Sterne und Steuern
Die Isle of Man lockt Raumfahrtinvestoren von Philippe Rivière
Auf der Isle of Man, so besagt die Legende, lebte einst der Fenoderee („der Behaarte“), ein Kobold, dessen größte Freude es war, den Bauern und Fischern zu helfen.1 So brachte er nachts für die Bauern die Ernte ein, und wenn sie ein Haus bauen wollten, schaffte er ihnen wie von Zauberhand die nötigen Steine herbei. Die Fischer wiederum entdeckten am Morgen, dass ihre Boote und Netze repariert waren.
Das moderne Zaubermittel der Isle of Man heißt inzwischen „null Steuern“. Seine Nutznießer sind seit 2004 nicht mehr die Bauern und Handwerker, sondern die neuen Eroberer des Alls. Die vor allem von Schafen bevölkerte Insel liegt inmitten der Irischen See. Bei gutem Wetter kann man die Küste von Irland, Schottland, England sehen, etwas weiter entfernt auch Wales. Die Isle of Man liegt im globalen Ranking auf Platz 5 der Territorien, die demnächst eine bemannte Mission zum Mond entsenden könnten.2
Die Insel hat 85 000 Einwohner, ihre Jugend schickt sie zum Studieren ins Ausland, weil sie keine Universität besitzt, geschweige denn ein Forschungszentrum. Wie kann es dann sein, dass ein so kleines Gebiet es schafft, zu einer aufstrebenden Weltraummacht zu werden?
Das Geschäfts- und Regierungsviertel der Hauptstadt Douglas ist überschaubar klein. Es liegt rings um den kleinen Hafen, in dem Fischer- und Sportboote vor Anker liegen. Alexander Downie ist Mitglied des Gesetzgebenden Rats, einer Art Oberhaus der Insel. Er empfängt uns im Tynwald, dem Parlament der Isle of Man. Downie erinnert an die Wikingerwurzeln des Ministaats: „Unser Land hat das älteste ununterbrochen tätige Parlament der Welt. Seine Versammlungen sind seit dem Jahr 979 belegt. Unsere politische Stabilität verdanken wir der Tatsache, dass es hier seit jeher keine Parteien gibt; die 80 Abgeordneten des Unterhauses sind fast alle unabhängig. Deshalb arbeiten wir nach dem Konsensprinzip, wobei jeder allein entscheidet, wie er abstimmt.“
Jedes Jahr am 5. Juli versammelt sich das Parlament in St. John’s, einem kleinen Dorf im Westen der Insel. Auf einem Hügel, der ein bisschen wie eine Hochzeitstorte aussieht, verkünden die Abgeordneten die im Lauf des Jahres verabschiedeten Gesetze.
Für den ehemaligen Handels- und Industrieminister funktioniert die Isle of Man (im örtlichen gälischen Idiom: Ellan Vannin) mit der Dynamik eines kleinen Unternehmens. Ihre Gesetze werden den Umständen und den Erfordernissen des Markts angepasst. Und zwar ziemlich furchtlos. So hat man etwa 1904 Bestimmungen verabschiedet, die dem Automobile Club of Great Britain and Ireland die Genehmigung erteilten, auf den Landstraßen der Insel ein Autorennen zu veranstalten. In Großbritannien wäre der Wettbewerb wegen des Tempolimits (20 Meilen beziehungsweise 32 Kilometer pro Stunde) unmöglich gewesen. Seit 1905 wird das Rennen für Motorräder ausgetragen. Diese „Tourist Trophy“ entwickelte sich zu einem der gefährlichsten Rennen der Welt, das jedes Jahr 40 000 Zuschauer auf die Insel lockt, doppelt so viele wie die Hauptstadt Einwohner hat. Seit 1905 sind 240 Teilnehmer des Rennens durch Unfälle zu Tode gekommen.
Das Leben der Bauern und Fischer auf der Isle of Man war hart. Lange Zeit war die Jugend zum Auswandern gezwungen, weil die Insel ihre Bevölkerung nicht ausreichend ernähren konnte. Die großformatigen Fotos, die man im Bergwerk von Laxey im Osten der Insel sehen kann, geben das anschaulich wieder. Anfang des 20. Jahrhunderts brachte der Tourismus neue Arbeitsmöglichkeiten: Blackpool, seit dem 19. Jahrhundert ein beliebter Ferienort für die nordenglische Arbeiterklasse, liegt nur 90 Kilometer östlich der Isle of Man. Seit einiger Zeit gibt es Charterflüge, die Urlauber vom Festland auf die sonnigere Insel bringen.
