Schule zu verkaufen
Im laizistischen Frankreich gehörten früher die meisten privaten Bildungseinrichtungen der katholischen Kirche, heute bekommen sie Konkurrenz von US-Investmentfirmen
von Laura Raim
Der US-amerikanische Investmentfonds Providence Equity hat sich mit Aktien von französischen Privatschulen ein lukratives Geschäft gesichert: In diesem Schuljahr kassiert die Pariser École internationale bilingue (EIB) 6495 Euro Schulgeld pro Schüler, gibt aber keinen Cent für Lehrergehälter aus – dank eines Assoziationsvertrags mit dem Staat. Diese Form der öffentlichen Mitfinanzierung von Privatschulen ermöglicht ein Gesetz von 1959, mit dem die Regierung Debré damals auf den Ansturm der Babyboomer und auf die verlängerte Schulpflicht (bis zum 16. Lebensjahr) reagierte und den ewigen Konflikt zwischen staatlichen und privaten – in der Regel katholischen – Schulen ein für alle Mal beenden wollte.
Seither kann jede Privatschule fünf Jahre nach ihrer Gründung einen Assoziationsvertrag beantragen, sofern in ihrem Einzugsgebiet nachweislich ein Schulbedarf besteht. Kommunen und Staat beteiligen sich im gleichen Umfang wie bei staatlichen Schulen an den Kosten. Darüber hinaus kann die Schule ein oft beträchtliches Schulgeld verlangen und die vom Staat bezahlten Lehrerinnen und Lehrer selbst auswählen. Nur die Investitionskosten muss sie weitgehend selbst tragen, da ist der Zuschuss auf 10 Prozent der jährlichen Ausgaben begrenzt und seine Verwendung gesetzlich geregelt.
In Frankreich sind 17 Prozent der Grund- und Mittelschüler an einer Privatschule angemeldet. Theoretisch müssen Privatschulen mit Assoziationsvertrag alle Kinder unabhängig von Religion und Noten aufnehmen. Doch wegen der starken Nachfrage können sie sich ihre Schüler aussuchen, was wiederum die überdurchschnittlich guten Abschlussnoten erklärt: Von den 195 Lycées, in denen der Abschlussjahrgang 1995 zu 100 Prozent das Abitur bestanden hat, sind fast 90 Prozent Privatschulen.1 Im internationalen Vergleich zeigt sich jedoch, dass Schüler bei gleichem sozioökonomischen Niveau an staatlichen Schulen besser abschneiden.2
An den Oberschulen liegt das Schulgeld im Schnitt bei 1000 Euro im Jahr. Nichtkonfessionelle Eliteschulen wie die zweisprachige EIB oder die traditionsreiche École alsacienne im 6. Pariser Arrondissement verlangen hingegen über 6000 Euro. Das liegt aber auch an den hohen Mieten, die bei den meisten katholischen Einrichtungen wegfallen, weil die Schulgebäude der Kirche gehören.
Doch trotz hoher Mietkosten lassen sich durchaus Gewinne erwirtschaften: Die nichtkonfessionelle Oberschule Épin in dem südlich von Paris gelegenen Vorort Vitry-sur-Seine hat zwischen 2001 und 2013 jährlich 250 000 Euro an die Finanzholding J2M ihres damaligen Direktors Jean-Yves Mariller überwiesen. Mit dem Geld wurden angeblich drei Schulen im Besitz der Holding unterstützt, die im Unterschied zur Épin keinen Assoziationsvertrag haben. Nach dreijährigem Kampf der Gewerkschaft hat eine Finanzrevision die Zahlungen ans Licht gebracht. „Müssen sich etwa andere Unternehmen dafür rechtfertigen, was sie mit ihren Profiten machen?“, empörte sich damals Mariller (Le Parisien vom 10. Juli 2013).
