Noch sitzen sie am Steuer
Mit Truckern unterwegs auf den Highways der USA
von Julien Brygo
XPO Logistics, Long Beach, Kalifornien. Vor dem Eingang steht mitten auf dem Rasen ein großes Schild: „Wir stellen selbstständige Fahrer ein!“ Es hat etwas Verzweifeltes, und man muss unwillkürlich an die Aushänge denken, die ungefähr in jedem Highway-Diner an der Tür kleben: „Personal gesucht!“
2015 hat XPO für mehr als 3,5 Milliarden Dollar den großen europäischen Spediteur Norbert Dentressangle übernommen; das Unternehmen beliefert Großhändler wie Walmart oder Amazon und hat trotzdem das gleiche Problem wie fast alle Speditionsfirmen in den USA. Landesweit fehlen 50 000 Lkw-Fahrer.
Mai 2018. Vor dem Firmenportal bereitet man sich gerade auf den sechsten Streik innerhalb von vier Jahren vor. Santos Castaneda und seine Kollegen von der International Brotherhood of Teamsters (IBT), einer der größten US-Gewerkschaften (1,4 Millionen Mitglieder, davon 600 000 Fahrer), sammeln Unterschriften für eine Petition gegen XPOs Zusammenarbeit mit selbstständigen Truckern.
Aus Castanedas Sicht handelt es sich dabei um eine Scheinselbstständigkeit: „Wir haben fünfmal vor dem obersten Gerichtshof Kaliforniens geklagt“, erzählt er. „Wir haben Unterschriftenaktionen gemacht und Sammelklagen eingereicht. Wir haben sogar mit unseren europäischen Gewerkschaftskollegen eine weltweite Kampagne gestartet, aber nichts hat geholfen: XPO weigert sich, seine Fahrer fest anzustellen!“ Hier in Long Beach haben die meisten der 150 Fahrer ihren Truck direkt von XPO geleast – am Ende der Vertragslaufzeit, und wenn sie keinen Unfall gebaut haben, gehört der Truck ihnen.
Der Chef von XPO, Bradley Jacobs, mag keine Gewerkschaften. „Die Teamsters haben im Unternehmen keinen leichten Stand“, erklärt Daniel Duarte, ein Busfahrer, der zur Unterstützung seiner Kollegen gekommen ist. Man würde ihnen immer noch die alte Jimmy-Hoffa-Geschichte zur Last legen. Der legendäre Präsident der Teamsters organisierte 1932 als 19-Jähriger seinen ersten Streik und hatte enge Verbindungen zur Mafia. „Und darauf reiten die Bosse heute noch herum, um uns zu diskreditieren und gegenüber neuen Mitarbeitern als Mafia darzustellen, die ihnen das Geld aus der Tasche ziehen will. Wenn dich die Chefs mit der IBT in Verbindung bringen, geben sie dir keine Arbeit. Deshalb haben die Männer Angst, ihre Rechte geltend zu machen.“
Castaneda zeigt auf die weiße Linie, die vor dem Tor verläuft: „Wenn wir diese Linie überschreiten, rufen sie die Polizei.“ In dem Moment nähert sich ein scab (Streikbrecher). Ein Peterbilt-Sattelschlepper mit der typischen langen Schnauze überfährt die Linie; der Fahrer bremst und zielt mit einem imaginären Colt auf die Gewerkschafter, dann gibt er Gas und verschwindet in einer der Lagerhallen. „Das sind die Lieblinge der Bosse. In Amerika gibt es viele solcher radikalen Gewerkschaftsgegner. Sie bekommen einen Bonus, wenn sie uns ersetzen!“
Kämpfende Trucker, Streikbrecher, eine sich hinter Stahlgittern verschanzende Betriebsleitung – man fühlt sich wie in dem 1970er-Jahre-Film „F.I.S.T. – Ein Mann geht seinen Weg“ von Norman Jewison, in dem der junge Sylvester Stallone alias Johnny Kovak 1937 in Cleveland einen Streik nach dem anderen organisiert, um kürzere Arbeitszeiten und höhere Löhne zu erzwingen.
Elf Stunden auf der Straße und nachts Schlaftabletten
Die Fahrer bei XPO scheinen heute gegen die gleichen Wände zu rennen wie ihre Kollegen von damals. Wäre da nicht ein neuer Akteur, von dem in Bankanalysen und Unternehmensmeldungen die Rede ist: Der „autonome“ Lkw, der keinen Menschen mehr am Steuer braucht, könnte die US-amerikanische Logistikbranche bald grundlegend verändern.
