Zehn Jahre nach den Streiks der Sans-Papiers
von Lucie Tourette
Als Amadou Maiga1 2012 einen unbefristeten Arbeitsvertrag beim Bauunternehmen Eiffage Construction bekam, trat er sofort in die Betriebsgruppe des Gewerkschaftsbunds CGT ein. Er kennt die Gewerkschaft gut: Als er noch illegal in Frankreich lebte, streikte der Einwanderer aus Mali unter dem Banner der CGT vierzehn Monate lang für eine Aufenthaltsgenehmigung. Mit seinen 33 Jahren hat er bereits mehr Streiktage hinter sich als viele Arbeitnehmer kurz vor ihrem Renteneintritt.
Seine neuen Arbeitskollegen konnte er mit seinen Erfahrungen im Arbeitskampf beeindrucken: „Als ich einem Kollegen erzählte, dass ich Bernard Thibault2 mehrmals getroffen habe, hat der gesagt: ‚Willst du mich verarschen? Du kennst Thibault? Selbst ich habe ihn erst einmal gesehen!‘ Er konnte sich nicht vorstellen, dass ich die Gewerkschaftsbosse kenne.“
Zusammen mit Aktivisten, die er während des Streiks kennenlernte, gründete Maiga einen Verein für den Aufbau einer Schule in seinem Heimatdorf. 2016 wurde er in Frankreich eingebürgert. Seitdem hat er an allen Wahlen teilgenommen und verpasst selten eine Gelegenheit, auf die Straße zu gehen. Im Frühling 2016 protestierte er gegen das sogenannte Gesetz El-Khomri zur Reform des Arbeitsrechts. Und im Juli 2017 nahm er am Marsch nach Beaumont-sur-Oise zum Gedenken an Adama Traoré teil, der im Jahr zuvor in Polizeigewahrsam gestorben war.3 Wenn er auf einer Demo einen Block von Sans-Papiers (Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung) sieht, reiht sich Maiga sofort ein. „So habe ich auch mal angefangen. Es gibt viele ehemalige Sans-Papiers, die diejenigen unterstützen, die noch keine Papiere haben.“
Vor rund zehn Jahren, am 15. April 2008, traten hunderte Sans-Papiers in einen Streik und besetzten ihre Unternehmen. Sie hofften, sich so eine Aufenthaltserlaubnis erkämpfen zu können (siehe Kasten). Einige von ihnen hatten sich bereits in ihren Herkunftsländern in sozialen Bewegungen engagiert. Doch für alle war es das erste Mal, dass sie in Frankreich politisch aktiv wurden und sich mit Streikrecht und Gewerkschaftsarbeit befassten.
„Viele der Sans-Papiers, egal ob Männer oder Frauen, haben Erfahrungen mit sozialen Kämpfen, die anderen Gewerkschaftsmitgliedern fehlen“, erklärt Jean-Albert Guidou, Gewerkschaftssekretär im Pariser Vorort Bobigny und Mitverantwortlicher eines Zusammenschlusses von migrantischen Mitgliedern innerhalb der CGT. „Sie wissen, wie man mit einem Arbeitgeber verhandelt, Leute mobilisiert und so weiter.“
Doch nicht alle seine Mitstreiter scheinen davon überzeugt zu sein, dass ein Engagement für die Arbeiter ohne Papiere die Mühe wert ist. „Sobald die Sans-Papiers einen legalen Aufenthaltsstatus haben, lassen sie sich nicht mehr blicken“ – solche Bemerkungen fallen öfter in Gesprächen mit Gewerkschaftern. Es spricht daraus eine gewisse Verbitterung: Die Einwanderer, so der Vorwurf, nutzten die Gewerkschaft bloß aus, um ihre Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.
Aber stimmt das? Wie ist es den ehemaligen Sans-Papiers ergangen? Was haben sie durch ihr Engagement von damals erreicht, und was haben die Gewerkschaften gewonnen? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir mit Teilnehmern der Streiks von 2008 und 2009 gesprochen.
Nach der Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus zogen sich einige tatsächlich aus der Gewerkschaft zurück, die sie zuvor unterstützt hatte. Dieses Phänomen lässt sich aber nicht nur bei Sans-Papiers beobachten: Ist ein sozialer Kampf vorbei, kehrt das Leben zur Normalität zurück. „Bei der CGT herrscht der Glaube, dass im Zuge einer Protestbewegung automatisch die Mitgliederzahlen steigen“, erläutert die Politikwissenschaftlerin Sophie Béroud. „Tatsächlich aber wirken sich soziale Bewegungen nicht nennenswert auf den gewerkschaftlichem Organisationsgrad aus. 1968 mag das noch anders gewesen sein, aber heute trifft das nicht mehr zu.“
Viele der Streikenden mussten sich damals außerdem verschulden, um den Verdienstausfall auszugleichen. Nachdem sie ihre Aufenthaltserlaubnis erhalten hatten, begannen sie, die Schulden abzuzahlen, etwa indem sie Überstunden schoben oder einen zweiten Job annahmen. Unter diesen Umständen stand die Gewerkschaftsarbeit natürlich nicht ganz oben auf der Prioritätenliste.
