Zurück in Guinea
Wer im Ausland studiert hat, der richtigen Ethnie angehört und gute Beziehungen zur Regierung pflegt, hat die besten Chancen
von Abdoul Salam Diallo und Raphaël Godechot
Trotz Ramadan und drückender Hitze ist der Hörsaal der privaten Universität Nongo in Conacry bis auf den letzten Platz besetzt. Mehr als 300 Studierende wollen an dem Seminar „Herausforderungen des Arbeitsmarkts und Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Erwachsene“ teilnehmen.
Die fünf Referentinnen verkörpern geradezu klischeehaft das Bild der jungen erfolgreichen Geschäftsfrau: energisch, unaufhörlich lächelnd und mit Anglizismen um sich werfend. Es werden Ratgeber herumgereicht – darunter „Denke nach und werde reich“ von Napoleon Hill. Eine der fünf fasst zusammen: „Vergesst nicht, dass euer Erfolg ausschließlich von eurem persönlichen Willen abhängt.“ Die Frauen auf dem Podium haben alle mit einem Fulbright-Stipendium in den USA studiert und kehrten als „Repats“ nach Guinea zurück.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) gibt an, dass sie zwischen 2008 und 2015 im Rahmen ihres Programms „Migration für die Entwicklung in Afrika“ (Mida) 1477 Repats aus Nigeria, Ghana, Angola, Marokko und Sudan unterstützt hat .1 Die meisten kehrten aus Europa und Nordamerika zurück. Die 2016 ins Leben gerufene Website Talent2Africa hat sich zur Aufgabe gemacht, Unternehmen mit einem Standort in Afrika mit Bewerbern aus der Diaspora in Kontakt zu bringen. Die Website zählt knapp 10 000 User, bis 2021 will sie 200 000 haben.
Vergleicht man diese Zahlen mit den 17 Millionen Afrikanern, die 2017 außerhalb des Kontinents lebten, erscheinen sie unbedeutend.2 Da viele auf informellen Wegen zurückkommen, stellt sich aber die Frage, ob die Zahlen der Realität entsprechen. Erlebt Afrika gerade einen „Braingain“3 ? Welche Hoffnung mit den Rückkehrern im Hinblick auf politische Stabilität und Wachstum verbunden ist, zeigt sich darin, dass alle afrikanischen Regierungen ihren im Ausland lebenden Staatsangehörigen ein eigenes Ministerium widmen.
Guinea erreichte 2017 eine Wachstumsrate von 8,2 Prozent. Nach jahrzehntelangem Stillstand sind die Investitionen aus dem Ausland von etwas mehr als 100 Millionen US-Dollar 2010 auf 1,6 Milliarden 2016 gestiegen, bevor sie 2017 wieder auf unter 600 Millionen sanken. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf lag 2017 jedoch bei nur 825 Dollar; im internationalen Vergleich steht Guinea damit auf Platz 164.4
„Es fehlt uns an Führungskräften. Unsere Generation muss Opfer bringen, damit sich Afrika wieder aufrappelt“, erklärt Thierno Amadou Dramé, Prodekan der juristischen Fakultät an der Général-Lansana-Conté-Universität (UGLC) in Conakry, der nach einem Studium in Frankreich und Senegal zurückgekehrt ist.
Viele Repats nennen jedoch den höheren Lebensstandard, den sie sich im Ausland nicht hätten leisten können, als Anreiz für ihre Rückkehr. Eine der Rednerinnen im Seminar erklärt nüchtern: „Hier kann man ein Kindermädchen, eine Köchin und Sicherheitspersonal haben ... das erleichtert den Alltag!“ Nach Angaben der Weltbank leben 55 Prozent der Guineer unter der Armutsgrenze. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 80 Prozent. Fast 80 Prozent der Bevölkerung arbeiten im informellen Sektor.
Der Soziologe Alpha Amadou Bano Barry berät die Regierung Condé in der Hochschulbildung. Er erinnert daran, dass es in Guinea mehrere Rückwanderungswellen gab: 1984, nach dem Ende der Diktatur von Sekou Touré, kamen vor allem die politischen Flüchtlinge zurück. Wer aus ökonomischen und sozialen Gründen weggegangen ist, kehrt erst seit den nuller Jahren zurück.
Repats als Symbol des Aufschwungs
Die meisten Repats kommen aus wohlhabenden Familien und haben einen Uniabschluss in der Tasche. Gefragt sind Manager, Ingenieure, Finanz- und IT-Fachkräfte, pharmazeutisches Fachpersonal und Bauleiter. Während des Präsidentschaftswahlkampfs 2010 startete Condé einen Aufruf: „Viele Führungskräfte befinden sich in der Diaspora in Afrika, in Europa, in den USA. Wenn sie zurückkommen, können sie uns helfen, das Land wieder aufzubauen. Hier gibt es viel zu tun.“5 Es blieb bei leeren Worten, auf staatliche Unterstützung können Rückkehrer nicht zählen. Das Gerede um das „Ministerium für Guineer im Ausland“ ist nur heiße Luft.
