09.05.2018

Reporter ohne Rechte

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Reporter ohne Rechte

Wer in Myanmar über den Rohingya-Konflikt berichtet, landet im Gefängnis

von Guillaume Pajot

Reuters-Journalist Kyaw Soe Oo auf dem Weg zum Gericht, 25. April 2018 THEIN ZAW/ap
Reporter ohne Rechte
Kasten: Fremde im eigenen Land

Yangon, April 2018: Unter den erstaunten Blicken der Polizisten drängt sich ein Arzt in den Verhandlungssaal und steuert geradewegs auf die Anklagebank zu. Dort sitzt Kyaw Soe Oo, ein Journalist der britischen Nachrichtenagentur Reuters. Der Arzt ist auf Bitten von Kyaws Familie da, die sich große Sorgen um seine Gesundheit macht. Obwohl der Arzt es eilig zu haben scheint, zittern seine Hände nicht, als er bei seinem Patienten Blut abnimmt.

Als der Richter den Gerichtssaal betritt, hat der Arzt schon die Blutprobe eingesteckt und ist gerade auf dem Weg nach draußen. „Machen Sie Ihre Visite woanders“, ruft ihm der Richter noch hinterher. „Ich möchte nicht, dass so etwas noch einmal vorkommt. Das ist hier doch kein Krankenhaus!“

Auf den Zwischenfall folgt unbehagliches Schweigen. Der Richter hat recht, das Justizgebäude ist keine Klinik, aber wie ein ordentliches Gericht sieht es auch nicht aus. Von der Saal­decke rieselt der Putz auf die Zuschauer – Verwandte des Angeklagten, Kollegen, Reporter und Diplomaten, die auf den verstreut herumstehenden Bänken sitzen. Die Luft ist zum Schneiden; wie eine feucht-heiße Haut hüllt sie alles ein und lässt den Schweiß von den Gesichtern rinnen.

Die Fenster sind nur spärlich von Vorhängen verdeckt, die Scheiben zerbrochen. Vögel fliegen herein, in allen Ecken bauen sie ihre Nester. Es ist der 13. Verhandlungstag im Prozess gegen Kyaw Soe Oo und einen weiteren myanmarischen Reuters-Kollegen.

Kyaw Soe Oo, 27 Jahre, und Wa ­Lone, 32 Jahre, sitzen bereits seit Dezember 2017 im Gefängnis. Bei ihrer Festnahme hatten sie Dokumente über Militäreinsätze im Westen Myanmars bei sich, die Polizisten ihnen übergeben hatten. Ihnen drohen 14 Jahre Haft wegen „Verletzung von Staatsgeheimnissen“. Grundlage für die Anklage ist ein Gesetz aus der Kolonialzeit. Die beiden Journalisten hatten über ein Massaker an zehn Rohingya aus Inn Din, Bundesstaat Rakhaing (ehemals Arakan), recherchiert; die Täter waren Soldaten und buddhistische Dorfbewohner; die Leichen hatte man in einem Massengrab entdeckt.

Seit dem 25. August 2017 sind fast 700 000 Angehörige dieser muslimischen Minderheit, die in dem mehrheitlich buddhistischen Land von der Armee verfolgt wird, nach Bangladesch geflohen. Laut Ärzte ohne Grenzen wurden innerhalb nur eines Monats mindestens 6700 Menschen getötet. Im März 2018 sprach Seid Ra’ad al-Hussein, der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, von einer „ethnischen Säuberung“ mit „Elementen eines Völkermords“.1

Was sich in dem Gerichtssaal in Yangon abspielt, grenzt an eine Farce. In einer früheren Sitzung hatte ein Beamter erklärt, er habe seinen Polizeibericht über die Verhaftung „verbrannt“. Später trat ein Belastungszeuge auf, der die entscheidenden Fakten auf seiner Hand notiert hatte – angeblich, weil er unter Gedächtnisstörungen litt. Niemand legte auch nur den Hauch eines Beweises vor.

Laut den Angaben eines Polizisten waren zum Zeitpunkt der Verhaftung der Journalisten die Informationen, die in ihren beschlagnahmten Dokumente standen, längst publiziert worden. Und Armeeangehörige hatten ebenfalls schon bestätigt, dass es in Inn Din zu jenen Übergriffen gekommen war, zu denen die beiden recherchiert hatten. Sieben beteiligte Soldaten waren bereits zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Dennoch bleiben die Reporter hinter Gittern.

