Freiheit, die er meint
Für Mitt Romney hat Außenpolitik nur ein Ziel: freie Bahn für US-Unternehmen von Johann Hari
Die Entführung eines demokratisch gewählten Präsidenten oder die Einsetzung eines Massenmörders als Diktator eines Landes – so etwas würde man dem Strahlemann mit dem kantigen Kinn, den Mitt Romney auf vielen Bildern gibt, schwerlich zutrauen. Und dennoch sieht der Präsidentschaftskandidat der Republikaner darin ein Modell für Washingtons Außenpolitik. Dass Romney als Chef einer Investmentfirma ganze Unternehmen zerschlagen hat, halten ihm seine Kritiker schon länger vor. Doch dieser Mann ist genauso bereit, ganze Demokratien zu zerschlagen.
Romney wird immer wieder vorgeworfen, er habe keine eigenen Überzeugungen und gehe mit x-beliebigen Thesen auf Stimmenfang. Es stimmt, dass Romney bei sozialen Themen wie Abtreibung oder Krankenversicherung meist nur herumeiert. Aber an gewisse Prinzipien hat er sich immer gehalten. Er war und ist ein unerschütterlicher Verteidiger der Freiheit – wenn auch in einem sehr speziellen, neoliberalen Sinne. Letztes Jahr bürstete er einen Zwischenrufer beispielsweise mit dem Satz ab „Unternehmen sind Menschen, mein Freund“. Es scheint, als wolle er die Freiheit dieser „Menschenwesen“ noch erweitern, damit sie überall auf der Welt ihre Interessen frei und unbehelligt verfolgen können.
In seinem eher drögen Buch „No Apologies“ (sinngemäß: „Ich bereue nichts“) kommt Romney nur an einer Stelle richtig in Wallung: beim Thema Honduras. 2009 hatte die dortige Bevölkerung in einer freien und fairen Wahl den alles andere als linksradikalen Manuel Zelaya zu ihrem Präsidenten gewählt. Der reiche Großgrundbesitzer war der Kandidat der Liberalen Partei, die ebenso wie die mit ihr konkurrierende Nationale Partei die Oligarchie des Landes repräsentiert.1 Aber immerhin versuchte Zelaya als Präsident ein paar wesentliche Verbesserungen für die Bevölkerungsmehrheit des zweitkleinsten Landes Lateinamerikas durchzusetzen. So hob er den Mindestlohn um 60 Prozent an und finanzierte ähnliche Sozialprogramme für die Armen, wie sie zuvor in Brasilien der linke Präsident Lula da Silva mit Erfolg eingeführt hatte.
Das reichte aus, um die Rechten im Land in Rage zu bringen. Zelayas Gegner beschimpften ihn als Demagogen und Möchtegern-Diktator. Seinen Plan, das Volk über eine Reform der 1982 nach dem Ende der Militärdiktatur verabschiedeten Verfassung abstimmen zu lassen, bezeichnete die Rechte als Staatsstreich. Der Konflikt endete damit, dass eines Nachts ein Militärkommando in den Präsidentenpalast eindrang und Zelaya im Pyjama verhaftete. Sie brachten ihn zu einer US-Militärbasis und flogen ihn nach Costa Rica aus.
In Honduras waren inzwischen die meisten Radio- und TV-Sender abgeschaltet und der Mobilfunk unterbrochen. Es folgten Massenverhaftungen und schwere Menschenrechtsverstöße, bis hin zu Folter.2 Seit dem Putsch wurden 25 Journalisten ermordet, die über Menschenrechtsverletzungen berichten wollten.3 Nach Angaben der Nationalen Widerstandsfront, eines Zusammenschlusses von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Parteien, die für Zelayas Wiedereinsetzung kämpfen, wurden 200 ihrer Mitglieder aufgespürt und umgebracht.4 Die Regierung, die all das zu verantworten hat, lockt derweil internationale Investoren mit dem Slogan: „Honduras ist offen für Geschäfte“.