Auch Mohammed Lamine Bangoura hat im Ausland studiert. Kurz nach seiner Rückkehr wurde er zum Präsident des Verfassungsgerichts gewählt. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die Behörden oft skeptisch gegenüber Bewerbern sind, die aus dem Ausland zurückkommen. Kooptation und Netzwerke entscheiden oftmals über das Schicksal der Repats, nicht selten spielt auch die ethnische Zugehörigkeit eine Rolle. Der öffentliche Dienst bietet zudem wenig Perspektiven, solange es der Verwaltung an finanziellen Mitteln mangelt und Korruption herrscht. „In der Privatwirtschaft ist das anders“, sagt Bangoura, obwohl es natürlich auch hier auf gute Beziehungen ankommt.
Präsent ist der Staat allein in Form von Militär- und Polizeiposten, auch hier sind Bestechungen gang und gäbe. Aber auf dem Land scheint der Staat gänzlich unsichtbar zu sein, ob es sich um das Gesundheitswesen, Bildung oder den Zugang zu Elektrizität und Wasser handelt. Die guineische Arbeitsagentur (Aguipe) empfiehlt deshalb, sich im privaten Sektor umzuschauen. Ende April 2018 fand in Paris eine Jobmesse von guineischen Unternehmen statt, Mitorganisator war auch der guineische Staat. Große Unternehmen wie Bolloré und Orange wurden als Segen für den Arbeitsmarkt, vor allem für Repats, gefeiert.
Viele Rückkehrer stoßen auf ethnisch motivierte Vorurteile. Die Regierung Lansana Conté hat diese Karte oft gespielt, um an der Macht zu bleiben. Spaziert man durch Conakry, merkt man schnell, wie sensibel dieses Thema ist. Während Werbeplakate „Guinea ohne Ethnien: Großes Friedenskonzert“ verkünden, zögern in Wahlkampfzeiten einige Kandidaten nicht, sich zu Sprechern ihrer Ethnie zu erklären.
Vor allem die Fulbe sind oftmals Opfer von Vorurteilen. Auch wenn sie die größte ethnische Gruppe darstellen, müssen sie als Sündenböcke herhalten. Das Misstrauen wurde von Präsident Sékou Touré befeuert, der als Angehöriger der Malinké den Fulbe vorwarf, ein Komplott gegen ihn im Schilde zu führen.
Seydou Diallo ist Manager in der Telekommunikationsbranche in Frankreich. An seinem Namen ist unschwer zu erkennen, dass er Fulbe ist. 2016 unternahm er einen Versuch, nach Guinea zurückzukehren – vergebens: „Ich habe weder den richtigen Namen, noch gehöre ich der richtigen Ethnie an, und das richtige Netzwerk habe ich auch nicht. Die Leute, die heute an der Macht sind, sind die Kinder derjenigen, die unter Sékou Touré oder Lansana Conté in der Regierung saßen. Nach einem Jahr bin ich wieder zurück nach Frankreich gegangen.“
Anders sieht es bei Diaka Camara aus. Sie hat in Houston (USA) eine Journalistenschule besucht. Nach ihrem Abschluss 2006 hat sie dort noch fünf Jahre gearbeitet, bevor sie dem Aufruf von Alpha Condé gefolgt ist. In Conakry hat sie ein Kommunikationsunternehmen gegründet, CBC Worldwide. Demnächst soll dort die erste Realityshow Guineas zu sehen sein. „Eine Art ,America’s Next Top Model‘ auf Guineisch“, freut sie sich. Im Vorspann der Sendung tauchen nur schöne Landschaften und traumhafte Strände auf – von Armut und Umweltverschmutzung ist nichts zu sehen.
Flucht vor Armut und Korruption
Camara hat gute Beziehungen zur Regierung. „Nach der Ebola-Epidemie habe ich für das Präsidialbüro Infomercials produziert, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.“ Die Regierung arbeitet auch gern mit multinationalen Konzernen zusammen. Im Falle des französischen Logistikriesen Bolloré, der enge Verbindungen zu Condé pflegt, besteht außerdem ein Betrugsverdacht im Hinblick auf die Vergabe öffentlicher Aufträge (siehe Kasten).
Für Repats ohne Beziehungen gibt es als Option noch die Arbeit in Entwicklungsprojekten. Thierno Iliassa Baldé arbeitet zum Beispiel für ein Bildungsprogramm, das von der Weltbank finanziert wird. „Diese Projekte sind unabhängig“, erklärt er. „Man findet sie im Gesundheits- und Bildungsbereich, in der Landwirtschaft, im Bergbau oder Energiesektor.“
Die Zahl der Projekte, die von der Weltbank, dem IWF oder der guineischen Zentralbank finanziert werden, ist jedoch überschaubar. Gegenüber Weltbank und IWF steht zudem der Vorwurf im Raum, dass ihre Kreditpolitik zur Verarmung der Staaten beiträgt. Wenn Repats und internationale Organisationen zusammenarbeiten, vergrößert sich außerdem das Risiko, dass die Entwicklungspolitik an der Realität des Landes vorbeigeht.