„Sie haben nur ihre Arbeit gemacht“, klagt Pan Ei Mon, Ehefrau von Wa Lone und im fünften Monat schwanger. Als die zwei Männer in Handschellen aus dem Gerichtssaal geführt werden, versuchen sie, sich Gehör zu verschaffen. „Ich möchte, dass die Menschen begreifen, dass ich ein Journalist bin, kein Verräter! Ich habe niemals mein Land verraten!“, ruft Wa Lone, während er von einem Dutzend Polizisten in einen Transporter geschubst wird, der ihn zurück ins Gefängnis bringt.

Das Martyrium der zwei Reuters-Mitarbeiter soll wohl allen Pressevertretern als Mahnung dienen: Wer vorhat, die Machenschaften des Militärs in Arakan zu untersuchen, muss mit Repressionen rechnen. Die Armee und die Nationale Liga für Demokratie (NLD) unter der Führung von Regierungschefin Aung San Suu Kyi, die sich die Macht in Myanmar teilen,2 leugnen jede ethnische Säuberungskampagne und ignorieren die Beweise für Vergewaltigungen und Massenmorde, die die Presse und NGOs mithilfe von Überlebenden zusammentragen konnten.

Offiziell dienen die militärischen Maßnahmen ausschließlich dazu, die muslimischen „Terroristen“ von der Arakan Rohingya Salvation Army (­Arsa) zu verfolgen (siehe nebenstehenden Kasten). Laut Aung San Suu Kyi, die 1991 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, wird die Krise überlagert von einem „gewaltigen Berg an Desinformation, was nur dazu dient, zwischen den verschiedenen Volksgruppen Zwietracht zu säen und die Terroristen zu unterstützen“.3 Über das Unrecht, das etwa den beiden Reuters-Journalisten widerfuhr, verliert die NLD-Führung kein Wort.

Aung San Suu Kyi scheint überhaupt kein Mitgefühl für die Lage der Rohingya zu haben, die von der buddhistischen Mehrheitsbevölkerung (89 Prozent) als unerwünschte Einwanderer aus Bangladesch angesehen werden, obwohl sie seit Generationen im Land leben. Tonangebend sind staatliche Presseorgane wie die vom Informationsministerium herausgegebene Zeitung The Global New Light of Myanmar, in der die Rohingya unter anderem als „menschliche Fliegen“ bezeichnet wurden.4

Jede Kritik an der Armee oder an der offiziellen Darstellung der Ereignisse gilt als Angriff auf das Staatsinteresse. Seit Beginn der Militärkampagne gegen die Rohingya kam es vermehrt zu Verhaftungen von Medienvertretern. Im Juni 2017 wurden der Chefredakteur und ein Berichterstatter der Tageszeitung The Voice festgenommen und inhaftiert, weil sie sich in einer Satire über das Militär lustig gemacht hatten. Die Anklage wurde erst vier Monate später fallen gelassen.

Im Bundesstaat Shan nahe der chinesischen Grenze wurden drei Journalisten von der Armee verhört und zwei Monate lang eingesperrt, nachdem sie sich mit einer ethnischen Rebellengruppe getroffen hatten. Im Herbst 2017 kamen außerdem zwei Journalisten des türkischen Fernsehsenders TRT sowie ihre Fahrer und Dolmetscher zwei Monate hinter Gittern, weil sie bei Dreharbeiten für eine Reportage über die Hauptstadt Naypyidaw vor dem Parlamentsgebäude eine Drohne fliegen ließen.

Allein 2017 wurden elf Journalisten verhaftet.5 „Hier tobt ein wahrer Informationskrieg, und die Medien stehen an vorderster Front“, sagt Tha Lun Zaung Htet. Der Programmleiter des Senders Democratic Voice of Burma (DVB) ist auch Gründungsmitglied des Ausschusses zum Schutz von Journalisten, eines Kollektivs, das die Pressefreiheit verteidigt. Er möchte den Dialog mit den Behörden wieder aufnehmen, stößt aber bei der Regierung auf taube Ohren. „Als sie noch in der Opposition war, hatten die Journalisten gute Beziehungen zur NLD“, erinnert er sich. „Heute werden wir als Feinde betrachtet.“

Das Epizentrum des Rohingya-Konflikts, der Rakhaing-Staat, ist inzwischen eine Tabuzone. Die Armee breitet über die betroffenen Gebiete einen Mantel des Schweigens und verweigert Beobachtern der Vereinten Nationen und Medienvertretern den Zutritt. Allerdings organisiert das Militär streng überwachte Pressereisen mit festgelegten Routen, die durch Ruinenfelder führen, in denen das Leben weiterzugehen scheint.

