Wirre Fronten im Jemenkrieg
Die UN muss endlich alle Konfliktparteien an einen Tisch bringen
von Pierre Bernin
Lange haben die Medien und die Diplomatie den Krieg im Jemen weitgehend ignoriert. Aber das Ausmaß der humanitären Krise, die verfahrene militärische Situation und die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi vergangenen Oktober im saudischen Konsulat in Istanbul haben die Situation verändert.
Die von Saudi-Arabien gelenkte Koalition, die seit März 2015 im Jemen Krieg führt, hat sich zum Ziel gesetzt, die Macht von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi wiederherzustellen. Hadi war von den Milizen der Huthis – die der Minderheit der Zaiditen und damit der schiitischen Glaubensrichtung angehören – im Januar 2015 abgesetzt worden.
Während die Situation vor Ort festgefahren ist, werden die Kriegsverbrechen der Saudis mittlerweile verurteilt.1 Prinz Mohammed bin Salman hat einen Großteil seiner Glaubwürdigkeit eingebüßt. Mit Hilfe von PR-Agenturen – darunter die Firma Publicis, dessen Hauptaktionärin die Französin Elisabeth Badinter ist, oder Glover Park, die von Mitgliedern der Demokratischen Partei in den USA gegründet wurde – wollte er sich das Image eines Modernisierers verpassen. Doch diese Bemühungen sind verpufft.2
Innerhalb des Westens wird auch die Frage der Waffenverkäufe an die saudische Monarchie inzwischen heftig diskutiert. Bereits im Mai 2018 beschuldigte der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn Premierministerin Theresa May, „geheime Absprachen“ mit Kriegsverbrechern getroffen zu haben. In Washington führte die Debatte über den Jemen-Krieg dazu, dass der Senat – obwohl in republikanischer Hand – am 13. Dezember 2018 dafür stimmte, die Militärhilfe für die Koalition auszusetzen. Am 14. Februar bestätigte das demokratisch dominierte Repräsentantenhaus den Beschluss.
Spanien und Deutschland haben ihre Waffenlieferungen an Riad ausgesetzt. Ende Oktober forderte das Europaparlament ein EU-weites Waffenembargo gegen Saudi-Arabien. Auch wenn es kurz darauf angesichts der Androhung hoher Geldstrafen wegen Vertragsbruch wieder zurückruderte: Westliche Mächte stehen mittlerweile unter Rechtfertigungsdruck, wenn sie Waffen an Riad oder an die Vereinigten Arabischen Emirate, das andere Schwergewicht der Militärkoalition, liefern.
Die Eröffnung von Friedensgesprächen in Stockholm im Dezember 2018 war ein erster Erfolg für den britischen UN-Sondergesandten Martin Griffiths. Erstmals seit mehr als 18 Monaten setzten sich die Kriegsparteien wieder an einen Tisch. Drei Monate zuvor war ein geplantes Treffen in der Schweiz geplatzt, bevor die Huthi-Delegation überhaupt angereist war. Diesmal begünstigte das internationale Umfeld jedoch einige Fortschritte: Man einigte sich auf einen Waffenstillstand in der strategisch wichtigen Hafenstadt Hodeida an der Rotmeerküste und einen Gefangenenaustausch.
Die Huthis werden nicht verschwinden
Die Verhandlungen in Schweden begannen in einem Moment, als sich die Huthis auf dem Rückzug befanden, vor allem aufgrund der im Juni 2018 begonnen Offensive gegen den von ihnen kontrollierten Hafen in Hodeida. Seither sind ihre bewaffneten Gruppen offenbar bereit, Gebiete aufzugeben, die sich außerhalb ihrer Hochburgen im nördlichen Hochland befinden. Am 18. Februar verkündete die UN, die Kriegsparteien hätten einem Abzug von Truppen aus Hodeida und zwei weiteren Hafenstädten zugestimmt und damit den ersten Schritt zur Umsetzung der in Stockholm getroffenen Abmachung unternommen.
In den vergangenen vier Jahren haben die Huthis immer wieder durch ihre Widerstandskraft überrascht. Die Rebellion, die im abgelegenen Gebirge begann und bis in die Hauptstadt Sanaa schwappte, und das militärische Engagement der Huthis in feindlichem Gebiet (etwa mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit) zeugen von einer ungeahnten Stärke. Im Dezember 2017 töteten sie ihren vormaligen Verbündeten, Expräsidenten Ali Abdallah Saleh, nachdem er sich unvermittelt gegen die Huthis gewandt hatte.