Bei der EIB „bleiben die Gewinne in der Schulkasse“, versichert der Direktor. Der 70-jährige Bernard Delesalle, der die Schule seit 40 Jahren leitet, ist Geschäftsmann. Für ihn ist die EIB vor allem eine „Marke“. Doch als Jeannine Manuel 1954 in der Avenue de Bourdonnais im 7. Arrondissement eine kleine Schule eröffnete, hätte niemand geahnt, dass sie eines Tages im Portfolio eines Fonds in Rhode Island landen würde. 1959 bekam sie einen Assoziationsvertrag, in den 1960er Jahren hatte sie bereits mehrere Standorte in Paris, und 1979 übernahm Delesalle, der zwei Jahre zuvor Anteile erworben hatte, die Einrichtungen auf dem rechten Seine-Ufer, die zur heutigen EIB wurden, während die auf dem linken Ufer bis heute den Namen der Gründerin tragen.
Neue Möglichkeiten eröffneten sich 2012 durch den Verkauf der EIB an den spanischen Konzern Nace Schools, der auch in Großbritannien und Italien aktiv ist. Auf der Website der Schule liest man zwar, dass „die Zugehörigkeit zu Nace Schools eine Chance für EIB Paris“ sei, nicht aber, dass Nace seit 2007 Investmentfirmen gehört: 2014 verkaufte Baring Private Equity Partners Nace für 100 Millionen Euro an den Spanischen Fonds Magnum, der ihn Anfang 2017 für 350 Millionen an Providence verkaufte. Die US-Investmentgesellschaft, spezialisiert auf die Medien- und Kommunikationsbranche, ist auch an Galileo Global Education beteiligt, einem Betreiber von Berufsfachschulen und Fachhochschulen.
Seit Beginn des Jahrtausends hat sich ein Bildungsweltmarkt entwickelt mit internationalen Messen wie dem World Education Market in Vancouver oder dem World Innovation Summit for Education (Wise) in Katar unter der Schirmherrschaft von Musa bint Nasser al-Missned, der Mutter des Emirs, und gesponsert von ExxonMobil und der größten spanischen Bank Santander.
Providence ist seit 2011 über Galileo auf dem französischen Bildungsmarkt aktiv. Nach der Übernahme der Modeschule Institut Marangoni, des Institut supérieur des arts appliqués (LISAA, Hochschule für angewandte Künste) und des Atelier de Sèvres (Vorbereitungskurs für die Kunsthochschulen) kaufte Galileo das Schwergewicht in der privaten Hochschulbildung in Frankreich, Studialis, zu dem 23 Schulen gehören, darunter die renommierte Pariser Theaterschule Cours Florent.
Mit Studiengebühren von durchschnittlich 10 000 Euro pro Jahr sind die Privathochschulen ein lukrativer Sektor: Angesichts der Unterfinanzierung der staatlichen Universitäten sind in Frankreich 80 Prozent der in den letzten zehn Jahren zusätzlich hinzugekommenen Studierenden bei privaten eingeschrieben.3
Aber was haben eigentlich die Schulen davon? „Die Achillesferse des EIB waren die Liegenschaften. Da wir Mieter waren, konnten die Eigentümer jederzeit die Miete erhöhen oder den Vertrag kündigen“, erklärt Direktor Delesalle. „Providence hat uns das Geld gegeben, um einige Gebäude zu kaufen, wie etwa das am Parc Monceau. Aber Private Equity eröffnet vor allem hervorragende Entwicklungsmöglichkeiten. Providence geht es nicht um Kostenkürzungen, sondern um die Entwicklung ihrer Investition.“ Vermutlich will der Fonds beim Weiterverkauf einen ordentlichen Gewinn erzielen.
