07.02.2019

Peace Now

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Die Kritik jüdischer US-Bürger an Netanjahu

von Eric Alterman

Junge US-amerikanische Juden unterstützen heute eher regierungskritische Organisationen GIDON AVI-NAARI/reuters
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Bei der Eröffnung der neuen US-amerikanischen Botschaft in Jerusalem waren unter den Gästen auch zwei Pastoren. Der eine, John Hagee, hält Hitler für einen „Jäger Gottes“1 , und der andere, Robert Jeffress, glaubt, dass alle Juden in die Hölle kommen.

Die beiden zählen zu den Wortführern der politisch weit rechts stehenden christlichen Zionisten und damit zu den zuverlässigsten proisraelischen Stimmen in den USA.2 Auch das jüdische ­Unternehmerpaar Sheldon und Miriam Adelson, Betreiber einer Kette von Spielkasinos, war bei der Botschafts­ein­weihung zugegen. Die beiden haben der Republikanischen Partei 2016 mindestens 80 Millionen und 2018 geschätzte 113 Millionen US-Dollar gespendet.3

Weitgehend abwesend und größtenteils nicht eingeladen waren dagegen jüdische Mitglieder der Demokratischen Partei, obwohl die Demokraten seit Jahr und Tag bei jeder Wahl, auch bei den Midterms vom letzten November, zwischen 70 und 75 Prozent der jüdischen Stimmen erhalten.

Donald Trump und Benjamin Netanjahu genießen nicht nur die Wertschätzung der christlichen Zionisten und die Unterstützung durch die Adelson-Millionen. Beide tun sich auch als lautstarke Kritiker der freien Presse hervor, bemühen regelmäßig Verschwörungstheorien, um ihre eigenen Misserfolge zu erklären, und stehen den erstarkenden neonazistischen Tendenzen in Europa und den USA mit einer (im Falle Netanjahus besonders) erschreckenden Gleichgültigkeit gegenüber.

In den letzten Tagen seines Präsidentschaftswahlkampfs ließ Trump einen Werbespot schalten, in dem behauptet wurde, der Philanthrop ­George Soros, Lloyd Blankfein, der CEO von Goldman Sachs, und Janet Yellen, Chefin der US-Notenbank, strebten heimlich die Weltherrschaft an.

Als im Sommer 2017 Neonazis durch Charlottesville in Virginia marschierten und dabei „Wir lassen uns von Juden nicht vertreiben“ skandierten, machte Trump in dem Mob „sehr anständige Leute“ aus, und Netanjahu ließ sich drei Tage Zeit, bis er etwas zu den Ereignissen in Charlottesville verlauten ließ. Er postete einen einzigen Tweet, in dem Trump namentlich nicht genannt wurde.

Danach überließ er es, wie so oft, seinem Sohn Yair, die Sache unter dem politischen Radar hindurch an seine politische Basis zu vermitteln. Netanjahu junior erklärte kurzerhand, diese gewalttätigen Nazis gehörten der Vergangenheit an: „Es ist eine aussterbende Spezies. Aber die Schläger der Antifa4 und von Black Lives Matter, die mein Land und meiner Ansicht nach auch Amerika hassen, gewinnen immer mehr Macht und beherrschen die US-amerikanischen Universitäten und das öffentliche Leben dort.“

Als am 27. Oktober 2018 ein geistesgestörter Trump-Anhänger in einer Synagoge in Pittsburgh 11 Menschen ermordete, eilten mehrere Mitglieder von Netanjahus Regierung unaufgefordert zum Schauplatz des Verbrechens, um Trump und seine Hassrhetorik von jeder Verantwortung freizusprechen.

Wie vorherzusehen, verorteten sie die Schuld bei den Linken. Der rechtsex­treme Minister für die Diaspora, Naftali Bennett, stellte die Statistik der Anti-Defamation League infrage, nach der es seit Trumps Amtsantritt zu einem alarmierenden Anstieg von Antisemitismus und neonazistischer Agitation gekommen sei. Beweise blieb er schuldig. Der israelische Botschafter in den Vereinigten Staaten, Dani Dayan, nutzte die Gelegenheit, um den britischen Labour-Chef Jeremy Corbin des Antisemitismus zu bezichtigen, schwieg sich jedoch über Trump aus.

Alle diese Verlautbarungen standen in deutlichem Kontrast zu dem feierlichen Schweigemarsch, mit dem die Pittsburgher Juden gegen Trump protestierten. Am 3. November wandte sich der Rabbiner der betroffenen Synagoge, Jeffrey Myers, direkt an Trump und erklärte: „Mister President, hasserfüllte Reden führen zu hasserfüllten Taten. Hassreden führen zu dem, was in meinem Gotteshaus geschehen ist.“

Fast alle neueren Umfragen bestätigen die Ansicht des Wall Street Journal,5 dass Israel und die US-amerikanischen Juden immer weiter auseinanderdriften. Während die israelische Regierung sich politisch der republikanischen Rechten angenähert hat, gehört die Loyalität der einheimischen Juden unverrückbar den Demokraten. Viele jüdische Israelis hassten Obama und lieben Trump, bei den jüdischen US-Amerikanern ist es genau umgekehrt. Die Mehrheit der Israelis steht entschlossen hinter dem Siedlungsbau auf palästinensischem Gebiet und der Besetzung des Westjordanlands auf unbestimmte Zeit.

