10.01.2019

Reich und dreckig

zurück

Reich und dreckig

Soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz gehören zusammen – das zeigt der gemeinsame Protest von Umweltschützern und Gelbwesten in Frankreich

von Phillipe Descamps

Die reichsten 10 Prozent sind für 45 Prozent der weltweiten ­Emissionen verantwortlich MICHEL EULER/ap
Audio: Artikel vorlesen lassen

Am Vorabend der Demos vom 8. Dezember 2018 warnte der Élysée-Palast mit dramatischen Worten vor einem „harten Kern von mehreren tausend Personen“, die auf dem Weg nach Paris seien, „um zu zerstören und zu töten“. Das herausragende Ereignis des Tages war dann aber, dass die Gelbwesten in vielen Städten Seite an Seite mit den Umweltschützern marschierten. Beide sind sich einig in ihrer Kritik an einem System, das den Menschen zu einer Gefahr sowohl für Seinesgleichen als auch für die Umwelt macht. In einer Welt mit begrenzten Ressourcen ist die Absurdität der unbegrenzten Akkumulation zugunsten weniger besonders für diejenigen offensichtlich, deren Geld nicht bis zum Monatsende reicht.

Doch anstatt für die Klimaziele zu werben, fing die Regierung Macron an zu schimpfen – auf die Schwächsten zuerst. Dabei ist es doch so: Seit den 1950er Jahren hat die Politik den Straßenverkehr gefördert, Werbung und Industrie haben den Pkw zum unverzichtbaren Attribut des modernen Menschen erhoben. Nun aber soll einzig und allein der Autofahrer für die Folgen den Kopf hinhalten. Die angekündigte (inzwischen unter dem Druck der Straße aufgegebene) Steuer auf fossile Kraftstoffe hätte theoretisch alle gleichermaßen belastet, doch die gleichzeitig steigenden Fixkosten (Miete etc.) treffen vor allem die Ärmsten, während es für die Reichsten Geschenke regnet. Der Gipfel der Verlogenheit war das von Macron geforderte „ökologische Steuer­system“, dem die notwendige Energiewende nur als Vorwand diente, die Arbeitgeber von einem Teil der Sozialbeiträge zu befreien.

An der Dringlichkeit einer Energiewende besteht kein Zweifel mehr. Der Weltklimarat (IPCC) erinnert in seinem letzten Bericht daran, dass der Mensch seit Beginn des Industriezeitalters bereits eine Erwärmung der Erdoberfläche von etwa einem Grad verursacht hat. Wenn es im selben Tempo weitergeht, erreichen wir zwischen 2030 und 2052 1,5 Grad. Die Folgen wären dann nur noch schwer zu beherrschen.1 Trotzdem steigt der Ausstoß von Treibhausgasen noch immer, obwohl man unverzüglich ihre Reduzierung einleiten müsste.

Die USA allein sind für 26,3 Prozent aller seit dem Beginn des In­dus­trie­zeitalters ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich, es folgen Europa mit 23,4, China mit 11,8 und Russland mit 7,4 Prozent. 2014 pustete ein Katarer im Durchschnitt 34 500 Kilogramm Kohlendioxid in die Luft, ein Luxemburger 17 600, ein US-Amerikaner 16 400, ein Tadschike 625 und ein Bewohner des Tschad nur 53.2 Jeder Amerikaner, Luxemburger oder Saudi, der zum einen Prozent der Reichsten seines Landes gehört, stößt sogar 200 Tonnen im Jahr aus. Das ist mehr als das Zweitausendfache eines armen Bewohners von Honduras oder Ruanda. Die ­reichsten 10 Prozent sind für 45 Prozent der Emissionen verantwortlich.3

Wenn man um den CO2-Fußabdruck dieser Übeltäter weiß und die Produktionsweise kennt, die sie ungestraft so reich werden ließ, kommen einem ganz andere Ideen, wie eine wünschenswerte Energiewende aussehen könnte; eine Umweltpolitik, die tatsächlich auf breite Zustimmung stößt, statt mit hohen Kosten für Energie und Transport vor allem die armen Haushalte zu belasten. Wir müssten dafür nur die ideologische Zwangsjacke ablegen, die in den Freihandelsverträgen wie denen der Europäischen Union eine juristische Form bekommen hat und die die Bürger daran hindert, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Zunächst müssten die Ungleichheit und ihre Ursachen drastisch verringert werden (siehe Artikel auf Seite 3). Nur so könnten wir einen gemeinsamen Willen und einen kollektiven Elan entwickeln, um uns von den fossilen Ener­gien und unserem Konsumverhalten zu befreien. Zweitens wäre eine Deglobalisierung im Sinne einer Regulierung des Handels nach sozialen und ökologischen Kriterien notwendig. Die Produktion von Gütern und Dienstleistungen müsste mit der Reproduktion der Ökosysteme kompatibel sein.

Jair Bolsonaros Brasilien und jedes andere Land, das mit dem Gedanken spielt, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, würde es sich zweimal überlegen, wenn dafür Handelssanktionen drohten. Frankreich würde wahrscheinlich weniger Baumrinde nach China exportieren und weniger Möbel importieren, wenn die Löhne und Umweltnormen in beiden Ländern vergleichbar wären und der besonders giftige Schiffsdiesel ebenso besteuert würde wie Benzin.