Überdies stellte sich heraus, dass nach jahrelangen Einschränkungen in privater wie in beruflicher Hinsicht auch die Legalisierung nur eine bedingte Freiheit mit sich brachte. Nach dem Streik wollten die meisten so schnell wie möglich den Arbeitsplatz oder den Arbeitgeber wechseln. Aber das entpuppte sich als schwieriger als erwartet. Die Aufenthaltserlaubnis für Arbeitnehmer ohne Papiere ist vorläufig und gilt für ein Jahr. Bei Arbeitslosigkeit, Arbeitgeberwechsel oder wenn die Betroffenen in einem anderen Beruf arbeiten möchten, kann die Präfektur die Verlängerung verweigern. Angesichts dieses Damoklesschwerts vergeht vielen die Lust, sich im Arbeitskampf zu engagieren.
Für die prekär Beschäftigten unter den Streikenden war selbst die Rückkehr an ihren alten Arbeitsplatz nicht einfach. Bandjougou Traoré, ein Zeitarbeiter in der Baubranche, der während des Streiks zum Delegierten ernannt worden war, musste nach dem Streik mehreren Zeitarbeitsagenturen einen Besuch abstatten, damit seine Mitstreikenden wieder ihre Arbeit aufnehmen konnten. „Einer davon hatte eine Gruppe angeleitet, die zwar nicht seine eigene, aber eine benachbarte Agentur besetzt hatte,“ erzählt Traoré. „Als er zurückkam, sagte ihm seine Chefin: ‚Wir haben gerade keinen Job.‘ Da haben wir eingegriffen, zwei Monate später hatte er seinen Job wieder.“
Auch Mamadou Diakaté und seine Kollegen berichten von Repressalien, nachdem sie ihre Reinigungsfirma in Val-d’Oise mit Unterstützung der Gewerkschaft Solidaires und einer lokalen Hilfsorganisation 39 Tage lang besetzt gehalten hatten. Nach Beendigung des Streiks versuchte ihr Chef mit allen Mitteln, sie herauszudrängen. „Er hat immer wieder Abmahnungen geschickt, an alle, die sich an der Besetzung beteiligt hatten, zum Beispiel, weil der Müllraum dreckig war“, erzählt ein Mitarbeiter. „Vor dem Streik gab es das nicht.“ Diakaté, der nach dem Streik Betriebsrat wurde, erlebte folgende Schikane: Obwohl es in der Nähe seines Wohnorts einen Posten gegeben hätte, wo die Arbeit um sechs Uhr begann, teilte ihn sein Chef ohne Begründung für einen weiter entfernt liegenden Einsatzort mit Arbeitsbeginn um fünf Uhr ein.
Zehn Jahre nach dem Streik haben jedoch alle ehemaligen Sans-Papiers, die wir getroffen haben, bessere Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen als davor. Bandjougou Traoré etwa, der lange als Rohrleger arbeitete, hat inzwischen einen Abschluss als Heizungsinstallateur gemacht. Oder Moussa Coulibaly, der sich lange als Hilfskraft in der Gastronomie durchschlagen musste, obwohl er einen Master in Zellbiologie hat: Nach zwei Jahren berufsbegleitender Ausbildung hat er heute einen Job als Qualitätsmanager. Und Mohamed Diego Ndiaye, der früher Handwagen schob, ist heute Lkw-Fahrer.
Die Aufenthaltserlaubnis eröffnete den Betroffenen eine gewisse soziale und geografische Mobilität, die mitunter auch dazu beitrug, dass sie sich von den Gewerkschaften entfernten. Um seinen Lkw-Führerschein zu machen, musste etwa Ndiaye Paris verlassen und nach Rennes ziehen. Dort fand er eine Anstellung mit festem Vertrag. Und weil er in seinem neuen Job keine Kontakte zu Gewerkschaftsaktivisten fand, trat er schließlich aus der CGT aus.
