestand. Ponta besetzte alle zentralen Posten mit seinen Leuten. Wie dreist er das praktizierte, zeigt er mit der Auflösung einer Kommission, die seine eigene Dissertation überprüfen sollte, nachdem in der Zeitschrift Nature am 18. Juni 2012 Plagiatsvorwürfe erschienen waren.3

Drohungen gegen Verfassungsrichter

Die Auseinandersetzungen werden so erbittert geführt, dass Verfassungsrichter inzwischen um ihr Leben fürchten.4 In dieser angespannten Situation goss Basescus Parteigenosse Crin Antonescu, der während dessen Impeachment-Verfahrens als Interimspräsident fungiert hatte, noch zusätzlich Öl ins Feuer. Er verkündete, falls das Referendum vom 29. Juli nicht die Absetzung des Präsidenten bestätigen sollte, werde es zu schweren Konflikten kommen.5

Auch der Anführer einer Reservistengewerkschaft drohte für diesen Fall mit einem allgemeinem Chaos. Gleichzeitig griff diese obskure Truppe auch die Antikorruptionsbehörde (Directia Nationala Anticoruptie, DNA) an, die Institution also, die mit ihren hartnäckigen Ermittlungen dafür gesorgt hatte, dass der frühere PSD-Regierungschef Adrian Nastase (zugleich Mentor und Doktorvater seines Parteigenossen Ponta) am 16. Juni 2012 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt werden konnte.

Das entscheidende Hindernis für die Entwicklung Rumäniens ist die Korruption. Darin sind sich die politischen Beobachter mit den meisten Rumänen einig. Nach dem Korruptionsindex von Transparency International gehört das Land zu den korruptesten der EU und liegt damit nur knapp vor Griechenland und Bulgarien.

Wenn etwa im Gesundheitswesen, im Bildungssektor und bei der Justiz für gesellschaftlich wichtige Aufgaben immer noch extrem niedrige Gehälter gezahlt werden, erscheint die Annahme von Bestechungsgeldern als ganz „normal“, weil lebensnotwendig. Das erklärt auch die skandalösen Zustände im Justizwesen. Nachdem es die seit 2004 amtierende Justizministerin Monica Macovei geschafft hatte, gegen größte Anfeindungen eine schärfere Strafverfolgung korrupter Politiker und Geschäftsleute durchzusetzen, wurde sie im April 2007, wenige Monate nach dem EU-Beitritt, aus dem Amt gedrängt.

Die DNA hat seither dennoch zahlreiche Anklagen gegen Minister, Staatssekretäre und Bürgermeister erhoben, wenn auch die Beschuldigten nur selten im Gefängnis landen. Immerhin war es für die Regierung Ponta eine erhebliche Blamage, dass die designierte Bildungsministerin wegen gravierender Falschaussagen in ihrem Lebenslauf auf den Posten verzichten musste und ihr Ersatzmann nur wenige Tage im Amt überlebte, weil er des Plagiats bei seiner Doktorarbeit überführt wurde.

Mit dem EU-Beitritt hat Rumänien den großen Sprung nach vorn noch längst nicht geschafft. Vor allem ist noch keine wirkliche Zivilgesellschaft entstanden – wenn auch vielleicht die Möglichkeit, eine solche zu realisieren.

Diese Chance sehen vor allem viele Rumänen, die im Ausland leben oder ausgebildet wurden und nun aufgrund der Eurokrise zur Rückkehr gedrängt werden. Diese Rückkehrer, die das Geschehen der letzten Zeit mit den kritischen Augen von Europäern sehen, sind bei Teilen der Bevölkerung nicht sehr beliebt. Aber ihre Haltung könnte in den notwendigen Auseinandersetzung über den künftigen Weg Rumäniens eine entscheidende Rolle spielen.

Fußnoten: 1 Michael Ehrke, „Die globale Krise an der östlichen Peripherie. Platzt die Illusion der Konvergenz?“, Internationale Politik und Gesellschaft, 3/2009, S. 58. 2 Nach Angaben der WHO fließen in Rumänien jährlich 300 Millionen Euro „out of pocket“ an das Krankenhauspersonal. Siehe Björn Hacker, „Sozialpolitik in Mittelosteuropa: Unterschiedliche Reformstrategien mit liberalem Hintergrundrauschen“, IPG 3/2009, S. 36–49: library.fes.de/pdf-files/ipg/ipg-2009-3/04_a_hacker_d.pdf. 3 Quirin Schirmeier in Nature: www.nature.com/news/romanian-prime-minister-accused-of-plagiarism-1.10845. 4 Siehe Adevarul, 7. August 2012: www.adevarul.ro/actualitate/politica/Comisia_de_la_Venetia_face_apel_la_autoritatile_romane_sa_se_abtina_de_la_presiuni_asupra_CCR_0_751125066.html. 5 Die Wahlleitung erklärte das Resultat für ungültig, weil die Beteiligung mit 46,2 Prozent unter den benötigten 50 Prozent der Wahlberechtigten lag. Markus Bauer ist Journalist und Autor von „In Rumänien. Auf den Spuren einer europäischen Verwandtschaft“, Berlin (Transit) 2009. © Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 14.09.2012, von Markus Bauer