„Das sind Propagandamaßnahmen. Die Behörden inszenieren den Ablauf und die Interviews wie ein Theaterstück“, meint Mratt Kyaw Thu, Berichterstatter der vierzehntäglich erscheinenden Zeitung Frontier und einer der wenigen, die in den vergangenen Monaten vor Ort waren.

Der Journalist Min Min ist in dieser armen, von dem Misstrauen zwischen Buddhisten und Muslimen vergifteten Region aufgewachsen. Er ist auch Gründer der Roots Investigative Agency, einer Gruppe unabhängiger Journalisten, die für ihre Recherchen über einflussreiche nationalistische Buddhisten in Rakhaing bekannt ist. Der 29-Jährige bewegt sich auf vermintem Terrain: In seiner Heimatstadt wurde sein Porträt plakatiert, jemand hat versucht, ihn mit dem Auto zu überfahren, und vor seiner Haustür explodierte eine Bombe, die glücklicherweise keine Opfer forderte.

All dies hat dazu geführt, dass er inzwischen einen Teil des Jahres hunderte Kilometer von seiner Geburtsstadt entfernt in der Wirtschafts­metro­po­le und ehemaligen Landeshauptstadt Yan­gon verbringt. „Heute kann man nur wirklich frei sein, wenn man die Region verlässt“, sagt er. Aber auch die Distanz bietet Min Min keinen hundertprozentigen Schutz. Während unseres Gesprächs in einem Yangoner Café starrt ihn ein Mann unablässig an. Plötzlich steht er auf, packt Min Min am Kragen und raunt ihm ins Ohr: „Kein Wort mehr über den Arakan.“ Dann setzt er sich wieder und trinkt, als wäre nichts gewesen.

Die Mehrheit der myanmarischen Bevölkerung ist verärgert über die Vorwürfe aus dem Ausland und steht hinter der Armee und der Regierung. Das Misstrauen gegenüber der Presse ist erschreckend. „Ein tiefer Graben hat sich aufgetan. Journalisten werden heute als Unruhestifter bezeichnet, die das Land in ein schlechtes Licht rücken“, berichtet der Anwalt Than Zaw Aung, der sich auf das Presserecht spezialisiert hat und auch die beiden Reuters-Journalisten verteidigt. Die Angst vor zivilen Übergriffen und staatlicher Repression treibt viele Medienvertreter in die Selbstzensur.

Nachdem buddhistische Dorfbewohner dem Journalisten Mratt Kyaw Thu bei seinem letzten Besuch in Rakhaing gedroht hatten, ihn umzubringen, ist er nie wieder zurückgekehrt. Andere haben schon den Beruf gewechselt. Der Traum von der Pressefreiheit ist ausgeträumt. Und von der Reformbereitschaft, die der neue Staatspräsident und Exgeneral Thein Sein 2011 bewiesen hatte, ist nichts mehr zu spüren.

Dabei war die Hoffnung auf eine Öffnung nach fast fünfzig Jahren Militärdiktatur durchaus berechtigt gewesen. Thein Sein ließ damals viele politische Gefangene frei – laut der Vereinigung zur Unterstützung politischer Gefangener (AAPP) gab es danach nur noch 86 Inhaftierte, die aufgrund ihrer Gesinnung verurteilt worden waren oder auf ihren Prozess warteten –, schaffte die Zensur vor Veröffentlichung ab und erlaubte die Herausgabe unabhängiger Tageszeitungen. Mehrere Exilmedien eröffneten Büros in der Heimat, wie etwa die Nachrichtenwebseite The Irrawaddy.

Als die frühere Dissidentin Aung San Suu Kyi im April 2016 an die Macht kam, war die Zuversicht groß. Er habe sich immer für sein Land einsetzen wollen, sagt Lawi Weng, der für The Irrawaddy über ethnische Konflikte berichtet. „Und dass ich mal wegen meiner Arbeit verhaftet werde, konnte ich mir einfach nicht vorstellen.“ Im vergangenen Jahr saß er zwei Monate im Gefängnis, nachdem er für eine Reportage im Bundesstaat Shan recherchiert hatte. Seit ihrer Gründung vor 30 Jahren hatte Weng die NLD immer unterstützt. Aber das ist jetzt vorbei.

In der Bevölkerung macht sich Ernüchterung breit. Es gibt eine unsichtbare, aber gefährliche rote Linie. Und es braucht nicht viel, um sie zu überschreiten. Jüngstes Beispiel: der aufsehenerregende Fall eines ehemaligen Kindersoldaten, der im März 2018 zu zwei Jahren Haft und Zwangsarbeit verurteilt wurde, weil er in einem Interview öffentlich von seiner Zwangsrekrutierung berichtet hatte.

