08.11.2018

Im Dienst der Mais-Giganten

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Im Dienst der Mais-Giganten

Das neue Handelsabkommen USMCA macht die Kleinbauern aller drei Länder erneut zu Verlierern

von Laura Carlsen

Mexiko City vor zehn Jahren: Damals ging es gegen Nafta EDUARDO VERDUGO/ap
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Das Beste, was man über die Neuverhandlung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) zwischen den USA, Mexiko und Kanada sagen kann, ist, dass sie vorüber ist. Als das Werk am 30. September nach elfstündigem Verhandlungsmarathon vollbracht war, dürften alle drei Staats- und Regierungschefs einen Seufzer der Erleichterung von sich gegeben haben. 14 Monate hatten die beschwerlichen und oft bissig geführten Verhandlungen gedauert, die am Ende zu dem Dreierabkommen führten.

Vor allem US-Präsident Donald Trump benötigte vor den Kongresswahlen im November einen Erfolg – oder zumindest etwas, das er als Erfolg verkaufen konnte. Im Präsidentschaftswahlkampf von 2016 hatte er verkündet, er werde Nafta reparieren oder „in Stücke reißen“. Für den republikanischen Präsidenten war es eminent wichtig, ein Abkommen noch vor den Kongresswahlen zu erreichen, zumal sich der Handelskrieg mit China verschärft.

Kanadas Premierminister Trudeau geriet in der letzten Verhandlungsrunde ins Abseits und musste sich wieder ins Spiel bringen, um zu verhindern, dass der Dreierprozess in bilaterale Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko zerfällt und Trump seine Drohung mit Autozöllen ins Spiel bringt.

Mexikos kaum mehr handlungsfähiger Präsident Peña Nieto verfolgte im Grunde nur ein Ziel, nämlich kurz vor dem Ende seiner Amtszeit noch einen Verhandlungserfolg zu erringen. Dabei war ihm klar, dass sein Schmusekurs mit Trump seinen politischen Ruf vollends ruinieren musste, weil bei den Mexikanern jeder US-Präsident verhasst ist. Jetzt wollte er seiner Na­tion immerhin sagen können, dass sich das Stiefellecken ausgezahlt hat. Für den bereits gewählten neuen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador wiederum hat ein von seinem Amtsvorgänger beschlossener Deal den Vorteil, dass er nicht gleich die nervösen Reaktionen der Finanzmärkte zu spüren bekommt.

Der Text ist mittlerweile veröffentlicht. Die ersten Analysen liegen vor, und das Schlachtgeschrei ist verstummt. Wie also sieht das Ergebnis aus?

Zunächst einmal hat es einen neuen Namen. Für den US-Präsidenten war es wichtig, die belastete Bezeichnung Nafta loszuwerden. Trump geht es ja ohnehin oft mehr um das Etikett eines Gesetzespakets als um dessen Inhalt.

Doch die Umbenennung des North American Free Trade Agreement in ­United States-Mexico-Canada Trade Agreement (USA-Mexiko-Kanada-Handelsabkommen, USMCA) ist mehr als eine reine Umetikettierung.

Aus dem neuen Namen sind die Begriffe Freihandel und Nordamerika verbannt. Beide sind für den ultrarechten Flügel der Republikaner deshalb brisant, weil die Partei viele Wähler aus der Arbeiterschaft mit der Aussage gewonnen hat, Nafta sei ein Frontalangriff auf die nationale Souveränität der USA und den US-Arbeitsmarkt. Als Trump das USMCA vorstellte, betonte er immer wieder: „Dies ist kein aufgewärmtes Nafta-Abkommen. Dies ist ein nagelneuer Deal.“

Ob man das Ganze als neuen Deal sieht, kommt auf die Perspektive an. Trump pries ihn mit der ihm eigenen schamlosen Überheblichkeit als „das modernste, aktuellste und ausgewogenste Handelsabkommen in der Geschichte unseres Landes“.1 Die Kommentatoren von Fox News jubelten, der Deal würde den Welthandel revolutionieren und „eine neue Welthandelsordnung“ schaffen.2

Angesichts der Kapitel, die größtenteils unverändert aus dem alten Nafta-Abkommen übernommen wurden, sehen viele Experten das USMCA allerdings nur als umgetauftes Nafta-Abkommen. Andere Beobachter sehen schlicht viele Regelungen der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) aufgewärmt, aus der Trump kurz nach seinem Amtsantritt ausgestiegen ist.

Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Das USMCA kombiniert fortschrittliche Elemente mit Klauseln, die verheerende Folgen für viele Menschen nach sich ziehen könnten, wobei zahlreiche Wirkungen noch gar nicht zu ermessen sind. Eine solche gemischte ­Diagnose ist – zumal in Zeiten der Vereinfachung und politischen Polarisierung – nur schwer zu vermitteln. Eine differenzierte Analyse ist dennoch wichtig, schon um zu verstehen, wie es weitergehen könnte.

