Auf der Seidenstraße nach Tansania
Die chinesisch-afrikanische Zusammenarbeit in Zeiten des Handelskriegs zwischen Peking und Washington
von Jean-Christophe Servant
Drei Fischer aus Guangzhou sitzen im Schatten eines Baums irgendwo an der tansanischen Küste und rauchen. Man wähnt sich in einer chinesischen Aufführung von „Warten auf Godot“ am Ufer des Indischen Ozeans. Doch als die Namen Xi Jingping und Bagamoyo fallen, recken sich wütende Fäuste zum strahlend blauen Himmel.
In dem Fischernest Bagamoyo, 70 Kilometer nördlich von Daressalam, soll in den nächsten zehn Jahren der größte Hafen Afrikas entstehen. Bauherr ist die China Merchant Holding, einer der größten chinesischen Hafenbetreiber. Zehn Milliarden Dollar investieren der Staatsfonds des Sultanats Oman und die chinesische Exim-Bank in die neuen Quais und Hafenbecken, die sich über zwanzig Küstenkilometer erstrecken. Hinzu kommt eine Sonderwirtschaftszone wie in Shenzhen. Genug Platz, um jährlich 20 Millionen Container zu verladen – mehr als im Hafen Rotterdam. Für Tansania, wo immer noch 80 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben,1 sei das eine „industrielle Revolution“, sagt die Regierung.
In Tansania, eins der wenigen stabilen Länder in einer unruhigen Region, regiert seit Ende 2015 John Magufuli von der „Partei der Revolution“ (Chama cha Mapinduzi, CCM), die Julius Nyerere, der erste Präsident des unabhängigen Tansania, 1977 gegründet hatte (siehe Kasten auf Seite 12). Der ursprüngliche Kurs der CCM hat sich unter den „neoliberalen Attacken der 1980er und 1990er Jahre, die selbst den Begriff Nationalismus entnationalisiert haben“, verändert, erklärt Daudi Mukangara, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Daressalam.
Laut IWF gehört Tansania mit 5,8 Prozent Wachstum 2018 und erwarteten 6 Prozent 2019 zu den am stärksten wachsenden Volkswirtschaften des Kontinents, außerdem hat sich das Land im Osten Afrikas ein großes Infrastrukturprogramm vorgenommen (siehe Artikel auf Seite 12/13).
Das Sultanat Oman fasst mit seiner Investition in Bagamoyo wieder Fuß in einer Region, in der es sich vor allem durch den Sklavenhandel hervorgetan hat, denn dieser wurde bis 1861 über das nahegelegene Sansibar abgewickelt. Mit Tansania als Ausgangspunkt für die Ausweitung seines Einflusses in Ostafrika kehrt auch China an eine historische Basis der chinesisch-afrikanischen Zusammenarbeit zurück (siehe Kasten auf Seite 13).
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war der Fischereihafen ein wichtiger Umschlagplatz für Kokosöl, Elfenbein und Sklaven. Viele Expeditionen, darunter die der britischen Afrikaforscher Richard Francis Burton (1821–1890) und Henry Morton Stanley (1841–1904), führten von Bagamoyo auf den von arabischen Sklavenhändlern gebahnten Wegen ins Hinterland. Hier wurde 1868 auch die erste katholische Mission in Ostafrika errichtet. Vor Daressalam war Bagamoyo zwischen 1888 und 1891 die Hauptstadt der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Und seit dem Ersten Weltkrieg herrschten hier bis zur Unabhängigkeit 1961 die Briten. Mit der Angliederung Sansibars 1964 wurde dann aus Tanganjika das heutige Tansania.
Als Pionier der Süd-Süd-Achse kehrt China also an den Ausgangspunkt der Geschichte der Globalisierung Afrikas zurück, indem es den Markt für türkische, ägyptische und indische Unternehmer sowie Unternehmer aus den Golfstaaten öffnet. Das Abkommen für den Bau des neuen Hafens wurde Ende März 2013 unterzeichnet, als der chinesische Präsident seine zweite Afrikareise in Tansania begann. Seither hat Xi dem Kontinent drei weitere Besuche abgestattet. Seit dem Beginn der Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping 1978 hat kein chinesischer Staatschef die Region häufiger besucht.
Julius Nyerere reiste dreißigmal nach China und „nur ein einziges Mal in die Sowjetunion“, erinnert sich Nyereres letzter persönlicher Assistent Charles Sanga. Sanga war auch tansanischer Gesandter in Peking beim ersten China-Afrika-Gipfel im September 2000.2 Seit neun Jahren ist China der größte Handelspartner des Kontinents, noch vor den USA. Beim achten China-Afrika-Gipfel, der im Zeichen der „Neuen Seidenstraßen“ im September 2018 in Peking stattfand, hat China umgerechnet etwa 50 Milliarden Dollar versprochen: ein Viertel davon als zinslose Kredite, ein Drittel als Kredit, 10 Milliarden für einen Fonds zur Finanzierung von Entwicklungsprojekten und 5 Milliarden zur Förderung afrikanischer Exporte.
