Grand Paris
Ein strategisches Hauptstadtprojekt von oben
von Hacène Belmessous
Anlässlich der Einweihung des weltweit größten Architekturmuseums Cité de l’architecture et du patrimoine im Palais de Chaillot lud Staatspräsident Nicolas Sarkozy am 17. November 2007 die Elite der französischen Städteplaner zu einem Beratungsgespräch über „die Zukunft von Paris und Umgebung“ ein. Wie London seit 1965 als Greater London oder New York mit der New York Metropolitan Area müsse auch die französische Hauptstadt über ihre Stadtgrenzen hinaus gedacht werden. Das sei unverzichtbar, um im internationalen Wettbewerb der Städte zu bestehen.
Auf dem Papier klangen die Argumente vernünftig. Der Großraum Paris, so der Präsident, sei „der einzige Ballungsraum Frankreichs ohne Städteverbund“.1 Außerdem habe es in der Hauptstadt und der umliegenden Region Île-de-France seit der Errichtung neuer Städte und dem Bau der Vorortbahnen (Réseau Express Régional, RER) in den 1970er Jahren zwar zahlreiche Investitionen (Sanierung von Stadtvierteln, Modernisierung der RER-Züge, Verlängerung von Metrolinien) gegeben, jedoch keine gemeinsamen Projekte auf regionaler Ebene.
Um die Kluft zwischen Paris und der Peripherie zu überwinden, müsse man „nicht nur für die nächsten sechs Monate, sondern für das neue Jahrhundert“ planen und „die in der Vergangenheit begangenen Fehler korrigieren. In unseren Vororten müssen richtige Städte mit öffentlichen Räumen, Dienstleistungsangeboten und Orten des sozialen Lebens entstehen.“
Ein Jahr später wurden die ersten Ergebnisse aus den Beratungsgesprächen veröffentlicht und zehn interdisziplinäre Teams gebildet. Sie sollten „strategische Vorschläge“ für das Hauptstadtprojekt entwickeln. Die Leitung der Teams übernahmen wie so oft Stararchitekten, von Richard Rogers über Christian de Portzamparc bis zu Jean Nouvel und Yves Lion.
Der Plan von einem Grand Paris, das über die Vororte hinausgeht, ist allerdings schon älter. Bereits Napoleon III. träumte Mitte des 19. Jahrhunderts von einer Hauptstadt, die sich von Saint-Germain-en-Laye im Westen bis zum heutigen Marne-la-Vallée im Osten erstrecken sollte. Auch wenn er dieses Projekt nicht umsetzen konnte, kam es 1860 zumindest zur Eingemeindung von etwa zwanzig angrenzenden Kommunen und Teilkommunen.
Ein neuer Erweiterungsplan von 1907 stammt aus der Feder des Juristen und Journalisten Georges Benoit-Lévy, der vorschlug, mit der flächendeckenden Errichtung von Gartenstädten die Region Paris zu vereinheitlichen. 25 Jahre später rief der Sozialist André Morizet, Bürgermeister von Boulogne-Billancourt und Senator des damaligen Departements Seine, dazu auf, Grand Paris in einem basisdemokratischen Prozess umzusetzen und nicht von oben zu diktieren.2
Im April 1988 veröffentlichte ein Kollektiv von fünfzehn Architekten – unter ihnen Yves Lion und Christian de Portzamparc – einen „Aufruf für eine Metropole namens Paris“, in dem sie eine Neugestaltung des urbanen Territoriums forderten.
Grand Paris
von Hacène Belmessous
Sie appellierten an die Politik, „nicht nur dem Anspruch von Paris als internationaler Metropole Rechnung zu tragen, sondern auch der Idee einer lebenswerten Stadt für die Bevölkerung“.3
Das von Sarkozy lancierte und von seinen Nachfolgern konkretisierte Projekt setzt diese lange Geschichte fort. Die Métropole du Grand Paris (MGP) existiert offiziell seit dem 1. Januar 2016 unter der Rechtsform einer öffentlichen Anstalt für interkommunale Zusammenarbeit. Dahinter verbirgt sich eine unübersichtliche Verwaltungsstruktur: Sie zerfällt in eine Ratsversammlung lokaler Abgeordneter (mit 209 Räten, die die Gemeinden vertreten), einen Bürgermeisterrat, einer Konferenz der Territorialpräsidenten, einer Konferenz des öffentlichen Dienstes von Grand Paris und weiterer Körperschaften.