Das neue Abkommen betont das Prinzip der nationalen Souveränität, indem das Recht der Vertragsparteien, ihre eigene Politik zu verfolgen, explizit anerkannt wird. Ein erstes Resultat ist, dass ein Großteil des Kapitels 11 zum Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren gestrichen wurde, was einen wichtigen Fortschritt darstellt (siehe dazu den oben stehenden Text von Lori Wallach).

Die größten Fortschritte bringt das Abkommen im Kapitel Arbeitsrecht, wo explizit die Einhaltung der Standards der Internationalen Arbeitsorganisa­tion (ILO) und internationaler Konventionen gefordert wird. Hinzu kommt ein Anhang mit detaillierten Maßnahmen, die zum einen die Abschaffung sogenannter Protection Unions (also unternehmerabhängiger Gewerkschaften) vorsehen und zum anderen echte Tarifverhandlungen auch südlich des Rio Bravo, sprich in Mexiko.

Abzuwarten bleibt die Wirksamkeit der Klausel, dass 40 bis 45 Prozent der Teile eines Fahrzeugs von Arbeitern hergestellt sein müssen, die mindestens 16 US-Dollar pro Stunde verdienen. Bislang bekommt ein mexikanischer Arbeiter in dieser Branche allenfalls 4 Dollar. Es erscheint unwahrscheinlich, dass die Autohersteller in Mexiko – in der Mehrzahl US-Unternehmen – die Löhne sofort vervierfachen. Ob die Reformen zu Lohnerhöhungen in Mexiko führen und den Unterbietungswettlauf abbremsen werden, hängt vor allem von López Obrador ab. Er hat bereits versprochen, viele Maßnahmen umzusetzen, die im Abkommen genannt werden.

Zu den Verlierern des USMCA sind schon jetzt die Kleinbauern in allen drei Ländern zu zählen. Dagegen gehören die großen US-Milchbetriebe zu den Gewinnern. Sie profitieren von einem erweiterten Zugang zu den kanadischen Milch- und Geflügelmärkten. Das Land hat bislang ein System der Angebotsbegrenzung betrieben, das auskömmliche Preise für die Produzenten und eine Importbegrenzung bedeutet. Das neue Abkommen schafft dieses System zwar nicht ab, ermöglicht aber erhöhte Einfuhren. Die kanadische Milch­indus­trie befürchtet deshalb einen „Tod auf Raten“.3

Der Deal stellt zudem sicher, dass der mexikanische Markt weiter für ­Mega-Maisproduzenten aus dem Mittleren Westen offen bleibt, was für Agrar­unternehmen wie Cargill und Archer Daniels Midland (ADM) überlebenswichtig ist. Das bedeutet aber nicht, dass die Endfassung des Abkommens auch bei den bäuerlichen Familienbetrieben in den USA auf Begeisterung stoßen wird. Deren Interessenvertreter erklären, dass die Kleinfarmer „seit Jahrzehnten eine andere Art des Handels fordern“: nach Regeln, die „solide, nachhaltige sowie faire Lebensmittelsysteme fördern und die ländliche Wirtschaft unterstützen“. Mit dem USMCA werde keines dieser Ziele erreicht.4

Ähnliche Bedenken haben die mexikanischen Kleinbauern. Sie sind wegen der Importe subventionierter US-Produkte die großen Nafta-Verlierer. Die Bauernvereinigung Plan de Ayala, die sich für die bäuerliche Landwirtschaft einsetzt, kritisiert drei existentenzbedrohende Punkte: mangelnde Begrenzung der strategischen Lebensmittelimporte; unzureichender Schutz des geistigen Eigentums an traditionellen Anbaumethoden und Saatgut; Förderung des Anbaus genetisch veränderter Organismen.

„Das Abkommen spielt ausschließlich den großen US-Produzenten in die Hände“, erklärt der Sprecher der Bauernvereinigung, Ernesto Ladrón. „Unser Ziel ist die Selbstversorgung mit Lebensmitteln. Doch dieses Abkommen schickt uns mit rasanter Geschwindigkeit in die entgegengesetzte Richtung.“

Ein weiterer gewaltiger Nachteil ist, dass viele Leute ihr Recht auf bezahlbare Arzneimittel verlieren. Die USA haben sich mit ihrer Forderung durchgesetzt, die Laufzeit von Patenten auf biologische Medikamente auf zehn Jahre zu verlängern und die Erneuerung abgelaufener Arzneimittelpatente zu erlauben. Die US-Pharmaindustrie darf also mit noch höheren Gewinnen rechnen, während die Patienten gleich doppelt benachteiligt sind: Die Gesundheitsversorgung verschlechtert sich, und zugleich werden die Medikamente teurer. Mit anderen Worten: Viele arme Menschen werden früher sterben.