Abdul Konaté, der 2009 und 2010 an der Koordination der Streiks in der Region Île-de-France beteiligt war, zog 2016 für eine Kranführerausbildung nach Mayenne im Nordwesten Frankreichs. Heute lebt er in Nantes, wo er leicht an Zeitarbeitsverträge kommt. Er ist zwar weiterhin Mitglied der Gewerkschaftsgruppe im Pariser Vorort Massy, mit der er damals in Streik trat, um seine Papiere zu bekommen. Doch in Nantes hat er keinen Kontakt zu Gewerkschaftern.
„Ich kenne die Stadt noch nicht gut und habe nicht viel Zeit. Außerdem will ich mich um meinen Sohn kümmern“, erklärt er. Viele der Streikenden von 2008 waren damals zwischen 20 und 30 Jahre alt. Einige von ihnen haben inzwischen Familien gegründet und sind nicht mehr gewerkschaftlich aktiv – ein weiterer Beleg dafür, dass sie in einem ganz normalen Leben angekommen sind. Schließlich lassen viele junge Eltern ihre politischen Aktivitäten erst einmal ruhen.
Einige ehemalige Streikende engagieren sich hingegen weiterhin, auch wenn sie nicht mehr Gewerkschaftsmitglied sind. So wie Bandjougou Traoré, der über neue Leiharbeitseinsätze für seine Kollegen verhandelt, oder Bocar Kouma, der seine Mitarbeiter auf dem Bau ermutigt, die Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus zu fordern. Mohamed Diego Ndiaye wiederum geht mit seinen Kollegen die Gehaltsabrechnungen durch, um die Bezahlung von „vergessenen“ Überstunden einzufordern. Alle, die damals beim Streik dabei waren, kennen heute ihre Rechte besser und sind in der Lage, sie zu verteidigen.
Ehemalige Streikende, die weiter in der Gewerkschaft aktiv sind, trifft man am ehesten in großen Unternehmen mit Betriebsräten. „In der CGT geht die Zugehörigkeit zur Gewerkschaft von der betrieblichen Ebene aus“, erklärt Sophie Béroud. „Die Leute werden da aktiv, wo es im Betrieb eine aktive Gewerkschaftsgruppe gibt.“
So war es auch bei Moussa Traoré. Er kam 1994 mit 19 Jahren nach Frankreich, um sein Studium fortzusetzen, konnte sich jedoch wegen eines falschen Visums nicht an der Universität einschreiben und wurde schließlich Müllmann. 2007 arbeitete er beim französischen Wasser- und Entsorgungskonzern Veolia, als er im Fernsehen einen Bericht über die Restaurantkette Buffalo Grill sah. Dort hatten Angestellte ohne Aufenthaltspapiere ihre Filialen besetzt und schließlich Papiere erhalten. In Massy lernte Traoré den CGT-Gewerkschafter Raymond Chauveau kennen. Zusammen bauten sie bei Veolia eine Gruppe von Sans-Papiers auf, die im Frühjahr 2008 ein Recyclinglager des Konzerns besetzte. Traoré organisierte die Streikposten und nahm an den Verhandlungen mit den Managern teil.
Ein paar Monate nachdem er seine Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte, traten auch die Angestellten des Recyclinglagers von Rungis in Streik, wo er selbst arbeitete. Traoré engagierte sich und war bei den Gesprächen zwischen Management und Arbeitnehmervertretern dabei. „Weil ich den Mut hatte, für die Streikenden das Wort zu ergreifen, wurden die Leute auf mich aufmerksam“, erzählt er. Kurz darauf wurde er zum stellvertretenden CGT-Betriebsrat gewählt. Er genießt nun das Vertrauen seiner Kollegen, die ihn regelmäßig um Rat fragen. „Ich arbeite mit vielen Landsleuten zusammen, also Maliern. Nur wenige von ihnen können lesen und schreiben. Selbst Urlaubsanträge auszufüllen fällt ihnen schwer.“ Wie jeder neu Gewählte musste er sich zunächst fortbilden. Er, der sein Studium nicht hatte fortsetzen können, lernte von seinen erfahreneren Kollegen und wurde schließlich Gewerkschaftsdelegierter.
Allerdings ist jemand wie Moussa Traoré, Angestellter eines Großunternehmens, in dem mehrere Gewerkschaften fest verankert sind, nicht unbedingt typisch für die ehemaligen Streikenden. Die meisten von ihnen arbeiten heute in Branchen mit geringer Gewerkschaftspräsenz. Wie zum Beispiel die 47 Angestellten der Gebäudereinigungsfirma Millennium. Im Frühling 2008 hatten sie drei Monate lang ihren Betrieb besetzt und schließlich ihre Aufenthaltserlaubnis bekommen. Danach kehrten sie zurück an ihre Arbeit und fegten wieder die Gänge der Pariser Messe oder der Luftfahrtschau. An ihren zeitlich befristeten Verträgen und dem geringen Verdienst hatte sich nichts geändert.