Nach einer 2013 veröffentlichten Einschätzung der Großbank Morgan Stanley werden sich die selbstfahrenden Lkws als Erstes an den Containerterminals der Häfen durchsetzen und Fahrer wie die von XPO überflüssig machen.1 Zwischen 2020 und 2025 würden dann autonome Lkws der „Stufe 4“ zum Einsatz kommen, die allein fahren können, jedoch nur auf zuvor kartografierten Strecken und mit einem menschlichen Kopiloten, der im Problemfall eingreifen kann.
Die vollständig autonomen Fahrzeuge der „Stufe 5“, ohne Menschen an Bord, würden sich ab 2030 durchsetzen. Morgan Stanley schätzt die Einsparungen durch die Automatisierung auf 168 Milliarden Dollar jährlich, davon würden 70 Milliarden an Lohnkosten gespart, 36 Milliarden durch vermiedene Unfälle2 , weitere 35 Milliarden durch einen geringeren Spritverbrauch und vergleichsweise bescheidene 27 Milliarden durch „Produktivitätsgewinne“. Andere Finanzanalysten sind noch optimistischer.
Nach der Analyse von Morgan Stanley werden Leasing-Fahrer wie die von XPO in Long Beach die ersten Opfer der neuen Technologie sein. „Dazu wird es nie kommen“, hofft Andre Hart, der seit 17 Jahren auf den Highways unterwegs ist. „Es ist jetzt schon saugefährlich auf den Straßen! Computer haben keine Augen. Mit den Kameras gibt es jeden Tag böse Überraschungen.“ Gerald Daniels, Rastalocken bis zur Hüfte und dunkle Sonnenbrille, widerspricht: „Natürlich kommt das! Am Containerterminal in Long Beach arbeiten jetzt schon keine Menschen mehr, um die Lkws zu beladen.“3 Wie die GPS-gelenkten Mähdrescher, die Mähroboter für den Garten oder die Staubsauger, die selbstständig den Teppich reinigen, werden auch die Lkws der Zukunft „autonom“ sein, verspricht das Silicon Valley.
In den USA arbeiten 3,5 Millionen Menschen in diversen Branchen als Fahrer. Anfang 2015 veröffentlichte das National Public Radio (NPR) Karten über die Entwicklung der Berufe in den letzten fünfzig Jahren. Sichtbar wurden zwei klare Tendenzen: Das Verschwinden der Farmer und der Anstieg der Zahl von Lkw-Fahrern.4 In fast allen Bundesstaaten ist Lkw-Fahrer der häufigste Beruf, gefolgt von Angestellten im Einzelhandel, Lehrern und der deutlich wachsenden Zahl von Software-Entwicklern.
In den USA arbeiten heute 1,8 Millionen Menschen als Fernfahrer (93 Prozent sind Männer). Sie transportieren etwa 70 Prozent der Konsumgüter, der Rest wird per Bahn verschickt. Nach den Angaben des Bureau of Labor Statistics lag das durchschnittliche Bruttojahresgehalt eines Truckers im Mai 2017 bei 44 500 Dollar (zum Vergleich: Busfahrer verdienen 35 000 Dollar) und trotzdem ist die Fluktuation hoch: Fast alle Fahrer, die bei einem Transportunternehmen anfangen, verlassen es binnen sechs Monaten wieder.
Der Trucker war lange Zeit eine Schlüsselfigur des amerikanischen Mythos vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten: „Er wird zugleich als Cowboy und Rebell gefeiert“, beschreibt ihn der Autor Rich Cohen, der im Mittleren Westen aufwuchs und selbst „immer davon geträumt hat, einen Laster zu fahren“.5
Die Musik, aber auch das Kino – von Jewisons „F.I.S.T.“ über Sam Peckinpahs Roadmovie „Convoy“ (1978) bis zu Hal Needhams Komödie „Ein ausgekochtes Schlitzohr“ haben dieses Bild geprägt: der Trucker als Schlaukopf, mit einem guten Riecher fürs Geschäft, der mit seinen Kollegen eine eigene Sprache spricht und sie zu seinen Gunsten zu mobilisieren weiß. In „Convoy“ antwortet Martin „Rubber Duck“ Penwald, gespielt von Kris Kristofferson, auf die Frage nach dem Ziel seines Widerstands gegen die Staatsgewalt, dem sich hunderte Kollegen angeschlossen haben: „Der Sinn des Konvois ist es, niemals stehenzubleiben.“
„Wir Trucker sind keine modernen Cowboys, eher wie Wildkatzen, die sich nie begegnen, weil jede ihrem eigenen Weg folgt“, beschreibt es Andre Ribeiro, der für ein kalifornisches Unternehmen arbeitet. Er macht gerade halt an einer Tankstelle in Minnesota, wie es sie tausendfach im Land gibt: Zapfsäulen mit Kartenzahlung, eine prekär beschäftigte Angestellte hinter dem Tresen, Würstchen, die auf Heizröhren rotieren, und Thermobehälter mit Kaffee, den sich die Fahrer in Becher abfüllen.