Yin Yadanar Thein, Mitbegründerin der Vereinigung Free Expres­sion Myanmar, ist der Ansicht, dass die Meinungsfreiheit unter der Regierung ­Thein Sein, also von 2011 bis 2015, während der Liberalisierung des Re­gimes, größer war als heute. Sie verweist insbesondere auf die verheerende Wirkung von Artikel 66(d) des Telekommunikationsgesetzes, der üble Nachrede im Internet zur Straftat erklärt.

Vor Min Mins Haustür explodierte eine Bombe

Dieser Artikel schwebt wie ein Damo­kles­schwert über jeder regimekritischen Stimme. Und er wird vorbehaltlos eingesetzt. Die Vereinigung Free Expression Myanmar bilanziert, dass rund hundert Anzeigen auf Grundlage dieses Artikels erstattet wurden, seit die NLD an die Macht kam. Tendenz: stark steigend.6

Ähnlich bedroht ist das Demonstrationsrecht. Die NLD hat den Entwurf für eine Gesetzesänderung eingebracht, der derzeit im Parlament diskutiert wird. Er sieht vor, dass die Identität der finanziellen und materiellen Unterstützer von Demonstrationen oder Veranstaltungen offengelegt werden muss. Kommt es bei der Demonstration zur Störung der öffentlichen Ordnung, könnten diese Personen mit Gefängnis bestraft werden.

Myanmar bleibt ein instabiles Land, denn es gibt viele Gründe für Unzufriedenheit und Zorn. Ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Im Augenblick sind die wahren Gewinner des myanmarischen Wirtschaftswachstums die Cronies („Kom­plizen“) – Unternehmer, die ihr Vermögen ihren Beziehungen zur Militärjunta verdanken.

Die Angriffe auf die Meinungsfreiheit gehen einher mit einer explosionsartigen Zunahme von Hassbotschaften im Internet, insbesondere auf Face­book. Von insgesamt 53 Mil­lio­nen Einwohnern haben 16 Millionen Myan­marer einen Facebook-Account.7 Falschmeldungen, Islamfeindlichkeit, rassistische Beleidigungen – die nationalistische Propaganda blüht. Die Vereinten Nationen haben darauf hingewiesen, dass der US-Konzern mitverantwortlich für die Verharmlosung des Hasses sei, der sich gegen die Rohingya richtet. „Ich befürchte, dass Face­book zu einer Art Monster mutiert ist“, erklärte Yanghee Lee, die UN-Sonderberichterstatterin für Myanmar.8

Anfang September 2017 kursierten Meldungen, in denen buddhistische Internetnutzer gewarnt wurden, Muslime planten zum Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 ein Attentat. Facebook wurde von Aktivisten darüber informiert, reagierte aber erst nach mehreren Tagen mit der Löschung der entsprechenden Posts. Das ist eine Ewigkeit in einem Land, in dem schon ein Gerücht der Zündfunke für massive Gewaltausbrüche sein kann. Im Juli 2014 kam es in Mandalay im Norden Myanmars zu tödlichen Ausschreitungen, nachdem auf Facebook eine Falschinformation über die Vergewaltigung einer buddhistischen Frau verbreitet worden war.9

Bei seiner Anhörung vor dem US-Kongress im April kündigte Facebook-Chef Mark Zuckerberg an, zusätzliche Mittel für die Aufdeckung von Hassbotschaften bereitzustellen. Und er versprach, mehr Lektoren einzustellen, die die Landessprache Myanmar beherrschen.

Nach Meinung von Thet Swe Win gleicht das soziale Netzwerk jedoch weiterhin einem Minenfeld. Der Gründer von Synergy, einer kleinen Vereinigung zur Förderung des interreligiösen Dialogs, ist einer der wenigen Buddhisten, die offen für die Rohingya eintreten. Er reiste sogar nach Bangladesch, um Flüchtlingslager zu besuchen. Im Internet wurde er als „Parasit“ beschimpft, und er bekommt anonyme Drohanrufe.

„Diese Nationalisten sind wie Hyä­nen, sie sind gut organisiert und kaum zu stoppen“, sagt Thet Swe Win. Aber er gibt nicht auf: „Das Unrecht dauert an, weil die Menschen schweigen. Sie denken, sie können sich damit selbst schützen, aber das ist ein Irrtum. Sie können jederzeit der Militärgewalt zum Opfer fallen.“

1 Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat, Genf, 7. März 2018.

2 Die Verfassung von 2008 verbietet, dass eine Person mit ausländischen Kindern (wie Aung San Suu Kyi) Präsident der Republik wird, und garantiert der Armee ein Viertel der Sitze im Parlament sowie drei wichtige Ministerien (Inneres, Verteidigung und Grenzschutz).