Ein Rechtsputsch ganz nach seinem Geschmack
Worüber also regt sich Mitt Romney so auf? Seinen Zorn erregt nicht etwa, dass hier eine Demokratie zerschlagen wurde, sondern dass die USA sich nicht von vornherein auf die Seite der Kräfte gestellt haben, die einen gewählten Präsidenten der gemäßigten Linken aus dem Amt gejagt haben. In einem Pressegespräch im Dezember 2011 übte Romney scharfe Kritik an der Obama-Regierung: „Als die Menschen in Honduras ihren promarxistischen Präsidenten feuern wollten, stellte sich unser Präsident auf dessen Seite.“5 In seinem Buch bezeichnet er Zelaya als einen „korrupten Autokraten, den das oberste Gericht von Honduras rechtmäßig aus dem Amt befördert hat“. Und über Obama schreibt er in dem Zusammenhang: „Es verschlägt einem den Atem, dass der Präsident der Vereinigten Staaten Honduras offenbar zwingen wollte, entgegen seinen eigenen Gesetzen einen repressiven, amerikafeindlichen Führer wieder an die Macht zu bringen.“
Die Einzigen, die Romney Einschätzung teilen, sind die extremen Rechten in Honduras. Den durch Wikileaks veröffentlichten diplomatischen Depeschen zufolge ging selbst die US-Botschaft in Honduras Hauptstadt Tegucigalpa davon aus, dass die Entführung und Verschleppung des gewählten Präsidenten „einen illegalen und verfassungswidrigen Putsch“ darstellt.
Romneys Ansichten über Honduras zeigen, wie er sich Außenpolitik vorstellt. Auf eine historische Epoche, in der die USA eine besonders erfolgreiche Außenpolitik ganz nach seinem Geschmack betrieben hätten, verwies er in einer von CNN und der ultrakonservativen Heritage Foundation veranstalteten Diskussionsrunde im November 2011: Die US-Politik in Indonesien in den 1960ern könne auch für den heutigen Umgang der US-Regierung mit Krisenregionen wie Pakistan ein Vorbild sein: „Damals haben wir Indonesien dabei geholfen, sich unter einer neuen Führung zu modernisieren.“6
Ganz anders klingt das in einem an die Öffentlichkeit gelangten CIA-Aktenvermerk, demzufolge die Massaker des indonesischen Suharto-Regimes der Jahre 1965 und 1966 zu den „schlimmsten Massenmorden des 20. Jahrhunderts“ zählen.7 Warum Indonesien für den Westen damals so wichtig war, geht aus einem Memorandum des britischen Außenministeriums von 1964 hervor, in dem das Land als „wichtiger Produzent unverzichtbarer Rohstoffe“ bezeichnet wird. Fast 85 Prozent der weltweiten Kautschukproduktion komme von dort, bei Zinn seien es über 45 Prozent, bei Kokosfett 65 Prozent und bei Chrom 23 Prozent.8 In Indonesien hatte seit der Unabhängigkeit 1945 der autokratische Präsident Sukarno regiert, der sich sowohl dem US-amerikanischen wie dem sowjetischen Imperialismus entgegenstellte und – zum Leidwesen der US-Konzerne – die Kontrolle über die Ressourcen des Landes behalten wollte.
Knallharte Überzeugungen
Dabei ist Romney vor allem begeistert darüber, wie die CIA den Aufstieg von General Suharto gefördert hat. Dieser putschte 1965 gegen Sukarno und errichtete ein noch viel autokratischeres, aber US-freundliches Regime. Zunächst lieferte die CIA den indonesischen Militärs Waffen – und als diese die Macht übernahmen, auch noch eine Liste mit 5 000 Namen von Funktionären und Mitgliedern der Kommunistischen Partei. Nach Darstellung von Joseph Lazarsky, damals zweiter Mann der CIA in Jakarta, diente sie der indonesischen Armee als „Todesliste“.9
Dem Massaker an mutmaßlichen Kommunisten fielen damals ungefähr 500 000 Menschen zum Opfer, die meisten waren landlose Bauern. Zehn Jahre später befahl der Massenmörder Suharto die Invasion in Osttimor, wo nach Schätzungen von Amnesty International zwischen 1975 und 1999 insgesamt 200 000 Menschen, also ein Drittel der Bevölkerung, getötet wurden oder an Hunger und Epidemien starben.