Der Zwiespalt zwischen einer linksliberalen Politik und dem Wunsch, Israel zu unterstützen, ist für die US-amerikanischen Juden nichts Neues. Vor 1948 spielte die Vorstellung von einem jüdischen „Volk“, verkörpert durch den Staat Israel, kaum eine Rolle. Vor allem den aus Deutschland eingewanderten einflussreichen und wohlhabenden Juden bereitete diese Idee eher Bauchschmerzen. Diese Leute gehörten meist nichtzionistischen Reformgemeinden an, die das Judentum ausschließlich als Religion begriffen und keinen Zweifel an ihrem US-amerikanischen Patriotismus aufkommen lassen wollten. Aber auch die extrem religiösen Juden lehnten den Zionismus ab, weil das neue Königreich der Juden ihrer Ansicht nach eine Sache Gottes und nicht der Menschen war.

Zwischen 1948 und dem Einmarsch Israels im Libanon 1982 übertönte das Schweigen die Kritik am Staat Israel. Im Allgemeinen stärkten US-amerikanische Juden, darunter namhafte Journalisten, Akademikerinnen, Politiker und Künstlerinnen, Israel den Rücken und übergingen die wenigen abweichenden Stimmen vonseiten der Linken. Der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky und der (1989 verstorbene) Journalist I .F. Stone kritisierten immer wieder Israels Umgang mit der arabischen Minderheit und warfen der israelischen Regierung vor, die Augen vor der 1948 geschaffenen palästinensischen Flüchtlingskrise zu verschließen.

Der Sechstagekrieg von 1967 wurde von den Juden in den USA, die nach Nassers rhetorischen Ausfällen einen „zweiten Holocaust“ befürchteten, fast ausnahmslos mit Begeisterung aufgenommen. Rabbi Arthur Hertzberg schrieb zwei Monate später, die Krise habe sie „in einem tieferen jüdischen Zusammengehörigkeitsgefühl vereint als je zuvor, und dieses Gefühl auch in vielen Juden wachgerufen, die vordem davon ganz unberührt schienen. Dieses Phänomen lässt sich nicht mit herkömmlichen westlichen, theologischen Begriffen erklären. Die meisten heutigen Juden haben dieses Gefühl, ohne dass sie es genau definieren könnten. Israel wirkt heute wie ein Brennglas, das weltweit die jüdische Loyalität auf sich zieht und auf diese Weise eine jüdische Identität bewahrt.“6

Ein Teil der linken jüdischen Jugend vertrat demgegenüber die revolutionäre Auffassung, dass Palästina, Viet­nam, Algerien, Kuba und sogar das schwarze Amerika Teil ein und desselben antiimperialistischen Kampfs seien (siehe nebenstehenden Artikel), aber diese Ansichten wurden weder von jüdischen Organisationen noch in den Synagogen geteilt.

Die Verhältnisse begannen sich ab dem Jahr 1977 zu ändern, als Mena­chem Begin mit seiner Likud-Partei bei den Wahlen den Sieg über die alten Zio­nisten der Arbeiterpartei errang. Die großen Figuren der Arbeiterpartei, die als Soldaten, Gelehrte, Sozialisten, Kibbuzniks – oft alles auf einmal – „die Wüste zum Blühen gebracht“ und die junge Nation mit Maschinengewehren verteidigt hatten, galten in der US-amerikanischen jüdischen Community als Helden.

Begin war von diesem Ideal weit entfernt. Seine altväterliche Förmlichkeit und sein Unvermögen, auch nur ein einziges freundliches Wort über die Araber und ihre angeblich rückständige Lebensweise zu verlieren, während er offen für die Siedler Partei ergriff, erschütterte die bisherige Sicht auf Israel bis in die Grundfesten. Der Einmarsch im Libanon 1982 und die Massaker in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila vertieften diesen Bruch.

Für Israel und gegen die Besatzung

Zu dieser Zeit waren in der Berichterstattung der großen US-Medien erstmals israelkritische Töne zu hören. In der New York Times erschienen nun Kommentare, in denen die Belagerung Beiruts auch von prominenten Rabbinern verurteilt wurde. Jüdische Journalisten wie der Times-Kolumnist Anthony Lewis, der von Edward Saids Stellungnahme „The Question of Palestine“ sehr beeindruckt war, nahm sich auf den Meinungsseiten der Sache der Palästinenser an.

Linksliberale Zeitschriften wir The Nation und die New York Review of Books bezogen Position gegen politische Magazine wie The New Republic (dessen Eigentümer und Herausgeber der rechte Zionist Martin Peretz war) und vor allem gegen die dem American Jewish Committee gehörende und von dem Neokonservativen Norman Podhoretz herausgegebene Zeitschrift Commentary. Auch die enge militärische und geheimdienstliche Zusammenarbeit Israels mit Südafrika und verschiedenen lateinamerikanischen Diktaturen trug zur Entfremdung der progressiven Juden in den USA von Israel bei.