3 Telefongespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, Myanmar State Counsellor Office, Facebook, 5. September 2017.

4 Khin Maung Oo, „A flea cannot make a whirl of dust, but …“, The Global New Light of Myanmar, Yangon, 26. November 2016.

5 Siehe „Myanmar’s press freedom in freefall“, Agence France-Presse, 10. Januar 2018.

6 Dieses Gesetz von 2013 wurde von der Regierung Thein Sein initiiert, die davon jedoch wenig Gebrauch machte. Siehe „66(d): no real change“, Free Expression Myanmar, Yangon, Dezember 2017.

7 Internet World Stats, Bogotá, Dezember 2017.

8 Bericht vor dem UN-Menschenrechtsrat, 12. März 2018.

9 Siehe den Dokumentarfilm von Barbet Schroeder, „Le Vénérable W.“, 2017.

Aus dem Französischen von Birgit Bayerlein

Guillaume Pajot ist Journalist.

Fremde im eigenen Land

Im Bundesstaat Rakhaing (ehemals Ara­kan), der die Grenze zwischen dem indischen Subkontinent und Südostasien bildet, leben neben buddhistischen Arakanesen und Birmanen auch muslimische Rohingya. Historiker gehen davon aus, dass es sich bei dieser Volksgruppe um eine Mischbevölkerung handelt aus muslimischen Bengalen, die sich seit dem 16. Jahrhundert im Arakan niederließen, und aus Muslimen, die in der Kolonialzeit aus Chittagong im heutigen Bangladesch (damals Britisch-Indien) kamen.

Myanmars Regierung betrachtet die Ro­hingya als Fremde im eigenen Land. Laut UN gehören sie zu einer der „am stärksten verfolgten Minderheiten der Welt“. 1989, nach einer Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes, wurden den Rohingya die Ausweise abgenommen. Ihr Land und ihre Rinder werden regelmäßig konfisziert, oft von buddhistischen Nachbarn. Moscheen werden abgerissen und stattdessen buddhistische Klöster errichtet. Rohingya brauchen eine Genehmigung, wenn sie heiraten wollen, sie haben kein Wahlrecht, die Infrastruktur in ihrem Bundesstaat ist desolat, und bis auf die Ärzteteams der wenigen internationalen NGOs gibt es so gut wie keine medizinische Versorgung. Willkürliche Inhaftierungen, Vergewaltigungen, Folter und Morde vervollständigen das Bild des Grauens.

Regelmäßig berichten NGOs von Hungerkatastrophen und der Entvölkerung ganzer Landstriche durch die endemische Malaria. In den vergangenen Jahrzehnten sind tausende Rohingya über den Grenzfluss ins benachbarte, ebenfalls bitterarme Bangladesch geflohen, wo sie in primitiven Lagern unterkommen. Die dortige Re­gierung duldet sie, wünscht aber eine rasche Repatriierung nach Myan­mar. Insgesamt 1,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens haben Myanmar verlassen und leben außer in Bangladesch auch in Indien, Thailand und anderen Ländern der Region.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich unter den Muslimen von Rakhaing Widerstand formieren würde. Eine Gruppe, die sich Arakan Rohingya Salvation Army (Arsa) nennt und von Rückkehrern aus dem saudischen Exil gebildet wurde, attackierte im Oktober 2016 einen Wachposten und tötete neun Polizisten. Durch die Unterstützung aus dem Ausland kam es zu einer Internationalisierung der Bewegung. Ihr Anführer ist ein in Saudi-Arabien sozialisierter Pakistaner namens Ata Ullah und viele der Arsa-Kämpfer dürften aus Bangladesch, Pakistan und anderen muslimischen Ländern stammen.

Es gibt Berichte, wonach die Arsa die Gegenoffensive der myanmarischen Armee durchaus in Kauf genommen haben soll, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit zu erregen und die Unterstützung muslimischer Glaubensbrüder zu bekommen. Allerdings hätten sie das Ausmaß des militärischen Gegenschlags unterschätzt. Zahlreiche verzweifelte junge Männer aus Rakhaing schließen sich der Arsa an, doch viele Muslime machen die Gruppe auch für das Leid der Bevölkerung verantwortlich.

Der Überfall auf den Polizeiposten gilt als Auslöser des aktuellen Konflikts, den die Armeeführung wohl als Gelegenheit ergriff, um unter dem Deckmantel des Kampfs gegen den islamistischen Terrorismus die Rohingya-Frage ein für alle Mal zu lösen. Marcin Sapinski

Le Monde diplomatique vom 09.05.2018, von Guillaume Pajot