Im Juli 2017 versprach Präsident Emmanuel Macron, die Strukturen zu vereinfachen, die angekündigte Territorialkonferenz jedoch, die darüber beraten soll, lässt auf sich warten. Auch andere Fragen bleiben offen: Wie lässt sich die basisdemokratische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sichern? Werden die unmittelbar an Paris angrenzenden Departements Hauts-de-Seine, Seine-Saint-Denis und Val-de-Marne aufgelöst und eingemeindet? Wird die Métropole du Grand Paris eher Partnerschaften mit ganzen Regionen oder mit einzelnen Gemeinden vereinbaren?
Die Métropole du Grand Paris umfasst 6 Departements, 131 Gemeinden und mehr als 7 Millionen Einwohner. Sie trägt 30 Prozent zum französischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei und ist derzeit das größte und wichtigste Städtebauprojekt Westeuropas. Die veranschlagten Kosten lagen 2010 bei 19 Milliarden Euro und werden kontinuierlich nach oben korrigiert. Nach dem letzten Bericht des französischen Rechnungshofs sollen sie bis 2030 auf 38,5 Milliarden Euro steigen. Eine schwindelerregende Summe für ein von oben durchgesetztes Bauvorhaben, das nie öffentlich diskutiert wurde, geschweige denn, dass die Bürgerinnen und Bürger irgendeinen Einfluss darauf nehmen konnten.
Der größte Teil dieses Geldes fließt in den Grand Paris Express (GPE), ein öffentliches Nahverkehrsnetz, das im Großraum Paris entstehen soll (siehe Karte). Mit der Planung und Durchführung des Baus ist das staatlich finanzierte Industrie- und Handelsunternehmen Société du Grand Paris beauftragt. Macron hatte kurz vor seiner Wahl erklärt: „Das Projekt hat eine große nationale Bedeutung. Es verdient vom Staat unterstützt und vom Präsidenten der Republik gefördert zu werden. Also werde ich mich persönlich darum kümmern.“4
Der GPE soll mit vier neuen fahrerlosen Metrolinien und der Erweiterung von zwei bestehenden Linien ein Streckennetz von 200 Kilometern umfassen – und wäre damit so lang wie das gegenwärtige Metronetz. Zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit sollen – je nach Jargon ihrer Erfinder – sogenannte Pôles oder Cluster entstehen. Verbunden durch den GPE, sollen sie zur Spezialisierung der einzelnen Regionen beitragen. So ist zum Beispiel in Saint-Denis im Norden ein Zentrum für die Kreativwirtschaft und in Saclay im Südwesten ein Innovations- und Forschungszentrum geplant (siehe nebenstehenden Beitrag).
Dank der neuen Linien gewinnen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Plateau de Saclay fast 40 Minuten auf dem Weg zum Flughafen Orly (18 statt 56 Minuten) und sind eine Viertelstunde schneller im Finanzviertel La Défense (40 statt 56 Minuten). Von dort wird man wiederum dank einer direkten Linie in knapp 30 Minuten zum Flughafen Charles de Gaulle in Roissy gelangen.
Mehr als 60 neue Bahnhöfe müssen für den GPE aus dem Boden gestampft werden, manche an bisher noch recht unwirtlichen Orten – bei einigen der vorgesehenen U-Bahn-Stationen lebt heute im Umkreis von 800 Metern kein einziger Mensch. Doch das Angebot soll Nachfrage schaffen; man erhofft sich einen regelrechten Immobilienboom. Ganze Viertel mit eigener Infrastruktur (Schulen, Krippen et cetera) und Ladenstraßen sollen um die neuen Bahnhöfe herum entstehen, und damit auch neue Arbeitsplätze. Nach den Entwicklungen, die man in den letzten Jahren in London und New York beobachten konnte, wird diese Neu- und Umgestaltung des urbanen Raums größere soziale Veränderungen in der Region Île-de-France nach sich ziehen.