„Das Schlimmste ist das Warten, die Einsamkeit, das Gefangensein in den eigenen Gedanken. Und die Müdigkeit. Das werden euch alle Trucker sagen: Wir sind eine echte Gefahr, weil man die letzten Kräfte aus uns herauspresst. Ich sitze elf Stunden am Tag hinter dem Steuer! Wir dopen uns mit Koffein und Energydrinks. Wir probieren alles, was auf den Markt kommt und wach macht. Zum Einschlafen nehmen wir Tabletten.“
1500 Kilometer entfernt in New Mexico parkt der 72-jährige Paul Scott seinen schwarzen Truck mit gelbem Logo in der Nähe einer Tankstelle, die Westernatmosphäre verströmt: Saloon, Arztpraxis, Gefängnis. Scott fährt seit fünfzig Jahren für UPS, den weltweit größten Paketlieferanten mit 435 000 Angestellten – und das Symbol für den letzten großen Gewerkschaftssieg in den USA am Ende des berühmten „UPS-Streiks“ von 1997.
Scott war damals einer von 185 000 streikenden Gewerkschaftern, die die Direktion von UPS mit einer zweiwöchigen Blockade in die Knie zwangen. Der erfolgreiche Arbeitskampf der UPS-Fahrer hauchte der Gewerkschaftsbewegung in den USA neues Leben ein und ließ das Trauma von 1981 vergessen, als auf Anordnung Ronald Reagans 11 359 streikende Fluglotsen entlassen wurden.
„Dank des Streiks haben wir gute Arbeitsbedingungen, gute Löhne und sogar gute Uniformen bekommen. Für nichts in der Welt würde ich meinen Platz hergeben: Wir haben acht Wochen Urlaub, eine sehr gute Rente, eine Krankenversicherung und gute Löhne, bis zu 100 000 Dollar im Jahr. Im Vergleich zu den Selbstständigen, die gerade mal 1200 Dollar pro Woche bekommen, über 60 Stunden arbeiten und alles selbst bezahlen müssen, stehen wir sehr gut da.“
Scott bedauert nur, dass das Unternehmen sein Prämiensystem abgeschafft hat, früher bekamen die besten Fahrer für dreißig Jahre treue Dienste eine Waschmaschine oder einen Grill. „Das ist alles vorbei. In meiner Nachbarschaft wurde vor Kurzem eine Frau von einem selbstfahrenden Auto von Uber getötet.6 Trucks ohne Fahrer will ich mir gar nicht vorstellen. Fahrer werden immer gebraucht, oder? Ich hoffe, dass Trump das nicht zulässt.“
In den Excel-Tabellen der Start-ups im Silicon Valley tauchen die „modernen Cowboys“ nur noch als rote Zahlen auf. Die Trucker mit ihren Pausen, ihren acht Stunden Schlaf, ihren Löhnen und ihren Androhungen von Protestkonvois machen bis zu 40 Prozent der Gesamtkosten des Warentransports aus. Kein Wunder, dass im Silicon Valley darüber nachgedacht wird, sie wegzurationalisieren. Im Oktober 2016 vermeldete das von Uber übernommene Unternehmen Otto die erste erfolgreiche autonome Lieferung von Budweiser-Bierkästen über eine Strecke von fast 200 Kilometer. Seitdem überschlagen sich die Entwicklungen. Neben Uber, Google und Tesla rivalisieren fünf Start-ups um die Entwicklung des ersten zuverlässigen Systems für selbstfahrende Lkws.