Trotz der Krise, die mit dem Sturz von Saleh, der den Jemen über dreißig Jahre regiert hatte, einherging, stießen die Huthis auf wenig Widerstand. Das verdeutlicht ihren großen Einfluss in den Institutionen und ihre Kontrolle über die Ressourcen des Landes, ebenso wie ihre Fähigkeit zur ideologischen Mobilmachung. Die Huthis werden nicht einfach so verschwinden, insbesondere nicht aus ihrer Heimat im Norden rund um die Städte Saada, Saana und Dhamar. Diese Gebiete sind die am dichtesten besiedelten des Landes, und die dortigen Stämme haben sich weitgehend den Positionen der Huthis angeschlossen.
Wie aber hat es eine anfangs marginale Rebellenbewegung geschafft3 , sich gegen ein Bündnis aus Armeen zur Wehr zu setzen, die zu den am besten ausgestatteten der Welt gehören und die von den USA, Großbritannien und Frankreich unterstützt werden? Vielleicht liegt es an der „Ohnmacht der Stärke“, um einen Ausdruck von Bertrand Badie4 aufzugreifen: Möglicherweise ist dies ein Schlüssel, um zu verstehen, warum die „Großen“ ihre „kleinen Kriege“ verlieren, von Vietnam über den Irak bis nach Afghanistan. Und jetzt eben Jemen.
Die Unterstützung Irans für die Huthis ist Gegenstand vieler Fantasien. Sie bleibt allerdings marginal, auch wenn die Hilfe Teherans laut einem UN-Expertenbericht5 konkretere Formen angenommen hat, etwa durch die Lieferung von Langstreckenraketen, die wiederholt in Richtung Saudi-Arabien oder Emirate abgefeuert wurden.
Die Stärke der Huthis erklärt sich zweifellos auch aus ihren nationalistischen Parolen. Durch seine stetigen Wortmeldungen und als Nachkomme des Propheten hat sich ihr Anführer Abdulmalik al-Huthi (dessen Familie der Bewegung ihren Namen gegeben hat) zur charismatischen Figur aufgeschwungen. Al-Huthi verurteilt die „saudische Aggression“, deren Ziel darin bestehe, „den Hunger der Jemeniten nach Freiheit und Würde“ zu ersticken. In den Regionen, die von seinen Einheiten kontrolliert werden, vermischt sich der Protest gegen die internationale Ordnung mit der Forderung, die eigenständige Identität der Bevölkerung der nördlichen Hochebenen anzuerkennen.
Die Bewegung der Huthis gründete sich vor zwanzig Jahren. Als Zaiditen folgen sie einem besonderen Ritus, der zunehmend jedoch durch die in Iran dominante schiitische Schule beeinflusst ist. Mit der Betonung ihrer religiösen Wurzeln und ihrer heftigen Ablehnung gegenüber Saudi-Arabien haben sie es geschafft, weit über ihren ursprünglichen Unterstützerkreis hinaus Zulauf zu erhalten. Dass sie keine klare politische Vision haben – auch wenn ihre Gegner ihnen unterstellen, sie wollten die 1962 gestürzte Monarchie zurück –, hat ihre Fähigkeit zur Mobilisierung jedenfalls nicht untergraben.
Die Huthis haben in den von ihnen kontrollierten Gebieten trotz prekärer Finanzlage (viele Beamte haben seit fast zwei Jahren kein Gehalt mehr bekommen) eine Art funktionierenden Staat erhalten. Die Sicherheitslage ist in den Huthi-Gebieten ungleich besser als beispielsweise in Aden. Angesichts der tiefen gesellschaftlichen Verwurzelung ihrer Bewegung wird der Konflikt nur gelöst werden können, wenn die Huthis in Zukunft in das politische Spiel des Landes integriert werden.
Ihre Gegner verurteilen weiterhin die Korruption einiger Huthi-Offizieller. Ihre oft massive Unterdrückung kritischer Stimmen macht deutlich, dass die Fähigkeit, Kräfte zu bündeln, teils auf einem Regime der Angst beruht. Die Schwäche der Opposition in den von den Huthis kontrollierten Gebieten – vor allem der Stämme – könnte eine Stabilisierung und Befriedung des Landes jedoch erleichtern. Wenn die Führung der Rebellen sich entscheidet, am Friedensprozess mitzuwirken, kann die relativ zentralisierte Struktur der Bewegung den Ausweg aus der Krise sogar erleichtern.
Die Saudis wollen Zugang zum Indischen Ozean
Die im April 2015 durch den UN-Sicherheitsrat angenommene Resolution 2216, die den rechtlichen Rahmen der saudisch geführten Koalition festlegt, berücksichtigt diese Umstände jedoch nicht. Sie untermauert die Ansprüche von Abed Rabbo Mansur Hadi, den sie als legitimen Staatschef anerkennt, bis Neuwahlen abgehalten wurden. Diese sind allerdings auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Die Huthis werden in dieser Resolution aufgefordert, sich bedingungslos zurückzuziehen und ihre Waffen niederzulegen.