In dem Unternehmen mit knapp 200 Angestellten gab es damals keinen erfahrenen Gewerkschafter, der ihnen bei der Organisation hätte helfen können. „Anfangs änderte sich wenig“, sagt Modibo Diawara, heute Delegierter der CGT. Erst 2011 suchten einige der ehemaligen Streikenden Hilfe beim CGT-Büro in Massy, das sie in ihrem Kampf um die Legalisierung unterstützt hatte. Sie wollten eine Betriebsgewerkschaft gründen und eine Liste für Betriebsratswahlen aufstellen. Gemeinsam formulierten sie ihre Forderungen: Die vorherrschende Praxis der Teilzeitarbeit sollte zugunsten von mehr Vollzeitstellen beendet werden.
Bei ersten Betriebsratswahl stellte einzig die CGT Kandidaten auf. Die Abstimmung erfolgte per Briefwahl, obwohl viele der Arbeiter nicht lesen konnten. Denn es stellte sich die Frage, wie man am besten die Mindestanzahl der erforderlichen Stimmen erreichen konnte. An ihren wechselnden und weit verstreuten Arbeitsstätten waren die Beschäftigten weniger gut zu erreichen als an ihrem Wohnort; zumal die meisten noch dazu gemeinsam in Wohnheimen lebten. Durch die familiären und freundschaftlichen Netzwerke konnte so ein gutes Wahlergebnis sichergestellt werden: Das Quorum wurde erreicht, die CGT-Kandidaten wurden gewählt und 2015 wiedergewählt.
Inzwischen betrachten die Sans-Papiers die Gewerkschaften als wertvolle Unterstützung. In der Region Île-de-France verfügen die meisten Gewerkschaften zum Beispiel über eigene Anwälte. Und die Behörden erkennen sie als legitime Gesprächspartner bei der Frage der Aufenthaltserlaubnis für Arbeitnehmer an.
Alassane Kane, der 2008 für seine Aufenthaltserlaubnis streikte und kürzlich von Lidl unbefristet eingestellt wurde, ist Vorstandsmitglied der CGT im Département Essonne südlich von Paris. „In unserer Lokalgruppe sind die Aktivisten entweder Leute, die schon in Rente sind, oder Mitarbeiter, die als gewählte Vertreter von ihrem Unternehmen ein paar Stunden für die Gewerkschaftsarbeit freigestellt werden“, erklärt Kane. Er selbst ist kein von seinem Betrieb gewählter Vertreter. Lange Zeit arbeitete er nur auf Basis von Wochenverträgen und konnte bei Arbeitsantritt in einem neuen Betrieb schlecht ankündigen, sich den nächsten Tag für ein Gewerkschaftstreffen frei zu nehmen. „Dieses Problem haben nicht nur die Sans-Papiers, sondern alle isolierten Arbeiter, die nicht für die Gewerkschaftsarbeit freigestellt werden“, sagt Maryline Poulain, die neben Jean-Albert Guidou zweite Verantwortliche des Zusammenschlusses von migrantischen CGT-Mitgliedern.
Dank seines unbefristeten Vertrags kann Kane seine Arbeitszeit so legen, dass er auch für die Gewerkschaftsarbeit Zeit findet. Er war an der Vorbereitung der sechswöchigen Arbeitsniederlegung von Sans-Papiers beim Paketzusteller Chronopost im Februar und März 2018 beteiligt. Am ersten Tag begleitete er die Streikenden auf ihre Streikposten. Sein Chef, Senegalese wie er selbst und gewählter Vertreter des Gewerkschaftsbunds CFDT, hatte ihm erlaubt, für die Aktion seinen freien Tag zu verschieben.
An diesem Streik Anfang des Jahres beteiligten sich insgesamt 160 Arbeiter aus sieben Unternehmen unterschiedlicher Branchen in der Region Île-de-France. Am Vortag der Besetzungen wurden die Sans-Papiers von der CGT in ihre Zentrale in Montreuil bei Paris eingeladen. Ihre Delegierten setzten sich ganz selbstverständlich mit aufs Podium. 2009, bei einer ähnlichen Veranstaltung in Bobigny, waren sie noch im Publikum sitzen geblieben und hatten den erfahrenen Gewerkschaftern das Mikrofon überlassen.