Der 28-jährige Stefan Seltz-Axmacher ist mit seinem Unternehmen Starsky Robotics der Däumling unter den fünf konkurrierenden Start-ups. Der Absolvent einer Handelsschule, dünnes Kinnbärtchen, pausbäckig und mit glänzenden Augen, begrüßt uns in seinem Büro in San Francisco mit der Auskunft, er selbst habe nie als Trucker gearbeitet. Ausgestattet mit einem Budget von 21,5 Millionen Dollar und 30 angestellten Ingenieuren arbeitet er seit 2015 an einem System ferngesteuerter Lkws, die er schon zwischen den Lagerhallen von Amazon und den Containerterminals hin und her fahren sieht.
Um das ganze Land in ein gigantisches Amazon-Fließband zu verwandeln, muss man nicht millionenfach Verkehrsschilder mit Bar-Codes versehen oder elektronische Chips unter dem Asphalt installieren. Mit Kameras, Radargeräten und Bewegungsdetektoren ausgerüstet, werden die Lkws, solange sie auf „komplexen“ Straßen fahren, von Technikern aus der Ferne gesteuert, auf der Autobahn wechseln sie in den „autonomen“ Modus. „Technisch sind wir fast so weit“, versichert Seltz-Axmacher. „Wir haben in den letzten drei Jahren eine fantastische Entwicklung erlebt.“
Seltz-Axmacher verdankt seine Idee der Anti-Terror-Operation „Haymaker“, bei der zwischen Januar 2012 und Februar 2013 das US-Militär im Nordosten Afghanistans mehr als 200 Menschen getötet hat (die meisten waren Zivilisten): „Als ich im Fernsehen sah, wie Drohnen Ziele in Afghanistan angriffen, habe ich mir gesagt, wenn es möglich ist, Flugzeuge fernzusteuern, muss das doch auch mit Schwerlastern gehen.“7
Mit den Ingenieuren und Technikern von Starsky Robotics will Seltz-Axmacher bis Ende 2018 die ersten Feldversuche in Florida abschließen. „Am Anfang ist das Misstrauen natürlich groß, aber das wird nicht lange vorhalten. Menschen sind nicht besonders gut darin, den ganzen Tag monotone Arbeiten zu verrichten, wie zum Beispiel zehn Stunden lang geradeaus zu fahren. Computer sind hingegen sehr gut darin. Die Trucker, die immer noch glauben, ihre Arbeit werde nie automatisiert, erinnern mich an die brasilianischen Kautschuksammler in den 1980ern, die überzeugt waren, keine Maschine könne sie je ersetzen.“
Am 15. Mai 2018 fand in Las Vegas hinter verschlossenen Türen ein Gewerkschaftstreffen der Teamsters zum Thema autonome Lkws statt. „Es war instruktiv, aber wir müssen uns noch mal treffen“, erzählt Doug Bloch, Vorsitzender der Gewerkschaftssektion für Kalifornien und New Mexico. „Wir sind nicht gegen die neue Technologie, aber sie darf nicht dazu dienen, den Job im Cockpit noch anstrengender und sinnloser zu machen, indem man die Fahrer zu Roboterassistenten degradiert. Und dann sage ich Ihnen eins: Wer wie der Starsky-Boss behauptet, sie seien ‚bereit‘, der lügt. Die Infrastrukturen sind nicht bereit, die Computer sind nicht bereit. Die Amerikaner sind nicht bereit. Wir sind noch weit entfernt von dem Tag, an dem lauter fahrerlose Trucks über die Straßen rollen.“
Dabei hat die Entwicklung neuer Technologien den Arbeitsalltag der Lkw-Fahrer längst grundlegend verändert. In den modernen Trucks wird mit dem Smartphone statt über die Radiofrequenzen des CB-Funk kommuniziert; die handgeschriebenen Fahrtenbücher wurden durch elektronische Fahrtenschreiber ersetzt, und statt Straßenkarten nutzt man GPS. Auch die Wadenmuskeln und die Füße werden dank Tempomat („Stufe 1“ des autonomen Fahrens) entlastet. „Seit es Google gibt, schwindet die Solidarität unter den Truckern“, beklagt Mike Davidson, ein Fernfahrer aus Iowa, der sich den Spruch „Swim or sink“ auf Finger und Arme eintätowieren ließ. „Als ich anfing, brauchten wir das CB, um uns bei Kollegen nach Staus und Unfällen zu erkundigen. Wir mussten miteinander reden. Jetzt sagen wir ,Okay Google‘, und das reicht.“
Angst vor dem selbstfahrenden Lkw
Ein Supermarkt, 900 Parkplätze und sogar ein Museum: Der Truckstop „Iowa 80“ soll so etwas wie eine „Sweet Home Town“ für Fernfahrer sein. Zur Begrüßung steht in der Einfahrt ein funkensprühender Truck mit dem Werbeslogan „If you bought it, a truck brought it“ (Wenn Sie es gekauft haben, hat ein Truck es gebracht) begrüßt. Die Fahrer können sich den Rücken massieren oder die Zähne behandeln lassen, eine Runde auf dem Crosstrainer fahren, im Fernsehraum dösen oder in Sandalen über „echten Iowa-Rasen“ laufen.