Alle Resolutionen, die der Realität vor Ort besser Rechnung tragen – etwa die Initiative Großbritanniens Ende 2018 – wurden von saudischen Diplomaten sabotiert. Am 16. Januar nahm der UN-Sicherheitsrat zwar die Resolution 2452 an, aber die behandelt nur nachrangige Punkte und ändert nichts am internationalen Rechtsrahmen für den Konflikt.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass sich die von den Vereinten Nationen angestoßenen Verhandlungen auf den Norden des Landes konzentrieren, wo sowohl Huthis als auch der von der saudischen Koalition gestützte Hadi die Macht für sich beanspruchen. Die Probleme, die aus der Fragmentierung der südlichen Landesteile entstanden sind, werden vernachlässigt. Der Ausschluss von Repräsentanten der separatistischen Süd-Bewegung ist zweifellos ihre größte Schwachstelle.
Die Gruppierungen, die eine Abspaltung des Südjemen fordern, haben 2017 mit direkter Unterstützung der Vereinigten Arabischen Emiraten den Südlichen Übergangsrat (Southern Transitional Council, STC) gegründet. Ihre Beziehung zu Hadi ist allerdings angespannt, obwohl dieser selbst aus dem Süden stammt. Auch die Saudis sind nicht gut auf die Süd-Bewegung zu sprechen. Darüber hinaus ist die Bewegung ideologisch und geografisch gespalten – zwischen bewaffneten salafistischen Gruppen einerseits und Nostalgikern der sozialistischen Periode Südjemens von 1967 bis 1990 andererseits.
Obwohl vieles unausgesprochen bleibt, zeigt sich hieran, wie tief gespalten das Anti-Huthi-Lager ist. Das trifft etwa auf die Allianz zwischen der Süd-Bewegung und Vertrauten von Expräsident Saleh (insbesondere dessen Neffe Tareq Muhammed Saleh) an der Hodeida-Front zu. Die Zusammenstöße zwischen islamistischen Gruppen in der südwestjemenitischen Stadt Taizz und die strategischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Riad und Abu Dhabi komplettieren das Bild der Zersplitterung.
Doch der in der Resolution 2216 festgelegte Verhandlungsrahmen verhindert, dass diese Fragen direkt angegangen werden. Es besteht die Gefahr, dass nicht nur der Wiederaufbau des Staats vereitelt werden könnte, sondern auch, dass im Endeffekt vor allem die teilweise mit al-Qaida verbündeten islamistischen Bewegungen profitieren.
Der nationale Rahmen der Verhandlungen, der sie auf zwei Konfliktparteien beschränkt, birgt noch weitere Gefahren: Er stützt sich auf die Annahme, dass der Konflikt allein die Jemeniten betrifft. Dabei ist seine regionale Dimension offensichtlich: Da ist zunächst die angebliche oder tatsächliche Rolle Irans, die von den Saudis betont wird, um ihre eigene Intervention zu rechtfertigen. Da sind die Zerstörungen durch die Bombardements der arabischen Koalition. Und da ist das Riad unterstellte Interesse, sich den Zugang zum indischen Ozean zu sichern, und Abu Dhabis Bestreben, Kontrolle über den jemenitischen Küstenstreifen zu gewinnen.
Die wichtigsten Mitglieder der Koalition spielen offenbar ein Verwirrspiel. Amnesty International berichtete zum Beispiel, dass die vom Westen an die Vereinigten Arabischen Emirate verkauften Waffen von diesen an jemenitische Milizen weitergegeben wurden, die teils als „terroristisch“ eingestuft werden.6
Wenn es irgendwann um den Wiederaufbau gehen wird, werden es die beiden wichtigsten Mächte der Koalition nicht vermeiden können, sich aufgrund ihrer multilateralen Verpflichtungen daran zu beteiligen. Riad und Abu Dhabi müssen deshalb auch jetzt in die Verhandlungen eingebunden werden. Denn dann können sich die beiden Regionalmächte nicht mehr aus der Verantwortung stehlen, indem sie über ihre Ziele und Interessen schweigen.
2 Siehe Florence Beaugé, „Selbst lenken – Frau sein in Riad“, LMd, Juni 2018.
3 Siehe Pierre Bernin, „Verdeckter Krieg im Jemen“, LMd, Oktober 2009.
Aus dem Französischen von Jakob Farah
Pierre Bernin ist unabhängiger Forscher.