Auf dem Gipfel verpflichtete sich Präsident Xi, keine „unsinnigen“ Projekte zu finanzieren, sondern ausschließlich „Infrastrukturen, um die Engpässe zu beseitigen, die die Entwicklung des afrikanischen Kontinents blockieren“.3 Laut der Washingtoner China Africa Research Initiative hat China zwischen 2000 und 2016 bereits Kredite von 125 Milliarden Dollar nach Afrika vergeben. Der bilaterale Handel erreichte 2017 ein Volumen von 170 Milliarden Dollar, davon 75,3 Milliarden Dollar für chinesische Importe aus Afrika. Der Handel zwischen Afrika und den USA erreichte dagegen nur einen Wert von 39 Milliarden Dollar.
„Präsident Magufuli wurde 2015 mit einem Programm zur Wiedererlangung der ökonomischen Souveränität Tansanias gegenüber den westlichen Investoren gewählt“, erklärt der Politikwissenschaftler Rwekaza Mukandala. Für den Präsidenten sei China der beste Partner. Diese Meinung teilt auch Octavian Mshiu. Der Präsident der tansanischen Handels- und Agrarkammer bestätigt die strategische Rolle Bagamoyos, das „Tansania fest in das Projekt der Neuen Seidenstraßen einbinden und zum Brückenkopf der Verlagerung chinesischer Produktionsstätten nach Ostafrika machen wird“.
Ein Konfuzius-Institut für Daressalam
Das Nachbarland Kenia, Rivale Tansanias um den Zugang der ostafrikanischen Binnenstaaten zum Meer, sei für Peking zu problematisch, heißt es. Kenia steht unter dem Einfluss der USA, die es als strategischen Partner in Afrika betrachten. Außerdem ist Kenia ein instabiler Staat, in dem Terrorismus und ethnische Konflikte immer wieder Opfer fordern.
Während sich die USA und andere westliche Regierungen angesichts des autoritären Regierungsstils Magufulis um die Menschenrechte sorgen, deren Verletzung der Entwicklung schaden könne, schweigt sich der wichtigste Handelspartner des Landes aus. Das mysteriöse Verschwinden des Journalisten Azory Gwanda Ende 2017 ist nur das krasseste Beispiel – daneben stehen noch die dokumentierte Einschränkung der Presse- und Versammlungsfreiheit, ein umstrittenes Gesetz zur Cybersicherheit und der neue Statistics Act, nach dem nur von der Regierung abgesegnete Zahlen veröffentlicht werden dürfen.
Im November 2018 erklärte Magufuli anlässlich der Einweihung der Bibliothek von Daressalam – eines eleganten, ebenfalls von China finanzierten Baus, der in direkter Nachbarschaft eines Konfuzius-Instituts steht: „China ist ein echter Freund, der uns bedingungslos seine Hilfe anbietet. Geschenke sind sehr teuer, vor allem wenn sie aus bestimmten Ländern kommen. Die einzigen, die uns nichts kosten werden, sind die aus China.“ Als Reaktion auf die Verletzung von Freiheitsrechten hatten die USA 2016 eine Fördersumme von 470 Millionen Dollar aus dem bilateralen Entwicklungsfonds Millennium Challenge Account gestrichen.
Tansania und das Nachbarland Sambia gehören zu den wichtigsten afrikanischen Schauplätzen im neuen „Krieg um Einfluss zwischen den beiden wichtigsten Volkswirtschaften der Welt“.4 Während der Pekinger Konsens auf bedingungsloser Hilfe jenseits internationaler Spielregeln und auf von China diktierten Handelsabkommen basiert, knüpfen IWF und Weltbank ihre Kredite immer an Bedingungen, wie Privatisierungen und Kürzung öffentlicher Ausgaben.