„Hier gibt es die besten Duschen von ganz Amerika“, versichert Tonya Brewer. „Es heißt immer, Trucker seien schmutzig und gemein. Ich wasche mich jeden Tag oder wenigstens jeden zweiten. Und ich mache keinen Stress auf der Straße!“ Sie arbeitet bei Swift, einem der größten Spediteure in den USA. „Ich fahre 25 Tage im Monat und elf Stunden am Tag, verdiene ungefähr 1200 Dollar pro Woche und bin vier Tage im Monat zu Hause. Mein Mann und ich lieben uns, aber vier Tage im Monat sind genug. Ich bin sehr gern allein. Für mich bedeutet das Freiheit.“
Die Zeit der Trucker ist streng bemessen. Der elektronische Fahrtenschreiber registriert alle Pausenzeiten — und die sind unbezahlt. Felipe Ramirez, gebürtiger Kubaner und selbstständiger Fernfahrer schimpft: „Wenn ich den Kerl finden würde, der diese Maschine erfunden hat, würde ich ihn zwingen, elf Stunden am Tag auf seinem Bürostuhl zu sitzen und jede Bewegung von ihm kontrollieren, damit er ja nicht schläft oder sich ausruht!“
In 24 Jahren auf der Straße ist Ramirez mehr als eine Million Meilen gefahren. Auf dem Parkplatz zieht er die roten Sicherheitsfahnen zurecht, die an seiner Ladung hängen, bevor es weitergeht nach Reno, Nevada. „Niemand will mehr diesen Scheißjob machen, und ich kann die jungen Leute verstehen. Ich mag dieses Leben, aber es verlangt große Opfer. Meine Tochter liegt seit drei Tagen mit einer Darmentzündung im Krankenhaus, sie ist in Miami, und ich bin hier, auf der Straße. Das ist mein Leben.“
Im Truck-Museum steht gleich am Eingang ein „Big Brute“, ein Wagen von General Motors aus dem Jahr 1927. Ein Videoprojektor wirft in Endlosschleife einen Propagandafilm an die Wand, in dem der „freie und stolze Trucker“ mit einem Kaffeebecher in der Hand den Sonnenaufgang über den Rocky Mountains genießt. Unterlegt mit Countrymusik tragen Fahrer unterschiedlicher Hautfarbe die Botschaft vor: „Wir sind stolz, amerikanische Trucker zu sein.“
Und es gibt eine Chronik des Warentransports, der 1750 mit Pferdegespannen beginnt und ab 1896 mit dem ersten Vierradfahrzeug von Ford rasant Fahrt aufnimmt. 1903 wurde die Teamsters-Gewerkschaft gegründet. Auch das Schlüsseljahr 1980 ist auf dem Zeitstrahl vermerkt, als unter US-Präsident Jimmy Carter der Motor Carrier Act eingeführt wurde. Ab sofort durfte sich der Staat nicht mehr in Lohn- und Lizenzverhandlungen einmischen, und die Trucker wurden den Gesetzen des Markts ausgeliefert. Der Zeitstrahl endet mit der Frage: „Was wird uns die Zukunft bringen?“
„Ich hoffe jedenfalls, es wird keine Zukunft mit Trucks ohne Trucker“, antwortet die Museumsangestellte Sandra C. „Ihr Leben ist so schon hart genug. Viele kommen nur einmal im Monat nach Hause, und alle essen unterwegs sehr schlecht. Sie sehen ja, wie leer es hier ist; so ist es unter der Woche immer. Die Fahrer haben überhaupt keine Zeit, hier vorbeizuschauen, dabei ist das, so viel ich weiß, das einzige Museum im Land, das ihnen gewidmet ist.“
4 Siehe „Map: the most common job in every State“, 5. Februar 2015, www.npr.org.
5 Rich Cohen, „The end of the big-rig dream“, The Wall Street Journal, New York, 9. Februar 2018.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Julien Brygo ist Journalist.