In den 1970er Jahren begann die Insel, Firmen mit niedrigen Steuersätzen anzulocken. Diese sind inzwischen der größte Arbeitgeber auf der Insel, die nahezu Vollbeschäftigung ausweisen kann. 2011 entfielen lediglich 3 Prozent der Arbeitsplätze auf Tourismus, Fischfang und Landwirtschaft. Dagegen arbeiteten 27 Prozent der Beschäftigten im Banken- und Versicherungssektor sowie im Bereich unternehmensbezogene Dienstleistungen – Tendenz steigend. Von den Inselbewohnern bekommt man immer wieder, wie in einer Powerpoint-Präsentation, die besonderen Qualitäten von Land und Leuten angepriesen: Risikofreude, Handlungsfähigkeit, eine „neutrale“ Besteuerung („eine Steueroase sind wir nicht!“, wird unablässig beteuert)3 , eine Regierung, die Hand in Hand mit der Wirtschaft arbeite, politische Stabilität, Schutz jeder Form von Eigentum und ein fortschrittliches Finanz- und Aufsichtssystem.
Ein günstiger Standort allein reicht freilich nicht aus, um den Mond ins Visier zu nehmen. Hinzukommen muss eine Nachfrage, die aus dem Scheitern der Weltraumpläne der Großmächte resultiert.
Tom Maher ist der prominenteste Wirtschaftsanwalt in der Hauptstadt Douglas. Er hat sich in seiner juristischen Ausbildung auf den Weltraumsektor spezialisiert: „Seit Beendigung des Space-Shuttle-Programms durch die Nasa4 und den Haushaltskürzungen Barack Obamas wurde die Raumfahrtindustrie grundlegend kommerzialisiert“, erklärt Maher. Deshalb würden staatliche Organisationen zunehmend Dienstleistungen von privaten Firmen in Anspruch nehmen. So werde das Unternehmen SpaceX künftig mit seinen Raketen die internationale Raumstation ansteuern.
Bei der Raumfahrt in erdnahen Umlaufbahnen spielt die Privatwirtschaft bei innovativer Forschung eine immer größere Rolle, während sich die öffentlichen Forschungseinrichtungen mehr auf die Erforschung ferner Galaxien konzentrieren. Das ist gut für die Isle of Man: „Je kommerzieller die Raumfahrt wird, desto mehr ist sie hinsichtlich Steuern und gesetzlicher Reglementierung auf eine wohlmeinende Rechtsprechung angewiesen.“
So sieht es auch Tina Rawlinson, Direktorin des Cavendish Trust. Die Treuhandgesellschaft ist auf die Schaffung von Offshore-Unternehmen spezialisiert: „Eine kleine Industrie, aber mit enormen Umsätzen. Jetzt, wo sich der Weltraum zu einem globalen Markt entwickelt, werden die Preise, die allen zunächst egal waren, plötzlich relevant. Wir haben früher auf allen Konferenzen betont, dass jedes an diesem Bereich interessierte Unternehmen die Möglichkeit prüfen sollte, einen Fuß auf die Isle of Man zu bekommen.“
Weil keine Versicherungssteuer erhoben wird, reduzieren sich die Kosten für einen Satellitenbetreiber über die Jahre um 100 Millionen Dollar. „Das ist, als würde ein Industrieller seine Produktion nach China oder Indien verlegen“, stellt Tina Rawlinson fest. Einen „Mentalitätswandel“ sieht auch ihr Kollege Pritesh Desai: „Die Nationen kooperieren mehr als früher, aber sie haben den politischen Willen wie die Lust verloren, sich im Weltraum zu profilieren. Der Wettlauf im All ist vorbei. Und wenn sich China und Indien nicht an der Eroberung des Mars beteiligen – wozu sie die Technologie hätten –, wird die Privatwirtschaft die staatlichen Agenturen immer mehr zurückdrängen. Diese Unternehmen interessieren sich nicht nur für Satelliten, sondern auch für Weltraumtourismus und Experimente mit reduzierter Schwerkraft.“
Die Isle of Man betreibt eine öffentlich-private Partnerschaft mit der Firma ManSat, die seit 2000 Orbitpositionen, also „Weltraumparkplätze“ an Unternehmen vermittelt. ManSat wurde 1998 von Chris Stott gegründet, der von der Insel stammt und mit einer US-Astronautin verheiratet ist. Stott hat früher für Firmen wie Lockheed Martin und Boeing gearbeitet, erzählt Ian Jarritt, der Finanzchef von ManSat: „Und dann hatte er die Idee, seine Insel in die Umlaufbahn zu bringen.“
Stott hat außerdem eine Firma für Weltraumtourismus namens Excalibur Almaz gegründet. Die hat für Mondflüge bereits zwei russische Sojus-Kapseln und zwei Saljut-Raumstationen aufgekauft, die in einem Hangar im Norden der Insel eingelagert sind. Die sollen reaktiviert werden, um ab 2015 zahlungskräftige Interessenten zum Mond zu bringen. Der Vorverkauf läuft bereits: Excalibur Almaz verlangt pro Passagier 155 Millionen US-Dollar.