Wie ist es zu rechtfertigen, dass dem Flugzeug – das schmutzigste Transportmittel überhaupt – durch die Mehrwertsteuerfreiheit für Kerosin ein Wettbewerbsvorteil eingeräumt wird? Warum wird der Im- und Export von industriell hergestellten Lebensmitteln weiterhin gefördert, anstatt regionalen Produkten und dem Übergang zur biologischen Landwirtschaft den Vorzug zu geben? Die Lösung des Problems liegt nicht in der Hand des Konsumenten: Wenn strenge Regulierungen und eine intensive Aufklärungsarbeit fehlen, ist die Mehrheit zum Verzehr von Fastfood verurteilt, während Bio der Elite vorbehalten bleibt.

Sparsamkeit, Energieeffizienz, Förderung erneuerbarer Energien: Möglichkeiten, sich vom CO2 zu befreien, gibt es genug, es fehlt nur an Investitionen. Auf die Privatwirtschaft kann man dabei nicht zählen. Trotz guter Bedingungen – Senkung der Körperschaftssteuer in vielen europäischen Ländern und großzügige Kreditfazilitäten für Privatbanken (2600 Milliarden Euro für Anleihenkäufe in weniger als vier Jahren) – zahlen sie lieber Rekorddividenden an ihre Aktionäre aus, anstatt zu investieren. Gleichzeitig verhindern EU-Verträge öffentliche Investitionen, und die Kaufkraft wird durch die Reduzierung der Arbeitskosten gemindert. Die Finanzierung der Energiewende endet in einer Sackgasse.

Das anschaulichste Beispiel für die Kluft zwischen erklärten Absichten und realem Handeln ist das Wohnen. 2007 gab es einen runden Umwelttisch, der einstimmig die Wichtigkeit von energetischen Sanierungen anerkannte. Im März 2013 wurde ein nationaler Fahrplan lanciert, dessen Umsetzung jedoch stockt. Bei den Verordnungen zur Wohnförderung, Raumordnung und Digitalisierung (Loi Elan) vom 23. November 2018 wurde nur sehr wenig davon konkret umgesetzt. Fast 7 Millionen Franzosen wohnen in ungedämmten Häusern und leiden unter den hohen Energiekosten.4

Die Sanierung würde den Komfort erhöhen, die Kosten ebenso drastisch reduzieren wie den CO2-Ausstoß und zudem hunderttausende Arbeitsplätze schaffen. Aber die Investitionen sind zu groß, die Amortisierung dauert zu lange und die technische Umsetzung ist zu komplex, als dass die privaten Haushalte selbst dafür aufkommen könnten. Nur staatliche oder halbstaatliche Investoren wie Wohnungsbauämter oder die Caisse des Dépôts (CDC, staatliches Finanzinstitut) könnten das Versagen des Privatsektors ausgleichen und Einzel- oder Gemeinschaftseigentümer unterstützen.

Die sogenannte Steuergutschrift für Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (CICE) war das wichtigste Instrument der Wirtschaftspolitik unter Präsident Hollande. Unter seinem Nachfolger dienst sie nur dazu, die Sozialbeiträge zu senken. Macron verpflichtet die Unternehmen zu nichts: weder dazu, ihre Gewinne wieder in die Realwirtschaft oder in die ökologische Wende zu investieren, noch sie zur Reduzierung der eigenen Energie- und Rohstoffkosten einzusetzen.

Trotz der Proteste der Gelbwesten und der Ernüchterung seiner Wähler beharrt Macron auf seinem offenbar wichtigsten Ziel: Begünstigung der großen Vermögen und der vermeintlichen Investoren. Der drohende Klimawandel erfordert staatliches Handeln, aber dafür muss der Staat zunächst aus den Fängen der Lobbygruppen befreit werden, und die Bürgerinnen und Bürger müssen wieder mehr Mitbestimmungsrechte haben. Die vielfältigen, miteinander verbundenen Probleme verlangen weit mutigere Schritte als die angekündigte „nationale Debatte“.

Das Pariser Klimaabkommen skizzierte eine vorsichtige Form multilateraler Planung. Die UN-Klimakonferenz in Katowice im Dezember 2018 hat ein Regelwerk für ihre Umsetzung verabschiedet. Mit seiner Hilfe wird man messen können, ob die Länder sich beim Ausstoß von Treibhausgasen an ihre jeweiligen Selbstverpflichtungen halten. Doch diese Verpflichtungserklärungen reichen bei Weitem nicht aus. Ohne eine schnelle ökologische Wende wird die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts die 3-Grad-Grenze überschreiten. Ein unerträgliches Szenario, vor allem für die Länder des Globalen Südens. Ein grüner Klimafonds soll diese Länder unterstützen. Die vergleichsweise bescheidenen Einlagen von 100 Milliarden Dollar im Jahr sind jedoch noch lange nicht erreicht.

In Frankreich ist es mit der Klimagerechtigkeit nicht weit her, das hat der Protest der Gelbwesten gezeigt. Im Weltmaßstab sind wir noch weiter von ihr entfernt.

1 „Global Warming of 1.5 °C“, „Summary for policymakers“, Sonderbericht des IPCC, Genf, 2018, www.ipcc.ch.

2 „CAIT Climate Data Explorer 2015“, World Resources Institute, Washington, D. C., www.cait.wri.org.

3 Lucas Chancel und Thomas Piketty, „Carbone et inégalité: de Kyoto à Paris“, École d’économie de Paris, 3. November 2015. Oxfam gelangt zu ähnlichen Schätzungen: „Extreme Carbon Inequality“, Oxford, 2. Dezember 2015.

4 „Le tableau de bord 2018“, Observatoire national de la précarité énergétique, 2018, www.onpe.org.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Le Monde diplomatique vom 10.01.2019, von Phillipe Descamps