Das lassen schon die ersten Immobilienprojekte erahnen, mit deren Bau rund um die neuen Bahnhöfe der verlängerten Linien 11 und 14 begonnen wurde. Anstatt den offiziellen Zielen zu dienen, die vorsehen, den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum zu verbessern und das Wohlstandgefälle zwischen dem reichen Westen und dem armen Nordosten zu minimieren, erweist sich Grand Paris bisher vor allem als Goldgrube für Bauunternehmen und Finanzinvestoren. Der Baukonzern Bouygues zum Beispiel hat 2017 die ersten Aufträge für den südlichen Teil der neuen Linie 15 mit einem Volumen von 800 Millionen Euro an Land gezogen. Der zweite Abschnitt ging für 926 Millionen Euro an das Unternehmen Vinci und der dritte für 795 Millionen Euro an Eiffage.
Der Generaldirektor von Vinci, Xavier Huillard, jubelte im Januar 2017 in seiner Neujahrsbotschaft: „Nun beginnt die Umsetzung des Projekts, das es bisher nur auf dem Papier gab. Es wird gigantisch!“ Als wenige Monate später die französische Hauptstadt den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2024 erhielt, konnte sich Huillard erneut freuen, denn die Spiele werden die Entwicklung von Grand Paris noch beschleunigen. „Vinci und Eiffage sind die beiden großen Profiteure dieses Projekts mit 3 Milliarden Euro Infrastrukturausgaben und einem Gesamtbudget von mehr als 6 Milliarden Euro“, urteilte die Barclays Bank.
Konzerne planen die Stadt
Die großen Bau- und Immobilienkonzerne haben an öffentlichen Großbauprojekten wie Autobahnen, Flughäfen und Sportanlagen stets gut verdient. Mit Grand Paris, und der damit einhergehenden Erschließung neuer Siedlungsflächen, den Konzessionsverträgen und Landkäufen, übernehmen sie jetzt in die Rolle von „Stadtmachern“. Jacques Godron ist Direktor des „Club des Entreprises du Grand Paris“, in dem sich Unternehmen „als potenzielle Partner für künftige Projekte von Grand Paris präsentieren können“ und zu dem unter anderem die Konzerne Thales, Siemens und Engie gehören. Godron fasst die Philosophie des Clubs so zusammen: „Die Metropole ist keine Stadt zum Leben, sie ist ein ‚Pôle‘, ein Zentrum, in dem es anspruchsvolle Arbeitsplätze gibt und wo sich die berühmte Klasse der Kreativen konzentriert“, erklärte er im April 2014 in einem Interview mit der Wirtschafts- und Finanzzeitung La Tribune.
Um die städtebaulichen Projekte in ihre Richtung zu lenken, haben verschiedene Bauunternehmer in den letzten Jahren in Denkfabriken investiert, die die Politik beeinflussen sollen. Phosphore, ein 2007 von Eiffage gegründetes Zukunftslabor, soll nach eigenen Angaben Kreative mit Ingenieuren, Architektinnen und Stadtplanern zusammenbringen. Gemeinsam sollen sie „ihren Ideen freien Lauf lassen und ihre klassischen Expertenstandpunkte über den Haufen werfen, um gemeinsam die nachhaltige Stadt des Jahres 2030 zu entwerfen“. Vinci wiederum hat 2010 die Fabrique de la Cité gegründet, um „zur urbanen Innovation beizutragen und Pionierprojekte zu fördern“. Auch der Bauträger Nexity gründete im Mai 2017 eine eigene Stiftung und gab als Motivation an, die Stadt „als Ort des Zusammenlebens gestalten zu wollen“.