Die Raumfahrt ähnelt in gewisser Weise der Schifffahrts- und der Luftfahrtbranche, die auf der Isle auf Man ähnliche rechtliche und steuerliche Privilegien genießen. Aber in einer Hinsicht unterscheidet sich die Raumfahrt doch von den beiden anderen Branchen: In den USA unterliegen duale Technologien – die also zivil wie militärisch nutzbar sind – seit 1999 den strengen Exportrestriktionen des internationalen Waffenhandels (International Traffic in Arms Regulations oder Itar).
Die Raumfahrtbranche bietet nur 16 volle Arbeitsplätze
Das Problem ist dabei, dass sich Raketenantriebe kaum von Motoren militärischer Lenkwaffen (Missile) unterscheiden. Nach Tom Maher haben die restriktiven Bestimmungen die Unternehmen bislang davon abgehalten, eine Offshore-Filiale zu gründen. Für eine US-Gesellschaft, die eine Filiale im Ausland eröffnen oder eine Technologie mit einem Zulieferer teilen möchte, sind die Optionen also beschränkt.
Aber das ist gut für die Isle of Man, sagt Maher, denn die „profitiert vom privilegierten Status Großbritanniens im Hinblick auf die Itar-Bestimmungen“. Das würde erklären, warum von den 54 Unternehmen, die weltweit an Satelliten arbeiten, 30 eine Filiale auf der Isle of Man haben.
Die Regierung der Isle de Man ist stolz auf ihren hervorragenden internationalen Ruf. So erklärt Tim Crane, Leiter der Raumfahrtabteilung im Handelsministerium der Insel: „Der beste Beweis für unsere neue Rolle ist, dass die gemeinnützige Organisation Space Data Association sich hier niedergelassen hat.“ Die vom Verband der Satellitenbetreiber betriebene Datenbank sammelt alle Informationen über die Position von Satelliten und berechnet deren Umlaufbahnen, um das Risiko von Kollisionen zu begrenzen.
„Die SDA ist eine konkrete Antwort auf ein echtes Problem, das internationale Regelungen nicht lösen konnten, weil niemand Geschäftsgeheimnisse preisgeben will“, meint Heather Gordon, Wirtschaftsanwältin in der Kanzlei Cain. Eine ähnliche Initiative gibt es für das Frequenzmanagement mit dem Ziel, die Interferenzen zwischen den verschiedenen Satelliten zu reduzieren und damit kostspielige Kommunikationsstörungen zu vermeiden.
All das beseitigt nicht den Verdacht, dass es vor allem die Anreize der Steueroase Isle of Man sind, die aus der Insel in der Irischen See auf wundersame Weise ein Zentrum der Weltraumforschung machen. Auf der ganzen Insel gibt es im Raumfahrtbereich nur 16 volle Arbeitsplätze. Das sieht doch eher nach Briefkastenfilialen internationaler Raumfahrtkonzerne aus.
Offenkundig ist, dass die Insel mit beträchtlichen Einnahmen von der Entwicklung profitiert: Für den Zeitraum 2005 bis 2013 wird die Regierung rund 42 Millionen Euro an Einkommen- und Mehrwertsteuer kassieren. Zudem erwartet man für die lokale Privatwirtschaft in den Jahren 2011 bis 2013 Gewinne in Höhe von 2 Milliarden Euro. Übrigens sind Körperschaftssteuern für Unternehmen auf der Insel unbekannt.
Handelt es sich bei all dem also nur um Geschäfte auf dem Papier? Nicht unbedingt, versichert der Parlamentarier Alexander Downie: „Natürlich werden wir hier nie Fabriken mit Tausenden Arbeitern haben. Aber wir träumen davon, kleine Präzisionswerkstätten mit 20 bis 50 Angestellten anzusiedeln, die hier etwa Bauteile für Raketenmotoren herstellen.“
Es gibt bereits eine solche Firma für Präzisionsfertigung, die einen Teil ihrer Kundschaft im Raumfahrtsektor findet. Das Unternehmen CVI Technical Optics ist in Onchan, einem Vorort der Hauptstadt Douglas angesiedelt. CVI hat sich seit 40 Jahren auf Linsen für Hochenergielaser spezialisiert. 2008 lieferte sie für die Mission der Marssonde „Phoenix“ ein Laser-Fernerkennungsgerät. Ein Produzent von Schleudersitzen hat sich ebenfalls auf der Insel niedergelassen, desgleichen ein Zulieferer für Rolls-Royce-Flugzeugmotoren. Und der Diamantenproduzent De Beers produziert auf der Insel künstliche Edelsteine.
„Vielleicht wird ein Bursche im Norden der Insel eine Methode finden, um von hier aus ins All abzuheben“, meint der Wirtschaftsanwalt Tom Maher ironisch, „aber das ist nicht unser Ziel. Die Länder spezialisieren sich. In Kasachstan können Sie Raketen starten, aber Sie werden dort nicht hingehen, um ein Unternehmen zu gründen. Sie können den Plan entwickeln, seltene ‚Weltraum-Bodenschätze‘ abzubauen und in den Weiten des australischen Kontinent niedergehen zu lassen, nicht aber auf die Isle of Man. Unsere Stärke hier sind die Geschäfte.“