Die EIB hat die neue Geldquelle auch genutzt, um eine zweisprachige Grundschule im Département Yvelines zu eröffnen. Die Liegenschaften konnte sie für 15 Millionen Euro kaufen. EIB La Jonchère hat keinen Assoziationsvertrag abgeschlossen. Die staatliche Förderung hat zwar Vorteile, ist aber auch mit Auflagen verbunden – wie etwa dem Verbot, in einer anderen Sprache als Französisch zu unterrichten. Deshalb bevorzugt die EIB seit einigen Jahren den Aufbau von Schulen ohne Vertrag. Einträglich sind sie trotzdem. Noch vor der Grundschule La Jonchère wurde in Paris die englischsprachige Schule Victor Hugo eröffnet – 21 990 Euro im Jahr für eine Schullaufbahn bis zum Internationalen Abitur. Das private Auslandsabitur wird von den Universitäten in 146 Ländern anerkannt und ist auf die Bedürfnisse der Kinder von Expats, Diplomaten und Topmanagern zugeschnitten, die ihre Schulzeit in verschiedenen Ländern absolvieren. „In der EIB Victor Hugo sind 70 Nationalitäten vertreten“, schwärmt Delesalle. „Wir haben alle großen Firmen Frankreichs dabei, unser Hauptkunde ist Total.“
Das weit verbreitete Gefühl, dass das staatliche Bildungsangebot immer schlechter wird, und die seit 1992 auf 20 Prozent begrenzte Zulassung von Lehrerstellen für Privatschulen lassen die vertragsfreien Schulen attraktiver erscheinen: 2013 wurden 37 solcher Schulen eröffnet, 2017 bereits 122. Nach den katholischen Schulen der 1990er Jahre sind Einrichtungen mit Waldorf- oder Montessori-Pädagogik oder mit internationalem Curriculum wie die EIB auf dem Vormarsch. Die institutionellen und steuerlichen Bedingungen sind günstig. Die 2004 gegründete Stiftung Fondation pour l’école zur Förderung von vertragsfreien Schulen hat seit 2008 den Status der Gemeinnützigkeit. Dadurch sind Zuwendungen von Privatpersonen zu 66 Prozent und von Unternehmen zu 60 Prozent von der Steuer absetzbar.
Noch ist der Anteil vertragsfreier Schulen zwar unerheblich – sie betreuen 61 500 von 12 Millionen Schülern der Grund- und Mittelstufe –, doch selbst überzeugte Wirtschaftsliberale wie Milton Friedman warnen vor der Vermarktung der Grund- und Mittelstufenbildung, die ein Gut darstelle, das der ganzen Gesellschaft dient – anders als die Hochschulbildung, die als individuelle Investition zu Recht kostenpflichtig sei.
Christian Laval, Professor für Soziologie, kritisierte in einem 2004 erschienenen Buch4 die Veröffentlichung von Ranglisten der Lycées durch die Behörden als „Heuchelei“. Eingeführt wurden sie Anfang der 1990er Jahre als Ansporn für die Lehrer, sich um bessere Resultate für ihre Schüler zu bemühen. Praktisch zeigen sie jedoch den dankbaren Eltern, welche Schulen man meiden sollte. Um in ein „besseres“ Einzugsgebiet zu kommen, melden sie sich pro forma unter einer anderen Adresse an – oder sie schicken ihr Kind, wenn sie wohlhabend genug sind, gleich in eine Privatschule.
Da eine gute Schulbildung als notwendige Investition für den sozialen Aufstieg gilt, kämpfen viele Familien darum, dass ihr Nachwuchs in die – laut Ranking – beste Schule kommt oder zumindest nicht in eine „Problemschule“. „Man muss nicht fanatisch dem neoliberalen Credo anhängen und den Schulmarkt unbedingt fördern wollen, damit sich ein solcher entwickelt“, schreibt Christian Laval. Es reiche schon der Wettbewerb zwischen den Eltern.
Die neoliberale Wettbewerbsförderung auf dem Bildungsmarkt wird in den westlichen Ländern in unterschiedlichem Ausmaß seit 30 Jahren angewendet. 1984 führte Frankreichs sozialistischer Bildungsminister Alain Savary zunächst probeweise erste Maßnahmen zur Lockerung der Einzugsgebiete für Grundschulen ein. 1985 wurden die Mittelschulen zu juristischen Personen und erhielten mehr finanzielle, administrative und pädagogische Autonomie. Und heute gehören private Lycées mit Assoziationsvertrag US-amerikanischen Pensionsfonds. Fragt man im Bildungsministerium nach, bekommt man nur die unbekümmerte Antwort, wenn zwischen Subventionen und Aktionären sauber getrennt werde, sei das doch „überhaupt kein Problem“.
2 Siehe Pisa-Studie von 2016, www.oecd-ilibrary.org.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Laura Raim ist Journalistin.