Pyrrhussiege für Mexiko und Kanada

Im Nafta-Nachfolgeabkommen sind zudem wichtige Bereiche ausgespart, die unbedingt einer Regelung bedurft hätten. Im Zuge einer nachhaltigen regionalen Integration müssen die weitreichenderen globalen Trends angegangen werden, die ein gutes Leben auf unserem Planeten bedrohen – wie der Klimawandel, die Ungleichheit, die Ausbeutung der Bodenschätze, die Gründung von Steueroasen sowie die internationale Finanzspekulation.

Im neuen Text ist zum Beispiel an keiner Stelle von Migration die Rede. Dabei war es gerade die Durchsetzung eines normativen Systems, das die Freizügigkeit des Kapitals erleichtert, zugleich aber die Freizügigkeit der Arbeitskräfte erschwert, das Migrationsströme produzierte, die auch durch die Jagd auf „illegale“ Grenzverletzer nicht einzudämmen sind.

Das Genderthema taucht lediglich in einem Absatz zur Diskriminierung am Arbeitsplatz auf. Dabei hat Kanada aufgrund der 20-jährigen Erfahrungen mit dem Nafta-Abkommen schon ganz früh ein gesondertes Kapitel über die Gleichstellung der Geschlechter gefordert. Auch ein anderes Thema, das für Kanada bedeutsam ist, wird nur an einer Stelle kurz behandelt. Dort heißt es über die Rechte der indigenen Völker: „Keine Bestimmung in diesem Abkommen darf eine Vertragspartei daran hindern, Maßnahmen zu verabschieden oder aufrechtzuerhalten, die sie zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber indigenen Völkern für erforderlich hält.“

Vom Abkommen unangetastet bleiben die Stahl- und Aluminiumzölle der USA, die gegenüber Kanada und Mexiko verhängt wurden. Eigentlich hätte man erwarten können, dass die Trump-Administration diese Zölle im Zuge eines solchen regionalen Abkommens aufhebt. Doch offensichtlich hält sie an diesem Instrument fest, um ihre Interessen abzusichern. Das verweist auf ein weiteres Problem: Solche Abkommen aus dem Hause Trump sind nicht so sehr „Free Trade“-Abkommen als vielmehr „Me Trade“-Deals. Dieses Machtgefälle zwischen den drei Partnern zeigt sich auch in diesem Text, selbst wenn Kanada und Mexiko einige Pyrrhussiege auf zweitrangigen Feldern beanspruchen können.

Vor allem aber ist das Hauptpro­blem nicht beseitigt. Das im Nafta-Abkommen verankerte neoliberale Modell unbeschränkter Kapitalmobilität wird mit dem USMCA-Abkommen perpetuiert. Donald Trumps großspuriger ­Anspruch, einen besseren Deal für Amerika durchzusetzen, verschleiert die Tatsache, dass die mächtigste Volkswirtschaft der Welt noch nie zu kurz gekommen ist. Die Geschäfte der großen Multis auf den internationalen Märkten gehen stets auf Kosten der kleinen Leute – und zwar grenzüberschreitend. Die Trump’sche Politik, die eine protektionistische Drohkulisse aufbaut und gleichzeitig auf einen neoliberalen Marktradikalismus setzt, bedeutet keineswegs notwendige Korrekturen an dieser Doktrin, sondern ­lediglich eine inkohärente Handelspolitik.

Kein Handelsabkommen wird je die unfairen und ungerechten Strukturen beseitigen, die für die Volkswirtschaften Nordamerikas kennzeichnend sind. Für die Bewertung des USMCA-Abkommen ist deshalb die Frage entscheidend, ob es den Kampf erleichtert, den Bürgerinitiativen gegen die Ungerechtigkeit und für die Rechte von Arbeitnehmern, Verbrauchern, Frauen und indigenen Völkern führen. Der vorliegende Text lässt die Antwort auf diese Frage noch gänzlich offen.

1 Pressekonferenz im Weißen Haus vom 1. Oktober 2018.

2 „Trump has just revolutionized global trade by replacing Nafta with USMCA“, Fox News, 3. Oktober 2018, foxnews.com.

3 „Dairy industry fears ,death by 1,000 cuts‘ through new trade deal“, CBC News, 2. Oktober 2018, www.cbc.ca.

4 Institute for Agriculture and Trade Policy, „New NAFTA‘ falls flat for farmers, food advocates“, Minneapolis, 1. Oktober 2018.

Aus dem Englischen von Markus Greiß

Laura Carlsen ist Programmleiterin für Lateinamerika beim Center for International Policy (CIP) in Mexico City.

Le Monde diplomatique vom 08.11.2018, von Laura Carlsen