All diese Strukturen stützen sich auf bekannte Fürsprecher. So schrieb zum Beispiel Alain Juppé, seit 20 Jahren Bürgermeister von Bordeaux, für eine Publikation von Phosphore; neben ihm in der Autorenliste standen außerdem die Vizepräsidentin des Städteverbunds Strasbourg, Catherine Trautmann, der Astrophysiker Hubert Reeves und der Soziologe Jean Viard. Bei den jährlichen, von der Fabrique de la Cité organisierten Seminaren treffen sich Abgeordnete, Wissenschaftlerinnen, Journalisten, Architektinnen und Geschäftsleute. Schwer vorstellbar, dass die politische Entscheidungsfindung von solchen Zusammenkünften unbeeinflusst bleibt.
Der Staat ist ein wertvoller Verbündeter für alle Unternehmen, die an der Planung und am Bau von Grand Paris beteiligt sind. Im Juni 2016 entschied die Regierung per Dekret, dass alle Verfahren über Entschädigungszahlungen bei Enteignungen durch die Société du Grand Paris in Paris zentralisiert werden sollen. Die Regierung von Manuel Valls rechtfertigte diesen Schritt mit der Begründung, sie wolle „die Abwicklung der Verfahren beschleunigen“.5 Die Anwalts- und Beratungskanzlei Hélians räumt ein, dass „der Enteignungsrichter von Paris nicht über diese Fälle hätte entscheiden dürfen, da keine der neuen Linien des Grand Paris Express das Territorium der Stadt Paris durchquert“. Die Juristen halten der Regierung allerdings zugute, sie hätte damit vor allem „die Enteignungsgerichte von Créteil, Nanterre, Bobigny und Évry entlasten wollen“. Es drängt sich allerdings noch eine andere Hypothese auf.
Der Staat hat aus den Erfahrungen in Notre-Dame-des-Landes, wo Aktivisten den Bau eines Flughafens verhinderten, oder Sivens, wo der Bau eines Staudamms gestoppt werden musste, gelernt. Um jeden Preis möchte er vermeiden, dass sich ein ähnlicher Widerstand in der Île-de-France formiert – etwa gegen das Projekt EuropaCity, ein riesiges Einkaufszentrum im Triangle de Gonesse, oder gegen die massive Bebauung des Plateau de Saclay. Deshalb hat er für die Société du Grand Paris und ihre Geschäftspartner die Möglichkeit geschaffen, schnell zu handeln und sich Unannehmlichkeiten zu ersparen. Denn die Beschleunigung der Enteignungsverfahren, so erklärt ein Schreiben der Fabrique de la Cité, bedeute, „schnell auf sich anbahnende Proteste reagieren zu können und die negativen Auswirkungen auf die Akzeptanz des Projekts als Ganzem gering zu halten“.6
Ein vom Staat ausgestellter Freifahrtschein also, der umso entscheidender wird, als die Societé du Grand Paris massenhaft enteignet. Vor allem um die Bahnhöfe zu errichten und in ihrer Umgebung neue „Bio-Bobo-Viertel“ und Wohnungen für die obere Mittelschicht zu bauen, müssen andere, meist Ärmere, weichen.
In Saint-Ouen, einer Arbeitergemeinde im Departement Seine-Saint-Denis, die von der Verlängerung der Linie 14 profitieren wird und die der 2014 gewählte Bürgermeister William Delannoy (Union des démocrates et indépendants) neuerdings gern „Saint-Ouen-sur-Seine“ nennt, baut der Immobilienableger der Großbank BNP Paribas derzeit das Carré Garibaldi. Zukünftigen Bewohnern wird sowohl eine „gute Anbindung“ als auch ein Leben „in ruhiger Lage“ versprochen. Die Wohnanlage Belle Allure, die ebenfalls BNP Paribas gehört, bietet laut Eigenwerbung „den Genuss der Lebensqualität von Saint-Ouen“, anspruchsvolle Architektur und hohe Sicherheitsstandards: „Die Außentür ist mit Digicode und Videokamera gesichert, die Eingangshalle mit einer Gegensprechanlage, die Türöffnung erfolgt direkt über Ihr Telefon“, wirbt BNP Paribas.