Diesmal nahmen sie auch von Anfang an teil an den wöchentlichen Organisationstreffen, während sie 2008 erst nach mehreren Wochen dazugestoßen waren. Die Migranten, die lediglich Papiere für sich selbst forderten und keine Änderung der Gesetzeslage, sahen diesmal ihre Forderungen nach kaum zwei Monaten erfüllt. Vor zehn Jahren hatten sie dafür noch über ein Jahr kämpfen müssen. Was das für ihr weiteres gewerkschaftliches Engagement bedeutet, bleibt abzuwarten.
Aus dem Französischen von Nicola Liebert
Lucie Tourette ist Journalistin und Koautorin von „On bosse ici, on reste ici! La grève des sans-papiers: une aventure inédite“, Paris (La Découverte) 2011.
Kampf um Legalisierung: zum Erfolg verdammt
von Lucie Tourette
Frankreichs Expräsident Nicolas Sarkozy erklärte in seiner Zeit als Innenminister (zwischen 2002 und 2004 sowie zwischen 2005 und 2007) den „Kampf gegen die illegale Einwanderung“ zur Priorität. In seiner Amtszeit nahm die Zahl der Ausweiskontrollen und Verhaftungen von Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis massiv zu. So stieg die Zahl der Verhaftungen zwischen 2002 und 2008 von 49 470 auf 111 692, also auf mehr als das Doppelte, während sich die Zahl der Ausreisen sogar auf 29 796 Fälle verdreifachte (19 724 davon Abschiebungen). Der Ethnologe Stefan Le Courant formuliert polemisch, „es werden mehr als fünf Ausländer festgenommen, damit einer abgeschoben werden kann“. Die Sans-Papiers lebten deshalb „in ständiger Gefahr“.
Im November 2007 wurde ein neues Einwanderungs-, Integrations- und Asylgesetz verabschiedet, das zahlreiche restriktive Maßnahmen vorsieht, etwa einen Französischtest und einen Einkommensnachweis in festgelegter Höhe bei Antrag auf Familiennachzug; Die Neuankömmlinge müssen dann außerdem einen „Integrationsvertrag“ unterschreiben. Allerdings eröffnete dieses Gesetz auch neue Chancen: Migranten mit irregulärem Status können eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, wenn ihr Arbeitgeber für sie bürgt. Der Haken: Diese Regel gilt nur für sehr spezialisierte Berufe (zum Beispiel Technische Zeichner), in denen Sans-Papiers eher selten anzutreffen sind.
Im Kampf für die Legalisierung haben sich die Gewerkschaften als wichtige Unterstützung erwiesen. Am 15. April 2008 besetzten 300 Sans-Papiers ihre Betriebe in der Region Paris: Bau- und Gebäudereinigungsunternehmen, Hotels und Gaststätten, Bekleidungsfirmen und Pflegedienste; die meisten große und etablierte Unternehmen wie der Wasser- und Entsorgungskonzern Veolia, das Bauunternehmen Arcadem, die Burgerkette Quick oder die Restaurants von Chez Papa und Pizza Marzano. Die Arbeitgeber stellten am ersten Streiktag erstaunt fest, dass sich vor allem diejenigen am Ausstand beteiligten, die sie immer für mustergültige Arbeiter gehalten hatten. Die Mobilisierung erfolgte hauptsächlich durch den Gewerkschaftsbund Confédération Générale du Travail (CGT) und die Bürgerrechtsorganisation Droits devant!, aber auch die Gewerkschaften Solidaires und die Confédération nationale du travail (CNT) beteiligten sich.
Diese neuartige Aktion verband klassische Methoden der Arbeiterbewegung (Streik und Besetzung) mit der zentralen Forderung der undokumentierten Migranten nach Legalisierung. Nach einigen Wochen erhielten die meisten Streikenden tatsächlich eine Aufenthaltsgenehmigung. Doch sobald die Besetzungen beendet wurden, hörten die Behörden auf, Papiere auszustellen. Im Herbst 2009 beschlossen daher elf Gewerkschaften und Verbände, allen voran die CGT und Solidaires, die Sache noch einmal richtig anzugehen. Sie unterstützen fast 6800 Arbeiter bei der Besetzung ihrer Betriebe und symbolträchtiger Orte, etwa von Arbeitgeberverbänden. Einige der Besetzungen zogen sich mehr als ein Jahr hin. Doch es gab kein Zurück: Durch die Streiks machten die Arbeiter ihren irregulären Status öffentlich. Vor dem Streik konnten ihre Chefs vorgeben, sie hätten davon nichts gewusst. Das war nun nicht mehr möglich. Die Streikenden waren zum Erfolg verdammt, andernfalls hätten sie ihre Jobs verloren.
⇥Lucie Tourette