Die Trump-Regierung positioniert sich offen gegen China, dem sie eine „schamlose Investitionspolitik in der Region“ vorwirft, um „Wettbewerbsvorteile gegenüber den USA“ zu ergattern, wie Trumps Sicherheitsberater John Bolton am 13. Dezember 2018 vor der Heritage Foundation in Washington erklärte. China sieht sich auch mit dem Vorwurf konfrontiert, „Bestechungsgelder zu verteilen, undurchsichtige Verträge abzuschließen und die Schulden strategisch einzusetzen, um die afrikanischen Staaten den eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu unterwerfen“. Während Peking die Vorwürfe an sich abperlen lässt, verspricht es „zum Nutzen der eigenen Entwicklung zu Afrikas Entwicklung beizutragen“.5
In seiner Rede über die neue Afrika-Strategie der USA sprach Bolton auch über Ostafrika: Die Verschuldung der Staatsbetriebe, vor allem in Sambia, würde die Regierung von Peking abhängig machen. In Lusaka stehen die USA mittlerweile im offenen Krieg mit ihrem chinesischen Konkurrenten. Tansania gehört offiziell zu den vier afrikanischen Ländern (mit Äthiopien, Kenia und Ägypten), die 2015 ausgewählt wurden, um dort chinesische Unternehmen anzusiedeln; Magufuli möchte sein Land bis 2025 in eine „halbindustrialisierte“ Nation verwandeln. Er hofft, dass das verarbeitende Gewerbe bis dahin mindestens 40 Prozent des BIPs ausmacht. Heute sind es weniger als 10 Prozent.
Um dieses Programm zu finanzieren, hat die Regierung der Korruption, der Verschwendung öffentlicher Gelder und dem „Diebstahl in großem Maßstab“, der in der Bergbauindustrie aufgedeckt wurde, den Kampf angesagt. Seinerseits der viertgrößte Goldproduzent Afrikas, hat Tansania die Gesetze zur Vergabe von Abbaulizenzen dahingehend verändert, dass dem Staat das Recht eingeräumt wird, im Fall nachgewiesenen Steuerbetrugs Lizenzen neu zu verhandeln oder zu kündigen.
Das neue Gesetz hat auch das Recht der Unternehmen gestrichen, internationale Schiedsgerichte anzurufen. Der Steuerstreit mit Acacia Mining, einer Tochtergesellschaft des riesigen Barrick-Gold-Konzerns, die beschuldigt wird, ihre Produktion jahrelang unterbewertet zu haben, um Milliarden Dollar Abgaben und Steuern zu sparen, wurde mit einer außergerichtlichen Einigung beendet. Deren Modalitäten müssen noch festgelegt werden. Tansania wird 16 Prozent der Anteile an den drei Goldminen von Barrick Gold und 50 Prozent ihrer Gewinnen erhalten.
Die Politik Magufulis traf zunächst auf Zustimmung. „Aber seit 2016 bewegt sich das Regime allmählich in Richtung Autoritarismus“, erzählt der 42-jährige frühere Abgeordnete Zitto Kabwe, der die linke Allianz für Veränderung und Transparenz (ACT) anführt. Er kritisiert die „patriotische Rhetorik der Regierung, die im Alltag der Tansanier immer noch keine Wirkung zeigt“. Diese Politik „stellt zwar die Grundfrage nach dem Eigentum der Ressourcen, hat aber das Wachstum im Bergbau geschwächt und die Investoren verschreckt, die jetzt befürchten, es mit der tansanischen Justiz zu tun zu bekommen“.
Das Programm von ACT, die „Erklärung von Tabora“, knüpfe direkt an die Erklärung von Arusha von 1967 an. Kabwe bezeichnet diese als Geburtsurkunde des „afrikanischen Sozialismus“, den Nyerere unter dem Begriff Ujamaa zusammengefasst hat. Kabwe will die Grundlagen für „einen Sozialismus tansanischer Art im 21. Jahrhundert“ legen und kritisiert an der Weltbank und dem IWF, dass sie das Bergbaugesetz von 1998 erzwungen hätten, „das die internationalen Konzerne begünstigt und uns in die Schuldenfalle getrieben hat“.
An China kritisiert er wiederum, dass es „in Afrika massiv eigene Interessen durchsetzt“. Man solle sich jedoch vor der primitiven antichinesischen Propaganda hüten, die den westlichen Interessen diene: „Unsere Auslandsschulden haben wir zu 60 Prozent bei den multilateralen Organisationen und nur zu 10 Prozent bei China.“
Andrew Huang, Steuerberater und einer unter vier- bis fünftausend chinesischen Unternehmern, die in Tansania ansässig sein sollen, kam schon Ende der 1990er Jahre ins Land. Er gibt zu, dass die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen im Bergbau manche seiner Landsleute „abgekühlt“ haben, bestätigt aber auch, dass „einige keine Steuern zahlten“. Die Entschlossenheit von Präsident Magufuli würde dem Land guttun, meint Huang, der eine massenhafte Ansiedlung chinesischer Unternehmen prophezeit, die vom Mopedbau bis zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte alles abdecken. „Die Entwicklung Tansanias fängt gerade erst an. Dank Bagamoyo wird Tansania bald das Dubai Afrikas sein.“
2 Siehe Jean-Christophe Servant, „Weiße Elefanten in der Grauzone“, LMd, Mai 2005.
5 „La Chine contribuera au développement de l’Afrique“, Xinhua News, 8 Mai 2018.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Jean-Christophe Servant ist Journalist.