Aus Romneys Sicht war Indonesien 1965 ein freieres Land geworden. Freier jedenfalls für die Unternehmen, die sich jetzt nach Belieben bedienen konnten, während der Widerstand der Bevölkerung mit Waffengewalt erstickt wurde. Da Suharto den multinationalen Konzernen alle Rechte zur Ausbeutung weiter Landesteile überließ, wurde Indonesien zum Paradies für Investoren.
Was verrät diese Geschichte über eine mögliche US-Regierung unter Mitt Romney? Der Kandidat glaubt nicht nur, dass Unternehmen menschliche Wesen seien. Er glaubt auch, dass sie Wesen sind, deren Freiheit über alles geht. Was die Freiheit einschließt, demokratische Regierungen zu stürzen und Tyrannen an die Macht zu bringen. Dass Romney die Außenpolitik nur durch die Brille des Profitmachens sieht, ist allerdings nicht überraschend. Schließlich sieht er alle Bereiche des menschlichen Lebens, und seien sie noch so privat, durch diese Brille.
Die New York Times berichtete Ende letzten Jahres über einen Vortrag von Romney an der Harvard Business School, wo er einst seinen Abschluss gemacht hat. Darin belehrte er die Studierenden, dass sie als Individuen im Grunde wie multinationale Konzerne seien. Zur Illustration präsentierte er eine „Wachstumsmatrix“, in der einzelne Kreise für verschiedene Lebensbereiche wie Arbeit, Familie und Kirche standen. Wenn jemand zum Beispiel in den Bereich Arbeit investiere, führe das zu erkennbaren Erträgen in Form von höheren Gehältern oder Profiten. Und die Lehre für den Bereich Familie? „Eure Kinder bringen euch 20 Jahre lang keinen belegbaren Gewinn ein“, meinte Romney. Aber wer nicht genug Zeit und Energie in Ehepartner und Kinder investiere, mache seine Familie wahrscheinlich zu „dogs“ – in der Finanzberatersprache Leute, die für ein Unternehmen nur Kosten verursachen.10
Wer die Wertschätzung seiner Kinder nicht an Gefühlen, sondern an ihrem Erfolg festmacht, der wird wohl auch brutale Diktatoren nach derartigen Maßstäben beurteilen. Die halbe Million Bauern, die Suharto töten ließ, haben den USA keinen Erfolg gebracht – womöglich hätten sie sich als reiner Kostenfaktor erwiesen –, aber Suharto hat geliefert, indem er den US-Konzernen Gewinne verschaffte.
Dieselben Maßstäbe gelten für Romney natürlich auch in der Innenpolitik. Auf diesem Feld gerät er in seinem Buch nur an einer Stelle in Wut, nämlich wenn es um das bisschen Einfluss geht, das die Gewerkschaften in den USA noch haben und das ihm immer noch viel zu viel ist. Auch das gehört zu Romneys Vision über die Freiheit: Er will, dass die Reichen sich in Organisationen – das heißt in Konzernen – zusammenschließen dürfen, um ihre Interessen durchzusetzen. Und wenn andere versuchen, die Freiheit dieser Konzerne zu beschränken, indem sie ebenfalls ihre Interessen gemeinsam vertreten, dann muss man sie daran hindern. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine demokratisch gewählte Regierung in Honduras handelt oder um eine demokratisch gegründete Gewerkschaft in Wisconsin. Beide behindern schließlich die Freiheit von Unternehmen wie der Investmentfirma Bain Capital, deren Mitbegründer Romney ist.
Romney überträgt dieses Wertesystem auf alle Dimensionen des Menschseins, von der Elternrolle bis zum Amt des US-Präsidenten. Es stimmt also nicht, dass dieser Mann keine Überzeugungen hat. Er ist vielmehr ein knallharter Ideologe, der das durch seine Ideologie verursachte Leid einfach ignoriert. In den 1930er Jahren haben die Stalinisten die Millionen Hungertoten in der Ukraine ignoriert, die einer Politik der „Modernisierung unter neuer Führung“ zum Opfer fielen. Romney ignoriert die Morde an Dissidenten in Honduras und Indonesien, weil er glaubt, dass „freie Unternehmen“ sich alles herausnehmen – und notfalls auch Gewalt anwenden dürfen.