Wie in den Nachbarstaaten Mali, der Elfenbeinküste oder Guinea-Bissau werden auch in Guinea zwar regelmäßig die Wahlergebnisse angefochten. Aber es gab keine Bürgerkriege wie in den 1990er Jahren in Liberia und Sierra Leone oder größere Aufstände wie in der Elfenbeinküste zwischen 2002 und 2011 oder im Senegal, wo in der Region Casamance bis 2004 Separatisten aktiv waren. Soziale Proteste haben jedoch auch in Guinea Tradition, wie 2007 der Generalstreik gegen die hohen Lebenshaltungskosten.
Wirtschaftlich ist Guinea in der Region eine Ausnahme. Im Gegensatz zu seinen Nachbarn, die früher ebenfalls französische Kolonien waren, hat Guinea nie den CFA-Franc als Währung angenommen: ein Symbol für seine politische und monetäre Unabhängigkeit. Seit der Unabhängigkeit 1958 hat Paris mit allen Mitteln versucht, das Land zu destabilisieren. Guinea musste immer wieder dafür kämpfen, seine mühevoll errungene Freiheit zu bewahren. Das hat bis heute Einfluss auf die Handelsbeziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht.
Während Regierung und Presse die Repats gern als Symbol für den Aufschwung des Landes darstellen, sind die Guineer, die das Land illegal verlassen, weitaus zahlreicher. Sie fliehen vor Armut und Korruption, vor politischer Repression und der schlechten Gesundheitsversorgung. 2014 und 2015 hat das Ebolavirus in Guinea, Liberia und Sierra Leone mehrere tausend Tote gefordert. 2017 kam in Frankreich jeder sechste Asylbewerber aus Guinea.7
1 Siehe Saskia Sassen, „Migration und Staatssouveränität“, LMd, November 2000.
4 Das Gegenteil von „Braindrain“, die Abwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte ins Ausland.
5 Weltbank, data.worldbank.org.
6 „Alpha Condé: ,En Guinée, tout est à faire‘“, Le Figaro, 16. November 2010.
7 „Cartographie de la demande d’asile en 2017“, La Cimade, 9. April 2018, www.lacimade.org.
Aus dem Französischen von Katharina Stilo
Abdoul Salam Diallo ist Doktorand an der Universität Paris Nanterre. Raphaël Godechot ist Journalist.
Die Akte Bolloré
Im April 2018 erhob die französische Justiz Anklage gegen Vincent Bolloré. Dem einflussreichen Industriellen, dessen Konzern in zahlreichen Geschäftsfeldern mitmischt (Logistik, Papier, Werbung und Mineralöl), wird Bestechung von ausländischen Beamten und Beihilfe zur Veruntreuung und Urkundenfälschung vorgeworfen. 2011 hatte die Bolloré-Gruppe auf umstrittene Weise die Konzessionen für den Containerhafen von Conakry erhalten. Bereits 2008 hatte die guineische Wochenzeitung Le Lynx die Regierung Lansana Conté verdächtigt, Bolloré Transports and Logistics die Konzessionen ohne Ausschreibungsverfahren überlassen zu wollen: ein sehr kostbares Geschenk.
Der drohende Skandal hatte die Regierung letztendlich doch dazu veranlasst, die Vergabe öffentlich auszuschreiben, woraufhin das französische Unternehmen Necotrans den Zuschlag bekam. Als aber dann Alpha Condé 2010 Präsident wurde – dessen freundschaftliche Beziehungen zu Vincent Bolloré bekannt sind –, rollte er die Sache wieder auf. Er entzog dem finanziell schwächelnden Necotrans wieder den Auftrag und überließ ihn Bolloré.
Doch Necotrans wehrte sich. Als Erstes wandte sich der Konzern an den Gemeinsamen Gerichtshof und Schiedsgerichtshof (CCJA) der Organisation für die Harmonisierung des Wirtschaftsrechts in Afrika (OHADA), dann ans Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (das Schiedsgericht der Weltbank) und zuletzt an die französische Justiz, die schlussendlich das Verfahren gegen Vincent Bolloré eröffnete. Inzwischen wurde Necotrans zwangsaufgelöst. Seine strategischen Vermögenswerte wurden von einem Konsortium aufgekauft, das von Bolloré geführt wird.
Seit dem 12. Dezember 2018 wird in Paris auch gegen die Bolloré-Gruppe ermittelt. Die Tochtergesellschaft Havas hätte Condé und seinen togolesischen Amtskollegen Faure Gnassingbé beraten, um sich die Verwaltung der Häfen von Conakry und Lomé zu sichern.