Ähnliches geschieht in Romainville, ebenfalls in Seine-Saint-Denis, wo der Bauträger Fiminco „die Stadt intelligenter, einladender und geselliger“ machen möchte. Auf 9 Hektar Brachland sollen ein Einkaufszentrum, Büros und eine Stiftung für zeitgenössische Kunst entstehen. Laut Fiminco „das erste City-Outlet im Herzen von Grand Paris“.
Die neue Infrastruktur wird die Immobilienpreise noch mehr anheizen. Schon 2012, als die Bauarbeiten von Grand Paris noch gar nicht begonnen hatten, schätzte die US-Bank JP Morgan, dass der Wert einiger Grundstücke entlang der künftigen Metrostrecken um 6 Prozent gestiegen sei. Diese Entwicklung wird sich verstärken und den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in der Region verschärfen.
In Paris, wo die Quadratmeterpreise nicht selten bei 10 000 Euro liegen, fehlt es massiv an Sozialwohnungen. 2015 erhielten nicht einmal 10 Prozent der 128 536 Haushalte, die einen Antrag auf eine Sozialwohnung (HLM) gestellt hatten, einen positiven Bescheid. Ein weiterer Indikator dafür, wie knapp bezahlbarer Wohnraum ist: Mehr als 14 000 Haushalten wurde im April 2016 das „Einklagbare Recht auf Wohnraum“ (Dalo) zuerkannt.
Nach dem 2007 vom Parlament verabschiedeten Dalo können Antragsteller den Staat verklagen, wenn ihr Recht auf Wohnraum über einen gewissen Zeitraum hinaus nicht berücksichtigt wurde. Die Frist liegt in den Departements Seine-Saint-Denis, Val-de-Marne oder Yvelines bei drei Jahren, in Hauts-de-Seine bei vier Jahren. In Paris muss man auf das Dalo für eine Einzimmerwohnung ganze sechs Jahre, für eine Wohnung mit zwei oder drei Zimmern neun Jahre und für vier Zimmer und mehr sogar mindestens zehn Jahre gewartet haben.
Jedes Jahr ziehen tausende Familien mit geringem Einkommen aus Paris und den angrenzenden Departements weg und in weiter entfernte Gemeinden – teilweise sogar außerhalb der Île-de-France. Nach Angaben des Nationalen Amts für Statistik und Wirtschaftsstudien (Insee) sind zwischen 2003 und 2007 15 952 Personen aus der Region Paris in die Region Centre-Val de Loire gezogen, arbeiten aber weiterhin in der Île-de-France. Seit dem Baubeginn für Grand Paris hat sich dieser Prozess sogar noch beschleunigt: 2012 und 2013 gingen weitere 4474 Haushalte diesen Weg.
Es zeichnet sich ab, dass die Metropole der Oberschicht vorbehalten sein wird, in der Menschen mit geringerem Einkommen keine andere Wahl haben, als in einer Sozialwohnung zu wohnen oder immer längere Wege zu ihrem Arbeitsplatz auf sich zu nehmen. In Paris ist diese Polarisierung besonders sichtbar. Dort beträgt das Einkommen der reichsten 10 Prozent mehr als das Sechsfache des Einkommens der ärmsten 10 Prozent, fast eine Verdoppelung des Landesdurchschnitts.7 Die Kluft zwischen dem großbürgerlichen Pariser Westen und dem ärmeren Osten wird zunehmend von einem Nebeneinander reicher und armer Straßen in ein und demselben Viertel abgelöst. So gehört zum 13. Arrondissement sowohl der schicke Butte-aux-Cailles als auch das „Problemviertel“ Jeanne d’Arc-Clisson. Mit einer Armutsrate von 74,8 Prozent nimmt Letzteres auf der Liste der ärmsten Stadtviertel Frankreichs den zweiten Platz ein.8 Grand Paris wird diese Ungleichheit weiter verstärken.
3 „Appel pour une Métropole nommée Paris“, 75021, Urbanisme, Nr. 226–227, Paris, September 1988.
5 Journal officiel de la République française, Nr. 0142, Paris, 19. Juni 2016.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Hacène Belmessous ist Autor von „Le Grand Paris du séparatisme social. Il faut refonder le droit à la ville pour tous“, Paris (Post-éditions) 2015.