Seither bemühen sich jüdische Neokonservative in den USA darum, ihre Brüder und Schwestern von ihrer Sympathie für die Demokratische Partei abzubringen und zur Unterstützung Israels zu bewegen. Schon 1967 fragte Milton Himmelfarb in Commentary: „Sind die Juden noch progressiv?“ Und 2008 legte Podhoretz noch einmal in Buchlänge nach: „Warum sind Juden progressiv?“7

Die Linksliberalen Juden, schreibt er, hätten eine irrige Vorstellung von ihrem Platz in der Gesellschaft und davon, wer die wahren politischen Freunde Israels seien. 2012 schließlich startete die Republican Jewish Coalition eine Kampagne mit dem Namen „My Buyer’s Remorse“, um liberale US-amerikanische Juden zum Umdenken zu bewegen. (Buyer’s Remorse ist in den USA als politisches Schlagwort zumal in Wahlkämpfen durchaus gebräuchlich.) Die Kampagne wurde von den Adelsons finanziert und hatte kaum Erfolg.

2013 startete das Pew Research Center ein Forschungsprojekt zu Religion und öffentlichem Leben, das die bislang umfassendste Untersuchung zu den Ansichten US-amerikanischer Juden werden sollte.8 Die große Mehrzahl der Befragten definierte die eigene kollektive Identität als Juden durch eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren: Religiöse Bräuche und ein Gefühl der Identifikation mit der jüdischen Gemeinde zählten dazu ebenso wie humanistische Werte, die Aufrechterhaltung der Erinnerung an den Holocaust, eine emotionale Bindung an Israel, die koschere Küche und ein ganz spezieller Humor. Was in diesem Katalog jedoch nicht auftauchte, war ein Bekenntnis zu politisch konservativen Überzeugungen.

Die Bindung an Israel, die seit Jahren ohnehin immer mehr verblasst, war unter jungen Leuten am schwächsten: 25 Prozent der Befragten im Alter zwischen 18 und 29 Jahren waren der Ansicht, dass die USA Israel zu stark unterstützen. Neuere Pew-Umfragen haben ergeben, dass linke Demokraten auf die Frage, ob sie eher mit Is­rael oder den Palästinensern sympathisierten, vor 18 Jahren noch mit einem Vorsprung von 30 Prozentpunkten für Israel votierten, während ihre Sympathien heute mit einem erstaunlichen Abstand von 16 Prozentpunkten aufseiten der Palästinenser liegen.

Die israelische Regierung scheint inzwischen die Ansicht zu vertreten, dass sie die Unterstützung des US-amerikanischen Judentums entbehren kann, da sie auf Trump und die extreme Rechte in aller Welt zählen kann. Aber den Organisationen junger US-amerikanischer Juden wie If Not Now und J Street U schließen sich immer mehr Mitglieder an, die die Besatzung mindestens genauso stark ablehnen, wie sie Israel lieben. Sie lesen die liberale israelische Zeitung Haaretz und setzen ihre Hoffnung in Partnerschaften mit Gruppen wie Breaking the Silence, New Israel Fund, B’Tselem, Molad, Peace Now und das hervorragende binationale Internetmagazin +972. Nach Auffassung von Israels derzeitiger Regierung stehen alle diese Gruppen hart an der Grenze zum Hochverrat.

1 Siehe David Usborne, „McCain forced to ditch pastor who claimed God sent Hitler“, The Independent, London, 24. Mai 2008.

2 Siehe Ibrahim Warde, „Which God is on whose side?“, LMd (London), September 2002.

3 Devin O’Connor, „Casino tycoon Sheldon Adelson threa­tens to cut off Republican Party following midterm losses“, Casino.org, 5. Dezember 2018.

4 Autonome, linksradikale und antifaschistische Gruppen in den USA, die zu gemeinsamen direkten ­Aktionen aufrufen.

5 Siehe William A Galston, „The fracturing of the Jewish people“, The Wall Street Journal, New York, 12. Juni 2018.

6 Zitiert in Edward S. Shapiro, „A Time for Healing: American Jewry since World War II“, Baltimore (The Johns Hopkins University Press) 1992.

7 Norman Podhoretz, „Why Are Jews Liberal?“, New York (Random House) 2009.

8 „A portrait of Jewish Americans“, Pew Research Center, Washington, D. C., 1. Oktober 2013.

9 „Republicans and Democrats grow even further apart in views of Israel, Palestinians“, Pew Research Center, 23. Januar 2018, www.people-press.org.

Aus dem Englischen von Robin Cackett

Eric Alterman ist Kolumnist bei The Nation und Professor für Englisch und Journalismus am Brooklyn College der City University of New York (CUNY).

Le Monde diplomatique vom 07.02.2019, von Eric Alterman